Entscheidungsdatum
09.05.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W166 2181714-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Oberösterreich, vom 14.12.2017, betreffend die Abweisung des Antrages vom 06.09.2017 auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Gewährung von Heilfürsorge, beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 06.09.2017 einen Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld sowie Gewährung von Heilfürsorge (Psychotherapeutische Krankenbehandlung, Übernahme von Selbstbehalten für Krankenhausaufenthalte und Rezeptgebühren) nach dem Verbrechensopfergesetz. Antragsbegründend wurde angegeben, dass er am 16.10.2014 Opfer eines sexuellen Missbrauches mit Betäubung durch einen damals noch unbekannten Täter während seines Auslandaufenthaltes geworden sei. Er habe vor Ort keine Hilfe organisieren können und seinen Auslandsaufenthalt zu seiner eigenen Sicherheit beendet.
In seinem Antrag gab er an, sich in den Zeiträumen vom 8.4.2015 bis 10.4.2015, vom 29.4.2015 bis 5.6.2015, vom 8.6.2015 bis 24.7.2015 und vom 1.8.2017 bis 31.8.2017 im LKH XXXX befunden zu haben. Am 30.12.2016 und am 5.1.2017 hatte er jeweils einen Ambulanzbesuch im genannten Krankenhaus. Seit 21.7.2015 befinde er sich bei XXXX bzw. bei XXXX in Psychotherapie.
Dem Antrag beigeschlossen waren zwei Kurzberichte des LKH XXXX vom 5.1.2016 und vom 30.12.2016, in welchen jeweils als Diagnose "akute schizophreniforme psychotische Störung" angegeben ist, ein Arztbrief vom 28.10.2015 von XXXX, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, der als Diagnose "depressive Episode" anführte und mehrere Arztbriefe des LKH XXXX, Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin betreffend seine stationären Aufenthalte. Des Weiteren legte der Beschwerdeführer Honorarnoten über die in Anspruch genommene Psychotherapie und eine Rechnung über den Kauf von Medikamenten vor.
Die belangte Behörde hielt mittels Aktenvermerk fest, dass der Beschwerdeführer über telefonisches Befragen angibt, dass er den Täter anlässlich einer Kulturveranstaltung kennen gelernt habe und mit diesem gemeinsam die Veranstaltung verlassen hätte. Zu Hause beim Täter sei es dann passiert. Da der Beschwerdeführer vor Ort keine Anzeige erstattet habe, sei ihm seitens der belangten Behörde der Ausschlussgrund des § 8 Abs. 1 Z 4 VOG zur Kenntnis gebracht worden. Der Beschwerdeführer gab an, dass er erstmals erst im Sommer 2017 über das Geschehen sprechen habe können.
Mit dem Sozialministeriumservice (belangte Behörde) wurde sodann vereinbart, dass auf eine Nachholung der Anzeigenerstattung in Österreich aufgrund der Aussichtslosigkeit der Gewinnung von neuen Erkenntnissen verzichtet werden könne.
Am 14.12.2017 legte der Beschwerdeführer eine gutachterliche Stellungnahme einer allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Psychotherapie vom 12.12.2017 vor, in der ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer Opfer eines sexuellen Missbrauches während seines Zivildienstes inXXXX geworden sei. Seine derzeitigen psychischen Beschwerden würden sich als Traumafolgestörung einstufen lassen. Eine engmaschige psychotherapeutische Versorgung sei indiziert.
Mit zwei Bescheiden vom 14.12.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 6.9.2017 auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form von Heilfürsorge und in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld abgewiesen. Betreffend die Abweisung der Hilfeleistung in Form von Heilfürsorge wurde begründend angeführt, dass der Beschwerdeführer es, mangels Anzeigeerstattung in XXXX, schuldhaft unterlassen hätte zur Aufklärung der Tat und zur Ausforschung des Täters beizutragen, wobei der Begriff "schuldhaft" auch ein fahrlässiges Verhalten umfasse. Da der Beschwerdeführer erst zwei Jahre nach der am 16.10.2014 zugeführten Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung einen Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gestellt hätte, sei sein diesbezüglicher Antrag ebenfalls abzuweisen gewesen.
Am 29.12.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin aus, dass es ihm aufgrund seiner Traumafolgestörung und einer komplexen schizophrenieformen Psychose zum Tatzeitpunkt im Oktober 2014 in XXXX bis zum Sommer 2017 nicht möglich gewesen sei, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Erst durch den Krankenhausaufenthalt im LKH XXXX im Sommer 2017 habe er mit Hilfe seiner Therapeutin die Traumafolgestörung aufarbeiten können. Er wolle nochmals zu bedenken geben, dass die Tat in XXXX stattgefunden habe, er dort auf sich allein gestellt gewesen sei und er bis zur Aufarbeitung im Sommer 2017 nicht genau gewusst hätte, was dort mit ihm passiert sei.
Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 04.01.2018 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG), BGBl. Nr. 288/1972 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit gegenständlich Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2.
Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013)
§ 28 VwGVG Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für
eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze klargestellt:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes, BGBl. 288/1972 idF BGBl. I. 152/2015, lauten:
"Kreis der Anspruchsberechtigten
§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie
1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder
2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder
3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,
und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.
[...]
Hilfeleistungen
§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:
1. Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges;
2. Heilfürsorge
2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;
3. Orthopädische Versorgung
a) Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,
b) Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,
c) Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,
d) Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,
e) notwendige Reise- und Transportkosten;
4. medizinische Rehabilitation
[...]
Ausschlussbestimmungen
§ 8 (1) Von den Hilfeleistungen sind Opfer ausgeschlossen, wenn sie
1. an der Tat beteiligt gewesen sind,
2. ohne einen von der Rechtsordnung anerkannten Grund den Täter zu dem, verbrecherischen Angriff vorsätzlich veranlasst oder sich ohne anerkennenswerten Grund grob fahrlässig der Gefahr ausgesetzt haben, Opfer eines Verbrechens zu werden,
3. an einem Raufhandeln teilgenommen und dabei die Körperverletzung oder die Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) erlitten haben oder
4. es schuldhaft unterlassen haben, zur Aufklärung der Tat, zur Ausforschung des Täters oder zur Feststellung des Schadens beizutragen.
[...]"
Grundsätzliche Voraussetzung für die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz ist, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Antragsteller durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten hat und muss das schädigende Ereignis in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) mit der Gesundheitsschädigung stehen.
Das VOG 1972 knüpft den Anspruch des Geschädigten an das Vorliegen einer zumindest bedingten vorsätzlichen Handlung iSd § 1 Abs. 1 VOG 1972. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG 1972 ist erst gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (Hinweis E vom 6. März 2014, 2013/11/0219, mwN).
In § 8 VOG sind jene Tatbestände formuliert, die zu einem Ausschluss von dem Hilfeleistungsanspruch des Verbrechensopfergesetzes führen und stützte sich die belangte Behörde im gegenständlichen Fall betreffend die Abweisung des Antrages auf Heilfürsorge auf das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 8 Abs. 1 Z 4 VOG. Der Antragsteller habe es schuldhaft unterlassen zur Aufklärung der Tat und zur Ausforschung des Täters beizutragen, indem er den Vorfall bei der örtlichen Polizei vor seiner Abreise in XXXX nicht zur Anzeige gebracht habe.
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als gravierend mangelhaft:
Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung lediglich auf die unterlassene Anzeige und wertete dies als mangelnde Bereitschaft des Beschwerdeführers, an der Aufklärung der Tat mitzuwirken.
Die belangte Behörde verkennt dabei, dass der Beschwerdeführer im Zuge des Ermittlungsverfahrens vorbrachte, erstmals im Sommer 2017 in der Lage gewesen zu sein über das Geschehene zu sprechen. Des Weiteren wurde über die Möglichkeit einer nachträglichen Anzeigenerstattung in Österreich sowohl mit der belangten Behörde, als auch mit der Staatsanwaltschaft XXXX gesprochen, und hielt die belangte Behörde in ihrem Aktenvermerk vom 11.10.2017 fest, mit dem Beschwerdeführer vereinbart zu haben, dass auf eine Nachholung der Anzeige, mangels Wahrscheinlichkeit der Gewinnung von neuen Erkenntnissen, verzichtet werden könne. Die Staatsanwaltschaft habe diesbezüglich geäußert, dass eine Anzeige zwar jedenfalls aufgenommen werden würde, jedoch außer Kosten für diverse Übersetzungen nichts raus kommen werde, da das Ereignis sehr lange zurück liege, sich im Ausland ereignet habe, eine Betäubung stattgefunden hätte und es keine Zeugen gäbe.
Im Zuge der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer zudem vor, aufgrund einer Traumafolgestörung und einer komplexen schizophrenieformen Psychose zum Zeitpunkt nach der Tat im Oktober 2014 zur Anzeigenerstattung inXXXX bis zum Sommer 2017 nicht in der Lage gewesen zu sein. Dies betreffend wurden vom Beschwerdeführer auch mehrere medizinische Beweismittel des LKH XXXX, Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vorgelegt.
Vom Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 8 Abs. 1 Z 4 "schuldhaftes Unterlassen" der Mitwirkung zur Aufklärung der Tat kann unter dem Gesichtspunkt des (ungeprüften) Vorbringens des Beschwerdeführers, dass er zu einer Anzeigenerstattung aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung nach der Tat nicht in der Lage gewesen wäre bzw. erstmals im Sommer 2017 über den Vorfall sprechen hätte können, aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Die belangte Behörde hätte diesem Vorbringen nachgehen müssen und entsprechende Ermittlungsschritte setzen müssen. Hinzu kommt, dass sie das letztliche Absehen einer Anzeigenerstattung durch den Beschwerdeführer in Österreich, welches auf den Auskünften der Staatsanwaltschaft und dem Gespräch mit der belangten Behörde vom 11.10.2017 basiert, zu Lasten des Beschwerdeführers auslegte und dabei unberücksichtigt ließ, dass er grundsätzlich zu einer Anzeigenerstattung bereit gewesen wäre.
Voraussetzung für eine Hilfeleistung nach dem VOG 1972 ist u.a., dass erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (Hinweis E vom 26. April 2013, 2012/11/0001). Eine Anklageerhebung hat nach § 210 StPO 1975 zu erfolgen, wenn aufgrund ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt und kein Grund für die Einstellung des Verfahrens oder den Rücktritt von der Verfolgung vorliegt. Aus einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 190 Z. 2 StPO 1975 folgt ebenso wenig zwingend wie aus dem Unterbleiben einer Anklage, dass die von § 1 VOG 1972 geforderte Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung nicht gegeben ist. Die Behörde hat vielmehr, so nicht eine bindende strafgerichtliche Verurteilung vorliegt, eine eigenständige, auf Feststellungen gegründete und schlüssige Beurteilung vorzunehmen (VwGH vom 21.08.2014, 2013/11/0251).
Das Bundesverwaltungsgericht vertritt die Rechtsansicht, dass geringe Erfolgsaussichten einer Anzeige des Täters wegen der vom Beschwerdeführer behaupteten strafbaren Handlung, nicht alleinige Beurteilungsgrundlage für die Überprüfung vom Vorliegen von Hilfeleistungsansprüchen nach dem Verbrechensopfergesetzt sein dürfen.
Anhaltspunkte wieso die belangte Behörde davon ausgegangen ist, den Beschwerdeführer selbst als auch sein näheres Umfeld (bspw. seine Eltern, die ihn im Frühjahr 2015 von XXXX mit nach Hause genommen hätten, da sie bemerkt hätten, dass er Hilfe brauche) nicht zur vorgebrachten strafbaren Handlung bzw. zu seinem psychischen Zustand danach befragen zu müssen, liegen nach der Aktenlage nicht vor. Durch Einvernahme des Beschwerdeführers allein hätte sich die belangte Behörde einen persönlichen Eindruck von dessen Glaubwürdigkeit verschaffen können. Indessen wurden lediglich Telefonate geführt. Des Weiteren hätte die belangte Behörde auch die vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Beweismittel zu überprüfen gehabt, und ob diese im Zusammenhang mit seinem Vorbringen, er sei bis zum Sommer 2017 nicht in der Lage gewesen über den Vorfall zu sprechen, geschweige denn eine Anzeige zu erstatten, stehen können bzw. eine nicht erfolgte Anzeigenerstattung vor Ort rechtfertigen können.
Damit hat die belangte Behörde nicht alle verfügbaren Beweismittel genutzt, um entsprechende Feststellungen treffen zu können und somit notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen und erweist sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung der Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz aufgrund der nicht durchgeführten Ermittlungen im verwaltungsbehördlichen Verfahren als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkrete Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind. Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt, indem sie vom Vorliegen des Ausschlussgrundes des § 8 Abs. 1 Z 4 VOG ausging.
Die Annahme des Ausschlussgrundes des § 8 Abs. 1 Z 4 VOG ist in Anbetracht des Vorbringens des Beschwerdeführers, zu einer Anzeigenerstattung bis Sommer 2017 nicht in der Lage gewesen zu sein, ohne dessen näherer Prüfung jedenfalls nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes rechtswidrig. Im Übrigen wird auf die bereits getätigten Ausführungen auf die Bereitschaft einer Anzeigenerstattung in Österreich hingewiesen. Wenn sich die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.11.2017, Zl. W264 2169229-1 stützt, ist dazu auszuführen, dass es die Beschwerdeführerin in diesem Fall gänzlich unterlassen hat jemals eine Anzeige zu erstatten. Ein Vorbringen, zu einer Anzeige aufgrund der durch die strafbare Handlung hervorgerufenen Traumafolgestörung nicht in der Lage gewesen zu sein oder ein auch nur annähernd dem des Beschwerdeführers gleich kommenden Vorbringen, wurde von ihr nicht erstattet.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde somit alle zweckmäßigen Ermittlungen zum Sachverhalt tätigen müssen, dies insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob der Beschwerdeführer inXXXX zu einer Anzeigenerstattung - aus welchen Beweggründen auch immer - tatsächlich nicht in der Lage war, nunmehr jedoch nach wie vor bereit ist zur Aufklärung der Tat und Ausforschung des Täters beizutragen. In weiterer Folge wird sie die Frage des wahrscheinlichen Vorliegens einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung zu klären haben.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Sollte in der Folge feststehen, dass wahrscheinlich eine solche strafbare Handlung konkret vorliegt, wobei eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG erst dann gegeben ist, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (vgl. VwGH vom 21.11.2013, Zl. 2011/11/0205 mit Verweis auf VwGH vom 26.04.2013, Zl. 2012/11/0001), hat die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, das Aufschluss darüber gibt, welche Gesundheitsschädigung/en beim Beschwerdeführer konkret vorliegen und ob diese auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen ist/sind (Kausalzusammenhang). Dabei ist bei der rechtlichen Würdigung des Ergebnisses des medizinischen Sachverständigenbeweises auf die Theorie der wesentlichen Bedingung Bedacht zu nehmen, wonach es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn die festgestellte Gesundheitsschädigung auf mehrere Ursachen, darunter auch ein vom Gesetz erfasstes schädigendes Ereignis zurückgehen könnte - erforderlich ist, dass das in Betracht kommende schädigende Ereignis eine wesentliche Ursache der Schädigung ist (VwGH 06.01.2012, Zl. 2011/09/0113).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht liegt im Lichte obiger rechtlicher Ausführungen und unter Berücksichtigung der bereits genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - auch nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W166.2181714.1.00Zuletzt aktualisiert am
23.05.2018