TE OGH 2018/4/25 2Ob62/18h

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Veröffentlicht am 25.04.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Hon.-Prof. Dr.

 Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** J*****, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Wien 3, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Kolarz & Augustin in Stockerau, wegen 35.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2018, GZ 12 R 10/17d-39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die gerügten Aktenwidrigkeiten liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Die Zuordnung einzelner Teile eines Urteils zu den Feststellungen hängt nicht vom Aufbau des Urteils ab. Daher sind auch in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als Tatsachenfeststellungen zu behandeln („dislozierte Feststellungen“; vgl 3 Ob 81/17h; RIS-Justiz RS0043110).

Den vom Berufungsgericht als dislozierte Feststellungen bezeichneten Aussagen des Erstgerichts in Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung des erstinstanzlichen Urteils kommt eindeutig Tatsachencharakter zu, geben doch erst diese Aussagen Aufschluss über die dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Gründe für das Fahrverhalten des Pkw-Lenkers.

3. Gemäß § 468 Abs 2 Satz 2 ZPO ist die in erster Instanz obsiegende Partei gehalten, primäre Verfahrensmängel und ihr nachteilige Feststellungen in der Berufungsbeantwortung zu rügen, sofern sich der Berufungswerber ausdrücklich auf Feststellungen des Erstgerichts bezieht. Der Oberste Gerichtshof vertritt seit der Entscheidung 1 Ob 41/99g = SZ 72/75 in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass sich der Berufungswerber im Falle einer Rechtsrüge nach deren prozessualem Wesen auf alle Feststellungen bezieht, die ausdrücklich als solche im so bezeichneten Abschnitt des Ersturteils zusammengefasst wurden. Ausschließlich dann, wenn der Berufungswerber seine Rechtsrüge auf allenfalls in anderen Urteilsabschnitten „verborgene“ (dislozierte) Feststellungen stützen will, muss er sich darauf ausdrücklich beziehen, um eine Rügepflicht des Berufungsgegners in der Berufungsbeantwortung nach § 468 Abs 2 Satz 2 iVm § 473a Abs 1 ZPO auszulösen (2 Ob 286/05f mwN; RIS-Justiz RS0112020 [insbesondere T1 und T7]).

Im vorliegenden Fall hat sich die beklagte Partei in dem der Rechtsrüge ihrer Berufung zugehörigen Abschnitt über (allfällige) sekundäre Feststellungsmängel ausdrücklich – und teils unter wörtlicher Wiedergabe – auf die dislozierten Feststellungen in der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung des erstinstanzlichen Urteils bezogen, weshalb sie auch nur hilfsweise eine Ergänzung des Sachverhalts begehrte. Damit war der Kläger gemäß § 468 Abs 2 Satz 2 ZPO jedoch gehalten, diese Feststellungen in der Berufungsbeantwortung zu rügen. Ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 473a Abs 1 ZPO liegt nicht vor. Davon abgesehen hätte der Kläger die ihm nachteiligen dislozierten Feststellungen auch in seiner eigenen Berufung, mit der er eine für ihn günstigere Verschuldensteilung erwirken wollte, bekämpfen müssen.

4. Richtig ist, dass ein Straßenbankett iSd § 2 Abs 1 Z 6 StVO keinesfalls, und zwar auch nicht zum Ausweichen, befahren werden darf (2 Ob 11/07t; 2 Ob 235/15w; RIS-Justiz RS0073343, RS0073637).

Im vorliegenden Fall hat der Pkw-Lenker allerdings sein Fahrzeug angesichts des ihm unter teilweiser Benützung seiner Fahrbahnhälfte entgegenkommenden Traktorgespanns „instinktiv nach rechts“ ausgelenkt (laut Vorbringen des Klägers: „nach rechts verrissen“), wodurch die rechten Räder auf das Bankett „gerieten“. Grund für diese „instinktive“ Abwehrhandlung war, dass die Ausmaße des überbreiten Anhängers des Traktors, der entgegen einer im Zulassungsbescheid erteilten Auflage nicht mit einer funktionierenden vorderen Warnleuchte ausgestattet war, wegen des Fehlens dieser Leuchte für den Pkw-Lenker erst kurz vor der Begegnung mit dem Traktorgespann wahrnehmbar geworden waren. Auch die in weiterer Folge eingetretene Unbeherrschbarkeit des Pkws, wodurch dieser zurück auf die Fahrbahn und dort über die Fahrbahnmitte gelangte, hat nach den Feststellungen ihre Ursache in der mangelnden Wahrnehmbarkeit der Überbreite, also in einem Umstand, der dem Kläger, nicht aber dem Lenker des Pkws zuzurechnen ist.

5. Einem Verkehrsteilnehmer, der bei einer plötzlich auftretenden Gefahr zu einem schnellen Handeln gezwungen wird und unter dem Eindruck dieser Gefahr eine – rückschauend betrachtet – unrichtige Maßnahme trifft, kann dies nicht als Verschulden angerechnet werden (RIS-Justiz RS0023292).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 2 Ob 80/10v in einem sehr ähnlich gelagerten Fall die zweitinstanzliche Verneinung einer schuldhaften Fehlreaktion gebilligt. Auch dort hatte ein Pkw-Lenker wegen eines ihm teilweise auf seiner Fahrbahnhälfte entgegenkommenden Traktors nach rechts ausgelenkt, sodass das rechte Räderpaar auf das angrenzende unbefestigte Bankett geraten war und nach Durchführung einer Vollbremsung derart instabil wurde, dass es zu schleudern begann. Wie im damaligen Fall hält sich auch hier die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dem Kläger sei der Beweis eines vorwerfbaren Fahrfehlers nicht gelungen, im Rahmen der zitierten Rechtsprechung.

6. Dass der Pkw-Lenker unter den gegebenen Umständen auf halbe Sicht fahren hätte müssen, wird in der Revision zu Recht nicht geltend gemacht. Aber auch die Einhaltung einer „relativ überhöhten“ Geschwindigkeit hat das Berufungsgericht mit vertretbarer Begründung verneint:

Der Unfall ereignete sich auf einer annähernd geradlinig verlaufenden Landesstraße im Freilandgebiet. Die grundsätzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug daher gemäß § 20 Abs 2 StVO 100 km/h. Der Pkw-Lenker, der bereits aus einer Entfernung von 200 m Sicht auf den entgegenkommenden Traktor hatte, fuhr zunächst mit 70 km/h und hatte diese Geschwindigkeit bis zum Beginn seiner Abwehrreaktion bereits auf 60 km/h reduziert. Die festgestellte Blendwirkung der Scheinwerfer des Traktors nahm ihm nur die Sicht auf die hintere Warnleuchte des Anhängers. Dass er die Ausmaße des Anhängers nicht rechtzeitig erkannte, ist jedoch allein auf das Fehlen der vorderen Warnleuchte zurückzuführen.

Auch insoweit ist daher dem Berufungsgericht keine aufzugreifende Fehlbeurteilung vorwerfbar.

7. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

Textnummer

E121489

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00062.18H.0425.000

Im RIS seit

29.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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