Entscheidungsdatum
24.05.2018Norm
AVG 1991 §13 Abs2Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch MMag. Dr. Michaela Lütte als Einzelrichterin über die Beschwerde der A GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt B, ***, ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 30. Jänner 2018, Zl. ***, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung, den
BESCHLUSS
1. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision gemäß § 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) iVm Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) nicht zulässig.
Begründung:
1. Sachverhalt und Feststellungen:
1.1. Mit rechtskräftigem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt (in der Folge: belangte Behörde) vom 23. April 2013, Zl. ***, wurde betreffend die A GmbH (in der Folge: beschwerdeführende Gesellschaft) festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes Baumeister gemäß § 99 der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) im Standort ***, ***, vorliegen. In einem wurde die Bestellung des C zum gewerberechtlichen Geschäftsführer für die Ausübung dieses Gewerbes genehmigt.
1.2. Handelsrechtlicher Geschäftsführer und Alleingesellschafter der beschwerdeführenden Gesellschaft ist D, geboren am ***, wohnhaft in ***, *** (in der Folge: handelsrechtlicher Geschäftsführer).
1.3. Betreffend den handelsrechtlichen Geschäftsführer scheint im Strafregister der Republik Österreich die folgende Verurteilung auf:
„01) AMTSG.*** (Spanien) *** vom 25.09.2015 RK 30.12.2015
153 CP
häusliche Gewalt
Datum der (letzten) Tat 30.01.2015
Freiheitsstrafe 6 Monate
Vollzugsdatum 30.06.2016
Nach dem derzeitigen Stand der Strafregistereintragung(en) …
… wird die Tilgung voraussichtlich mit 30.06.2021 eintreten.
… wird die Auskunftsbeschränkung voraussichtlich mit 30.06.2019 eintreten, sie kann jedoch bei weiteren Verurteilungen in Wegfall kommen.“
1.4. Mit Verfahrensanordnung vom 28. Juni 2017, Zl. ***, wurde die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß §§ 91 Abs. 2 iVm 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 aufgefordert, den handelsrechtlichen Geschäftsführer innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Zustellung dieses Schreibens zu entfernen, widrigenfalls mit der Entziehung der Gewerbeberechtigung vorzugehen sei. Begründend ist ausgeführt, dass aufgrund des og. rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichtes *** der Gewerbeausschlussgrund gemäß § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 erfüllt sei. Dieses Schreiben wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft am 03. Juli 2017 zugestellt.
1.5. Mit E-Mail vom 05. Oktober 2017 teilte der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft der belangten Behörde mit, dass dem handelsrechtlichen Geschäftsführer die og. Verurteilung des Amtsgerichtes *** nicht bekannt sei. Dem handelsrechtlichen Geschäftsführer sei keine Verständigung über eine Anklage, eine Ladung zu einer Verhandlung oder eine Verurteilung zugegangen. Es sei daher in Zweifel zu ziehen, dass die Verurteilung rechtskräftig sei. Es wurde um Übermittlung des Strafurteils ersucht.
1.6. Mit E-Mail vom 06. November 2017 teilte die belangte Behörde dem Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft mit, dass die Eintragung der Verurteilung in das österreichische Strafregister die gesetzliche Grundlage gemäß § 13 Abs. 1 GewO 1994 sei. Eine Urteilsausfertigung könne nur bei dem urteilserlassenden Amtsgericht beantragt und die Urteilsausfertigung bei diesem Amtsgericht bekämpft werden. Der handelsrechtliche Geschäftsführer hätte die Möglichkeit, um Nachsicht vom Gewerbeausschlussgrund anzusuchen und glaubhaft nachzuweisen, dass er die erforderliche Zuverlässigkeit für die Ausübung dieses Gewerbes erbringe. Sollte ein entsprechendes Ansuchen nicht eingebracht werden, würde ein Entziehungsbescheid erlassen werden.
1.7. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30. Jänner 2018,
Zl. ***, wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft die Gewerbeberechtigung für das Gewerbe Baumeister gemäß § 99 GewO 1994 im Standort ***, ***, gemäß § 91 Abs. 2 iVm § 87 Abs. 1 GewO 1994 entzogen.
Begründend ist ausgeführt, dass der handelsrechtliche Geschäftsführer eine Person mit maßgebendem Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte der beschwerdeführenden Gesellschaft im Sinne des § 13 Abs. 7 GewO 1994 sei. Der handelsrechtliche Geschäftsführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichtes *** vom 25. September 2015, Zl. ***, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Dabei handle es sich um einen Gewerbeausschlussgrund gemäß § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994. Da die beschwerdeführende Gesellschaft den handelsrechtlichen Geschäftsführer nicht innerhalb der mit Verfahrensanordnung vom 28. Juni 2017, zugestellt am 03. Juli 2017, gesetzten Frist von drei Monaten entfernt habe, sei die Gewerbeberechtigung der beschwerdeführenden Gesellschaft spruchgemäß zu entziehen gewesen. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft am 02. Februar 2018 zugestellt.
1.8. Gegen diesen Bescheid erhob der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft mit E-Mail vom 02. März 2018 Beschwerde. Begründend ist ausgeführt, dass die Behörde nicht dargelegt habe, weshalb § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 auf den Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft zutreffen sollte: „Es wurde [gemeint ist wohl: nicht] dargelegt, weshalb durch die mit Urteil des Amtsgerichtes *** vom 25.9.2015 abgeurteilte strafbare Handlung nach deren Eigenart und nach der Persönlichkeit des Verurteilen die Begehung der gleichen oder ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist“. Die Voraussetzungen für die Entziehung der Gewerbeberechtigung lägen daher nicht vor, weshalb beantragt werde, den Bescheid vom 30. Jänner 2018 aufzuheben. Diese E-Mail wurde am 02. März 2018 um 16:20:14 Uhr an die E-Mailadresse *** gesendet.
1.9. Die belangte Behörde legte dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde samt Verwaltungsakt mit Schreiben vom 08. März 2018 mit dem Ersuchen um Entscheidung vor.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen – einschließlich des dargelegten Verfahrensgangs – konnten in unbedenklicher Weise im Hinblick auf die eindeutigen Inhalte des vorliegenden Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie aufgrund eines Auszugs aus dem Firmenbuch betreffend die beschwerdeführende Gesellschaft vom 17. Mai 2018 getroffen werden.
3. Rechtslage:
3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lauten:
„[…]
Anzuwendendes Recht
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
[…]
Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
[…]
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
[…]“
3.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) lauten:
„[…]
3. Abschnitt: Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten
Anbringen
§ 13. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.
(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.
[…]
(5) Die Behörde ist nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten, und, außer bei Gefahr im Verzug, nur während der für den Parteienverkehr bestimmten Zeit verpflichtet, mündliche oder telefonische Anbringen entgegenzunehmen. Die Amtsstunden und die für den Parteienverkehr bestimmte Zeit sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.
[…]
Allgemeine Grundsätze
§ 37. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach einer Antragsänderung (§ 13 Abs. 8) hat die Behörde das Ermittlungsverfahren insoweit zu ergänzen, als dies im Hinblick auf seinen Zweck notwendig ist.
[…]“
3.3. Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) lauten:
„[…]
§ 13. (1) Natürliche Personen sind von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wenn sie
1. von einem Gericht verurteilt worden sind
a) wegen betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz (§ 153d StGB), organisierter Schwarzarbeit (§ 153e StGB), betrügerischer Krida, Schädigung fremder Gläubiger, Begünstigung eines Gläubigers oder grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§§ 156 bis 159 StGB) oder
b) wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen und
2. die Verurteilung nicht getilgt ist.
Von der Ausübung eines Gastgewerbes sind natürliche Personen ausgeschlossen, wenn gegen sie eine nicht getilgte gerichtliche Verurteilung wegen Übertretung der §§ 28 bis 31a des Suchtmittelgesetzes, BGBl. I Nr. 112/1997, in der jeweils geltenden Fassung, vorliegt. Bei Geldstrafen, die nicht in Tagessätzen bemessen sind, ist die Ersatzfreiheitsstrafe maßgebend. Bei Verhängung einer Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe sind Freiheitsstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe zusammenzuzählen. Dabei ist ein Monat dreißig Tagen gleichzuhalten. Die Bestimmungen dieses Absatzes gelten auch, wenn mit den angeführten Ausschlussgründen vergleichbare Tatbestände im Ausland verwirklicht wurden.
[…]
(7) Andere Rechtsträger als natürliche Personen sind von der Ausübung des Gewerbes ausgeschlossen, wenn eine natürliche Person, der ein maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte des betreffenden Rechtsträgers zusteht, gemäß Abs. 1 bis 3, 5 oder 6 von der Gewerbeausübung ausgeschlossen ist. Trifft auf die natürliche Person ein Ausschlussgrund gemäß Abs. 4 zu, ist der betreffende Rechtsträger nur von der Ausübung eines Gewerbes, das Tätigkeiten der Versicherungsvermittlung beinhaltet, ausgeschlossen. Abs. 1 letzter Satz gilt sinngemäß.
[…]
§ 87. (1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§ 361) zu entziehen, wenn
1. auf den Gewerbeinhaber die Ausschlußgründe gemäß § 13 Abs. 1 oder 2 zutreffen und nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist oder
[…]
§ 91. […]
(2) Ist der Gewerbetreibende eine juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft und beziehen sich die im § 87 angeführten Entziehungsgründe oder der in § 85 Z 2 angeführte Endigungsgrund sinngemäß auf eine natürliche Person, der ein maßgebender Einfluß auf den Betrieb der Geschäfte zusteht, so hat die Behörde (§ 361) dem Gewerbetreibenden eine Frist bekanntzugeben, innerhalb der der Gewerbetreibende diese Person zu entfernen hat. Hat der Gewerbetreibende die genannte natürliche Person innerhalb der gesetzten Frist nicht entfernt, so hat die Behörde die Gewerbeberechtigung zu entziehen.
[…]“
3.4. Die auf der Internetseite der belangten Behörde veröffentlichte Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 und 5 AVG vom 17. Jänner 2011, Zl. ***, lautet:
„POSTANSCHRIFT
Telefon – Fax – E-Mail – Homepage
***, ***
Telefon: *** Telefax *** – ***
E-Mail: ***
Homepage: ***
AMTSSTUNDEN zur Entgegennahme schriftlicher Eingaben
Montag, Mittwoch, Donnerstag
07.30 – 15.30 Uhr
Dienstag Freitag
07.30 – 19.00 Uhr 07.30 – 13.00 Uhr
PARTEIENVERKEHRSZEITEN für persönliche Vorsprachen
Dienstag Freitag
07.30 – 12.00 Uhr 07.30 – 12.00 Uhr
16.00 – 19.00 Uhr
[…]“
4. Erwägungen:
4.1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
4.1.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig.
4.1.2. Wie festgestellt, wurde die Beschwerde per E-Mail an die belangte Behörde am 02. März 2018 um 16:20:14 Uhr übermittelt. Die Übermittlung erfolgte damit am letzten Tag der vierwöchigen Beschwerdefrist.
4.1.3. § 13 Abs. 2 AVG bestimmt, dass schriftliche Anbringen in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden können, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen. Gemäß § 13 Abs. 5 AVG ist die Behörde nur während der Amtsstunden verpflichtet, schriftliche Anbringen entgegenzunehmen oder Empfangsgeräte empfangsbereit zu halten; die Amtsstunden sind im Internet und an der Amtstafel bekanntzumachen.
In den Erläuterungen zur inhaltlichen Neufassung des § 13 AVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 (RV 294 BlgNR XXIII. GP, 11) ist insbesondere ausgeführt, dass die Behörde ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden durch entsprechende Erklärungen mit der Wirkung zum Ausdruck bringen kann, dass elektronische Anbringen auch dann, wenn sie an sich bereits in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt sind, erst zu einem späteren Zeitpunkt (mit Wiederbeginn der Amtsstunden) als eingebracht (und eingelangt) gelten.
In diesem Sinne gelangte der Verwaltungsgerichtshof zu der Auffassung, dass Anbringen, sofern die Behörde auch außerhalb ihrer Amtsstunden Empfangsgeräte empfangsbereit hält, als noch am selben Tag eingebracht gelten. Ausgenommen seien jene Fälle, in denen die Behörde ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden durch entsprechende Erklärungen mit der Wirkung zum Ausdruck bringe, dass elektronische Anbringen auch dann, wenn sie bereits in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangt seien, erst zu einem späteren Zeitpunkt (mit Wiederbeginn der Amtsstunden) als eingebracht (und eingelangt) gelten würden (vgl. VwGH 16.11.2017, Ra 2017/07/0076, VwGH 23.01.2018, Ra 2017/05/0296, jeweils mwN). Entscheidend sei, ob für den relevanten Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung Beschränkungen für außerhalb der Amtsstunden einlangende elektronische Anbringen auf der Homepage der belangten Behörde kundgemacht seien, wonach solche Anbringen erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden als eingebracht und eingelangt gelten (vgl. VwGH 14.10.2015, Ra 2015/17/0039).
4.1.4. Gemäß der im Internet veröffentlichten Kundmachung der belangten Behörde gemäß § 13 Abs. 2 und 5 AVG sind die Amtsstunden hinsichtlich des Tages des Einlangens der gegenständlichen Beschwerde mit bis13:00 Uhr festgelegt. Aus dieser Kundmachung ergeben sich jedoch keine organisatorischen Beschränkungen des zulässigen Verkehrs bezüglich E-Mail-Eingaben außerhalb der bekannt gegebenen Amtsstunden im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG: Die belangte Behörde hat durch die Wendung „Amtsstunden zur Entgegennahme schriftlicher Eingaben“ nicht – im Sinne der og. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – ihre mangelnde Bereitschaft zur Entgegennahme elektronischer Anbringen außerhalb der Amtsstunden mit der Wirkung zum Ausdruck gebracht, dass solche, wenn sie außerhalb der bekannt gegebenen Amtszeiten in ihren elektronischen Verfügungsbereich gelangen, erst zu einem späteren Zeitpunkt, etwa mit dem Wiederbeginn der Amtsstunden, als bei ihr eingebracht und eingelangt gelten. Für eine eine solche Wirkung entfaltende Erklärung hätte es eines klaren Hinweises auf ebendiese Wirkung bedurft.
4.1.5. Da die Beschwerde folglich innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist in den Verfügungsbereich der Einbringungsbehörde gelangte, ist sie rechtszeitig erhoben worden.
4.2. Zur Begründetheit der Beschwerde:
4.2.1. Die Beschwerde ist begründet.
4.2.2. Gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 ist die Gewerbeberechtigung zu entziehen, wenn auf den Gewerbeinhaber die Ausschlussgründe gemäß § 13 Abs. 1 oder 2 leg.cit. zutreffen und nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist.
Gemäß § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b iVm Z 2 GewO 1994 ist eine natürliche Person von der Ausübung eines Gewerbes ausgeschlossen, wenn diese wegen einer sonstigen strafbaren Handlung zu einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen von einem Gericht rechtskräftig verurteilt wurde und die Verurteilung nicht getilgt ist. Gemäß § 13 Abs. 1 letzter Satz GewO 1994 gilt dies auch dann, wenn mit diesem Gewerbeausschlussgrund vergleichbare Tatbestände im Ausland verwirklicht wurden.
Ist – wie im vorliegenden Fall – der Gewerbetreibende eine juristische Person und beziehen sich die im § 87 GewO 1994 angeführten Entziehungsgründe auf eine natürliche Person, der maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte zusteht, so hat die Behörde dem Gewerbetreibenden gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 eine Frist bekanntzugeben, innerhalb der er diese Person zu entfernen hat. Entfernt der Gewerbetreibende die Person mit maßgebendem Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte nicht innerhalb der gesetzten Frist, hat die Behörde die Gewerbeberechtigung zu entziehen.
4.2.3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die in § 91 Abs. 2 GewO 1994 geregelte Entziehung der Gewerbeberechtigung eine Sanktion für die Nichtentfernung der Person mit maßgebendem Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte dar. Durch die Aufforderung nach § 91 Abs. 2 GewO 1994 wird die Sache des Entziehungsverfahrens festgelegt, welche auch die in dieser Aufforderung angeführten für die Entfernung der genannten natürlichen Person bestimmenden Gründe umfasst (vgl. VwGH 29.06.2017, Ra 2017/04/0059).
4.2.4. Für die Erfüllung des Entziehungstatbestandes in § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich, dass die Gewerbebehörde auf Grundlage des Verhaltens in der Vergangenheit eine begründete und nachvollziehbare Prognose über das zukünftige Verhalten einer Person anstellt. Die Prognose nach § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 setzt die Feststellung der Tathandlungen voraus, die der (den Ausschlussgrund nach § 13 Abs. 1 GewO 1994 bildenden) Verurteilung konkret zugrunde gelegen sind und von denen die Gewerbebehörde in Bindung an die rechtskräftige Verurteilung bei ihrer Prognose auszugehen hat (vgl. VwGH 12.06.2013, 2013/04/0064, VwGH 02.02.2012, 2011/04/0197, VwGH 22.06.2011, 2011/04/0014, jeweils mwN).
4.2.5. Im vorliegenden Fall fehlt die Feststellung der Tathandlungen, die der den Ausschlussgrund nach § 13 Abs. 1 Z 1 lit. b GewO 1994 bildenden angeführten Verurteilung konkret zugrunde gelegen sind, und damit die Grundlage für die gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 zu treffende Prognose, dass nach der Eigenart der strafbaren Handlung und nach der Persönlichkeit des Verurteilten die Begehung der gleichen oder einer ähnlichen Straftat bei Ausübung des Gewerbes zu befürchten ist. Es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, nach Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens, wie insbesondere durch Einsichtnahme in das Gerichtsurteil, unter Wahrung des Parteiengehörs Feststellungen über die der Verurteilung konkret zugrunde liegenden Tathandlungen zu treffen und darauf aufbauend eine Prognoseentscheidung über das künftige Verhalten des handelsrechtlichen Geschäftsführers im Sinne des § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 vorzunehmen.
Die belangte Behörde hat die gegenständliche Entziehung der Gewerbeberechtigung wegen Nichtentfernung des handelsrechtlichen Geschäftsführers aus dessen Funktion binnen der von ihr gesetzten Frist alleine auf das im Strafregister aufscheinende og. Urteil des Amtsgerichtes *** gestützt. Die Behörde hat damit für eine auf §§ 91 Abs. 2 iVm 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 gestützte Entziehung der Gewerbeberechtigung keinen – im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung – tauglichen Ermittlungsschritt gesetzt (vgl. im Besonderen VwGH 02.02.2012, 2011/04/0197).
4.2.6. Da die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen unterlassen hat, steht der maßgebliche Sachverhalt iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht fest. Damit stellt sich die Frage, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich selbst nach § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, oder ob der Raschheit und Kostenersparnis besser durch eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gedient ist.
Nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 2 Z 2 iVm § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann daher nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwas schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123, mwN).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgrund der dargestellten gravierenden Ermittlungslücken erfüllt. Indem die belangte Behörde keinerlei Feststellungen über die der angeführten Verurteilung konkret zugrunde gelegenen Tathandlungen (siehe oben Punkt 4.2.5.) für die gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 gebotene Prognoseentscheidung getroffen hat (und diese Prognoseentscheidung auch nicht angestellt wurde), hat sie den für die Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 87 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 entscheidenden Ermittlungsschritt nicht gesetzt.
4.2.7. Es war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur (allfälligen) Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
5. Zur Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung:
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt und konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG schon deshalb entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
6. Zur Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, da die gegenständliche Entscheidung nicht von der zitierten und einheitlichen (ständigen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und sich im Übrigen auf die eindeutige Rechtslage stützt (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision aus diesem Grund z.B. VwGH 12.10.2017, Ra 2017/08/0046).
Schlagworte
Gewerbliches Berufsrecht; Entziehung; Geschäftsführer; Straftat;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.256.001.2018Zuletzt aktualisiert am
29.05.2018