Entscheidungsdatum
18.12.2017Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 130 Abs2 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Nussgruber über die Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG in Verbindung mit § 88 Abs. 2 SPG 1) der Frau A. T. und 2) des mj. I. T., beide Wien, F.-straße, beide vertreten durch Rechtsanwalt, wegen der am 4. Juli 2017 im Rahmen der Erstbefragung sinngemäß getätigten Aussage eines Exekutivorgans „Sie können auch relativ bald wieder abgeschoben werden“, gegen die Landespolizeidirektion Wien als belangte Behörde,
zu Recht e r k a n n t:
I. Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer haben gemäß §§ 35 Abs. 4 Z 3 und 53 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 i.d.g.F., in Verbindung mit § 1 VwG-Aufwandersatzverordnung – VwG-AufwErsV, BGBl II Nr. 517/2013, dem Bund als Rechtsträger der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Wien) in gleichen Teilen 57,40 Euro für Vorlageaufwand, 368,80 Euro für Schriftsatzaufwand und 461,00 Euro für Verhandlungsaufwand, insgesamt 887,20 Euro an Aufwandersatz, binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.1. Mit Schriftsatz der anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers vom 31. Juli 2017, welcher beim Verwaltungsgericht Wien am 1. August 2017 eingebracht wurde, wenden sich beide gegen das schlicht-hoheitliche Handeln einen Organs im Bereich der Sicherheitsverwaltung, weil dieses am 4. Juli 2017 im Rahmen der Erstbefragung im Polizeianhaltezentrum ihnen gegenüber sinngemäß die Aussage „Sie können auch relativ bald wieder abgeschoben werden“, getätigt habe.
2. Die Landespolizeidirektion Wien bestreitet in ihrer Gegenschrift vom 20. September 2017 das Vorbringen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers und legte den bezughabenden Verwaltungsakt zur GZ E1/208300/2017 vor.
3. Am 29. November 2017 wurde zu beiden verwaltungsgerichtlichen Verfahren (VGW-102/076/10682/2017 und VGW-102/076/10685/2017) aufgrund des sachlichen Zusammenhangs und des Beschwerdevorbringens eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien durchgeführt, zu der die Beschwerdeführerin, der Beschwerdeführer, ihr Rechtsanwalt, die belangte Behörde und die Zeugen Herr RevI. M. (Exekutivorgan) und Herr K. (Dolmetscher für die türkische Sprache bei der Erstbefragung) geladen wurden. Mangels ausreichender Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers wurde Frau S. als Dolmetscherin (ebenso für die türkische Sprache) zur mündlichen Verhandlung beigezogen.
4.1. Aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes, der Einvernahme der genannten Zeugen sowie der Parteien, hat das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:
Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer fanden sich am 4. Juli 2017 im Polizeianhaltezentrum … ein und stellten jeweils für ihre Person einen Antrag auf internationalen Schutz nach den Bestimmungen des Asylgesetzes. Herr RevI M. nahm unter Beziehung des Dolmetschers für die türkische Sprache, Herrn K., die nach § 42 Abs. 1 Asylgesetz vorgesehene Erstbefragung vor und übermittelte nach Durchführung derselben die Niederschrift an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Herr O. vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilte sodann die Weisung, die Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer festzunehmen, weshalb Herr RevI. M. die Beiden zu den Hafträumen des Polizeianhaltezentrums geleitete. Beim Aufzug, der zu den Hafträumen führte, bekam die Beschwerdeführerin Angst ob der Möglichkeit nun in die Türkei abgeschoben zu werden, weshalb sie ihren Sohn - den Beschwerdeführer - bat, Herrn RevI M. auf Englisch zu fragen, ob sie nun abgeschoben werden. Der Beschwerdeführer kam der Bitte der Beschwerdeführerin nach und erhielt von RevI. M. folgende Antwort: "Not now, but maybe later".
Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer versetzte diese Antwort in Angst und Unruhe, weil sie die Konsequenzen einer Abschiebung in die Türkei als Anhänger der Gülen-Bewegung fürchteten.
Da Herr K. bereits nach der Erstbefragung die daran beteiligten Personen verließ, war er nicht mehr anwesend, als die zuvor erwähnte Frage an RevI. M. gestellt wurde.
4.2. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweisergebnisse:
Sowohl die Beschwerdeführerin als auch der Beschwerdeführer gaben in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar an, dass sich der festgestellte Sachverhalt so ereignet hat. Für das Verwaltungsgericht Wien bestand kein Anhaltspunkt, diese Darstellungen in Zweifel zu ziehen. Auch der als Zeuge befragte RevI. M. stellte ebenso nicht in Abrede, dass er mögliche Konsequenzen mitteilt, wenn er gefragt werde, was geschehen kann, obgleich er sich an Details nicht mehr erinnern konnte. Dass die Entscheidung über die Anhaltung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getroffen wurde, ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt und wurde von Herrn RevI. M., der auf das Anhalteprotokoll vom 4. Juli 2017 verwies, bestätigt.
II. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
1. Gemäß § 88 Abs. 2 SPG erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde beträgt sechs Wochen (§ 88 Abs. 4 SPG).
2.1. Die hier relevanten Bestimmungen des Asylgesetzes lauten:
"Allgemeines Asylverfahren
Verfahrensablauf(1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist gestellt, wenn ein Fremder in Österreich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer Sicherheitsbehörde um Schutz vor Verfolgung ersucht.
(2) und (3) [...].
(4) Nach Einbringung des Antrages auf internationalen Schutz ist das Verfahren mit dem Zulassungsverfahren zu beginnen. [...]
Befragungen und Einvernahmen(1) Ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.
(2) und (3) [...]
(4) Vor jeder Einvernahme ist der Asylwerber ausdrücklich auf die Folgen einer unwahren Aussage hinzuweisen. Im Zulassungsverfahren ist der Asylwerber darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass seinen Angaben verstärkte Glaubwürdigkeit zukommt. [...]"
2.2. Die Bestimmung des § 42 BFA-VG lautet:
"Antragstellung bei einer Sicherheitsbehörde oder bei Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Befragung und Befugnis zur erkennungsdienstlichen Behandlung(1) Stellt ein Fremder einen Antrag auf internationalen Schutz bei einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine erste Befragung gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 durchzuführen und den Fremden erkennungsdienstlich zu behandeln, sofern dies nicht bereits erfolgt ist und dieser das 14. Lebensjahr vollendet hat.
(2) Nach Durchführung der in Abs. 1 genannten Maßnahmen haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dem Bundesamt das Protokoll der Befragung sowie einen Bericht, aus dem sich Zeit, Ort und Umstände der Antragstellung, Angaben über Hinweise auf die Staatsangehörigkeit und den Reiseweg, insbesondere den Ort des Grenzübertritts, sowie das Ergebnis der erkennungsdienstlichen Behandlung (Abs. 1) und gegebenenfalls einer Durchsuchung (§ 38), zu übermitteln und eine Anordnung zur weiteren Vorgangsweise beim Bundesamt einzuholen."
2.3. Die Bestimmung des Art. 3 EMRK lautet:
"Artikel 3 – Verbot der Folter
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."
3.1. Die Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt regelt § 35 VwGVG. Dieser lautet:
„Kosten
Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt(1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.
(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:
1.
die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,
2.
die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie
3.
die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.
(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.
(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.“
3.2. § 1 der Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens der Behörde in Vollziehung der Gesetze (VwG-Aufwandersatzverordnung - VwG-AufwErsV) lautet wie folgt:
Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes – B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird wie folgt festgesetzt:
1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro
2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro
3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei ….. 57,40 Euro
4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro
5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro
6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro
7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro“
III. 1. Der Tag der beschwerdegegenständlichen Amtshandlung war am 4. Juli 2017, die nun vorliegenden Beschwerden wurden am 1. August 2017 beim Verwaltungsgericht Wien eingebracht und sind daher rechtzeitig.
Die in Beschwerde gezogene Aussage des Organs der Sicherheitsbehörde wurde im Rahmen der Besorgung der Sicherheitsverwaltung, wozu auch die Fremdenpolizei gehört, getätigt. Da Äußerungen eines Organs gegenüber Personen, die von einer Amtshandlung in Ausübung der Sicherheitsverwaltung betroffen sind, nach § 88 Abs. 2 SPG mit Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht Wien bekämpft werden können, sind die vorliegenden Beschwerden auch zulässig (vgl. VfSlg. 15.372/1998).
2. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer machen geltend, dass die Aussage des Organs der Sicherheitsbehörde, wonach „sie relativ bald wieder abgeschoben werden können“ respektive die Antwort des Organs auf die ihm gestellte Frage, ob sie nun abgeschoben werden: "Not now, but maybe later", ein exzessives Überschreiten seiner Befugnisse darstellte, es hierfür keine rechtliche Grundlage gebe und sohin reine Willkür gewesen sei sowie als Verkennen der Rechtslage hinsichtlich des faktischen Abschiebeschutzes zu qualifizieren sei. Die Familie sei dadurch einem „Psychoterror“ ausgesetzt worden, weshalb sie in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art. 3 EMRK, wonach niemand einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen werden dürfe, verletzt worden seien. Die Aussage habe die Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer in begründete Furcht und Unruhe versetzt, da sie bei der Erstbefragung die Fluchtgründe dargelegt haben, sodass für das Organ auch erkennbar gewesen sei, welche Konsequenzen eine Abschiebung in die Türkei für sie hätte. Auch hätte das Organ auf Grund der Medienberichte wissen müssen, welche Konsequenzen Mitglieder der Gülen-Bewegung drohen würden.
Zum Beschwerdevorbringen ist zunächst auf die Bestimmung des Art. 3 EMRK hinzuweisen, wonach niemand ua. „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen“ werden darf.
Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegt, hängt von allen Umständen des Einzelfalls (etwa von der Dauer, Art und Intensität der Beeinträchtigung) ab. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist eine Maßnahme „erniedrigend“, wenn diese bei dem Betroffenen Gefühle der Angst, Not, Qual, Minderwertigkeit oder der Unterlegenheit hervorruft, die in der Lage sind, es zu entwürdigen, zu demütigen und zu beschämen, seinen physischen oder mentalen Widerstand zu brechen oder es in einer Art. 3 EMRK widersprechenden Weise in seiner Persönlichkeit zu treffen. Dabei ist insbesondere auch zu prüfen, ob die Behandlung respektlos erfolgte, oder die Würde der Person herabsetzt oder Angst, Schmerz oder Minderwertigkeitsgefühle hervorgerufen wurden, die geeignet waren, die Moral und die Widerstandskraft der Betroffenen zu brechen. Hier kommt es auch auf die Sicht des Opfers an, ob es sich erniedrigt fühlte.
Die Anwendung des Art. 3 EMRK kommt nur dann in Betracht, wenn das Leiden der von einer Maßnahme betroffenen Person über dasjenige Maß an Beeinträchtigung hinausgeht, das einer nach nationalem Recht gesetzlich vorgesehenen Maßnahme immanent ist.
Drohungen, Einschüchterungen und Demütigungen, wie auch verbale Attacken, insbesondere Beschimpfungen und Beleidigungen, sohin verbale Gewalt, können nach der Rechtsprechung des EGMR, insbesondere in Begleitung physischer Zwangsakte eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten. Etwa eine im Zuge einer Festnahme geäußerte rassistische Beschimpfung durch Polizeibeamte stellt eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar, da der Begriff der unmenschlichen Behandlung auch das Zufügen schweren seelischen oder physischen Leidens umfasst. In diesem Zusammenhang kann daher die Auffassung vertreten werden, dass auch die Art und Weise, in der die Amtshandlung erfolgte, im Lichte des Gesagten, angemessen und nicht überschießend sein darf (vgl. Kommentar von Tretter zu Art. 3 EMRK, Rz 84 ff in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Teil III Grundrechte).
Vor dem Hintergrund des Gesagten, lässt sich für die vorliegenden Beschwerdefälle nun Folgendes gewinnen:
Nach dem als erwiesen angenommen Sachverhalt steht fest, dass das amtshandelnde Organ in Entsprechung einer Weisung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin sowie den Beschwerdeführer in den Arrestbereich brachte. Im Zuge dessen stellte ihm der Beschwerdeführer die Frage, ob sie - also die Beschwerdeführerin und er - nun abgeschoben werden. Ausschließlich in Beantwortung dieser Frage wurde dem Beschwerdeführer und sohin auch der Beschwerdeführerin sinngemäß mitgeteilt, dass dies derzeit nicht der Fall, aber später möglich sei. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Antwort des Organs bei der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer Angst und Unruhe hervorgerufen hat, diese Gefühle wurden aber - entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Parteien – nicht aufgrund einer erniedrigenden Behandlung durch das Organ bewirkt, sondern ergaben sich vielmehr situationsbedingt: die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer hatten Angst vor einer drohenden Abschiebung in die Türkei und den Konsequenzen einer solchen Maßnahme und befanden sich auf dem Weg in den Arrestbereich, als sie die Antwort auf ihre eigens gestellte Frage einer denkmöglichen Abschiebung erhielten. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch festzuhalten, dass durch die in Beschwerde gezogene Aussage des Organs "Not now, but maybe later" - auch in Zusammenschau mit der verfügten Festnahme - keine Maßnahme gesetzt wurde oder eine Behandlung erfolgte, die eine Intensität erreicht hat, die als „erniedrigend“ im Sinne des Art. 3 EMRK zu qualifizieren ist. Wenngleich eben nicht übersehen wird, dass diese Aussage in einer für die Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer psychisch belastenden Situation erfolgte, weil sie - wie bereits erwähnt wurde - gerade in den Arrestbereich gebracht wurden, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Maßnahme der Festnahme respektive der Anhaltung in Entsprechung einer Weisung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und somit denkmöglich in Vollziehung des Asylgesetzes erfolgte. Ob indes die Festnahmen zu Recht erfolgten, hat das Verwaltungsgericht nicht zu prüfen und war demnach auch nicht Gegenstand der Beschwerden.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die im Zuge der Festnahmen getätigte Aussage des Organs keine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellte, da durch die Art und Weise, in der die Amtshandlung erfolgte, kein schweres seelisches oder physisches Leiden bewirkt wurde, das vom Begriff der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 EMRK erfasst wird.
Das Beschwerdevorbringen, wonach die Aussage des Organs "Not now, but maybe later" „ein exzessives Überschreiten seiner Befugnisse“ darstelle, es hierfür keine rechtliche Grundlage gebe und sohin reine Willkür gewesen sei sowie das Organ die Rechtslage hinsichtlich des faktischen Abschiebeschutzes verkannt habe, geht ebenso ins Leere, zumal das Organ nicht von sich aus, eine Beurteilung der rechtlichen Situation vorgenommen hat, sondern lediglich die ihm gestellte Frage möglichst offen beantwortet hat. Damit hat das Organ weder zum Ausdruck gebracht, dass er über die Frage einer möglichen Abschiebung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers zu entscheiden hat, noch dass diese von einer Abschiebung auszugehen hatten, weshalb sie – entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden Parteien – letztlich auch keinem „Psychoterror“ ausgesetzt wurden. Die Aussage des Organs "Not now, but maybe later" hatte keinerlei rechtliche Konsequenzen und hat die Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer auch nicht in ihrer Rechtssphäre berührt. Daher waren die Beschwerden auch in dieser Hinsicht als unbegründet abzuweisen.
3. Die Kostenansprüche gründen sich auf § 35 VwGVG in Verbindung mit § 1 Z 3 bis 5 VwG-Aufwandsersatzverordnung-VwG-AufwErsV, BGBl. II Nr. 517/2013 in der geltenden Fassung. Da mehrere Beschwerdeführer einen „Akt“ gemeinsam bekämpft haben, ist der Aufwandersatz in diesen Fällen so zu beurteilen, wie wenn die Beschwerde nur von dem in der Beschwerde erstangeführten Beschwerdeführer eingebracht worden wäre. Daher haben die Beschwerdeführer den Aufwandersatz in gleichen Teilen an die belangte Behörde zu leisten.
4. Gemäß § 25a VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch des Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision gründet sich darauf, dass keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Bei den wesentlichen, der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegenden Fragen handelte es sich ausschließlich um Beweisfragen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Verhaltensbeschwerde; keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung; Abschiebung; Aussage eines ExekutivorgansEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2017:VGW.102.076.10682.2017Zuletzt aktualisiert am
04.06.2018