TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/28 95/10/0051

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Veröffentlicht am 28.02.2000
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §59 Abs1;
VStG §24;
VStG §45 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde des C in 6064 Rum, vertreten durch Waneck & Kunze, Rechtsanwaltspartnerschaft in 1010 Wien, Schellinggasse 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 8. Februar 1995, Zl. 13/195-2/93, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (BH) vom 23. Juli 1993 wurde der Beschwerdeführer 1.) einer Zuwiderhandlung gegen § 20 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975) und 2.) einer Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 1 Z. 1 lit. c der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973 (LMKV 1973) schuldig erkannt. Über den Beschwerdeführer wurden Geldstrafen von zu

1.) S 1.000,-- und zu 2.) S 500,-- verhängt.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin wurde das Straferkenntnis "seinem gesamten Umfange nach angefochten". In der Begründung dazu brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, hinsichtlich der Beanstandung nach § 20 LMG 1975 seien ihm nicht alle notwendigen Tatbestandsmerkmale angelastet worden. Bezüglich der Beanstandung nach der LMKV 1973 sei darauf zu verweisen, dass lediglich durch die Angabe, wann eine lebensmittelpolizeiliche Revision erfolgt sei, nicht dem Gesetz entsprechend zum Ausdruck gebracht werde, an welchem Tag die in Rede stehende Ware erstmals ohne entsprechende Kennzeichnung in Verkehr gesetzt worden sei.

Der Beschwerdeführer beantragte unter anderem, das "Straferkenntnis zu beheben und das ... eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren ein(zu)stellen".

Mit Bescheid vom 18. Oktober 1994 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich des Punktes 1.) des Straferkenntnisses (§ 20 LMG 1975) Folge, behob das Straferkenntnis in diesem Punkt und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG ein. In der Begründung vertrat die belangte Behörde unter anderem die Auffassung, der Beschwerdeführer habe (nur) gegen Punkt 1.) des Straferkenntnisses Berufung erhoben.

Mit Schreiben der BH Innsbruck vom 16. Jänner 1995 wurde dem Beschwerdeführer daraufhin die Exekution hinsichtlich der zu Punkt 2.) des Straferkenntnisses verhängten Geldstrafe angedroht.

Mit Schriftsatz vom 23. Jänner 1995 teilte der Beschwerdeführer der BH mit, gegen das Straferkenntnis seinem gesamten Umfang nach Berufung erhoben zu haben. Die belangte Behörde habe jedoch lediglich über Punkt 1.) des Straferkenntnisses abgesprochen. Da seit Einbringung der Berufung (13. August 1993) bereits mehr als 15 Monate verstrichen seien und bis heute eine Berufungsentscheidung zu Punkt 2.) nicht erlassen worden sei, beantrage er, das gegen ihn eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs. 7 VStG einzustellen.

Die BH übermittelte der belangten Behörde diesen Schriftsatz zur Beantwortung.

Mit Datum vom 8. Februar 1995, Zl. 13/195-2/1993, richtete die belangte Behörde daraufhin folgendes Schreiben an den Beschwerdeführer:

"Bezugnehmend auf Ihren Schriftsatz vom 23.01.1995 wird mitgeteilt, dass Punkt 2 des angefochtenen Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 23.07.1993, Zahl ..., in Rechtskraft erwachsen ist, da dieses nicht angefochten wurde. Die Berufung vom 12.08.1993 enthält lediglich Ausführungen hinsichtlich Punkt 1, über den mit Berufungserkenntnis vom 18.10.1994 des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol entschieden wurde. Ihr Antrag auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens ist sohin unbegründet und wird wegen entschiedener Sache abgewiesen.

Über Ihren Antrag auf Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen hat die Erstbehörde zu entscheiden, da dem unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol hinsichtlich des Vollstreckungsverfahrens keine Zuständigkeit zukommt.

Der unabhängige Verwaltungssenat in Tirol

Dr. S."

Gegen diese Erledigung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Der Beschwerdeführer erachtet sich dabei unter anderem in seinem Recht, nicht nach der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1973 bestraft zu werden, verletzt.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Erledigung der belangten Behörde vom 8. Februar 1995 sei trotz des Fehlens der Bezeichnung als Bescheid als solcher anzusehen.

Damit ist der Beschwerdeführer aus folgenden Überlegungen im Recht:

Enthält eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung, dann ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. In jedem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (vgl. etwa das Erkenntnis vom 15. Dezember 1977, VwSlg. 9458/A).

Das Erfordernis, dass ein Bescheid einen Spruch enthalten muss, ist nicht streng formal auszulegen; vielmehr ist der normative Abspruch unter Umständen auch aus der Formulierung erschließbar, doch muss sich der Wille der Behörde, in einer Verwaltungssache hoheitlich abzusprechen, eindeutig aus der Erledigung ergeben. Aus der Erledigung muss der objektiv erkennbare Wille der Behörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Auch formlose Schreiben können Bescheide sein (vgl. dazu das Erkenntnis vom 31. Jänner 2000, Zl. 99/10/0202).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann es keinem Zweifel unterliegen, dass die Erledigung der belangten Behörde vom 8. Februar 1995 einen Bescheid darstellt:

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wurde von der belangten Behörde als "unbegründet" angesehen und "wegen entschiedener Sache abgewiesen".

Wenn auch ein subjektives Recht auf Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens dem Beschuldigten grundsätzlich nicht zusteht (vgl. z.B. den Beschluss vom 16. Juli 1984, Zl. 84/10/0128), so liegt dem angefochtenen Bescheid doch der - auf Grund der obigen Sachverhaltsdarstellung verfehlte - normative Abspruch zu Grunde, es liege eine rechtskräftige und vollstreckbare Bestrafung des Beschwerdeführers im Hinblick auf Punkt 2.) des Straferkenntnisses vor, da er Berufung nur zu Punkt 1.) des Straferkenntnisses erhoben habe. Punkt 2.) des Straferkenntnisses sei unangefochten in Rechtskraft erwachsen, womit - nach Auffassung der belangten Behörde - "entschiedene Sache" vorliege.

Dieser Abspruch der belangten Behörde verletzte den Beschwerdeführer aber im geltend gemachten Beschwerdepunkt, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Da zur Lösung der entscheidenden Rechtsfragen die Durchführung einer mündliche Verhandlung nicht erforderlich war, wurde davon gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 28. Februar 2000

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Einhaltung der Formvorschriften Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATION Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1995100051.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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