TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/11 W183 2172334-1

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Veröffentlicht am 11.05.2018
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Entscheidungsdatum

11.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W183 2172337-1/12E

W183 2172334-1/11E

W183 2172341-1/11E

W183 2185592-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER über die Beschwerden von 1) XXXX , geb.: XXXX , 2) XXXX , geb.: XXXX , 3) XXXX , geb.: XXXX und 4) XXXX , geb.: XXXX , alle StA. Somalia, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2017, 1) Zl. 1100116206-152054886, 2) Zl. 1133354206-161525985, 3) Zl. 1105666110-160245321 und 4) Zl. 1177302407-171409800 vom 16.01.2018, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.03.2018 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) verließ im Jahr 2015 Somalia, stellte am 23.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 14.06.2017 wurde BF1 von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen sowie zu jenen der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin niederschriftlich einvernommen.

Der Zweitbeschwerdeführer (BF2) verließ im Jahr 2016 Somalia, stellte am 10.11.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Am 14.06.2017 wurde BF2 vom BFA zu seinen Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Die Drittbeschwerdeführerin (BF3) ist die am XXXX in Österreich nachgeborene Tochter der BF1 und des BF2 und stellte diese durch ihre gesetzliche Vertreterin am 16.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Viertbeschwerdeführerin (BF4) ist die am XXXX in Österreich nachgeborene Tochter der BF1 und des BF2 und stellte diese durch ihre gesetzliche Vertreterin am 21.12.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im behördlichen Verfahren gab BF1 als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie als Angehörige der Gabooye von der Familie ihres Mannes verfolgt werde. Für die BF3 brachte sie vor, dass dieser in Somalia die Beschneidung drohe. BF 2 gab an, dass seine Familie gegen die Heirat mit seiner Frau (BF1) gewesen sei und er nun von seiner Familie verfolgt werde.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.08.2018 erteilt.

Das BFA stellte den Beschwerdeführern (BF) amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsätzen vom 21.09.2017 bzw. 29.01.2018 erhoben die BF durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist die Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide.

4. Mit Schriftsätzen vom 29.09.2017 (eingelangt am 04.10.2017) bzw. 07.02.2018 (eingelangt am 08.02.2018) legte die belangte Behörde die Beschwerden samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

5. Mit Schreiben vom 05.12.2017 wurden die BF sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2018 geladen und wurde darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia, Wien am 25.4.2016 (letzte Informationen eingefügt am 08.08.2017)" sowie den FFM Bericht vom August 2017 als Feststellungen zur Situation in Somalia seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.03.2018 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Somali eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die BF sowie deren Rechtsvertretung teilnahmen. Die BF1 und BF2 wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen auch betreffend die Töchter (BF3 und BF4) befragt und wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht die aktuellen Länderinformationsblätter der Staatendokumentation zu Somalia und Somaliland vom 12.01.2018 und den Bericht Clans und Minderheiten des Schweizer Staatssekretariats für Migration vom 31.05.2017 zum Parteiengehör. Das BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

7. Seitens der BF wurde eine mit 21.03.2016 datierte schriftliche Stellungnahme zur Situation im Herkunftsland eingebracht. Diese wurde dem BFA zum Parteiengehör gebracht und langte keine weitere Stellungnahme ein.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte zuletzt am 08.05.2018 Strafregisterabfragen betreffend BF 1 und 2 durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer

1.1.1. BF1 ist eine 1991 geborene, volljährige somalische Staatsangehörige muslimischen Glaubens. Sie verließ im Jahr 2015 Somalia und stellte am 23.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. BF1 stammt aus Las Anod, Somaliland. BF1 besuchte keine Schule in Somalia.

1.1.2. BF2 ist ein 1989 geborener, volljähriger somalischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Er verließ im Jahr 2016 Somalia und stellte am 10.11.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. BF2 stammt aus Las Anod, Somaliland. BF2 besuchte die Schule in Somalia und hat in verschiedenen Bereichen gearbeitet (Baustelle, Kellner).

BF1 und BF2 sind miteinander traditionell verheiratet. Die Heirat fand im Jahr 2011 in Somalia statt.

1.1.3. BF1 und BF2 haben miteinander insgesamt vier Töchter. Die beiden älteren Töchter leben bei der Mutter der BF1 in Äthiopien. Die beiden jüngeren Töchter sind am XXXX (BF3) und am XXXX (BF4) in Österreich geboren. Für die BF3 stellte die gesetzliche Vertreterin am 16.02.2016, für die BF4 am 21.12.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. BF3 und BF4 sind somalische Staatsangehörige. An den BF3 und BF4 wurde bislang keine Genitalverstümmelung (FGM) vorgenommen.

1.1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1-4 an einer physischen oder psychischen Erkrankung leiden.

1.1.5. In Las Anod leben die Geschwister der BF1, zu denen derzeit kein Kontakt besteht, sowie die Familie des BF2. BF2 hat Kontakt zu seiner Mutter.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF3 und BF4

Die BF3 und BF4 gehören in Somalia der Gruppe der unbeschnittenen Mädchen an und droht ihnen im Falle einer Rückkehr nach Somalia eine Genitalverstümmelung.

Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die BF3 und BF4 im Falle einer Rückkehr nach Somalia in einem familiären Umfeld leben würden, welches dem gesellschaftlichen Druck, eine FGM durchzuführen, Stand halten könnte.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Obwohl FGM in Somaliland verboten ist und ein rückläufiger Trend bei Kindern feststellbar ist, ist die Praxis dennoch weit verbreitet und wollen die religiösen Führer die Sunna beibehalten. 99% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren sind in Somaliland irgendeiner Form von FGM unterzogen worden (im urbanen Raum sind es 98,7 %). Während die Infibulation rückläufig ist, ist die Sunna (eine moderate Beschneidung der Klitoris) auf dem Vormarsch. Einige gebildete städtische Familien haben die FGM Tradition aufgegeben. Vgl. LIB Somaliland 2018 S 25f.

1.3.2. In Somalia liegt die Beschneidungsrate bei 98 % (99% in der Gruppe der 15-49-jährigen). FGM ist eine weit verbreitete Praxis, auch wenn die Regierungen versuchen, sie einzudämmen. Die Entscheidung dafür liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Ausmaß auch bei der Großmutter. Eine Beschneidung ohne Einwilligung der Mutter ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Ein gesellschaftlicher Druck für eine Beschneidung besteht und sind nicht beschnittene Mädchen stigmatisiert. Relevant ist aber auch der Bildungshintergrund der Eltern, sowie das räumliche Umfeld (Stadt oder Land). Vgl. LIB Somalia 2018 S 99ff.

1.4. BF1 und BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten und haben keine Asylausschlussgründe verwirklicht. BF3 und BF4 sind unmündige Minderjährige und damit nicht strafmündig.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, durch das BFA und durch das Bundesverwaltungsgericht, die Geburtsurkunden der BF3 und BF4, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia bzw. Somaliland vom 12.01.2018 und die Strafregisterauszüge vom 08.05.2018.

2.2. Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführer

Die Identität der BF1 und BF2 konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt. Die Identität der in Österreich geborenen BF3 und BF4 steht aufgrund der Geburtsurkunden fest.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die BF1 und BF2 - was die Feststellungen zu ihrer Person betrifft - für persönlich glaubwürdig, weil sie in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich im Kern gleichbleibende und gleichlautende Angaben machten.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen

Die Feststellung, dass die BF3 und BF4 nicht beschnitten sind, ergibt sich aus der Tatsache, dass diese bisher noch nicht in Somalia waren, sowie der glaubwürdigen Aussage der BF1. Im Übrigen wurde von keiner der Verfahrensparteien Gegenteiliges behauptet.

Zum familiären Umfeld der BF3 und BF4 in Somalia im Falle einer Rückkehr ist auszuführen, dass - wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde - die Mutter der BF3 und BF4 (BF1) über keine Bildung verfügt; auch sprechen sich die Großmütter, wobei eine in Somalia lebt und zu dieser auch aktuell ein Kontakt besteht, für eine Beschneidung aus. Ein gehobener Bildungsgrad der Großmütter konnte ebenfalls nicht festgestellt werden. Auch wenn sich die Eltern der BF3 und BF4 (BF1 und BF2) gegen eine Beschneidung aussprechen, ist der gesellschaftliche Druck für eine Beschneidung in Somalia sehr hoch. Die in Österreich bestehende Standhaftigkeit der Mutter ist bei einer Rückkehr nach Somalia aufgrund des familiären Umfeldes im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen. Im Falle einer Rückkehr ist eine drohende Beschneidung daher in diesem konkreten Fall die BF3 und BF4 betreffend anzunehmen.

Abgesehen von der individuell glaubwürdig vorgebrachten Verfolgungsgefahr ist eine drohende Verfolgung auch vor dem Hintergrund der festgestellten Situation im Herkunftsstaat objektiv wahrscheinlich. So ist die Beschneidungsrate in ganz Somalia extrem hoch und ist selbst eine Beschneidung ohne Einwilligung der Mutter nicht ausgeschlossen.

2.2.3. Zur Situation in Somalia

Die Feststellungen ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia bzw. Somaliland vom 12.01.2018 wiedergegebenen und zitierten Berichten. Die aktuellen Länderberichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von staatlichen und nichtstaatlichen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit dieser Berichte zu zweifeln.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Auch wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung das aktuelle LIB 2018 eingeführt. Den Länderberichten wurde betreffend den hier entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A)

3.1.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

Aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, dass Genitalverstümmelung eine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK darstellen kann (VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0545; 20.06.2017, Ra 2017/01/0039; 27.06.2016, Ra 2016/18/0045 mwN). Aus dieser Judikatur ergibt sich allerdings auch, dass fallbezogen zu prüfen ist und die Umstände des Einzelfalls zu beachten sind.

3.1.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die BF1 und BF2 glaubhaft darlegen konnten, dass den BF3 und BF4 im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch nicht staatliche Akteure drohen würde. Glaubhaft ist die drohende Verfolgung aufgrund der im Rahmen der Beweiswürdigung näher begründeten persönlichen Glaubwürdigkeit der BF1 und BF2 betreffend die drohende Genitalverstümmelung ihrer Töchter sowie der vor dem Hintergrund der Länderberichte gegebenen objektiven Plausibilität einer Verfolgung.

Bei der drohenden Genitalverstümmelung handelt es sich um einen Eingriff von erheblicher Intensität (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083) und ist es irrelevant, ob es sich bei der Genitalverstümmelung um eine Infibulation oder um eine "Sunna" handeln würde, weil beide Formen massive und nachhaltige Eingriffe in die körperliche und folglich psychische Integrität sowie sexuelle Selbstbestimmung der Mädchen darstellen. Das familiäre Umfeld der BF3 und BF4 ist auch derart gestaltet, dass in dem konkreten Einzelfall das Risiko einer Genitalverstümmelung nicht mit der nötigen Sicherheit auszuschließen ist und diese im Gegenteil - vor dem Hintergrund der Länderberichte - sogar maßgeblich wahrscheinlich ist.

Ursache der Verfolgung ist der Umstand, dass BF3 und BF4 junge, noch unbeschnittene Mädchen sind und sie somit einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zugehören.

Bei den Verfolgern handelt es sich um nicht-staatliche Akteure, doch ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine mangelnde Schutzfähigkeit des Staates zu berücksichtigen (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Im gegenständlichen Fall ist aus der Berichtslage ersichtlich, dass weibliche Genitalverstümmelung in Somalia eine derart hohe gesellschaftliche Akzeptanz hat und in der Praxis - trotz bestehender Verbote - in hohem Ausmaß durchgeführt wird, sodass kein Schutz durch den Staat erwartet werden kann.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG 2005 besteht aufgrund der in ganz Somalia in einem hohen Ausmaß geübten Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung nicht.

Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe iSd § 6 Abs. 1 AsylG 2005 hervorkamen und die BF3 und BF4 strafunmündig sind, war ihnen gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 auszusprechen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.3. Zur Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die BF1 und BF2

Aus § 34 Abs. 2 iVm Abs. 5 AsylG 2005 folgt, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Im vorliegenden Fall sind die BF1 und BF2 als Eltern der minderjährigen BF3 und BF4 Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da sie nicht straffällig wurden, war ihnen im Rahmen des Familienverfahrens gem. § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 ebenfalls gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 auszusprechen, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2172334.1.00

Zuletzt aktualisiert am

24.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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