TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/15 W187 2161507-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2018
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Entscheidungsdatum

15.05.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2161507-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er vor einigen Monaten in seiner Eigenschaft als Taxifahrer ein Fahrgast transportiert habe und nach seiner Rückkehr eine Gruppe Afghanen bei ihm gewesen seien. Diese haben wissen wollen, wo dieser Fahrgast wohne. Er habe es ihnen gesagt und im Zuge des Gesprächs erfahren, dass der Fahrgast ein Mädchen vergewaltigt habe. Die Gruppe von Afghanen sei der Meinung gewesen, dass sich der Beschwerdeführer an der Vergewaltigung beteiligt habe. Er sei daraufhin mit dem Umbringen bedroht worden und deshalb geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor diesen Leute, er glaube sie seien Angehörige der Taliban.

2. Aufgrund der Asylantragstellung des Beschwerdeführers in Ungarn am 9.4.2016 wurde ein Konsultationsverfahren mit Ungarn eingeleitet.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG aufgrund der Zuständigkeit Ungarns als unzulässig zurückgewiesen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

5. Mangels fristgerechter Überstellung wurde ihrer Beschwerde mit Erkenntnis des BVwG vom 25.11.2016, W242 2136428-1/4E, stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und das Verfahren bezüglich des Antrages auf internationalen Schutz zugelassen.

6. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem zu sein. Er stamme ursprünglich aus Kabul und habe dort zwölf Jahre lang die Schule besucht. Berufsausbildung habe er keine gemacht, er habe ausschließlich als Fahrer gearbeitet. Der Beschwerdeführer sei verwitwet und habe keine Kinder. Sein Vater sei bereits verstorben, seine Mutter lebe nach wie vor in Kabul, seine Schwester lebe mit ihrer Familie in XXXX. Weitere Familienmitglieder würden nach wie vor in Kabul leben. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er circa zweieinhalb Jahre vor dem Zeitpunkt der Befragung in seiner Funktion als Taxifahrer auf einem Taxistandplatz gewartet habe. Ein Mann und eine Frau seien in das Taxi eingestiegen, er habe sie zu gewünschten Adresse gebracht. Am darauffolgenden Tag sei er von zwei Männern angesprochen worden, wohin er diese beiden Personen gebracht hätte. Er sei mit den beiden Männern zu der entsprechenden Adresse gefahren und habe sie ihnen gezeigt. Am nächsten Tag seien zwei Polizisten zu ihm gekommen, die ihn abermals nach den beiden Fahrgästen befragt und ihn mitgenommen hätten. Er sei für zwei Tage eingesperrt worden. Ein Polizist habe ihm gesagt, dass ein Mädchen entführt worden sei. Aufgrund von Gesprächen seiner Mutter mit der Polizei sei er wieder freigelassen worden. Es seien die Daten des Beschwerdeführers sowie die seiner Mutter aufgenommen worden, seine Mutter habe den Beschwerdeführer aus Angst ein Monat lang nicht außer Haus gehen lassen. Nach einiger Zeit sei ein Brief in ihr Haus geworfen worden, in dem folgendes gestanden sei: "Wir werden ihren Sohn töten, weil er Geld dafür bekommen hat, unserer Tochter mit einem fremden Mann die Flucht zu ermöglichen". Seine Mutter habe diesen Brief zur Polizei gebracht. Die Polizei habe geäußert, die Ermittlungen weiterzuführen. In weiterer Folge habe seine Mutter mit dem Mann seiner Schwester gesprochen, damit dieser die Flucht organisiere.

7. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

8. Mit Eingabe vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seinen Rechtsberater, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

9. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich wurde in Kabul geboren. Ich wurde XXXX geboren. Ich bin mittlerweile XXXX Jahre alt.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari in Wort und Schrift. Ich spreche Paschtu, Urdu und Eng-lisch und auch ein wenig Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Tadschike, ich bin sunnitischer Moslem. Ich bin verwitwet. Meine Ehefrau ist vor vier Jahren verstorben.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein, ich habe keine Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich wurde in Kabul im Stadtteil XXXX geboren. Ich bin auch dort aufgewachsen und habe dort auch die Schule besucht. Ich habe die Oberstufe des XXXX im StadtteilXXXX besucht. Ich habe die Schule abgeschlossen. Nachdem mein Vater und meine Ehefrau verstorben sind, bin ich gemeinsam mit meiner Mutter zu meiner Schwester in die Region XXXX gezogen. Drei Jahre habe ich gemeinsam mit meiner Schwester gelebt. Dann ist der Vorfall passiert. Ich bin dann ausgereist.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas anderes?

Beschwerdeführer: Ich war Taxifahrer.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Verwandtschaft lebt in Kabul.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Den letzten Kontakt hatte ich vor sieben oder acht Monaten zu meiner Mutter.

Richter: Haben Sie in Afghanistan noch andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontakt-personen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Nein, meine Mutter, mein Onkel mütterlicherseits haben in Kabul gelebt, aber ich habe seit einigen Monaten keinen Kontakt zu meiner Mutter.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Am XXXX habe ich meine A2-Prüfung. Außerdem unterstütze ich meinen Lehrer, Herrn XXXX bei jeglichen Arbeiten und helfe auch bei der Caritas mit.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich habe viele Bekannte bei der Diakonie und verstehe mich auch mit meinem Lehrer sehr gut, aber ich habe keine engen österreichischen Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Ja, ich hatte ein Verfahren bei der Polizei. Es ist aber jetzt abgeschlossen.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich war neun Jahre Taxifahrer. Da ich als langjähriger Taxifahret im Stadtteil XXXX tätig war, haben mich meine Kunden gekannt und hatten Vertrauen zu mir. Vor etwa dreieinhalb Jahren war ich im Stadtteil XXXX. Ich stand vor dem Wohnblock Nummer XXXX. Ich stand auf dem Taxistandplatz. Ein Mann und eine Frau sind zu mir gekommen. Sie sprachen Paschtu und wollten, dass ich sie in die Region XXXX fahre. Ich habe die Fahrgäste dorthin gefahren, habe auch das Geld für die Fahrt bekommen und bin dann zurück nach Hause gefahren. Am nächsten Tag bin ich wieder zu meinem Taxistandplatz vor dem Wohnblock XXXX gestanden. An diesem Tag wurde ich von mehreren Taxifahrern, die mit mir auch befreundet waren, gefragt, wo ich die zwei Personen gestern hingeführt hätte. Ich sagte, dass ich sie in die Region XXXX gefahren habe. Ich stand bei meinen Freunden, als zwei Personen, die jeweils einen Umhang anhatten, zu mir gekommen sind. Sie fragten mich, wo ich die zwei Personen gestern hingefahren habe. Diese Personen sind in mein Taxi eingestiegen und wollten, dass ich sie auch zu dieser Adresse fahre. Ich habe es getan. Ich habe diese Personen dorthin geführt. Diese Personen haben sich das Haus angeschaut, wo ich die zwei Personen von gestern hingeführt hatte und sind mit mir nach XXXX zurückgefahren. Ich bin dann anschließend nach Hause gegangen. Am nächsten Tag ging ich wieder arbeiten. Am nächsten Tag kamen wieder diese zwei Personen in Begleitung der Polizei. Sie nahmen mich mit. Ich musste gemeinsam mit ihnen zu der zweiten Polizeizone gehen. Ich wurde vom Leiter der Polizeizone einvernommen. Ich wurde gefragt, wohin ich diese zwei Fahrgäste hingeführt hätte. Ich erzählte dem Leiter der Polizeizone, dass ich ein einfacher Taxifahrer bin und die Fahrgäste, wie sie es gewünscht haben, auch in diese Region gefahren habe. Zwei Tage musste ich in der Polizeizone bleiben. Ich wurde einvernommen. Schließlich, nachdem meine Mutter nach mir gesucht hatte, hatte sie mich bei der Polizei gefunden. Da meine Mutter für mich gebürgt hat und auch der Polizeileiter sich über mich erkundigt hatte, vor allem hat er sich über mich in der Region XXXX informiert. Ihm wurde bestätigt, dass ich kein schlechter Mann bin, anständig und vertrauenswürdig bin. Daraufhin wurde ich entlassen. Meine Mutter hat mich ersucht, nicht mehr als Taxifahrer tätig zu sein. Einen Monat war ich zuhause. Ich habe das Haus nicht verlassen. Eines Tages in der Früh hat mein Schwager das Haus verlassen. Er wollte zum Bäcker gehen, um für seine Kinder frisches Brot zu holen. Dabei hat mein Schwager vor seinem Haus einen Brief vorgefunden. Mein Schwager informierte meine Mutter. Sie sind gemeinsam in die siebente Polizeizone gegangen und haben die Polizei verständigt. Mir haben sie davon nichts erzählt. Sie wollten mich nicht beunruhigen. Die Polizei hat ihre Ermittlungen gestartet. Der Leiter der siebenten Polizeizone hat sich mit dem Leiter der zweiten Polizeizone in Verbindung gesetzt und sie haben sich ausgetauscht. Der Leiter der siebenten Polizeizone ist mit meinem Schwager befreundet, da sie benachbart sind. Der Leiter der siebenten Polizeizone hat meinen Schwager gut gekannt. Er hat auch immer auf die Familie meines Schwagers geschaut, wenn mein Schwager geschäftlich unterwegs war. Nachdem der Leiter der zweiten Polizeizone gefragt wurde, warum ich zwei Tage in Haft war, wurde dem Leiter der siebenten Polizeizone gesagt, dass die Familie des Fahrgastes mich brieflich bedroht hat. Denn das stand auch tatsächlich in diesem Brief, welcher vor dem Haus meines Schwagers vorgefunden wurde. Im Brief wurde ich bedroht, warum ich die Polizei an seine Wohnadresse geschickt habe bzw dorthin gefahren habe. Ich hätte dies bestimmt getan, weil die Familie der Frau mich dafür bezahlt hat. Ich hätte die Adresse des Fahrgastes gegen Geld preisgegeben. Ich war gezwungen, das Land zu verlassen, denn diese Leute haben nicht locker gegeben. Sie haben mir vorgeworfen, warum ich der Polizei die Adresse bekannt gegeben habe. Ich habe auch keine weiteren Angehörigen. Meine Mutter war besorgt um mich, da ich ihr einziger Sohn bin. So haben meine Mutter, mein Schwager und ich den Entschluss gefasst, dass ich das Land verlasse. Mein Schwager hat meine gesamte Reise organisiert und mich weggeschickt. Ich hatte Angst, getötet zu werden. Meine Mutter hatte Angst um mich, sie wollte mich nicht verlieren. Ich bin ihr einziger Sohn.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ich wurde brieflich bedroht. Meine Mutter war sehr besorgt um mich. Sie wollte mich nicht verlieren.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Ich wurde mit dem Tode bedroht. Ich wurde bedroht. Die Afghanen setzen ihr Leben, ihre Ehre aufs Spiel.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin über Iran, Türkei, Bulgarien nach Serbien gekommen und von Serbien über Ungarn nach Österreich.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Mein Leben ist dort in Gefahr. Ich möchte hier leben und mir hier ein Leben aufbauen. Die Lage in Afghanistan ist Ihnen bekannt und ich möchte hier leben.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich bin mit dem Tod konfrontiert. Ich wurde dort bedroht. Man kann dort nur psychische Probleme bekommen und das wird darin resultieren, dass man verrückt wird. Wenn ich mich nur an Afghanistan erinnere, beginnt mein Körper zu zittern. Ich habe auch psychische Beschwerden neben den Problemen mit meinem Magen. Oft ertappe ich mich, dass ich Selbstgespräche führe.

Der Rechtsvertreter legt ein Empfehlungsschreiben des Vereins XXXXvom 12.2.2018 vor, das in Kopie zum Akt genommen wird.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

[...]"

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist afghanischer Staatsangehöriger, geboren am XXXX und somit volljährig. Er stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Dari und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Er ist verwitwet und hat keine Kinder. Er stammt aus Kabul, wo er ein Gymnasium abgeschlossen und viele Jahre als Taxifahrer gearbeitet hat. Er hat dort bis zu seiner Ausreise gewohnt. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2016 reiste der Beschwerdeführer nach Europa.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan Jahr 2016 verlassen und reiste nach Europa.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Tadschike noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als sunnitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinen Beruf als Fahrer nicht mehr ausüben kann.

Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit XXXX in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer besucht in Österreich einen Deutschkurs, Beschäftigung geht er keiner nach.

In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 25.9.2017):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

1.4.3 Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie zB ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahrenaus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

1.4.4 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie zB Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie zB in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10 % der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2 % der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2 % gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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