TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/7 99/05/0223

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Veröffentlicht am 07.03.2000
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2;
BauO NÖ 1996 §6 Abs3;
BauRallg;
B-VG Art140 Abs7;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Waltraud Gruber in Lilienfeld, des Dr. Heinz Gruber in Sao Paulo und der Ingrid Monaghan in Bethesda, alle vertreten durch Dr. Wolfram Wutzel, Rechtsanwalt in Linz, Promenade 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 2. August 1999, Zl. RU1-B-9904, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Neumann Aluminium Strangpresswerk GesellschaftmbH in Marktl im Traisental, Werkstraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Eigentümer des Grundstückes Nr. 77/5, EZ 141, GB 19319 Marktl. Mit einer am 22. September 1998 bei der Baubehörde eingelangten Eingabe vom 21. September 1998 hat die Fried von Neumann GesmbH (Rechtsvorgängerin der nunmehr mitbeteiligten Partei) die baubehördliche Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage durch die Errichtung von neuen Werks- und Maschinenhallen sowie einer Lagerhalle im Standort Lilienfeld beantragt. Die zu bebauenden Grundstücke grenzen unmittelbar an das im Miteigentum der Beschwerdeführer stehende Grundstück. Mit einer am 22. September 1998 bei der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld eingelangten Eingabe wurde die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung beantragt.

Die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld beraumte darauf hin eine mündliche Verhandlung für den 8. Oktober 1998 an, zu der die Beschwerdeführer als Anrainer geladen wurden. Wegen des Fehlens u. a. von Gutachten betreffend die Schallemission wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Mit Eingabe vom 1. Dezember 1998 beantragte die Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Partei die Erteilung der gewerbe- und baubehördlichen Bewilligung für ein abgeändertes Projekt, u.a. sollte über dem ehemaligen Werksbach keine Bauführung erfolgen. Mit Ladung vom 22. Dezember 1998, dem Vertreter der Beschwerdeführer zugestellt am 28. Dezember 1998, wurde eine weitere mündliche Verhandlung für den 7. Jänner 1999 anberaumt. Mit Eingabe vom 5. Jänner 1999 beantragte der Beschwerdevertreter die Vertagung der kurzfristig anberaumten Verhandlung, überdies erhob er Einwendungen dahingehend, dass keine Bauplatzbewilligung vorliege, das Bauvorhaben mit der Widmung nicht übereinstimme und die erforderlichen Abstände nicht eingehalten würden.

In der mündlichen Verhandlung vom 7. Jänner 1999 wies der Verhandlungsleiter der Niederschrift über diese Verhandlung zufolge darauf hin, dass bei gleichzeitigem Erfordernis einer baurechtlichen und gewerberechtlichen Bewilligung der Immissionsschutz von Nachbarn nicht im baurechtlichen sondern im gewerberechtlichen Verfahren zu berücksichtigen sei.

Der Vertreter der mitbeteiligten Partei erklärte in dieser Verhandlung, dass nicht nur für den neu projektierten Werksteil eine neue Genehmigung beantragt werde, sondern dass eine derartige Neugenehmigung auch für den angrenzenden Altbestand erwirkt werden solle. Dies wurde damit begründet, dass es auch im Altbestand zu Veränderungen kommen solle und daher nach Auffassung der Mitbeteiligten eine gänzliche Neugenehmigung erforderlich sei. Dazu äußerte sich der Beschwerdevertreter dahingehend, dass es sich um eine unzulässige Änderung des ursprünglichen Genehmigungsantrages während des laufenden Verfahrens handle. Eine Einbeziehung des bestehenden Altbestandes sei unzulässig. Auch alle bisherigen Äußerungen, insbesondere die bislang vorgebrachten Einwendungen, hätten sich lediglich auf den ursprünglichen Antrag auf Neugenehmigung der neuen Baulichkeiten sowie der neuen Anlagenteile beziehen können.

Mit Bescheid vom 4. Februar 1999 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld der mitbeteiligten Partei die beantragte baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Strangpresswerkes, und zwar der geplanten Neu- und Zubauten, sowie für die Abänderung von bestehenden Bauwerken. Einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachten die Beschwerdeführer vor, es hätte ein UVP-Verfahren durchgeführt werden müssen, es läge weder eine Bauplatzbewilligung vor noch entspreche das Bauvorhaben der Widmung. Die Ladung für die mündliche Verhandlung am 7. Jänner 1999 sei den Beschwerdeführern erst am 28. Dezember 1998 zugestellt worden. Wegen der Komplexität der Angelegenheit hätten sie sich nicht ausreichend auf die Verhandlung vorbereiten können, dies umso weniger, als gerade das neue Lärmgutachten vom Konsenswerber erst wenige Tage vor Zustellung der Ladung vorgelegt worden sei, ohne dass der Vertreter der Beschwerdeführer davon verständigt worden sei.

Mit Bescheid vom 2. August 1999 hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführer hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung Folge gegeben, im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde im Wesentlichen ausgeführt, die gesamte zu bebauende Fläche sei nunmehr als "Bauland-Industrie" gewidmet, ein UVP-Verfahren sei nicht durchzuführen, weil die dort vorgesehenen Kapazitäten nicht erreicht würden. Gemäß § 6 Abs. 3 der NÖ BauO 1996 würden bei gewerblichen Betriebsanlagen im baubehördlichen Verfahren subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn nur nach Abs. 2 Z. 3 leg. cit. begründet. Die Bestimmung des § 6 Abs. 3 NÖ BauO 1996 sei vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Februar 1999 als verfassungswidrig aufgehoben worden, dieses Erkenntnis sei am 26. März 1999 im Landesgesetzblatt kundgemacht worden; da der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis keine Frist für das Außerkrafttreten bestimmt habe, sei die Aufhebung dieser Bestimmung am Tag der Kundmachung in Kraft getreten. Da nach Art. 140 Abs. 7 B-VG die aufgehobene gesetzliche Bestimmung jedoch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände (mit Ausnahme der Anlassfälle) anzuwenden sei, soferne der Verfassungsgerichtshof nichts anderes in seinem aufhebenden Erkenntnis ausspreche, und der Verfassungsgerichtshof dies im angeführten Erkenntnis nicht getan habe, sei die aufgehobene bzw. für verfassungswidrig erklärte Bestimmung im gegenständlichen Bauverfahren noch anzuwenden. Im Beschwerdefall seien alle jene Einwendungen, die nicht von der Bestimmung des § 6 Abs. 2 Z. 3 der NÖ BauO 1996 umfasst seien und die nicht spätestens in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden seien, für das gegenständliche Baubewilligungsverfahren unzulässig und daher unbeachtlich. Über die einzige für dieses Verfahren relevante Einwendung der Beschwerdeführer (Bauwich) habe die Behörde im Bescheid erster Instanz abgesprochen, diese Einwendung sei auch in der Berufung nicht mehr geltend gemacht worden. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung sei zu Unrecht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Verhandlung vom 7. Jänner 1999 hat der Amtssachverständige für Maschinenbautechnik ausgeführt, dass die geplante Betriebsanlage zur Gänze nicht in den Anwendungsbereich des UVP-Gesetzes, insbesondere nicht unter Anhang 1 Z. 3 bis 34 sowie Anhang 2 Z. 5 lit. b und c des UVP-Gesetzes falle, weil die dort vorgesehenen Kapazitäten nicht erreicht würden. Der vorgelegte Verwaltungsakt bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Aussagen unzutreffend seien.

Aus den vorgelegten Bauplänen und der Baubeschreibung lässt sich kein Hinweis auf die Anwendbarkeit des UVP-Gesetzes - zumindest im Hinblick auf das Baubewilligungsverfahren - ableiten.

Nach dem hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, Slg. Nr. 9315/A, hat die Rechtsmittelbehörde - dies gilt in gleicher Weise auch für jede andere behördliche Entscheidung - im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden. Eine andere Betrachtungsweise wird dann geboten sein, wenn etwa der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass "auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist". Weiters wird eine andere Betrachtungsweise auch dann Platz zu greifen haben, wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens war. Dieser Rechtsprechung liegt die Rechtsauffassung zu Grunde, dass die Frage, welches Recht von der Behörde anzuwenden ist, eine Auslegungsfrage jener Bestimmungen ist, die den zeitlichen Anwendungsbereich zum Gegenstand haben. Eine solche Regelung kann explizit, zB in einer Übergangsbestimmung, erfolgen. Sie kann sich aber auch aus dem Regelungsgegenstand der Norm, um deren Anwendung es geht, implizit ergeben, etwa wenn auf einen bestimmten Zeitpunkt oder einen bestimmten Zeitraum abgestellt wird. Ergibt sich hieraus keine Lösung (im Sinne der Anwendung einer im Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr in Geltung stehenden Rechtsnorm bzw. nicht mehr geltenden Rechtslage), gilt die Zweifelsregel, dass das im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung in Geltung stehende Recht anzuwenden ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/08/0140, vom 26. Februar 1987, Zl. 86/08/0115, und vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0177, sowie das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. Nr. 11.237/A).

Zum Zeitpunkt, in dem die Berufungsbehörde den Berufungsbescheid vom 2. August 1999 erlassen hat, gehörte Abs. 3 des § 6 der NÖ BauO 1996 auf Grund der Aufhebung dieser Bestimmung durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 1999 nicht mehr dem Rechtsbestand an. Den Beschwerdeführern, die die Parteistellung durch die Erhebung rechtzeitiger Einwendungen in der Verhandlung vom 7. Jänner 1999 erlangt hatten, standen somit alle im § 6 Abs. 2 NÖ BauO 1996 angeführten subjektiv-öffentlichen Rechte zur Verfügung. Die Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach die aufgehobene gesetzliche Bestimmung auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände (mit Ausnahme der Anlassfälle) anzuwenden sei, ist zwar grundsätzlich richtig, die belangte Behörde hat aber verkannt, dass im Beschwerdefall der Tatbestand, nämlich die rechtskräftige Erteilung einer Baubewilligung, noch nicht "verwirklicht" war; auf Grund der Erhebung der Berufung durch die Beschwerdeführer lag zum Zeitpunkt der Aufhebung des Abs. 3 des § 6 der NÖ BauO 1996 kein "vor der Aufhebung verwirklichter Tatbestand" vor. Unter einem so verwirklichten Tatbestand könnte in einem Baubewilligungsverfahren nur ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren verstanden werden, nicht aber ein Verfahren, das auf Grund einer Berufung noch anhängig ist (vgl. dazu auch Haller, Die Prüfung von Gesetzen, 1979, 263, insb. FN 48).

Da sich die Rechtslage durch die Aufhebung des Abs. 3 des § 6 der NÖ BauO 1996 während des Verfahrens insofern geändert hatte, als den Beschwerdeführern nunmehr im Baubewilligungsverfahren weitere subjektiv-öffentliche Rechte zustanden, wäre die belangte Behörde als Berufungsbehörde gehalten gewesen, die Beschwerdeführer von dieser Änderung der Rechtslage zu informieren und ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, dabei hätten die Beschwerdeführer Einwendungen erheben können, die sie bisher nicht erhoben hatten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1988, Zl. 87/05/0142, u.v.a.); dies wäre gerade deshalb erforderlich gewesen, weil der Verhandlungsleiter in der Verhandlung vom 7. Jänner 1999 ausdrücklich darauf verwiesen hat, dass im Beschwerdefall der Immissionsschutz von Anrainern nur im gewerberechtlichen Verfahren zu berücksichtigen sei.

Entgegen die Ansicht der Beschwerdeführer kommt es im Verwaltungsverfahren nicht auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz an, sodass im Beschwerdefall auch die nach der Verhandlung vom 7. Jänner 1999 erfolgte Umwidmung des zu bebauenden Grundstückes zu berücksichtigen war.

Da die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass im Beschwerdefall noch die Bestimmung des § 6 Abs. 3 der NÖ BauO 1996 anzuwenden sei, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes und, da sie es in der Folge unterlassen hat, die Beschwerdeführer auf die Änderung der Rechtslage aufmerksam zu machen, mit einem sekundären Verfahrensmangel. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Bei dieser Sachlage war nicht mehr darauf einzugehen, ob die Anberaumung der Verhandlung vom 7. Jänner 1999 so rechtzeitig erfolgte, dass den Beschwerdeführern unter Berücksichtigung der Komplexität des Vorhabens ausreichend Zeit zur Vorbereitung auf die Verhandlung zur Verfügung stand.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. März 2000

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Berufungsverfahren BauRallg11/2 Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1 Parteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999050223.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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