TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/14 W239 2165449-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.05.2018
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Entscheidungsdatum

14.05.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W239 2165449-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.07.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 erster Satz BFA-VG wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsangehörige, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 24.04.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer. Eine VIS-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführerin über ein von 20.03.2017 bis 17.04.2017 gültiges Schengen-Visum Typ C, ausgestellt am 07.03.2017 durch die deutsche Botschaft in Erbil (Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Irak), verfügte.

Im Zuge der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.04.2017 gab die Beschwerdeführerin an, eine Tochter in Österreich zu haben, welche die österreichische Staatsbürgerschaft besitze. Das Reiseziel der Beschwerdeführerin sei Österreich gewesen, da ihre Tochter hier lebe. Der Einvernahme könne sie ohne Probleme folgen. Sie sei im März 2017 aus ihrem Herkunftsland mit dem Auto in die Türkei ausgereist und habe dann ca. zwei Wochen in Italien verbracht, bevor sie weiter nach Österreich gereist sei. Zu Italien könne sie nichts sagen, sie sei im Auto gewesen und habe keinen Kontakt mit anderen Leuten gehabt. Um Asyl habe sie in keinem Land angesucht. In ihrem Herkunftsland habe sie ein Visum bekommen und sei damit in die Türkei und nach Italien gekommen. Befragt, warum sie ihre Heimat verlassen habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihr Mann schlecht zu ihr gewesen sei und versucht habe, sie zu töten.

In der Folge richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 16.05.2017 ein auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO), gestütztes Aufnahmegesuch an Deutschland.

Mit Schreiben vom 23.05.2017 stimmte die deutsche Dublin-Behörde der Übernahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

Mit Schreiben vom 13.06.2017 gab ein deutscher Rechtsanwalt gegenüber dem BFA seine Bevollmächtigung bekannt (Vollmacht vom 13.06.2017 im Akt).

Nach durchgeführter Rechtsberatung und im Beisein einer Rechtsberaterin gab die Beschwerdeführerin im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 14.06.2017 zu Protokoll, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Fragen zu beantworten. Sie sei seit ihrer Antragstellung in Österreich in ärztlicher Behandlung gewesen und benötige folgende Medikamente: Mirtel 30 mg [Anm. BVwG: Schlaftabletten], Vimovo 500 mg/20 mg [Anm. BVwG: Schmerzmittel], Diclostad Salbe zum Auftragen am Rücken, Celecoxib Pfizer 100 mg [Anm. BVwG: Medikament gegen chronische Gelenksentzündung]. Sie habe schon seit zwei Jahren Probleme mit den Augen, sehe nicht gut und habe einen Operationstermin bekommen. Das Krankheitsbild ihrer Augen könne sie nicht beschreiben. Weiters leide sie schon seit drei bis vier Jahren an einem Bandscheibenvorfall und seit vier bis fünf Jahren an Magenproblemen, sodass sie nicht viel oder scharf essen könne. Wegen des Bandscheibenvorfalls sei sie bei einem Orthopäden in Behandlung; auch wegen ihres Magens sei sie in Behandlung.

Im Zuge der Erstbefragung habe die Beschwerdeführerin die Wahrheit gesagt, Korrekturen oder Ergänzungen habe sie nicht zu machen. Befragt nach der Wohnadresse der Tochter, legte die Rechtberaterin einen Zettel mit der Adresse vor. Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihre Tochter vor 13 oder 14 Jahren ihr Heimatland verlassen habe und seit dieser Zeit in Österreich wohne. In diesen Jahren hätten sie immer telefonischen Kontakt gehabt. Die Beschwerdeführerin habe aber keine Möglichkeit gehabt, ihre Tochter zu besuchen, und diese wiederrum habe keine Möglichkeit gehabt, die Beschwerdeführerin zu besuchen bis sie die österreichische Staatbürgerschaft erhalten habe. Sie hätten immer guten Kontakt gehabt, wenn auch nur telefonischen. Wenn die Beschwerdeführerin krank gewesen sei, habe die Tochter ihr öfter Geld geschickt, damit sie die Arztrechnungen und Medikamente bezahlen könne. In Österreich gebe es nur ihre Tochter, deren Mann und ihre vier Enkel.

Nochmals nach ihrem Reiseweg befragt, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie einen Bekannten gehabt habe, der ihr geholfen habe, ein Schengen Visum vom deutschen Konsulat zu erhalten. Sie sei mit ihrem Reisepass und dem deutschen Visum direkt nach Wien geflogen. Bei der Erstbefragung habe sie nicht die Wahrheit gesagt, da sie Angst vor einer Rückschiebung in ihr Heimatland gehabt habe. Nachgefragt, ob sie sich davor jemals um ein Visum für einen anderen EU-Staat oder für Österreich bemüht habe, bejahte die Beschwerdeführerin das. Sie habe bereits einmal um ein Visum angesucht und habe damals, vor ca. sechs Jahren, auch ein deutsches Visum ausgestellt bekommen. Sie sei mit diesem Visum in Österreich gewesen und habe ihre Tochter besucht. Damals sei sie noch nicht so krank gewesen wie jetzt und sie sei dann wieder zurück in ihr Heimatland geflogen. Darauf hingewiesen, dass ihre Angaben widersprüchlich seien, da sie zuvor angegeben habe, in den letzten 13 bis 14 Jahren lediglich telefonischen Kontakt zu ihrer Tochter gehabt zu haben, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie erst einmal, vor ca. sechs Jahren, bei ihrer Tochter in Österreich gewesen sei; dies mit einem deutschen Visum. Sie habe das zuvor nicht gesagt, da sie viele Sachen vergesse, sie könne sich aber jetzt daran erinnern. Abgesehen davon habe sie sich um keine weiteren Visa für einen anderen EU-Staat oder für Österreich bemüht. Vorgehalten, dass sich aus den Ermittlungen zu ihrem Antrag feststellen lasse, dass sie zuvor bereits einen Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Visums bei einer österreichischen Botschaft gestellt habe, bejahte die Beschwerdeführerin das und erklärte, damals kein Visum bekommen zu haben.

Nach Deutschland wolle die Beschwerdeführerin nicht überstellt werden, da sie mehrere Krankheiten habe und regelmäßig jemanden brauche, der ihr helfe, Ärzte aufzusuchen. In Deutschland habe sie niemanden, sie habe nur ihre Tochter in Österreich. Ohne die Hilfe ihrer Tochter könne sie in keinem anderen Land leben. In Deutschland sei sie noch nie gewesen. Die anstehende Augenoperation sei für Juli 2017 geplant. Nachgefragt, wie sie von ihrer Tochter unterstützt werde, gab die Beschwerdeführerin an, dass ihre Familie ihr regelmäßig helfe; die Angehörigen würden mit ihr zu Ärzten gehen, würden dolmetschen und würden Termine für sie wahrnehmen. Wenn sie Kleidung brauche, würden sie ihr welche kaufen. Auch Essen und Trinken bekomme sie. Der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin arbeite bei der Post und die Tochter befinde sich derzeit in Karenz.

Die Rechtsberaterin brachte vor, dass die Beschwerdeführerin glaubhaft angegeben habe, eine Familie in Österreich zu haben. Aufgrund der schweren gesundheitlichen Probleme sei die Beschwerdeführerin auf die Hilfe und Unterstützung ihrer Tochter und des Schwiegersohnes angewiesen. Deshalb sei vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Zum Beweis für die enge familiäre Unterstützung in Österreich wurde die zeugenschaftliche Einvernahme der Tochter beantragt.

Im Zuge der Einvernahme wurden die folgende Dokumente vorgelegt:

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Röntgenbefund vom 12.06.2017 mit der Beurteilung "1. Knöcherne geringfügige degenerative Veränderungen an der kaudalen LWS bei flachbogiger Linksskoliose [Anm. BVwG: geringfügige Veränderung der Wirbelsäule]. 2. Knöchern unauffälliges rechts Knie; Kapselosteome [Anm. BVwG: Gelenkgeschwülst]."

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Bestätigung eines Arztbesuches am 07.06.2017 und 12.06.2017 bei einem Allgemeinmediziner

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Überweisung vom 13.06.2017 an einen Facharzt für Orthopädie mit der Bitte um umfassende Abklärung des gesamten Bewegungsapparates, und dem Hinweis, dass gegen die Knieschmerzen und LWS Schmerzen das Vimovo Gel helfe.

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Laborergebnisse zur Untersuchung vom 09.06.2017

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Patientenkarte

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Arzt Informationsblatt eines Facharztes für Augenheilkunde und Optometrie

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Überweisung an ein Krankenhaus - Augenabteilung mit der Diagnose/Fragestellung: "Cat. bds. Op erbeten" [Anm. BVwG: Grauer Star]

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Krankenversicherungsbeleg für grundversorgte Personen, gültig ab 25.04.2017

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Bestätigung eines Arztes für Augenheilkunde und Optometrie vom 24.05.2017

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Arzt Informationsblatt eines Allgemeinmediziners

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Medizinisches Behandlungsbegleitblatt für Asylwerber in der Grundversorgung

Am 14.06.2017 fand die niederschriftliche Vernehmung der Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin vor dem BFA statt. Nach umfassender Belehrung gab die Zeugin an, sich physisch und psychisch in der Lage zu sehen, die Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten. Sie habe im Jahr 2003 ihre Heimat verlassen, sei seit 2004 in Österreich und sei seit diesem Jahr auch anerkannter Flüchtling. Im Februar 2016 habe sie die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Mit ihrer Mutter habe sie die letzten 13 bzw. 14 Jahre immer telefonischen Kontakt gehabt. Nachdem sie in Österreich Asyl bekommen habe, habe sie nicht mehr in ihr Heimatland reisen dürfen. Sie sei allerdings im Jahr 2007 und 2011 in das Nachbarland ihrer Heimat gereist und habe dort ihre Mutter getroffen. Ihre Mutter sei im Jahr 2012 schon einmal bei ihr in Österreich gewesen. Damals sei ihre Mutter mit einem Visum aus Deutschland, welches ein Bekannter ihrer Mutter besorgt habe, legal eingereist. Ihre Mutter sei etwa 20 Tage in Österreich gewesen und sei dann wieder zurückgeflogen. Als ihre Mutter jetzt nach Österreich gereist sei, habe sie ihre Reise angekündigt. Ihre Mutter sei mit dem Flugzeug von ihrem Herkunftsland nach Deutschland geflogen und sei dann mit dem Zug weiter nach Österreich gereist. Das Erlangen des deutschen Visums habe eine Nachbarin der Mutter erledigt.

Die Zeugin habe mit ihrer Mutter, abgesehen von den erwähnten Treffen, durchschnittlich zwei Mal pro Woche telefoniert. Befragt, ob sie ihre Mutter in dieser Zeit sonst noch unterstützt habe, erklärte die Zeugin, dass ihre Mutter niemanden habe, der ihr helfe. Sie habe ihr einmal monatlich € 50,-- übermittelt. Dies sei über Western Union geschehen oder teilweise über Freunde der Familie. Sie habe das in letzter Zeit, etwa ab 2012 oder 2013, bis zur Einreise ihrer Mutter in Österreich gemacht. Sie selbst lebe mit ihrem Ehemann und vier Kindern in einer 90 m2 Wohnung. Ihr Mann arbeite bei der Post, sie selbst sei in Karenz und habe vorher als Reinigungskraft gearbeitet. Befragt, welche Unterstützung sie ihrer Mutter geben könne, erklärte die Zeugin, dass sie sie als Dolmetscherin bei der Behörde und bei Beamten sowie bei Ärzten unterstützen könne und ihr außerdem Essen und Kleidung geben könne. Ihr Mann verdiene € 1.250,--.

Dem im Akt befindlichen E-Mailverkehr vom 06.07.2017 betreffend den Krankheitsverlauf der Beschwerdeführerin ist zu entnehmen, dass der behandelnde Augenarzt der Beschwerdeführerin kontaktiert wurde. Dieser führte aus, dass die Beschwerdeführerin an Grauem Star leide und eine Überweisung an eine Landeskrankenanstalt, Augenabteilung, erfolgt sei. Am 13.07.2017 habe sie einen Voruntersuchungstermin für eine mögliche Operation. Nach dieser Untersuchung werde die Beschwerdeführerin erstmal für einen OP-Termin gereiht und werde dann zu einem späteren Zeitpunkt einen entsprechenden Termin bekommen. Laut dem internistischem Entlassungsbrief vom 05.07.2017 befand sich die Beschwerdeführerin am 04.07.2017 zur ambulanten Behandlung in der Klinik. Die Diagnose bei Entlassung lautete:

"Verdacht auf Gastritis"; die empfohlene Medikation lautete:

"Pantoloc 40 mg und Novalgin Tabletten [Anm. BVwG: Magenschutz und Schmerzmittel]". Weiters wurde eine Harnkontrolle beim Hausarzt und eine evtl. weiterführende urologische Abklärung erbeten.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 06.07.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung des Antrages der Beschwerdeführerin gemäß Art. 12 Abs. 4 iVm Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zur Lage in Deutschland traf das BFA folgende Feststellungen (unkorrigiert und nunmehr gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Allgemeines zum Asylverfahren

In Deutschland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 16.11.2015; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle). Im Jahr 2016 hat das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 695.733 Asylanträge entschieden. Das ist ein Anstieg von ca. 146% gegenüber 2015 (282.726 Entscheidungen). 2016 wurden 745.545 Asylanträge entgegengenommen, 268.869 mehr als im Vorjahr. Insgesamt 256.136 Personen erhielten 2016 internationalen Schutz (36,8% der Antragsteller), 153.700 Personen (22,1%) erhielten subsidiären Schutz und 24.084 Personen (3,5%) Abschiebeschutz (BAMF 11.1.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.1.2017):

Jahresbilanz 2016,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Meldungen/DE/2017/20170111-asylgeschaeftsstatistik-dezember.html, Zugriff 6.2.2017

Dublin-Rückkehrer

Es gibt keine Berichte, dass Dublin-Rückkehrer in Deutschland Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren hätten (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Gemäß Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher werden unbegleitete Kinder und Jugendliche auf Grundlage einer bundes- und landesweiten Aufnahmepflicht gleichmäßig in Deutschland verteilt. Das Mindestalter zur Begründung der Handlungsfähigkeit im Asylverfahren wurde von 16 auf 18 Jahre hinaufgesetzt (BR 26.10.2015).

Im deutschen Asylverfahren gelten Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ohne Begleitung als Unbegleitete Minderjährige. Unbegleitete Minderjährige, die nach dem 1. November 2015 in Deutschland eingereist sind, werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Im Rahmen dieser vorläufigen Inobhutnahme werden sie bei einer geeigneten Person (Verwandte oder Pflegefamilien) oder in einer geeigneten Einrichtung (sogenannte Clearinghäuser, die auf die Betreuung von Unbegleiteten Minderjährigen spezialisiert sind, oder Jugendhilfeeinrichtungen) untergebracht. Im Zuge der vorläufigen Inobhutnahme findet auch das sogenannte Erstscreening des Gesundheitszustands statt und stellt auch das Alter der Minderjährigen fest. Die dafür verwendeten Methoden reichen von einer reinen Altersschätzung über körperliche Untersuchungen bis hin zu radiologischen Untersuchungen, der Handwurzel, des Gebisses oder des Schlüsselbeins. Darüber hinaus schätzt das zuständige Jugendamt ein, ob die Durchführung des späteren Verteilungsverfahrens in physischer oder psychischer Hinsicht das Kindeswohl gefährden könnte. In diesem Zusammenhang wird auch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung mit in Deutschland lebenden Verwandten geprüft. Bestehen enge soziale Bindungen zu anderen Unbegleiteten Minderjährigen, prüft das Jugendamt, ob eine gemeinsame Unterbringung sinnvoll ist. Um eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung, Betreuung und Unterstützung der Unbegleiteten Minderjährigen sicherzustellen, gibt es ein bundesweites Verteilungsverfahren, das innerhalb von 14 Tagen durchgeführt wird. Nach dieser Verteilung ist neue Jugendamt für die weitere Inobhutnahme zuständig. Die Unterbringung erfolgt wieder bei einer geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung (siehe oben). Im Anschluss daran werden die Beantragung einer Vormundschaft, weitere medizinische Untersuchungen, die Ermittlung des Erziehungsbedarfs sowie eine Klärung des Aufenthaltsstatus veranlasst. Für Unbegleitete Minderjährige muss vom Familiengericht ein Vormund oder Pfleger bestellt werden. Eine Vormundschaft besteht in der Regel bis zur Volljährigkeit. Dabei orientiert sich die Volljährigkeit an dem Recht im Herkunftsland des Minderjährigen und nicht am deutschen Recht. Tritt also nach diesem Recht die Volljährigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahrs ein, endet die Vormundschaft auch erst zu diesem Zeitpunkt. Im anschließenden Clearingverfahren werden weitere Schritte im Bereich des Jugendhilferechts oder des Aufenthaltsrechts eingeleitet. Es umfasst unter anderem die Klärung des Aufenthaltsstatus. Auf dessen Basis wird entschieden, ob ein Asylantrag gestellt wird. Ist ein Asylverfahren nicht erfolgversprechend, kann die zuständige Ausländerbehörde auch eine Duldung ausstellen. Kommt auch dies nicht in Frage, berät die Ausländerbehörde über andere aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten. Falls ein Asylantrag gestellt werden soll, ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMF) die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Innerhalb des Asylverfahrens gelten für die Bestimmung der Volljährigkeit die nationalen Vorschriften. Das heißt: Asylwerber müssen mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ihren Asylantrag selbst stellen. Ein etwaiger Vormund kann in diesem Fall aber weiterhin das Asylverfahren begleiten. Asylwerber unter 18 Jahren sind im Asylverfahren nicht handlungsfähig und ein Asylantrag muss vom Jugendamt oder Vormund schriftlich gestellt werden. Da Unbegleitete Minderjährige als besonders schutzbedürftige Personengruppe mit besonderen Garantien für ihr Asylverfahren gelten, werden ihre Asylverfahren von Sonderbeauftragten betreut, die für eine sensibilisierte Herangehensweise geschult wurden. Anhörungen finden grundsätzlich in Anwesenheit des Vormunds statt. Zusätzlich kann auch ein Beistand, z. B. eine Betreuerin oder ein Betreuer bei den Anhörungen anwesend sein. Unterbringung, Versorgung - hierzu gehört auch die sozialpädagogische Begleitung und Betreuung, Gesundheitsversorgung sowie Rechtsberatung - sind gesetzlich sichergestellt (BAMF 1.8.2016a; vgl. IAM 30.5.2016).

In Deutschland wurden 2015 42.309 UM in staatliche Obhut genommen,

22.255 davon stellten Asylanträge. 2016 gab es rund 50.300 Inobhutnahmen und 35.939 Asylanträge von UM (BAMF 31.12.2016; vgl. FRA 1.2017). Vergleicht man die Zahl der Inobhutnahmen von

UM mit der Anzahl der von ihnen gestellten Asylanträge, wird deutlich, dass ein relevanter Teil der Minderjährigen auf einen Asylantrag verzichtet und sie (bzw. ihre gesetzlichen Vertreter) einen anderen aufenthaltsrechtlichen Weg suchen (BAMF 31.12.2016).

Es gibt keine gesetzliche Vorschrift zur Identifizierung Vulnerabler, mit Ausnahme von unbegleiteten Minderjährigen. Alle AW durchlaufen eine medizinische Untersuchung, die aber mehr dem Aufspüren ansteckender Krankheiten dient. Manchmal melden medizinisches Personal oder andere Mitarbeiter in den Unterbringungszentren, dass sie Anzeichen von Traumata entdeckt haben, das ist aber keine systematische Prüfung. Einige Bundesländer haben Pilotprojekte für die Identifizierung vulnerabler Asylwerber eingeführt. Vom BAMF erlassene Richtlinien sehen vor, dass insbesondere UM, Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung sowie Opfer von Folter und traumatisierte Asylwerber besonders sensibel und bei Bedarf von speziell ausgebildeten Referenten behandelt werden sollen. Die Einführung dieser Spezialisten (80 für UMA, 40 für Traumatisierte und 40 für Opfer geschlechtsspezifischer Verfolgung) hat die Handhabung derartiger Verfahren etwas verbessert, wobei es aber auch Beispiele gibt, wonach Hinweise auf Traumata bzw. sogar Folter nicht zur Konsultierung solcher Spezialisten geführt haben (AIDA 16.11.2015; vgl. FRA 1.2017).

Medizinische Spezialbehandlung für Traumatisierte und Folteropfer kann durch einige Spezialisten und Therapeuten in verschiedenen Behandlungszentren für Folteropfer gewährleistet werden. Da die Plätze in diesen Zentren begrenzt sind, ist der Zugang nicht immer garantiert. Da die Behandlungskosten von den Behörden nur teilweise übernommen werden (Übersetzerkosten werden etwa nicht gedeckt), sind die Zentren zu einem gewissen Grad auf Spenden angewiesen. Große geographische Distanzen zwischen Unterbringung und Behandlungszentrum sind in der Praxis auch oft ein Problem (AIDA 16.11.2015).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 3.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016a):

Unbegleitete Minderjährige,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/UnbegleiteteMinderjaehrige/unbegleitete-minderjaehrige-node.html, Zugriff 26.1.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (31.12.2016):

Unbegleitete Minderjährige (UM), http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Asyl/um-zahlen-entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 26.1.2017

-

BR - Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland (26.10.2015):

Effektive Verfahren, frühe Integration, http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/10/2015-10-15-asyl-fluechtlingspolitik.html, Zugriff 3.2.2017

-

FRA - European Union Agency for Fundamental Rights (1.2017):

Monthly data collection: January 2017, http://fra.europa.eu/en/theme/asylum-migration-borders/overviews/january-2017, Zugriff 3.2.2017

-

IAM - Informationsverbund Asyl und Migration (30.5.2016): Die Rechte und Pflichten von Asylsuchenden. Aufenthalt, soziale Rechte und Arbeitsmarktzugang während des Asylverfahrens, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1464681466_basisinf-3-160415fin.pdf, Zugriff 26.1.2017

Non-Refoulement

Im Oktober 2015 wurden Albanien, Montenegro und Kosovo der Liste sicherer Herkunftsstaaten hinzugefügt, was auch Kritik hervorrief, besonders im Hinblick auf Personen aus der Gruppe der Roma. Deutschland gewährt Personen, die sich nicht für internationalen Schutz qualifizieren mitunter auch subsidiären oder humanitären Schutz. Freiwilligen Rückkehrern wird Hilfe gewährt (USDOS 13.4.2016).

Kann weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt werden, dann prüft das BAMF im Asylverfahren auch, ob subsidiärer Schutz gewährt wird oder ein Abschiebungsverbot vorliegt. Außerhalb eines Asylverfahrens werden mögliche Abschiebungsverbote durch die zuständige Ausländerbehörde, die eine fachliche Stellungnahme des BAMF einholt, geprüft (BMdI o.D.).

Quellen:

-

BMdI - Bundesministerium des Innern (o.D.): Asyl- und Flüchtlingspolitik in Deutschland, http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Asyl-Fluechtlingsschutz/Asyl-Fluechtlingspolitik/asyl-fluechtlingspolitik_node.html, Zugriff 1.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Versorgung

Bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen erhalten AW Verpflegung, Unterkunft, Krankenversorgung und Verbrauchsartikel. Der notwendige Bedarf wird durch Sachleistungen gedeckt. Wenn das nicht möglich ist werden Wertgutscheine oder ähnliches bis hin zu Geldleistungen gewährt. Werden alle notwendigen persönlichen Bedarfe durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt der Geldbetrag zur Deckung aller notwendigen persönlichen Bedarfe monatlich: Bezieher Betrag

Für alleinstehende Leistungsberechtigte 135 € Für zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die je 122 € als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen Für weitere erwachsene Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt je 108 € Für sonstige jugendliche Leistungsberechtigte vom Beginn des 15. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 76 € Für leistungsberechtigte Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 83 €

leistungsberechtigte Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 79 €.

Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen werden vorrangig Geldleistungen gewährt. Der notwendige Bedarf beträgt monatlich: Bezieher Betrag Für alleinstehende Leistungsberechtigte 216 € Für zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Partner einen gemeinsamen Haushalt führen je 194 € Für weitere erwachsene Leistungsberechtigte ohne eigenen Haushalt je 174 € Für sonstige jugendliche Leistungsberechtigte vom Beginn des 15. und bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres 198 € Für leistungsberechtigte Kinder vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 157 € leistungsberechtigte Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres 133 €.

Anstelle der Geldleistungen können auch Leistungen in Form von unbaren Abrechnungen, Wertgutscheinen oder Sachleistungen gewährt werden. Der Bedarf für Unterkunft, Heizung und Hausrat wird gesondert als Geld- oder Sachleistung erbracht. Es gibt Leistungen für Bildung etc. (AsylbLG 23.12.2016, §3).

In Deutschland gibt es grundsätzlich 3 verschiedene Arten der Unterbringung: Erstaufnahmezentren, Gemeinschaftsunterkünfte und dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen. Der Betrieb dieser Einrichtungen ist Ländersache. In den Jahren 2014 und 2015 waren aufgrund der zahlreichen Migranten auch Notunterkünfte gebräuchlich (AIDA 16.11.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Zum Teil sind Notunterkünfte immer noch in Verwendung (Pro Asyl 10.1.2017).

Asylwerber müssen bis zu 6 Monate in den Erstaufnahmezentren bleiben. Wenn die Pflicht zum Aufenthalt im Erstaufnahmezentrum endet, werden AW normalerweise in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, das sind generell Unterbringungszentren im selben Bundesland. AW müssen während des gesamten Asylverfahrens in der Gemeinde aufhältig sein, die von der Behörde festgelegt wurde. Die Verantwortung für diese Art der

Unterbringung wurde von den Bundesländern oftmals den Gemeinden und von diesen wiederum auf NGOs oder Privatunternehmen übertragen. Manche Gemeinden bevorzugen dezentralisierte Unterbringung in Wohnungen (AIDA 16.11.2015; vgl. auch BAMF 10.2016)

Deutschland verfügt mittlerweile bundesweit über 24 Ankunftszentren. Dort werden viele, bis dahin auf mehrere Stationen verteilte Schritte im Asylverfahren, gebündelt. Nach Möglichkeit findet das gesamte Asylverfahren unter dem Dach des Ankunftszentrums statt - von der ärztlichen Untersuchung, über die Aufnahme der persönlichen Daten und der Identitätsprüfung, der Antragstellung und Anhörung bis hin zur Entscheidung über den Asylantrag. Bei Menschen mit sehr guter Bleibeperspektive sowie Antragstellenden aus sicheren Herkunftsländern mit eher geringen Bleibeaussichten kann in der Regel vor Ort innerhalb von 48 Stunden angehört und über den Asylantrag entschieden werden (BAMF o.D,a). Neben der Bearbeitung von neuen Anträgen, werden in den Ankunftszentren seit Sommer 2016 auch ältere Verfahren bearbeitet und Anhörungen durchgeführt. Somit werden die BAMF-Außenstellen in der jeweiligen Region entlastet. Asylsuchende werden schon während der Bearbeitung ihres Antrags über die Teilnahme an Integrationskursen des Bundesamtes am jeweiligen Wohnort informiert. Sie erhalten ebenfalls eine Beratung zum möglichen Arbeitsmarktzugang durch die örtliche Bundesagentur für Arbeit (BAMF 1.8.2016b).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

-

AsylbLG - Asylbewerberleistungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. August 1997 (BGBl. I S. 2022), das durch

Artikel 20 Absatz 6 des Gesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3324) geändert worden ist (23.12.2016): § 3 Grundleistungen, https://www.gesetze-im-internet.de/asylblg/BJNR107410993.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2016): Ablauf des deutschen Asylverfahrens,

http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/das-deutsche-asylverfahren.pdf?__blob=publicationFile, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (o.D.a):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/DasBAMF/Aufbau/Standorte/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (1.8.2016b):

Ankunftszentren,

http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/Ankunftszentren/ankunftszentren-node.html, Zugriff 2.2.2017

-

Pro Asyl (10.1.2017): Ein Leben ohne Privatsphäre? Sammelunterbringung darf nicht zum Dauerzustand werden, https://www.proasyl.de/news/ein-leben-ohne-privatsphaere-sammelunterbringung-darf-nicht-zum-dauerzustand-werden/, Zugriff 2.2.2017

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Medizinische Versorgung

NGOs kritisieren dass die medizinische Versorgung von Asylwerbern nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzen kostenlos ist. Einige Gemeinden und private Gruppen initiierten zusätzliche Gesundheitsprojekte. Einige Bundesländer stellen Krankenversicherungskarten zur Verfügung (USDOS 13.4.2016).

Die Gesetze sehen medizinische Versorgung für AW in Fällen akuter Erkrankung oder Schmerzen vor, welche Behandlung (auch Zahnbehandlung), Medikation etc. umfasst. Schwangere und Wöchnerinnen sind eigens im Gesetz erwähnt. Deutsche Gerichte haben sich in verschiedenen Fällen der Sichtweise angeschlossen, dass von diesen Bestimmungen auch chronische Erkrankungen abgedeckt werden, da auch diese Schmerzen verursachen können. Krankenscheine bekommen AW beim medizinischen Personal der Erstaufnahmeeinrichtung oder später auf dem zuständigen Sozialamt. Bei letzteren wird von Problemen aufgrund von Inkompetenz des Personals berichtet. Unabdingbare medizinische Behandlung steht auch Personen zu, die - aus welchen Gründen auch immer - kein Recht auf Sozialunterstützung mehr haben. Nach 15 Leistungsmonaten im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes haben AW Zugang zu Versorgung nach dem Sozialgesetzbuch. Das beinhaltet auch Zugang zu Gesundheitsversorgung nach denselben Bedingungen wie für deutsche Staatsbürger (AIDA 16.11.2015).

Deutschland garantiert allen AW ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung. Das gilt auch für zurückgewiesene AW bis zum Tag ihres Transfers. Die Bundesländer können autonom die elektronische Gesundheitskarte für Asylwerber einführen. Die gesetzlichen Krankenkassen können demnach von den Ländern verpflichtet werden, gegen Kostenerstattung die Krankenbehandlungen bei Asylwerbern zu übernehmen. Der Leistungsumfang und die Finanzierung der medizinischen Versorgung erfolgt unverändert im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes (BMdI 29.9.2015; vgl. BMG 3.11.2015).

Die medizinische Versorgung von Asylwerbern ist zwischen den verschiedenen Kommunen und Bundesländern unterschiedlich organisiert. Während in manchen Ländern fast alle Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für Antragsteller zur Verfügung stehen, muss in anderen Ländern vor vielen Untersuchungen beim Amt um Kostenübernahme angefragt werden. In dringenden Notfällen dürfen Ärzte immer behandeln, unabhängig von den Papieren. Meistens aber müssen Asylsuchende ins zuständige Sozialamt, bevor sie einen Arzt aufsuchen dürfen. Dort erhalten sie einen Behandlungsschein, mit dessen Hilfe Ärzte ihre Kosten abrechnen können. Hinzu kommt, dass der Behandlungsschein in manchen Kommunen nur für den Hausarzt gültig ist. Wollen die Betroffenen zum Facharzt, müssen sie vor jeder Überweisung die Zustimmung des Amts einholen. In manchen Ländern erhalten Asylwerber eine elektronische Gesundheitskarte einer Krankenkasse, mit der sie direkt zum Arzt gehen können. Die Krankenkasse organisiert nur die medizinische Versorgung der Antragsteller, die Kosten tragen trotzdem die Behörden. Wenn Asylwerber länger als 15 Monate in Deutschland sind, können sie sich eine gesetzliche Krankenversicherung aussuchen, die Behörden bezahlen die Beiträge. Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. freiwillige Zusatzleistungen der Krankenkassen) werden sie dann behandelt wie alle gesetzlich Versicherten. Erst wenn die Antragsteller eine Arbeit finden und selbst einzahlen, klinkt sich der Staat aus ihrer medizinischen Versorgung aus (SO 22.3.2016; vgl. BMG 6.2016).

Quellen:

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AIDA - Asylum Information Database (European Council on Refugees and Exiles and Informationsverbund Asyl und Migration) (16.11.2015):

National Country Report Germany, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_de_update.iv__0.pdf, Zugriff 10.01.2017

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BMdI - Bundesministerium des Innern (29.9.2015): Änderung und Beschleunigung von Asylverfahren beschlossen, http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2015/09/kabinett-beschliesst-asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

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BMG - Bundesministerium für Gesundheit (3.11.2015): Verbesserung der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen, http://www.bmg.bund.de/ministerium/meldungen/2015/asylverfahrensbeschleunigungsgesetz.html, Zugriff 3.2.2017

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BMG - Bundesministerium für Gesundheit (6.2016): Ratgeber Gesundheit für Asylwerber in Deutschland, http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Broschueren/Ratgeber_Asylsuchende_DE_web.pdf, Zugriff 3.2.2017

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SO - Spiegel Online (22.3.2016): So werden Flüchtlinge medizinisch versorgt,

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/fluechtlinge-so-laeuft-die-medizinische-versorgung-a-1081702.html, Zugriff 3.2.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Germany, http://www.ecoi.net/local_link/322521/461998_de.html, Zugriff 1.2.2017

Unter anderem wurde seitens des BFA festgehalten, dass Deutschland gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-VO für die Prüfung des gegenständlichen Antrages zuständig sei.

In Deutschland die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung sowie die Grund- und Gesundheitsversorgung unbedenklich seien und den Grundsätzen des Unionsrechts genügen würden. Die Beschwerdeführerin leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten. In Österreich lebe die Tochter der Beschwerdeführerin. Ein Kontakt (Familienleben) zur Tochter habe seit dem Jahr 2003, neben insgesamt drei behaupteten Treffen (2007, 2011, 2012) nur telefonisch stattgefunden. Zudem habe die Tochter der Beschwerdeführerin regelmäßig Geldbeträge in den Herkunftsstaat übermittelt. Eine unmittelbare Abhängigkeit zu der Tochter könne nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin habe Bestimmungen des Schengener Grenzkodex verletzt, indem sie zweckentfremdet ein Visum für die legale Einreise beantragt habe, um anschließen nach ihrer Ankunft in Österreich sofort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Die Beschwerdeführerin habe Mitwirkungspflichten im Verfahren vor dem BFA veletzt, indem sie Anhahaltpunkte, welche der Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutzes dienen würden, auf konkrete Nachfrage hin nicht wahrheitgemäß dargelegt habe. Die Beschwerdeführerin habe durch ihre Angaben im Verfahren über den Reiseweg, über den Verbleib des Reisepasses und über Umstände, welche zur Erlangung des Visums von Deutschland geführt hätten, getäuscht. Weiters habe sie verheimlicht, dass sie vor Erlangung eines Visum von Deutschland, welches die Einreise nach Österreich anfänglich legal ermöglicht habe, bereits zuvor ein Visum von Österreich beantragt habe und ihr dieses nicht gewährt worden sei.

Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in Deutschland einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe oder Folter ausgesetzt sei, welche auf mangelnde Schutzfähigkeit bzw. mangelnde Schutzwilligkeit der Staatsgewalt von Deutschland zurückzuführen wären. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergeben. Die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Deutschland stelle auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK dar.

Der Bescheid des BFA wurde dem Rechtsanwalt am 12.07.2017 nachweislich zugestellt.

3. Gegen den Bescheid des BFA vom 06.07.2017 erhob die Beschwerdeführerin durch die ARGE Rechtsberatung als ihre Vertretung (Vollmacht vom 13.07.2017 im Akt) rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde und hielt fest, dass der Bescheid zur Gänze angefochten werde. Gleichzeitig wurde der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Inhaltlich wurde auf das bereits erstattete Vorbringen verwiesen und ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ein sehr enges familiäres Netz in Österreich habe. Die Beschwerdeführerin sei seit ihrer Ankunft regelmäßig bei ihrer Tochter und deren Familie zu Besuch; die Familiengemeinschaft habe bereits in einer derart engen Weise im Herkunftsland bestanden. Er bestehe nicht nur ein finanzielles, sondern vor allem auch ein stark soziales und emotionales gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Auch das fortgeschrittene Alter der Beschwerdeführerin - sie sei 61 Jahre alt - sei zu berücksichtigen. Die Tochter und deren Familie sei in der Lage, die Beschwerdeführerin auch finanziell zu unterstützen. Unter Verweis auf ausgewählte Entscheidungen des BVwG wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen des Art. 16 Dublin-III-VO (abhängige Person) vorliegen würden. Eine Zulassung des Antrages auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin in Österreich sei daher nicht nur aufgrund von Art. 16 und Art. 17 Dublin-III-VO angezeigt, sondern es seien sogar die strengeren Kriterien des Art. 8 EMRK erfüllt, weswegen das Familien- und Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich besonders schützenswert sei. Die Behörde berücksichtige nicht, dass eine Reise von Österr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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