Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, wegen Räumung (Streitwert 16.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert 16.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Dezember 2017, GZ 11 R 195/17b-5, mit dem der Zurückweisungsbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 10. November 2017, GZ 12 Cg 70/17b-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme von dem in Anspruch genommenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger und der Beklagte, der seinen allgemeinen Gerichtsstand außerhalb Wiens hat, sind Miteigentümer und Wohnungseigentumswerber einer in Wien gelegenen Liegenschaft.
Der Kläger begehrt, den Beklagten zu verpflichten,
1. die im Bereich der Zu- und Abfahrt in die P*****gasse gelegenen, als KFZ-Abstellplätze Nr 139, 140 und 141 bezeichneten Flächen [dieser Liegenschaft], insbesondere von den dort aufgestellten zwei Betonabweisern, zu räumen;
2. hinkünftig jegliche Nutzung der zu Punkt 1. genannten Flächen als KFZ-Abstellplätze zu unterlassen.
Bei den in der Natur als Abstellplätze ausgewiesenen und vom Beklagten bzw von Dritten, welchen der Beklagte die Nutzung gestattet habe, genutzten KFZ-Abstellplätzen Nr 139, 140 und 141 handle es sich um Flächen, die nicht als Wohnungseigentumsobjekte gewidmet und daher allgemeine Teile der Liegenschaft seien. Die dem Beklagten an diesen Abstellplätzen erteilte Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum gemäß § 40 Abs 2 WEG sei nicht rechtswirksam und auch gemäß § 38 WEG nichtig. Der Beklagte nutze diese Flächen daher ohne Rechtstitel. Abgesehen von der fehlenden Widmung als Wohnungseigentumsobjekte könne an diesen Flächen Wohnungseigentum schon deshalb nicht begründet werden, weil es sich um die Zu- und Abfahrt von der Liegenschaft in die P*****gasse und damit um notwendig allgemeine Teile der Liegenschaft im Sinne des § 2 Abs 4 WEG handle.
Für Rechtsstreitigkeiten wie hier, mit welchen die Unterlassung von gegen Besitz und Eigentum gerichteten Störungen begehrt werde, sei ausgehend von § 81 JN das Gericht der gelegenen Sache unabhängig davon zuständig, ob sich der Beklagte eines dinglichen Rechts berühme.
Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Das dingliche Recht müsse bei der Berufung auf den Gerichtsstand des § 81 JN Klagegegenstand und nicht nur Klagegrund sein; der Gerichtsstand des § 81 JN gelte daher nicht für Räumungsklagen wegen titelloser Benützung.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Oberste Gerichtshof habe (bislang) nur vergleichsweise im Falle von Eigentumsfreiheitsklagen nach § 523 ABGB sowie Löschungsklagen nach § 61 GBG und im Zusammenhang mit Klagen zur Abwehr von (künftigen) Immissionen nach § 364 ABGB und zwar auch gegen einen titellosen Störer ausgesprochen, dass der Gerichtsstand der gelegenen Sache gelte. Zu berücksichtigen sei, dass die vom Kläger erwähnte Besitzstörungsklage immerhin ausdrücklich in § 81 JN Erwähnung finde, dem Besitzstörungsverfahren ein vorläufiger Charakter innewohne und insbesondere der Besitzstörungskläger die 30-Tagesfrist nach § 454 Abs 1 ZPO, zu beachten habe. Das Rekursgericht sehe keine Veranlassung, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dahin abzugehen, dass für eine Zuständigkeit nach § 81 JN das dingliche Recht Klagegegenstand und nicht – so wie hier – bloß Klagegrund sein müsse.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil unter Berücksichtigung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 506/95 eine einheitliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich ein in seinem Eigentumsrecht durch die titellose Benützung der Sache durch den Beklagten gestörter Kläger bei Anbringung der Räumungs- und Unterlassungsklage auf den Gerichtsstand der gelegenen Sache gemäß § 81 JN berufen könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Gemäß § 81 Abs 1 JN gehören Klagen, durch welche ein dingliches Recht auf ein unbewegliches Gut, die Freiheit von einem solchen Rechte oder die Aufhebung desselben geltend gemacht wird, Teilungs-, Grenzberichtigungs- und Besitzstörungsklagen vor das Gericht, in dessen Sprengel das unbewegliche Gut gelegen ist. Damit wird ein ausschließlicher örtlicher Gerichtsstand für Streitigkeiten um unbewegliches Gut geschaffen. Die Bestimmung bezweckt für unbewegliche Sachen eine Konzentration der Rechtsstreite bei dem Gericht, in dessen Sprengel die unbewegliche Sache belegen ist (RIS-Justiz RS0108059). Die Schaffung dieses Gerichtsstands beruhte auf der Erwägung, dass das Gericht wegen der örtlichen Nähe und der damit verbundenen erleichterten Einsichtsmöglichkeit am ehesten zu einer sicheren Feststellung und Würdigung der Rechtsverhältnisse in der Lage ist (RIS-Justiz RS0108059 [T1]).
2. Nach dem Wortlaut des Gesetzes gehören neben Teilungsklagen, Grenzberichtigungsklagen und Besitzstörungsklagen nur Klagen, mit denen ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache, die Aufhebung von einem dinglichen Recht oder die Freiheit von einem solchen Recht geltend gemacht wird, vor den Gerichtsstand der gelegenen Sache (Mayr in Rechberger4 § 81 JN Rz 2). Von der Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang verschiedentlich betont, dass das dingliche Recht Klagegegenstand, nicht nur Klagegrund sein muss (vgl RIS-Justiz RS0046617). Daraus wurde wiederum gefolgert, dass die örtliche Zuständigkeit einer bloß auf das Eigentumsrecht gestützten Räumungsklage gegen einen titellosen Benützer (zB Hausbesetzer) nicht auf § 81 JN gestützt werden kann, weil das dingliche Recht (Eigentum)
– zumindest wenn es als solches unbestritten ist – nur Klagegrund ist (8 Ob 623/90; RIS-Justiz RS0046650 [T1]; Simotta in Fasching/Konecny3 § 81 JN Rz 2 mwN; Mayr aaO Rz 4 mwN).
3. Andererseits wird die Klage auf Abwehr unzulässiger Immissionen – aus innerstaatlicher Sicht – als Fall der Eigentumsfreiheitsklage aufgefasst und von der Rechtsprechung ohne Weiteres dem Gerichtsstand des § 81 Abs 1 JN unterstellt (RIS-Justiz RS0012034; zuletzt etwa 3 Ob 134/06m; Simotta aaO Rz 9). Dagegen wandte Böhm (JBl 1988, 459) ein, es handle sich bei der Abwehr faktischer Eingriffe um einen Streit, mit dem weder ein dingliches Recht auf ein unbewegliches Gut noch die Freiheit von einem solchen Rechte geltend gemacht werde, wenigstens solange nicht, als der Beklagte nicht zugleich ein dingliches Recht zur Einwirkung auf die Liegenschaft des Klägers behaupte. Wilhelm (JBl 1989, 241) führte jedoch ins Treffen, auch der Wortlaut des ABGB kenne keine eigentliche Eigentumsfreiheitsklage, deren Unterfall die Immissionsabwehrklage ja sei, sondern in § 523 ABGB nur eine Klage, mit der sich der Eigentümer gegen die Anmaßung einer Servitut zur Wehr setze. So wie aus dieser Klage die Zulässigkeit der Eigentumsfreiheitsklage im weiteren Sinn abgeleitet werde, müsse man auch zu § 81 JN der Klage auf Abwehr einer sich eines Rechts berühmenden Störung die Negatoria gegen den Störer, der keinen Titel behaupte, gleichsetzen, da es keinen einzigen Grund gebe, der eine unterschiedliche Zuständigkeitsregelung erklären könnte.
4. Auf dieser Grundlage sprach der Oberste Gerichtshof in seiner bereits vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 10 Ob 506/95 aus, dass Klagen, mit denen die Unterlassung von gegen Besitz und Eigentum an Liegenschaften gerichteten Störungen begehrt wird, dem Gerichtsstand des § 81 JN unterliegen, ohne dass es darauf ankommt, ob der Beklagte die Störungshandlung durch die Behauptung eines dinglichen Rechts zu begründen versucht oder keinen Rechtstitel für seine Störungshandlung angibt. Die örtliche Zuständigkeit kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob sich der Beklagte anlässlich seiner Störung eines dinglichen Rechts berühmt oder das dingliche Recht des Klägers bestreitet (RIS-Justiz RS0046598). Begründend verwies der Oberste Gerichtshof darauf, dass es zu einem nicht verständlichen Wertungswiderspruch führen würde, dass am Gerichtsstand der gelegenen Sache zwar eine Besitzstörungsklage eingebracht werden könnte, nicht aber eine auf demselben Sachverhalt beruhende petitorische Unterlassungsklage (10 Ob 506/95; für eine Analogie zur Besitzstörungsklage auch Simotta aaO Rz 16).
In diesem Sinne wurden auch Abwehrklagen eines Miteigentümers gegen angeblich eigenmächtige Eingriffe eines anderen Miteigentümers in die Substanz des Hauses, wie zB die Klage auf Beseitigung des von der beklagten Partei errichteten Balkons, § 81 JN unterstellt (OLG Wien WR 904; Simotta aaO Rz 16).
5. In Anbetracht des Zwecks des § 81 JN, Rechtsstreitigkeiten wegen der mit der örtlichen Nähe verbundenen erleichterten Einsichtsmöglichkeit beim der Liegenschaft nächstgelegenen Gericht zu konzentrieren, besteht im vorliegenden Fall kein Anlass, von der (jüngeren) Rechtsprechung abzugehen, die den Gerichtsstand der gelegenen Sache unabhängig davon, ob das dingliche Recht Klagegegenstand oder nur Klagegrund ist, für Klagen eröffnet, mit denen die Unterlassung von gegen Besitz und Eigentum an Liegenschaften gerichteten Störungen begehrt wird. Der Kläger, der hier als Miteigentümer und Wohnungseigentumswerber vom beklagten Miteigentümer und Wohnungseigentumswerber die Räumung und die Unterlassung künftiger Nutzung dreier KFZ-Abstellplätze auf der gemeinsamen Liegenschaft begehrt, hat die (örtliche) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts daher zu Recht auf § 81 Abs 1 JN gegründet.
6. Damit waren aber in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidungen der Vorinstanzen zu beheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E121530European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00010.18F.0323.000Im RIS seit
01.06.2018Zuletzt aktualisiert am
17.12.2018