TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/27 B3286/96 - B279/97

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §6 Abs2
AufenthaltsG §13
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §10 Abs1 Z4

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung einer Berufung gegen die Zurückweisung eines im Inland gestellten Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für einen vor Inkrafttreten des FremdenG nach Österreich eingereisten Asylwerber; völlige Außerachtlassung des konkreten Sachverhalts, der maßgeblichen Rechtslage und des Berufungsvorbringens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und nach seinen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit und alevitischen Glaubensbekenntnisses.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste am 3. März 1991 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 4. März 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

1.3. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 18. November 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §2 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. 75/1954 idF 406/1991 - FrPolG, die Aufenthaltsberechtigung bis zur Rechtskraft des Feststellungsbescheides gemäß §2 Asylgesetz 1968, längstens jedoch bis zum 31. Mai 1992 gewährt.

1.4. Mit Bescheid vom 29. Mai 1992 erteilte die Bundespolizeidirektion St. Pölten dem Beschwerdeführer gemäß §2 Abs1 FrPolG die Aufenthaltsberechtigung für das Bundesgebiet bis 30. November 1992 und verlängerte diese in der Folge bis 30. Juni 1993. Diese Behörde ging davon aus, daß dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung im Sinne des §5 Abs1 des "Asylgesetzes 1955" (gemeint wohl das Bundesgesetz BGBl. 126/1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. 55/1955, oben als "Asylgesetz 1968" bezeichnet) nicht zugekommen sei.

1.5. Mit Bescheid vom 22. Februar 1993 wies der Bundesminister für Inneres im Instanzenzug den Antrag auf Asylgewährung aufgrund des Asylgesetzes 1991, BGBl. 8/1992 - AsylG, ab.

1.6. Mit Beschluß vom 23. April 1993, Z AW 93/01/0174, erkannte der Verwaltungsgerichtshof der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.

1.7. Daraufhin erteilte die Bundespolizeidirektion St. Pölten mit Bescheid vom 22. Juni 1993 dem Beschwerdeführer gemäß §10 Abs4 iVm §10 Abs3 Z1 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) einen Sichtvermerk bis zum 30. September 1993.

Im Anhang zur vorläufigen Aufenthaltsberechtigung vom 4. März 1991 erteilte die Bundespolizeidirektion St. Pölten mit Bescheid vom 21. April 1994 eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG bis zum rechtskräftigen Abschluß des Beschwerdeverfahrens beim Verwaltungsgerichtshof.

1.8. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. November 1994, Z94/20/0262, wurde der Bescheid des Bundesministers für Inneres betreffend Asylgewährung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Daraufhin wies der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 18. September 1995 den Asylantrag des Beschwerdeführers neuerlich ab. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 6. März 1996, Z95/20/0653, abgewiesen.

2. Am 10. November 1994 hatte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß §13 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) gestellt.

Diesen Antrag wies der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom 23. Mai 1996 gemäß §1 Abs3 Z6 AufG mit der Begründung zurück, daß der Beschwerdeführer auf Grund des AsylG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei.

3. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er erfülle alle Voraussetzungen, um einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung vom Inland aus stellen zu dürfen. Er sei vor Inkrafttreten des FrG als Asylwerber nach Österreich eingereist. Er besitze eine Arbeitsbewilligung und eine Aufenthaltsberechtigung und habe während der Dauer dieser Aufenthaltsberechtigung um eine Aufenthaltsbewilligung angesucht.

4. Am 15. Juli 1996 ersuchte der Bundesminister für Inneres den Landeshauptmann von Niederösterreich um folgende Erhebungen:

"1.

Seit wann hält sich der Berufungswerber im Bundesgebiet auf?

2.

Ist er im Besitz einer arbeitsrechtlichen

Bewilligung?

3.

Seit wann geht der Berufungswerber einer Erwerbstätigkeit nach?"

Der Landeshauptmann von Niederösterreich antwortete am 22. Juli 1996, daß sich der Berufungswerber seit 3. März 1991 im Bundesgebiet aufhalte und im Besitz einer bis 21. April 1998 gültigen Arbeitserlaubnis sei, und teilte die Arbeitsberechtigung in der Zeit vom 20. Mai 1992 bis 21. April 1998 mit.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres die Berufung gemäß §66 Abs4 AVG iVm §6 Abs2 AufG sowie §5 Abs1 AufG iVm §10 Abs1 Z4 FrG ab.

6. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der ua. die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

7. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Beschwerdevorbringen einzugehen - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner neueren Judikatur (VfSlg. 13836/1994, 14191/1995, 14369/1995, 14393/1995) die Meinung, daß ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden.

Diesem Gleichbehandlungsgebot, das dem Fremden durch ArtI Abs1 des genannten BVG BGBl. 390/1973 als subjektives Recht gewährleistet ist, widerstreitet ein Bescheid, bei dessen Erlassung die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift und bei seinem Zutreffen verletzt, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

2. Gemäß §13 Abs1 AufG können Fremde, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, mit Ablauf der Geltungsdauer dieser Berechtigung die Erteilung einer Bewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften beantragen.

Diese Bestimmung findet gemäß §13 Abs2 AufG ua. auf die im §1 Abs3 leg. cit. genannten Fremden keine Anwendung. Gemäß §1 Abs3 Z6 leg. cit. benötigen Fremde, die aufgrund des AsylG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind, keine Aufenthaltsbewilligung.

Gemäß §4 Z4 der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. 854/1995, kann der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausnahmsweise im Inland gestellt werden von Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des §3 AufG, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten.

4. Obwohl der Landeshauptmann von Niederösterreich im erstinstanzlichen Bescheid - ausgehend von der Ansicht, daß der Beschwerdeführer als Fremder, der aufgrund des AsylG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei, keine Bewilligung nach dem AufG benötige - den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zurückgewiesen hat, geht die belangte Behörde bei Erlassung ihres Bescheides - in völliger Verkennung der Tatsachen- und Rechtslage - davon aus, daß der Landeshauptmann von Niederösterreich den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen habe. Der angefochtene Bescheid weist die Berufung ab, ohne darauf einzugehen, ob die Inlandsantragstellung gemäß §13 Abs1 AufG zulässig gewesen wäre.

In der Begründung wird zwar die - unbestrittene - Tatsache der Inlandsantragstellung abgehandelt, ein näheres Eingehen auf das Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer sei dazu berechtigt gewesen, fehlt jedoch.

Der Abweisungsgrund der unzulässigen Inlandsantragstellung gemäß §6 Abs2 AufG wird lediglich mit dem Satz "Somit haben Sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung eindeutig im Bundesgebiet aufgehalten und dadurch das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vom Ausland aus nicht erfüllt." abgehandelt.

Auch zur Frage des vom Bundesminister für Inneres als weiterer Sichtvermerksversagungsgrund gemäß §10 Abs1 Z4 FrG herangezogenen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet seit 30. September 1993 läßt der angefochtene Bescheid jegliche Begründung vermissen.

Was schließlich die gemäß Art8 Abs1 EMRK vorgenommene Interessenabwägung betrifft, so läßt der angefochtene Bescheid nicht erkennen, von welchen "dargestellten familiären Beziehungen zu Österreich" die belangte Behörde ausgegangen ist.

5. Insgesamt betrachtet verkennt der Bescheid einerseits völlig die dem erstinstanzlichen Bescheid zugrundeliegenden Tatsachen sowie die maßgebliche Rechtslage, ignoriert andererseits das Berufungsvorbringen und läßt hinsichtlich der Begründung den konkreten Sachverhalt außer Acht; die belangte Behörde hat somit Willkür geübt.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,- enthalten.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenrecht, Aufenthaltsrecht, Asylrecht, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B3286.1996

Dokumentnummer

JFT_10028873_96B03286_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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