Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** F*****, vertreten durch Dr. Birgit Lajtai-Nagl, Rechtsanwältin in Villach, gegen die beklagte Partei R***** B*****, vertreten durch MMag. Dr. Michael Michor und Mag. Walter Dorn, Rechtsanwälte in Villach, wegen 7.200 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 29. November 2017, GZ 2 R 150/17m-42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 16. Juli 2017, GZ 16 C 458/16g-35, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil lautet:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 2. 2016 zu zahlen und die Prozesskosten zu ersetzen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.255,47 EUR (darin enthalten 749,61 EUR USt und 758 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Entscheidungsgründe:
Im August 2013 beauftragte die Klägerin, die auf ihrem Rücken bereits drei Tattoos von verschiedenen Tätowierern hatte, den Beklagten mit einer Überarbeitung („Cover-Up“) dieser Tattoos. Konkret sollte zunächst eine Elfe eingefärbt und in der Folge ein farbiger Baum dazu tätowiert werden. Die Kosten für das „Cover-Up“ sollten um die 1.000 EUR betragen. Bei der ersten Sitzung wurde ein Teil der Elfe eingefärbt, bei der zweiten Sitzung wurden die Außenlinien des Baumes tätowiert. Die Klägerin zahlte dafür jeweils 400 EUR. Nach der zweiten Sitzung wollte der Mitarbeiter des Beklagten, der in den beiden ersten Sitzungen tätowiert hatte, die Arbeit nicht mehr fortsetzen. Bei einem Besuch der Klägerin im Studio des Beklagten kam es zu einem Streit, woraufhin die Klägerin aus dem Studio verwiesen wurde. Die im Studio des Beklagten vorgenommenen Tätowierungen weisen keine Mängel auf; die erbrachten Leistungen sind mit 600 EUR zu bewerten. Die Fertigstellung des „Cover-Up“ ist keine außergewöhnliche Besonderheit, für jeden professionellen Tätowierer mit einer gewissen Erfahrung machbar und verursacht Kosten von höchstens 1.500 EUR.
Die Klägerin begehrte 7.200 EUR an Kosten für eine Laserbehandlung zur Entfernung der beim Beklagten vorgenommenen Tätowierungen. Der Beklagte habe die beauftragten Arbeiten nicht fertiggestellt und dadurch einen Vertragsbruch begangen. Die Vollendung der Tattoos im Studio des Beklagten sei ihr nicht zuzumuten. Das Gleiche gelte für eine Fertigstellung des verlangten „Cover-Up“ durch andere Tätowierer.
Der Beklagte entgegnete, dass die Klägerin nach den ersten beiden Sitzungen nicht mehr erschienen sei. Erst zwei Jahre später sei sie wieder in sein Studio gekommen und habe nicht umsetzbare Wünsche geäußert. Die vorgenommene Tätowierung weise keine Mängel auf, weshalb der Klägerin auch kein Anspruch auf Entfernung zustehe. Er sei nach wie vor bereit, das „Cover-Up“ fertigzustellen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt und sprach der Klägerin 1.300 EUR sA zu; das Mehrbegehren von 5.900 EUR sA wies es hingegen ab. Die Erstellung der Tattoos sei als Werkvertrag zu qualifizieren. Aufgrund des Rücktritts vom Vertrag durch die Klägerin sei zu prüfen, ob ihr Schadenersatzansprüche gemäß § 921 ABGB zustünden. In einem solchen Fall sei – hier wegen Vertrauensverlustes – das Erfüllungsinteresse zu ersetzen. Der Kostenaufwand für die Fertigstellung des „Cover-Up“ betrage (gemäß § 273 ZPO) 1.500 EUR; davon seien 200 EUR abzuziehen, die von der Klägerin bei ordnungsgemäßer Erfüllung noch zu zahlen gewesen wären.
Das Berufungsgericht gab der Berufung beider Parteien Folge und hob die angefochtene Entscheidung auf; gleichzeitig sprach es aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die Klägerin sei wegen Erfüllungsvereitelung durch den Beklagten vom Vertrag zurückgetreten. Der Rücktritt lasse den Anspruch auf Ersatz des durch die verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt. Bei dem in Auftrag gegebenen „Cover-Up“ handle es sich um ein nicht teilbares Gesamtwerk. Die Kosten für dessen Fertigstellung durch einen anderen Tätowierer begehre die Klägerin ausdrücklich nicht; mit dem Zuspruch der dafür entstehenden Kosten habe das Erstgericht gegen § 405 ZPO verstoßen, weil es der Klägerin ein Aliud zuerkannt habe. Das Berufungsgericht vertrete aber die Auffassung, dass der mit dem Rücktrittsrecht verbundene Schadenersatzanspruch der Klägerin auch den Ersatz jener Kosten umfasse, die mit der ästhetischen Entfernung des beim Beklagten erstellten „Cover-Up“ verbunden seien. Zu der vom Beklagten bekämpften Höhe der Entfernungskosten habe das Erstgericht eine unvollständige Beweiswürdigung vorgenommen. Die angefochtene Entscheidung sei daher aufzuheben. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage, ob nach § 921 ABGB auch ein Schadenersatzanspruch auf Zahlung der Entfernungskosten bestehe, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Beklagten, der auf eine gänzliche Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, dem Rekurs den Erfolg zu versagen.
Der Rekurs ist zulässig, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts zum Nichterfüllungsschaden nach Vertragsrücktritt einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf; der Rekurs ist auch berechtigt.
1. Das Berufungsgericht beurteilte den Zuspruch der Kosten für die Fertigstellung des „Cover-Up“ durch das Erstgericht als Zuspruch eines Aliud, weil die Klägerin ausdrücklich die Entfernungskosten verlange. Dieser Beurteilung tritt die Klägerin in ihrer Rekursbeantwortung an den Obersten Gerichtshof nicht entgegen. Vielmehr bekräftigt sie darin, dass sie aufgrund des „Leistungsverzugs“ des Beklagten vom Werkvertrag berechtigt zurückgetreten sei. Gemäß § 921 ABGB habe sie Anspruch auf Ersatz des durch die verschuldete Nichterfüllung verursachten Schadens. Da die Arbeit eines Tätowierers Vertrauenssache sei, könne ihr die Finalisierung des „Cover-Up“ durch einen Dritttätowierer nicht zugemutet werden. Sie habe daher Anspruch auf Ersatz jener Kosten, die mit der ästhetischen Entfernung des „Cover-Up“ verbunden seien.
Es stellt sich somit die Frage, ob die begehrten Entfernungskosten in der geltend gemachten Rechtsgrundlage Deckung finden.
2. § 920 Satz 1 ABGB betrifft die nachträgliche vom Schuldner verschuldete oder sonst zu vertretende Leistungsvereitelung. So wie beim subjektiven Leistungsverzug kann der Gläubiger auch in diesem Fall entweder seine Leistung erbringen und den Erfüllungsanspruch (Austauschanspruch) begehren oder vom Vertrag zurücktreten und den Nichterfüllungsschaden nach § 921 ABGB geltend machen. In diesem Fall muss sich der Gläubiger den Wert der eigenen ersparten Leistung auf seinen Schadenersatzanspruch anrechnen lassen (Gruber in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 920 Rz 1 und 11 sowie § 921 Rz 1). Der Rücktritt vom Vertrag nach §§ 918 ff ABGB steht somit nicht nur im Fall des Leistungsverzugs, sondern auch bei einem in der Verweigerung der Zuhaltung wesentlicher Vertragsbedingungen gelegenen Vertragsbruch zu, wenn er mit einer Erschütterung des Vertrauens in den Vertragspartner einhergeht (RIS-Justiz RS0018286; 7 Ob 40/05s). Der Rücktritt wegen Leistungsverweigerung nach § 920 ABGB bedarf keiner Nachfristsetzung. Bei teilweiser Vereitelung steht dem Gläubiger nach § 920 Satz 2 ABGB der Rücktritt vom gesamten Vertrag zu, wenn sich der Natur des Geschäfts oder dem Zweck der Leistung entnehmen lässt, dass der Gläubiger an der teilweisen Erfüllung kein Interesse hat (Gruber § 920 ABGB Rz 14 f).
3.1 Im Fall des (verschuldeten oder zu vertretenden) Rücktritts ist das Erfüllungsinteresse (der Nichterfüllungsschaden) zu ersetzen. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie er stünde, wenn der Vertrag vom Schuldner ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Es muss also der durch das Unterbleiben der Erfüllung erlittene Nachteil ersetzt werden (RIS-Justiz RS0016377; Gruber § 921 Rz 4; Reidinger in Schwimann/Kodek4 § 921 ABGB Rz 6). Der Nichterfüllungsschaden kann grundsätzlich konkret oder abstrakt berechnet werden (Gruber § 921 Rz 8; vgl auch Reischauer in Rummel3 § 921 ABGB Rz 3, der primär für die konkrete Schadensberechnung eintritt). Ausgangspunkt für die Berechnung des Nichterfüllungsschadens ist der vereinbarte Leistungsinhalt bzw das vertraglich Geschuldete.
3.2 Die vom Beklagten zu erfüllende Leistungspflicht besteht in der Fertigstellung des begonnenen „Cover-Up“. Für die von der Klägerin begehrten Entfernungskosten stellt § 921 ABGB daher keine taugliche Rechtsgrundlage dar.
3.3 Die Argumentation der Klägerin erinnert an das Rechtsinstitut der Gewährleistung. Begehrt der Kläger als Mangelschaden nach § 933a ABGB nicht den Ersatz der Verbesserungskosten, sondern Naturalherstellung durch den Beklagten gemäß § 1323 ABGB, so ist er primär real so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis gestellt wäre. Bei mangelhafter Erfüllung des Werkvertrags durch den Unternehmer besteht die Naturalrestitution in der vertragsbedungenen mängelfreien Herstellung des Werks. Kann das mangelhafte Werk durch den beklagten Unternehmer nicht mehr verbessert werden, ist die Naturalrestitution also unmöglich oder untunlich, so hat der Unternehmer in Entsprechung seiner vertraglichen Schadenersatzpflicht das mangelhafte Werk zu beseitigen und in mangelfreier Weise zu erneuern (vgl 1 Ob 535/90; auch 1 Ob 219/12f).
Einen Gewährleistungsanspruch auf Ersatz des Mangelschadens hat die Klägerin aber gerade nicht geltend gemacht. Ein solcher Anspruch wäre auch nicht berechtigt, weil vor Vollendung und Ablieferung des hier einheitlichen Werks keine Gewährleistungsansprüche geltend gemacht werden können (vgl 9 Ob 81/04h); die vom Beklagten schon erbrachten Leistungen waren überdies mängelfrei.
4. Die Klägerin ist mit ihrer Ansicht im Recht, dass die Vornahme einer Tätowierung Vertrauenssache ist.
Nach den Feststellungen kann das von der Klägerin beauftragte „Cover-Up“ von jedem anderen professionellen Tätowierer mit einer gewissen Erfahrung hergestellt werden. Damit kann sie sich nicht auf die „Unzumutbarkeit der Finalisierung durch einen anderen Tätowierer“ berufen. Sie hat auch nicht etwa vorgebracht, dass es sich beim Mitarbeiter des Beklagten, der die Arbeiten begonnen hatte, um einen Spezialisten handle, der als Einziger imstande sei, das unvollendete „Cover-Up“ fertigzustellen. Ebenso wenig hat sie behauptet, dass sie vor Auftreten der Meinungsverschiedenheiten ein besonderes Vertrauensverhältnis zu diesem Tätowierer gehabt hätte. Nach den Feststellungen stammen die bereits vorhandenen drei Tattoos auf dem Rücken der Klägerin von verschiedenen Tätowierern.
5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Nichterfüllungsschaden aus der unterbliebenen Vollendung der von der Klägerin beauftragten Tätowierung in den Kosten für die Fertigstellung des „Cover-Up“ besteht, die Klägerin einen solchen Anspruch aber ausdrücklich nicht geltend gemacht hat. Die verlangten Entfernungskosten stehen ihr auf der Grundlage des § 921 ABGB nicht zu.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof damit nicht stand. Da über den geltend gemachten Anspruch infolge Entscheidungsreife endgültig entschieden werden kann (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO), ist die vom Berufungsgericht verfügte Verfahrensergänzung entbehrlich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Textnummer
E121464European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00034.18F.0322.000Im RIS seit
25.05.2018Zuletzt aktualisiert am
13.05.2019