Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §28;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Februar 1999, Zl. 205.136/0-VIII/22/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (mitbeteiligte Partei:
SB auch CK auch J, geboren am 24. August 1971, 3422 Greifenstein, Hauptstraße 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der mitbeteiligte Asylwerber ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 16. Juni 1997 in das Bundesgebiet ein und stellte am 17. Juni 1997 einen (ersten) Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylsamtes vom 8. Juli 1997, Zahl: 97 02.717-BAL, wurde dieser Antrag gemäß § 3 Asylgesetz 1991 rechtskräftig abgewiesen.
Am 27. Februar 1998 stellte der Mitbeteiligte einen zweiten Asylantrag, den er folgendermaßen begründete:
"Nun sind zwischenzeitlich Nachfluchtgründe eingetreten, die mir bestätigt haben, dass ich bei Rückkehr in den Iran jedenfalls begründete Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen haben müßte.
So ist zwar vor ca. 3 Monaten eine Verwandte eines in Österreich anerkannten Flüchtlings zu Besuch nach Österreich gekommen und hat mir Nachrichten von meiner Familie gebracht. Über gemeinsame Bekannte haben meine Eltern gehört, dass sie nach Österreich fahren wird und sie daraufhin kontaktiert. Dadurch weiß ich, daß im Herbst 1997 die Polizei das Haus meiner Eltern durchsucht hat und nach mir gefragt hat. Mein Vater wurde bedroht und ihm gesagt, daß bekannt sei, daß sein Sohn Mitglied der KDPI sei. Dann wurde mein Vater aufgefordert, preiszugeben, wo ich meine Sachen versteckt hätte. Es wurde nach Waffen, Parteimaterialien bzw. Namenslisten gesucht. Da die Behörden nichts derartiges fanden, nahmen sie meinen Vater sowie Bücher und Kassetten mit. Mein Vater wurde eine Woche festgehalten und wiederholt wegen mir befragt. Nach einer Woche wurde er freigelassen und war danach krank. Ich habe auch ca. fünfzehn Briefe zu meinen Eltern geschrieben, in denen ich nur über private und unverfängliche Dinge berichtet habe (Es geht mir gut, etc.). Meine Eltern haben keinen einzigen Brief erhalten. Im Dezember 1997 habe ich bei einem Bekannten im Iran angerufen, bei dem zufällig auch ein Schulfreund von mir anwesend war. Er ist meines Wissens nicht Mitglied einer politischen Partei. Er hat mich nach meiner Adresse in Österreich gefragt und habe ich ihm daraufhin die Adresse des Jungarbeiterwohnheimes in Greifenstein gegeben. Er hat versprochen, mit bald zu schreiben. Anfang Februar habe ich wieder bei meinem Bekannten im Iran angerufen und habe erfahren, dass mein Schulfreund zwischenzeitlich verhaftet wurde.
Ich habe auch keinen Brief von ihm erhalten, obwohl er mir einen geschickt haben soll.
Es scheint somit offensichtlich, daß den iranischen Behörden zwischenzeitlich meine Tätigkeit für die KDPI bekannt ist und mir daher bei einer Rückkehr in den Iran jedenfalls Verfolgung droht.
Die KDPI gehört zu den am schlimmsten verfolgten politischen Oppositionsgruppen im Iran und ihre Mitglieder und Sympathisanten müssen - sollte den iranischen Behörden ihre politischen Aktivitäten bekannt werden - jedenfalls mit mehrjährigen Haftstrafen nach unfairen Gerichtsverfahren, mit unmenschlicher Behandlung und Folter, mit Hinrichtung, sogar mit extralegaler Hinrichtung im Ausland rechnen."
Dieser zweite Asylantrag wurde durch ein ausführliches Vorbringen des mitbeteiligten Asylwerbers hinsichtlich der Verfolgung von KDPI-Mitgliedern durch das iranische Regime untermauert. Der mitbeteiligte Asylwerber legte darüber hinaus eine Bestätigung der demokratischen Partei Kurdistan-Iran vor, derzufolge er aktives Mitglied dieser Partei sei und aus diesen Gründen im Iran verfolgt werde und daher ins Ausland flüchten musste. Am 1. April 1998 wurde der Asylwerber vom Bundesasylsamt, Außenstelle Traiskirchen, einvernommen; der Asylwerber legte dabei auch ein Exemplar der Zeitschrift "Kurdistan" vom August 1996 vor. Am 16. Juni 1998 erfolgte eine weitere Einvernahme des Asylwerbers vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen. Darüber hinaus erstattete die ausgewiesene Vertreterin des Asylwerbers im Zuge des Asylverfahrens eine Stellungnahme und überbrachte eine weitere schriftliche Zeugenaussage von Dr. M. K. sowie dazugehörige Bilder von bei einem Attentat, dem der Asylwerber nur knapp entkommen sei, getöteten Kurden bzw. den damit im Zusammenhang stehenden Begräbnisfeierlichkeiten.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. August 1998, wurde dieser zweite Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dies wurde nach ausführlicher Würdigung der Beweisergebnisse im Wesentlichen damit begründet, dass der Asylwerber die "Nachfluchtgründe in keinster Weise glaubhaft machen" konnte.
Der Asylwerber erhob gegen diesen Bescheid am 7. September 1998 Berufung, in der er sich gegen die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes wandte und die er
folgendermaßen begründete:
"...
Die Beweiswürdigung - aufgrund der das Bundesasylamt dem Vorbringen des BW im angefochtenen Bescheid die Glaubwürdigkeit abspricht - ist nicht schlüssig und nachvollziehbar. Es darf wohl keinesfalls so sein, dass die Behörde aufgrund des eigenen Erfahrungshorizontes und subjektiven Vermutungen dem Vorbringen eines Asylwerbers die Glaubwürdigkeit abspricht, sondern dieses aufgrund von konkreten Ermittlungsergebnissen und Recherchen beurteilt. Es ist nicht zulässig, dem Vorbringen eines Asylwerbers Gegenvermutungen bzw. Vorhalte entgegenzustellen, die - objektiv gesehen - keineswegs plausibler oder wahrscheinlicher sind als sein Vorbringen. Dies ist im Fall des BW offensichtlich passiert.
Der BW hat vorgebracht, daß er von zwei unterschiedlichen Personen darüber informiert wurde, dass im Herbst 1997 eine Hausdurchsuchung im Elternhaus des BW im Iran stattfand. Der Vater des BW wurde festgenommen, für eine Woche angehalten und wiederholt bezüglich seines Sohnes und dessen Aktivitäten für die KDPI befragt.
Einerseits erfuhr er diese Nachricht durch einen langjährigen Freund, der ihn in Österreich besuchte, andererseits durch die Mutter eines anerkannten Flüchtlings, die nach mehreren Jahren erstmals ihren Sohn besuchte, der als anerkannter Flüchtling in Österreich lebt.
Nun ist es keinesfalls unglaubwürdig, dass zwei Besucher aus dem Iran dem BW über die Hausdurchsuchung und Verhaftung des Vaters berichten. Es ist sogar gut nachvollziehbar, daß die Eltern des BW jede Gelegenheit nützen werden, ihrem Sohn Nachrichten, insbesondere sensiblere Informationen, über die man nicht am Telefon sprechen kann, zukommen zu lassen.
(...)
Nun missversteht das Bundesasylamt in dem angefochtenen Bescheid völlig das Vorbringen des BW bzw. seiner rechtsfreundlichen Vertreterin, wenn es die Erklärung des BW bzw. der Vertreterin, wieso dieser den Namen des in Österreich anerkannten Flüchtlings und seiner Mutter nicht nennen kann, als "völlig absurd" bezeichnet.
Es geht nämlich davon aus, daß der in Österreich anerkannte Flüchtling nicht wolle, daß sein Name genannt werde, weil er Angst um seine Sicherheit in Österreich bzw. Angst um die Sicherheit seiner Familie im Iran habe. Tatsächlich will er aber nicht, daß sein Name genannt wird, weil dadurch auch automatisch die Identität seiner Mutter preisgegeben würde und er sich Sorgen um ihre Sicherheit nach der Rückkehr in den Iran macht.
Insofern geht die Argumentation in dem angefochtenen Bescheid, der in Österreich anerkannte Flüchtling hätte dann auch selbst keinen Asylantrag stellen dürfen bzw. habe seine Familie aufgrund der Asylantragstellung keine Schwierigkeiten im Iran bekommen, sondern sogar den Flüchtling in Österreich besuchen dürfen, völlig an dem Vorbringen des BW vorbei. Möglicherweise hatte die Mutter aufgrund der Asylantragstellung des Sohnes bisher keine Probleme mit den iranischen Behörden (dies entzieht sich der Kenntnis des BW), dies würde jedoch nicht im Geringsten dagegen sprechen, dass sie Verfolgungshandlungen befürchten muss, wenn den iranischen Behörden bekannt wird, daß sie in Österreich mit dem BW Kontakt aufgenommen und diesen gewarnt hat, daß er von den iranischen Behörden gesucht wird und dies zudem noch einer ausländischen Behörde gegenüber bestätigt.
...
Der Hinweis, dass von seiten des Bundesasylamtes keine Informationen an die Öffentlichkeit weitergegeben werden, ist nicht geeignet, die Betroffenen tatsächlich zu überzeugen. Erstens ist ihnen das System des Datenschutzes zu wenig vertraut und sehen sie andererseits z.B. die Asylwerber mit den Bescheiden, in denen die Fluchtgründe ebenfalls detailliert angeführt sind, zu Flüchtlingsberatungsstellen gehen, wo Kopien der Bescheide angefertigt werden. Die Asylwerber tragen diese Bescheide mit sich herum, während sie in den Notquartieren leben und übernachten und haben dort keinen geeigneten, sicheren Aufbewahrungsort für die Papiere, etc. Daher ist die Angst, dass durch einen unglücklichen Zufall Informationen in die falschen Hände gelangen könnten, vielleicht etwas irrational aber keinesfalls völlig unberechtigt. Die rechtliche Vertreterin hat in vielen Gesprächen mit Asylwerbern ähnliche Befürchtungen gehört und glaubt sie daher nicht, daß ihr Vorbringen 'jeder Sinnhaftigkeit' entbehrt, wie das Bundesasylamt in dem angefochtenen Bescheid ausführt.
Schließlich ist es für den BW nicht nachvollziehbar, wieso das Bundesasylamt unbedingt und ausschließlich auf der Zeugenaussage des anerkannten Flüchtlings besteht, wenn der BW ausdrücklich und wiederholt die Zeugenaussage von Dr. B. angeboten hat, der ebenfalls Kenntnis davon erlangt hat, daß es eine Hausdurchsuchung im Elternhaus des BW gegeben hat bzw. daß dessen Vater festgenommen und bezüglich seines Sohnes verhört worden ist. Auch der anerkannte Flüchtling könnte dem Bundesasylamt nur bestätigen, daß seine Mutter diese Nachrichten aus dem Iran gebracht hat. Dr. B. könnte eine vergleichbare Zeugenaussage machen. Insofern ist es nicht nachvollziehbar wie die Zeugenaussage des anerkannten Flüchtlings mehr zur Wahrheitsfindung beitragen könnte als eine Zeugenaussage von Dr. B. Auf diese hat das Bundesasylamt jedoch - trotz mehrfacher Beantragung durch den BW - ohne nähere Begründung verzichtet.
Der BW stellt daher neuerlich den Beweisantrag, Dr. B. als Zeugen zu befragen.
Im Gegensatz zur Ansicht des Bundesasylamtes gibt es sehr wohl nachvollziehbare Gründe, wieso der BW die Namen von Personen, die in den Iran zurückgekehrt sind, nicht nennen will, - er will jegliches Risiko für diese ausschließen. Er hat jedoch stattdessen den Namen eines in Österreich lebenden Zeugen, nämlich Dr. B., offizieller Vertreter der KDPI Österreich, genannt, der ebenfalls bestätigen könnte, dass er von der Hausdurchsuchung und Verhaftung des Vaters des BW im Herbst 1997 Kenntnis erlangt hat. Ohne nähere Begründung hat das Bundesasylamt dieses Beweisangebot ignoriert und ist in der Folge unzulässigerweise zu dem Schluss gelangt, der BW könne seine Nachfluchtgründe nicht glaubhaft machen.
Das Bundesasylamt ignoriert schließlich konsequent, daß es sehr wohl einen Unterschied macht, wenn der BW ohne größere Bedenken die Namen und Adressen von Personen (inklusive seiner eigenen) bekannt gibt, die sich dauerhaft außerhalb des Irans niedergelassen haben, sich aber weigert, im Iran lebende Personen zu nennen. Wie bereits vorgebracht wurde, gibt es nur ein sehr geringes Risiko, im Ausland Opfer eines Attentats durch iranische Agenten zu werden, obwohl auch dies in Einzelfällen nicht auszuschließen ist. Ganz im Gegensatz dazu ist es für die iranischen Behörden leicht und unproblematisch, einen im Iran lebenden (vermuteten) politischen Gegner bzw. andere mißliebige Personen zu verhaften und zu verfolgen. Insofern ist es auch keineswegs naiv und spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des BW, wenn dieser Briefe unter seinem richtigen Namen und seiner richtigen Adresse an die Eltern im Iran sendet.
Das politische Engagement des BW, die Mitgliedschaft bei der KDPI ebenso wie seine Aktivitäten im Nordirak und seine Identität sind auf Grund der Zeugenaussage des Dr. K., der Partei-Bestätigung, dem detailreichen und schlüssigen Vorbringen des BW - insbesondere zur Geschichte und Struktur seiner Partei - zweifellos glaubhaft.
Auch das Vorbringen des BW zu den Nachfluchtgründen ist schlüssig, substantiiert und nachvollziehbar. Die Vorhalte, Vermutungen und Ausführungen des Bundesasylamtes in dem angefochtenen Bescheid sind - objektiv gesehen - keineswegs plausibler oder wahrscheinlicher und wird dem BW daher völlig unzulässigerweise unterstellt, er habe durch "unrichtige Angaben" versucht, die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens zu bewirken.
Im Falle des BW liegen jedenfalls Nachfluchtgründe vor und müßte er bei einer Rückkehr in den Iran massive Verfolgungshandlungen aus den in der GFK angeführten Gründen befürchten. Daher wird beantragt, den angefochtenen Bescheid zu beheben - da im Falle des BW auf Grund der Nachfluchtgründe keine res iudicata vorliegt - und dem BW gem. § 7 AsylG 1997 Asyl in Österreich zu gewähren."
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dieser Berufung stattgegeben und den bekämpften Bescheid ersatzlos behoben. Begründend führte sie aus, entschiedene Sache liege im Allgemeinen vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der Sachverhalt wesentlich geändert hätten. Das Bestehen der gleichen Rechtslage sei nicht weiter zu prüfen, weil § 44 Abs. 5 AsylG eine Identität mit den entsprechenden früheren Bestimmungen des Asylgesetz 1968 sowie des Asylgesetz 1991 festgelegt habe. Die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides lautet:
"Wenn man das Vorbringen des Asylwerbers in seiner Ersteinvernahme zu seinem ersten Asylantrag und die Sachverhaltsfeststellungen mit dem rechtskräftigen Bescheid des Bundesasylamtes vom 8.7.1997 einerseits und dem (...) zweiten Asylantrag vom 27.2.1998 andererseits vergleicht, so fällt auf, dass sich dieses Vorbringen keineswegs deckt: In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß neu entstandenen Tatsachen, also Änderungen des Sachverhalts die Rechtskraft des seinerzeitigen Bescheides nicht entgegensteht (Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren 2, 1467). Im vorliegenden Fall hat der Asylwerber in seinem zweiten Asylantrag vom 27.2.1998 Nachfluchtgründe vorgebracht; dabei handelte es sich um Umstände, die sich erst nach Erlassung des erstinstanzlichen rechtskräftigen Bescheides vom 8.7.1997 ereignet haben. Auf Grund dieser detailliert vorgebrachten Nachfluchtgründe war jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Behörde eine andere rechtliche Beurteilung des Asylantrages vornimmt als in dem rechtskräftigen Bescheid. Eine andere rechtliche Beurteilung ist dann anzunehmen, wenn das Vorbringen nicht nur in unwesentlichen Nebenumständen geändert wurde und somit wesentliche Änderungen im Sachverhalt vorliegen (siehe Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2, 1418 f). Für die Entscheidung, ob eine entschiedene Sache vorliegt, ist es jedoch nicht erforderlich, die Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu überprüfen. Dies wäre vielmehr Aufgabe eines meritorischen Verfahrens gemäß § 7 Asylgesetz."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung, in eventu die Zurückweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, dann, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 und 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG würden vorliegen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage (vgl. insoweit aber § 44 Abs. 5 AsylG) oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren (abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind) abweicht (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze2 E. 80 zu § 68 AVG sowie das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1998, Zl. 96/20/0266). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag entgegen.
Es kann jedoch nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen nach § 28 AsylG - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 24. März 1993, Zl. 92/12/0149, und die dort zitierte Judikatur). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die belangte Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin oder mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen sein ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zl. 98/20/0467).
Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides eine Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz entbehrlich sei. Diese Ansicht beruht auf der - nach dem Gesagten nicht zutreffenden - Rechtsmeinung, auch im Falle der Wahrheitswidrigkeit des gesamten neuen Vorbringens sei nicht mit der Zurückweisung des Zweitantrages vorzugehen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung musste die belangte Behörde, deren Entscheidungsgegenstand nur die Berechtigung der Zurückweisung des Zweitantrages war, sich zwar nicht damit auseinander setzen, ob das neue Vorbringen insgesamt glaubwürdig und ausreichend und dem Zweitantrag daher stattzugeben sei. Die belangte Behörde hätte den erstinstanzlichen Bescheid aber nur dann aus dem von ihr angenommenen Grund beheben dürfen, wenn sie in eigener Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen wäre, neue Tatsachen seien in einem im dargestellten Sinn wesentlichen Ausmaß tatsächlich feststellbar.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 24. Februar 2000
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999200173.X00Im RIS seit
09.08.2001