TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/7 W161 2192142-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2018
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Entscheidungsdatum

07.05.2018

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2192140-1/3E

W161 2192145-1/3E

W161 2192142-1/3E

W161 2192147-1/3E

W161 2192146-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1.) XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2018, Zl. 1167230506-171041802,

2.) XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2018, Zl. 1167230604-171041861,

3.) XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2018, Zl. 1167230800-171041837,

4.) mj. XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2018, Zl. 1167230909-171041829,

5.) mj. XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2018, Zl. 1164232707-171041870,

4.) und 5.) gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA von Armenien, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 i.d.g.F. und § 61 FPG i. g.F. als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, eine Mutter und ihre vier Kinder, alle armenische Staatsangehörige, stellten am 07.09.2017 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz.

Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

2.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung vom 08.09.2017 an, sie habe ihren Herkunftsstaat am 02.09.2017 mit dem Flugzeug verlassen und sei von XXXX nach Venedig geflogen. In Italien sei sie nur durchgereist, über dieses Land könne sie keine Angaben machen. Sie möchte in Österreich bleiben. Italien sei für sie und ihre Kinder kein sicheres Land. Sie habe ein italienisches Touristenvisum, gültig vom 27.08.2017 bis 18.09.2017. Sie habe das italienische Visum selbst beantragt. Als Fluchtgrund gab sie an, am 17.07.2016 habe es in XXXX eine Besetzung einer Polizeidienststelle und anschließend auch Aufstände gegeben. Ihr Ehemann habe die oppositionelle Gruppe unterstützt. Im August 2016 sei ihr Mann untergetaucht. Seither höre sie nichts mehr von ihm. Anschließend seien ihre Kinder und sie von der Polizei verfolgt, belästigt und schikaniert worden. Sie seien von Italien nach Österreich weitergereist, weil die armenischen Behörden sehr wohl wissen würden, dass sie von XXXX nach Italien geflogen seien und sie dort suchen würden.

2.2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.01.2018 gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe sich einer Rechtsberatung unterzogen. Sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage die Befragung zu absolvieren. Befragt nach Erkrankungen gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe Probleme mit ihrer Psyche und ihrer Wirbelsäule. Sie habe seit dem 22.08.2016 psychische Probleme, da sei ihr Mann untergetaucht. Sie habe Angstzustände und Schlafprobleme und wisse nicht, ob ihr Mann noch am Leben sei oder nicht. Zu ihren körperlichen Problemen gab sie an, sie sei hier beim Röntgen gewesen und sei festgestellt worden, dass sie durch die Nerven eine Spannung in der Wirbelsäule habe und im Falle einer nervlichen Situation ihre Wirbelsäule blockiert werde. Wenn das passiere, könne sie nicht einmal gehen. Abgesehen von der mit ihr eingereisten Familie habe sie keine Familienmitglieder in Österreich. Das Leben ihrer Kinder sei in Italien in Gefahr, sie möchte auf keinen Fall nach Italien zurückkehren. Die armenische Polizei habe ihren Mann, ihre Kinder und sie verfolgt. Weil sie legal mit einem legalen Visum ausgereist seien, wüssten die armenischen Behörden bzw. die Polizei, wo man sie suchen könne. Dort drohe ihnen die gleiche Verfolgung wie in Armenien, nur inoffiziell. Sie seien nicht einmal eine Stunde in Italien aufhältig gewesen. Die Frage nach konkreten Vorfällen wurde von der Erstbeschwerdeführerin verneint. Sie gab an, sie seien so schnell wie möglich aus Italien ausgereist. In dieser kurzen Zeit habe es keine Vorfälle gegeben. In ihrer Heimat seien sie inoffiziell verfolgt worden und in Italien würden sie genau das Gleiche erleben. Ihre Kinder seien bereits in Österreich integriert und ihr jüngster Sohn habe in Armenien Fußball gespielt. Er habe großen Stress damit gehabt, dass er im ersten Monat ihres Aufenthaltes nicht habe spielen dürfen. Jetzt dürfe er wieder spielen. Sie sei mit ihm bei einem Psychologen gewesen, habe aber leider keine Bestätigung erhalten. Sie habe ihn mit Mühe und Not aus der Situation hinausgebracht. Momentan habe er auch Probleme, weil er introvertiert sei und sehr wenig spreche.

3.1. Der Zweitbeschwerdeführer tätigte in seiner Erstbefragung am 08.09.2017 gleiche Angaben zum Reiseweg wie der Erstbeschwerdeführer. Als Fluchtgrund gab er an, sein Vater habe eine oppositionelle Gruppe bei der Besetzung einer Polizeistation im Juli 2016 unterstützt. Bei der Verhaftungswelle sei auch sein Vater verfolgt worden und aus diesem Grund untergetaucht. Seit 22.08.2016 bekämen sie keine Nachricht mehr von ihm. Die Polizei sie öfter zu ihnen nach Hause gekommen. Sein Bruder und er seien des Öfteren mitgenommen und geschlagen worden.

3.2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 17.01.2018, gab der Zweitbeschwerdeführer an, er habe sich einer Rechtsberatung unterzogen. Er fühle sich psychisch und physisch in der Lage die Befragung zu absolvieren. Er habe psychische Probleme und Kopfschmerzen. Er sei bei einer Psychologin gewesen, der Befund sei bereits vorgelegt worden. Er habe auch Probleme mit seinem Auge. Er sehe sehr schlecht. Nachdem er in Armenien von der Polizei geschlagen worden wäre, werde es immer schlimmer. Er könne nicht schlafen und habe Albträume. Wenn er die Polizei sehe, bekomme er Panik, obwohl er wisse, dass man ihm in Österreich nichts antun werde. Er habe Angst nach Italien geschickt zu werden und dasselbe Schicksal wie in Armenien zu erfahren. Wenn man bei ihnen an der Tür anklopfe, bekomme er Angstzustände. Die armenische Polizei, welche sie inoffiziell verfolge, könne sehr wohl durch den Flughafen herausfinden, dass sie nach Italien geflohen seien. Dadurch würden sie weitere Probleme in Italien bekommen, wovor sie panische Angst hätten. Es gäbe nichts Konkretes gegen Italien und auch keinen Vorfall, weil sie sich nicht einmal eine Stunde in Italien aufgehalten hätten. Sie seien so schnell wie möglich aus Italien ausgereist. Italien sei bestimmt ein sicheres Land, daran zweifle er nicht, ihnen könne jedoch niemand die Sicherheit geben, nicht einmal der italienische Staatspräsident könnte das.

4.1. Der Drittbeschwerdeführer nannte bei seiner Erstbefragung am 08.09.2017 den gleichen Reiseweg wie seine Mutter und der Zweitbeschwerdeführer. Zum Fluchtgrund machte er gleiche Angaben wie der Zweitbeschwerdeführer.

4.2. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 17.01.2018 gab der Drittbeschwerdeführer an, er habe sich einer Rechtsberatung unterzogen und fühle sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren. Er habe Schlafprobleme. Er sei bei einer Psychologin gewesen, den Befund habe seine Mutter bereits vorgelegt. Er habe Angstzustände und bekomme große Angst, wenn er einen Polizisten sehe. Er würde sich in Italien nicht sicher fühlen, weil die armenische Polizei sehr wohl wisse, dass er in Italien sei. Es habe keine Vorfälle in Italien gegeben, weil er sich dort nicht aufgehalten habe. Er habe keine Angst vor den italienischen, wohl aber vor den armenischen Behörden. Er glaube nicht daran, dass ihn Italien soweit beschützen könne, dass ihm die armenische Polizei keinen Schaden zufügen werde. Italien sei nicht sicher für ihn, obwohl es Gesetze gebe. Die armenische Polizei sei derart gefährlich. Er wäre bereit in jeden Mitgliedstaat der EU zu reisen, aber nur nicht nach Italien. Die armenischen Behörden würden glauben, dass sie sich dort aufhalten.

5.1. Die Viertbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung am 08.09.2017 an, sie sei seit ihrer Geburt mit ihrer Mutter zusammen und sei diese ihre gesetzliche Vertreterin. Die Fluchtgründe ihrer Mutter würden auch für sie gelten. Zur Reiseroute machte sie gleiche Angaben wie ihre Mutter und ihre Geschwister. Zum Fluchtgrund gab sie an, ihr Vater sei seit August 2016 verschollen. Seitdem würden sie keine Nachricht mehr von ihm bekommen. Den Grund kenne sie nicht. Einige Male sei die Polizei bei ihnen gewesen und hätte wissen wollen, wo sich ihr Vater aufhalte. Den Grund, warum sie geflüchtet seien, könne sie nicht sagen, sie wisse, dass ihre Mutter von der Polizei belästigt worden wäre. Erst später habe sie erfahren, dass ihre beiden älteren Brüder von der Polizei öfters mitgenommen worden wären.

5.2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 17.01.2018 gab die Viertbeschwerdeführerin an, sie habe sich einer Rechtsberatung unterzogen. Sie sei gesund. Als ihr Vater verschollen sei, habe die armenische Polizei angefangen, ihre Brüder zu verfolgen. Sie seien dann legal aus Armenien ausgereist und mit einem offiziell beantragten Visum nach Italien gereist. Das bedeute, dass die armenische Polizei sehr einfach feststellen könne, wo in Europa sie sich aufhielten. Sie sei sich nicht sicher, ob die armenische Polizei sie in Italien nicht doch finden könne. Italien sei zwar sicher, aber bei den Methoden der armenischen Behörden werden die italienischen Behörden nichts ausrichten können.

6.1. Der Fünftbeschwerdeführer gab bei der Erstbefragung am 08.09.2017 ebenfalls an, am 02.09.2017 mit einem Flugzeug von XXXX nach Venedig geflogen zu sein. Befragt zum Fluchtgrund gab er an, er wisse nur, dass sein Vater seit fast einem Jahr nicht mehr bei ihnen sei und sie nicht wissen, wo er sich aufhalte. Mehr wisse er nicht darüber. Er wisse aber, dass seine Mutter seither sehr traurig und ängstlich sei. Er wisse nichts von einem Visum. Seine Mutter habe die Reise organisiert und sie entscheide alles.

6.2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 17.01.2018 gab der Fünftbeschwerdeführer an, er habe sich einer Rechtsberatung unterzogen. Er sei gesund. Es sei ihm psychisch sehr schlecht gegangen, aber seit er Fußball spiele, gehe es ihm wieder besser. Er schließe sich den Angaben seiner Mutter und seiner Schwester zur geplanten Überstellung nach Italien an. Über ihre Fluchtgründe sei er erst in Österreich informiert worden. Er sei in Armenien fast nie zu Hause gewesen, weil er in der Schule gewesen sei und anschließend trainiert habe. Seine Familie habe immer versucht, ihn zu verschonen. Könnte er in Italien nicht trainieren, wäre das das Ende für ihn. Dann würden seine Gedanken wieder hochkommen. Er habe in Armenien großen Erfolg gehabt. Fußball sei sein Leben. Sie seien überzeugt, dass die armenischen Behörden sie in Italien finden werden.

7. Die Beschwerdeführer waren bei ihrer Einreise in Österreich in Besitz von gültigen, italienischen Schengen - Visa der Kategorie C, gültig von 27.08.2017 bis 18.09.2017, ausgestellt von der italienischen Botschaft in XXXX .

Am 04.10.2017 wurden seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge kurz: "BFA") bezüglich der Beschwerdeführer gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (in Folge kurz: "Dublin-III-VO") Wiederaufnahmeersuchen an Italien gestellt.

Mit Schreiben vom 12.12.2017 stimmte die italienische Dublin-Behörde der Rückübernahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO ausdrücklich zu.

8. In der Folge wurden in Bezug auf die Erst- bis Drittbeschwerdeführer gutachterliche Stellungnahmen im Zulassungsverfahren von Dr. XXXX eingeholt.

8.1. In ihrem Gutachten in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin kommt die Sachverständige zu dem Schluss, dass bei dieser aus aktueller Sicht eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung in Form einer Anpassungsstörung F43.21, jedoch keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome, vorliegen. An therapeutischen und medizinischen Maßnahmen wird die Einnahme von Trittico Retard, jedoch in höherer Dosierung, angeraten. Sonst sei keine Therapie zwingend erforderlich. In dem Gutachten wurden die von der Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Befunde berücksichtigt.

Der Befund und die Schlussfolgerung im Gutachten lauten wie folgt:

"Die Asylwerberin ist allseits orientiert und bewusstseinsklar. Es können keine Denkstörungen exploriert werden. Der Ductus ist zielführend, kohärent und flüssig. Die kognitiven Funktionen sind gut. Die Aufmerksamkeit ist nicht verändert. Die Stimmung ist subdepressiv, sorgenvoll. Der Affekt ist in den negativen Skalenbereich verschoben. Kein Hinweis auf Suizidalität. Keine beobachtbaren Zeichen frei flottierender Angst, keine tiefgreifende Verstörung, keine Schreckhaftigkeit. Keine traumatypischen Symptome fassbar. Schlussfolgerung: Zur Zeit der Befundaufnahme findet sich eine depressive Reaktion auf Belastung = Anpassungsstörung F43.21, längere, depressive Reaktion. Für eine andere Störung ergibt sich derzeit, wie aus dem Befund ersichtlich, kein Hinweis."

8.2. In Bezug auf den Zweitbeschwerdeführer kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass bei diesem weder eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung noch sonstige psychische Krankheitssymptome vorliegen. Der Befund und die Schlussfolgerung in Bezug auf den Zweitbeschwerdeführer lauten wie folgt:

"Der Asylwerber ist allseits orientiert und bewusstseinsklar. Der Ductus ist sehr flüssig, kaum unterbrechbar, jedoch zielführend und kohärent. Es finden sich keine Hinweise auf Denkstörungen. Die kognitiven Funktionen sind gut, die Aufmerksamkeit ist nicht gestört. Die Konzentration ist ausreichend. Die Stimmung ist etwas aufgebracht, jedoch insgesamt weitgehend euthym. Der Affekt ist in beiden Skalenbereichen ausreichend gut modulierbar. Keine Hinweise auf Selbstgefährdung. Es finden sich keine Zeichen frei flottierender Angst, keine Schreckhaftigkeit, keine tiefgreifende Verstörung. Keine traumatischen Symptome fassbar. Schlussfolgerung:

Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme findet sich wohl eine Aufgeregtheit, situativ nachvollziehbar, diese in Art, Dauer und Intensität derzeit jedoch noch nicht krankheitswertig. Es kann daher zum Zeitpunkt der Befundaufnahme keine krankheitswertige Störung diagnostiziert werden."

8.3. In Bezug auf den Drittbeschwerdeführer kommt die gutachterliche Stellungnahem zu dem Schluss, dass bei diesem aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung und keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome vorliegen:

"Der Asylwerber ist allseits orientiert und bewusstseinsklar. Es bestehen keine Hinweise auf Denkstörungen. Der Ductus ist flüssig, kohärent und zielführend. Die kognitiven Funktionen sind gut, die Aufmerksamkeit ist nicht gestört. Die Stimmung ist weitgehend euthym, bis leicht sorgenvoll. Der Affekt ist in beiden Skalenbereichen ausreichend gut modulierbar. Kein Hinweis auf Suizidalität. Es finden sich keine beobachtbaren Zeichen frei flottierender Angst, keine Schreckhaftigkeit, keine tiefgreifende Verstörung, keine traumatypischen Symptome fassbar. Keine vegetativen Begleitreaktionen. Schlussfolgerung: Zum Zeitpunkt der Befundaufnahme finden sich keine Symptome einer krankheitswertigen Störung. Die nachvollziehbare Belastung und Sorge ist in Art, Dauer und Intensität derzeit noch nicht krankheitswertig. Es kann daher, zum Zeitpunkt der Befundaufnahme, noch keine krankheitswertige Störung diagnostiziert werden."

9. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA vom 08.03.2018 wurden I. die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen die Beschwerdeführer eine Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass demzufolge deren Abschiebung nach Italien zulässig sei.

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Italien wurden in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.01.2018, Asylstatistik und Unterbringung (relevant für Abschnitt 2/Allgemeines zum Asylverfahren und Abschnitt 6/Unterbringung)

2018 haben in Italien bis 12. Jänner 2.326 Personen einen Asylantrag gestellt. Mit demselben Datum waren 2.214 Asylverfahren entschieden. Davon erhielten 164 Antragsteller einen Flüchtlingsstatus, 117 einen subsidiären Schutz, 562 humanitären Schutz und 1.267 endeten negativ (einschließlich unzulässiger Anträge). 104 Antragsteller entzogen sich dem Verfahren (MdI 12.1.2018). Mit Stand 31.12.2017 waren im Land 183.681 Fremde in staatlicher Unterbringung (VB 17.1.2018).

Quellen:

-

MdI - Ministero dell Interno (12.1.2018): Statistiken des MdI, per -E-Mail

-

VB des BM.I Italien (17.1.2018): Bericht des VB, per E-Mail

KI vom 13.12.2017, Unterbringung (relevant für Abschnitt 6/Unterbringung)

Mit Stand 30.11.2017 waren in Italien 186.884 Fremde in staatlicher Unterbringung, und zwar in folgender regionaler Verteilung:

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(VB 12.12.2017)

Quellen:

-

VB des BM.I Italien (12.12.2017): Auskunft des VB, per E-Mail

KI vom 30.11.2017, Asylstatistik und Unterbringung (relevant für Abschnitt 2/Allgemeines zum Asylverfahren und Abschnitt 6/Unterbringung)

2017 haben in Italien bis 24.11. des Jahres 123.020 Personen einen Asylantrag gestellt. Mit demselben Datum waren 74.184 Asylverfahren entschieden. Davon erhielten 6.271 Antragsteller einen Flüchtlingsstatus, 6.399 einen subsidiären Schutz, 18.232 humanitären Schutz und 38.813 endeten negativ (einschließlich unzulässiger Anträge). 3.891 Antragsteller entzogen sich dem Verfahren. Mit Stand 18.6.2017 waren im Land 194.809 Fremde in staatlicher Unterbringung (VB 29.11.2017; vgl. MdI 24.11.2017).

Quellen:

-

MdI - Ministero dell Interno (24.11.2017): Statistiken des MdI, per -E-Mail

-

VB des BM.I Italien (29.11.2017): Auskunft des VB, per E-Mail

KI vom 26.07.2017, Neuer Circular Letter (Tarakhel); Asylstatistik; Unterbringung (relevant für Abschnitt 3/Dublin-Rückkehrer und Abschnitt 6/Unterbringung)

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Juni 2015 in einem Rundbrief eine Liste von SPRAR-Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, die als Dublin-Rückkehrer nach Italien zurückkehren. Zuletzt wurde am 24. Juli 2017 ein neuer Rundbrief versendet und die Liste aktualisiert. Sie umfasst nun 18 SPRAR-Projekte mit zusammen 78 Unterbringungsplätzen für Familien mit Kindern (MdI 24.7.2017).

Aus einer Statistik des UNHCR geht hervor, dass 2017 bis 16. Juli

93.213 Bootsflüchtlinge in Italien gelandet sind. Das sind um 13.373 Personen mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Allerdings ist der Juli 2017 bislang mit 9.461 Migranten etwas schwächer als der Vergleichszeitraum 2016 (9.618). Aus den Statistiken geht hervor, dass mehr Personen in Italien Asylanträge stellen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, wobei diese Anträge nicht notgedrungen von Neuankünften gestellt worden sein müssen (UNHCR 16.7.2017).

Laut offizieller italienischer Statistik haben 2017 bis zum 14. Juli

80.665 Personen einen Asylantrag gestellt. Mit selbem Datum waren

22.406 Anträge negativ erledigt, 3.842 erhielten Flüchtlingsstatus,

4.165 erhielten subsidiären Schutz, 10.632 erhielten humanitären Schutz. 2.118 Antragsteller waren nicht mehr auffindbar (VB 19.7.2017a).

Mit Stand 18. Juni 2017 waren 194.809 Migranten in staatlichen italienischen Unterbringungseinrichtungen untergebracht (VB 19.7.2017b).

Quellen:

-

MdI - Ministero dell Interno (24.7.2017): Circular Letter, per -E-Mail

-

UNHCR - Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (16.7.2017): Italy weekly snapshot - 16 Jul 2017, per E-Mail

-

VB des BM.I Italien (19.7.2017a): Statistiken der ital. Asylbehörde, per E-Mail

-

VB des BM.I Italien (19.7.2017b): Auskunft des VB, per E-Mail

2. Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 2.2017; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Aus aktuellen Statistiken des italienischen Innenministeriums geht hervor, dass es im Jahre 2016 insgesamt 123.600 Asylanträge gegeben hat, was einer Steigerung von 47% gegenüber 2015 entspricht (MdI 10.3.2017, vgl. Eurostat 16.3.2017). 4.808 Personen haben 2016 Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen, 12.873 subsidiären Schutz und

18.979 internationalen humanitären Schutz. 54.254 Anträge (60%) wurden abgewiesen (MdI - 10.3.2017).

Die Asylverfahren nehmen je nach Region sechs bis fünfzehn Monate in Anspruch. Wenn Rechtsmittel ergriffen werden, kann sich diese Dauer auf bis zu zwei Jahren erstrecken (USDOS 3.3.2017).

Aus Statistiken des italienischen Innenministeriums geht hervor, dass es in Italien 2017 mit Stand 21. April 46.225 Asylanträge gab.

Bild kann nicht dargestellt werden

(VB 26.4.2017)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

MdI - Ministero dell'Interno (10.3.2017): Dati e statistiche, http://www.libertaciviliimmigrazione.dlci.interno.gov.it/it/documentazione/statistica/i-numeri-dellasilo; Zugriff 23.3.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Italy,

http://www.ecoi.net/local_link/337159/479923_de.html, Zugriff 30.3.2017

-

VB des BM.I Italien (26.4.2017): Statistik des ital. Innenministeriums, per E-Mail

3. Dublin-Rückkehrer

Die meisten Dublin-Rückkehrer landen auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies nun tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 2.2017).

2. Ist das Verfahren des Rückkehrers noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere Asylwerber auch (AIDA 2.2017).

3. Wenn ein Verfahren vor endgültiger Entscheidung unterbrochen wurde, etwa weil sich der Antragsteller diesem entzogen hat, und der Betreffende wird von Italien im Rahmen von Art. 18(1)(c) zurückgenommen, wird das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen (EASO 12.2015).

4. Bei Rückkehrern, die unter Art. 18(1)(d) und 18(2) fallen und welche Italien verlassen haben, bevor sie über eine negative erstinstanzliche Entscheidung informiert werden konnten, beginnt die Rechtsmittelfrist erst zu laufen, wenn der Rückkehrer von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt wurde (EASO 12.2015; vgl. AIDA 2.2017).

5. Wurde der Rückkehrer beim ersten Aufenthalt in Italien von einer negativen Entscheidung in Kenntnis gesetzt und hat dagegen nicht berufen, kann er zur Außerlandesbringung in ein CIE (Schubhaftlager) gebracht werden. Wurde ihm die Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht, steht dem Rückkehrer der Beschwerdeweg offen, sobald er informiert wurde (AIDA 2.2017).

6. Hat sich der Rückkehrer dem persönlichen Interview nicht gestellt und sein Antrag wurde daher negativ beschieden, kann er nach Rückkehr ein neues Interview beantragen (AIDA 2.2017).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.3 Dublin-Rückkehrer.)

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

EASO - European Asylum Support Office (12.2015): Quality Matrix Report: Dublin procedure, per E-Mail

4. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Legislativdekret (LD) 142/2015 definiert folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte, und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifizierungsmechanismus für Vulnerable vorgesehen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einer vulnerablen Person zu tun zu haben, kann er diese speziellen Diensten zuweisen. Legislativdekret (LD) 142/2015 sieht auch vor, dass Opfern von Gewalt Zugang zu geeigneter medizinischer und psychologischer Betreuung zu gewähren ist (AIDA 2.2017).

Beim Schutz von Minderjährigen sind Reifegrad und Entwicklung des Minderjährigen zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Stellt ein unbegleiteter Minderjähriger einen Asylantrag, wird das Verfahren sofort ausgesetzt und es werden das Jugendgericht und der Vormundschaftsrichter informiert. Letzterer muss binnen 48 Stunden einen Vormund ernennen, der dann bei der Quästur die Wiederaufnahme des Verfahrens bewirkt und die Maßnahmen zu Unterbringung und Versorgung des UMA überwacht (AIDA 2.2017).

Bei Zweifeln bezüglich des Alters eines Antragstellers kann jederzeit eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden

Zu den Methoden der Altersfeststellung gibt es keine spezifischen Vorgaben, außer dass sie nicht invasiv sein sollen und in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mit pädiatrischen Abteilungen durchzuführen sind. Für medizinische Untersuchungen ist jedenfalls die Zustimmung des Minderjährigen bzw. dessen Vormunds einzuholen. Die Ablehnung einer Altersfeststellung durch den Asylwerber hat keinen Einfluss auf das Asylverfahren. Altersfeststellungen werden oft auch von nicht-spezialisierten Medizinern anhand von Röntgenbildern vorgenommen. Im Zweifel ist jedenfalls die Minderjährigkeit anzunehmen (AIDA 2.2017).

Tatsächlich dauert es bis zur Bestimmung eines Vormunds oftmals bis zu mehreren Monaten. Hierdurch ergibt sich ein Vakuum in Bezug auf den Schutz des Minderjährigen. Ohne Erziehungsberechtigten bzw. Vormund können Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen werden; auch verzögern sich Anträge auf Standortwechsel und Familienzusammenführung. Dies führt dazu, dass viele Minderjährige, die nicht in Italien bleiben wollen, untertauchen und versuchen in andere EU-Länder zu gelangen (CoE 2.3.2017).

In manchen Fällen erschwert das Fehlen eines Vormunds sogar die Möglichkeit, überhaupt um Asyl anzusuchen, da einige Quästuren bei Nichtvorhandensein eines Vormunds das formale Asylverfahren nicht einleiten. Das Gesetz sieht zwar vor, dass Vertreter der Aufnahmeeinrichtungen vorübergehend als Vormund fungieren können; diesen sind die diesbezüglichen rechtlichen Bestimmungen aber oft nicht ausreichend bekannt oder die Quästuren erlauben ihnen unter Verweis auf den vorübergehenden Charakter des Vormundes nicht, Ansuchen von Kindern auf internationalen Schutz zu bestätigen. Das kann zur Folge haben, dass unbegleitete Minderjährige oftmals sogar später ins Asylverfahren eintreten können als Erwachsene (AIDA 2.2017).

Der Vormund kümmert sich während des gesamten Verfahrens um den unbegleiteten Minderjährigen (UMA), im Falle einer negativen Entscheidung auch darüber hinaus. Vor allem während des Interviews ist seine Anwesenheit unerlässlich. Beschwerden gegen negative Entscheidungen sind selten, weil entweder ein anderer Schutztitel oder eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 18. Geburtstag gewährt wird. Der Vormund ist für das Wohlergehen des Minderjährigen verantwortlich. In der Praxis wird der Bürgermeister jener Gemeinde, in welcher der UMA untergebracht ist, zum Vormund ernannt. Aufgrund der hohen Anzahl unbegleiteter Minderjähriger delegiert er die Vormundschaft häufig an andere Personen innerhalb der Gemeinde, die meist wiederum selbst zahlreiche andere Personen, wie etwa Behinderte, zu betreuen haben. Daher sind die ernannten Vormunde oft nicht in der Lage, ihren Schützlingen das erforderliche Maß an Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. In der Folge sehen Vormunde ihre Schützlinge daher oft nur bei der formalen Registrierung des Asylantrags und dann beim Interview, wozu sie gesetzlich verpflichtet sind. Auch die Ernennung eines freiwilligen Vormunds ist möglich, wird aber kaum angewendet. Es gibt keine Bestimmungen, die ein spezielles Training oder eine besondere Expertise des Vormunds im Bereich Asyl vorsehen (AIDA 2.2017; vgl. CoE 2.3.2017).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. LD 142/2015 sieht einen Gesundheitscheck in der Erstaufnahme vor, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können. PD 21/2015 führt die speziellen Unterbringungsvorkehrungen für Vulnerable näher aus. Diese speziellen Unterbringungsmöglichkeiten sind auch in den SPRAR-Strukturen sicherzustellen. Die Erhebung spezieller Bedürfnisse wird in den Unterbringungseinrichtungen vorgenommen, allerdings nicht systematisch und je nach Qualität und Finanzlage des jeweiligen Zentrums unterschiedlich. Es kann in der Praxis passieren, dass Folteropfer aus Platzmangel nicht in SPRAR transferiert werden. Bei Familien ist in jeder Unterbringungsstufe die Familieneinheit zu berücksichtigen. In der Praxis kann es vorkommen, dass der Familienvater bei den Männern untergebracht wird und die Mutter mit den Kindern bei den Frauen. Familien können aus temporären Strukturen auf freie Plätze in SPRAR transferiert werden, da diese besser für Familien geeignet sind. Solche Transfers sind abhängig von der Zusammensetzung der Familie, Vorliegen von Vulnerabilität bzw. Gesundheitsproblemen und der Warteliste für SPRAR-Plätze. Bei UMA ist bei der Unterbringung auf das beste Interesse des Kindes Rücksicht zu berücksichtigen. In Erstaufnahmeeinrichtungen dürfen sie nur für begrenzte Zeit untergebracht werden. In dieser Zeit soll die Feststellung des Altes und der individuellen Bedürfnisse geschehen. Danach sind UMA zur Unterbringung in SPRAR-Strukturen berechtigt. Ist dort kein Platz frei, kann der UMA temporär in der zuständigen Gemeinde untergebracht werden. Unbegleitete Minderjährige, die nicht Asyl beantragen, haben ein Recht auf Unterbringung ohne Unterschied zu asylwerbenden UM. UMA dürfen nicht in Zentren für Erwachsene oder Schubhaftzentren untergebracht werden. Ersteres ist im Jahre 2016 jedoch vorgekommen. Für UM gibt es, zum Unterschied von erwachsenen AW, keinen zentralen Verteilungsmechanismus. Der Transfer in SPRAR ist daher in der Verantwortlichkeit der Ankunftsgemeinde. UM konzentrieren sich daher besonders in einigen Grenzregionen. 2016 waren dies vor allem Sizilien usw. 25.772 UM kamen im Jahre 2016 in Italien an (AIDA 2.2017).

Gerade für unbegleitete Minderjährige (UM) bzw. geistig oder körperlich Behinderte gibt es eigene SPRAR-Projekte mit spezialisierten Leistungen. Da die Kosten für die Unterbringung dieses Personenkreises aber weit über die staatlichen Unterstützungszahlungen hinausgehen, bieten nur wenige Gemeinden solche Plätze an. Derzeit beläuft sich das Angebot für unter 18-Jährige auf rund 2.000 Plätze. Aufgrund dieses Mangels an SPRAR-Plätzen verbringen bis dato viele unbegleitete Minderjährige über sechs Monate in den großen Erstaufnahmezentren, die aber nicht auf die speziellen Bedürfnisse von Minderjährigen eingerichtet sind (CoE 2.3.2017).

Am 6.5.2017 trat ein neues Gesetz zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger in Kraft, das diesen nunmehr dieselben Rechte und denselben Schutz wie europäischen Minderjährigen zugesteht. Es reduziert u.a. die Aufenthaltsdauer für UM in Erstaufnahmezentren von 60 auf 30 Tage und besagt, dass UM binnen 10 Tagen identifiziert werden müssen. Außerdem sieht das neue Gesetz im Wesentlichen folgende weitere Verbesserungen vor:

* Die unbegleiteten oder getrennten Minderjährigen dürfen - ohne jede Ausnahme - an den Grenzen nicht zurückgewiesen bzw. abgeschoben werden.

* Die Maßnahmen zur Altersfeststellung werden verbessert und vereinheitlicht.

* Es wird ein strukturiertes und gestrafftes nationales Aufnahmesystem aufgebaut, das entsprechenden Mindeststandards für unbegleitete Minderjährige in allen Aufnahmezentren vorsieht.

* Es wird der Einsatz qualifizierter Kulturmediatoren ausgeweitet, um den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Minderjähriger gerecht zu werden.

* Es werden für die Minderjährigen das Institut der Pflegefamilie und die zeitgerechte Bestellung eines freiwilligen Vormunds gefördert.

* Einige Rechte Minderjähriger werden gestärkt, beispielsweise bezüglich Gesundheitsfürsorge und Ausbildung.

* Es wird im Ministerium für Arbeit und Soziales ein nationales Informationssystem zur Erfassung der unbegleiteten Minderjährigen aufgebaut

(UNICEF 29.3.2017; vgl. PI 30.3.2017; UNHCR 30.3.2017; ECRE 12.5.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

CoE - Council of Europe Secretary General (2.3.2017): Bericht zu Fact-Finding-Mission zur Lage von MigrantInnen und Flüchtlingen von 16. bis 21. Oktober 2016 (Aufnahmebedingungen; unbegleitete Kinder;

internationale Schutzverfahren; MigrantInnen im Transit;

Integration; etc.),

https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId=09000016806f9d70, Zugriff 7.4.2017

-

ECRE - European Council on Refugees and Exiles (12.5.2017): ELENA Weekly Legal Update, per E-Mail

-

PI - Parlamento Italiano, Camera dei Deputati (30.3.2017):

Cittadinanza e immigrazione; Minori stranieri non accompagnati, http://www.camera.it/leg17/465?tema=minori_stranieri_non_accompagnati#m, Zugriff 3.4.2017

-

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.3.2017): Approvata legge su accoglienza e protezione dei minori stranieri non accompagnati in Italia,

https://www.unhcr.it/news/aggiornamenti/approvata-legge-accoglienza-protezione-dei-minori-stranieri-non-accompagnati-italia.html, Zugriff 31.3.2017

-

UNICEF - United Nations Children's Fund (29.3.2017): Approvata la "Legge Zampa": più tutele e inclusione per i minori stranieri non accompagnati,

http://www.unicef.it/doc/7324/approvata-la-legge-zampa-per-minori-stranieri-non-accompagnati.htm, Zugriff 3.4.2017

5. Non-Refoulement

Grundsätzlich bietet Italien Schutz gegen Abschiebung oder Rückkehr von Flüchtlingen in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre (USDOS 25.6.2015).

Hinsichtlich unbegleiteter Minderjähriger besteht ein absolutes Rückschiebeverbot an der Grenze (UNICEF 29.3.2017).

Das italienische Innenministerium hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Zugang zu Asylverfahren und Grundrechten Personen nicht verweigert werden kann, für die willkürlich angenommen wird, dass sie des internationalen Schutzes nicht bedürfen. Außerdem wurde explizit bestätigt, dass alle Migranten das Recht haben, vor Refoulement geschützt zu werden. Es würden laut Innenministerium keine Ausweisungsbefehle erlassen, wenn Migranten zuvor nicht korrekt informiert wurden (AIDA 2.2017).

Quellen:

-

AIDA - Asylum Information Database (ASGI - Association for Legal Studies on Immigration; ECRE - European Council on Refugees and Exiles) (2.2017): National Country Report Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2016update.pdf, Zugriff 23.3.2017

-

UNICEF - United Nations Children's Fund (29.3.2017): Approvata la "Legge Zampa": più tutele e inclusione per i minori stranieri non accompagnati,

http://www.unicef.it/doc/7324/approvata-la-legge-zampa-per-minori-stranieri-non-accompagnati.htm, Zugriff 3.4.2017

-

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Italy, http://www.ecoi.net/local_link/306380/443655_de.html, Zugriff 14.4.2016

6. Versorgung

6.1. Unterbringung

Grundsätzlich sind Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen und eine entsprechende Bedürftigkeit besteht. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatisch aufschiebender Wirkung besteht dieses Recht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Gemäß der Praxis in den Jahren 2015 und 2016 erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione) anstatt sofort nach der erkennungsdienstlichen Behandlung (fotosegnalamento). Zwischen diesen beiden Schritten sind, abhängig von Region und Antragszahlen, Wartezeiten von Wochen oder gar Monaten möglich, in denen Betroffene Probleme beim Zugang zu alternativer Unterbringung haben können. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Tatsächlich ist diese Problematik durch die Erweiterung der SPRAR-Kapazitäten und Einführung der temporären Unterbringungsstrukturen (CAS) nur für Personen relevant, die ihren Antrag im Land stellen, nicht für auf See geretteten Asylwerber (AIDA 2.2017).

Wie die untenstehende Statistik des italienischen Innenministeriums zeigt, wurden die Unterbringungskapazitäten in den letzten 3 Jahren massiv gesteigert.

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(MdI - 31.3.2017)

Mit Stand 31.3.2017 waren in Italien laut offiziellen Statistiken des italienischen Innenministeriums 137.599 Personen in Flüchtlingsunterkünften untergebracht, davon 2.204 in den sogenannten Hotspots (dienen nur der Registrierung der Flüchtlinge; nach max. 72 Stunden Weiterverbringung in Flüchtlingsunterkünfte in ganz Italien), 13.835 in Erstaufnahmezentren, 137.599 in temporären Strukturen (meist durch NGOs und Private mit staatlicher Förderung zur Verfügung gestellt) und 23.867 in staatlicher Betreuung (SPRAR):

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(VB 19.4.2017)

Grundsätzlich lässt sich die Struktur der Unterkünfte wie folgt grafisch darstellen.

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(AIDA 2.2017)

CPSA - (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Menschen, die - vor allem auf dem Seeweg - illegal nach Italien kommen, erhalten zunächst Unterstützung in den großen Einwanderungszentren bzw. Hotspots (AIDA 2.2017, vgl: MdI 28.7.2015). Die ursprünglichen CPSA in Lampedusa und Pozzallo bilden seit 2016 zusammen mit den Zentren Taranto und Trapani die sogenannten Hotspots. Dieses Hotspot-Konzept wurde von der Europäischen Kommission entwickelt, um jene Mitgliedsstaaten zu unterstützen, die an den EU-Außengrenzen einem besonderen Migrationsdruck ausgesetzt sind. Nähere Informationen sind weiter unten dem Abschnitt "Hotspots" zu entnehmen (AIDA 2.2017, vgl. EC o. D.). Nach dieser Phase der ersten Hilfe unmittelbar nach Ankunft in den CPSA bzw. Hotspots werden die Fremden, je nach Status, entweder rückgeführt oder in andre Unterkünfte verlegt (AIDA 2.2017, vgl. MdI 28.7.2015). (Für weitere Informationen siehe Kapitel 6.2 Hotspots.)

CDA, CARA und CAS

CDA, CARA und CAS sind Erstaufnahmezentren und bieten eine eher grundlegende Versorgung mit Essen, Kleidung, Basisinformation, Rechtsberatung und medizinischer Notversorgung. Es handelt sich um große Erstaufnahmezentren mit sehr vielen Unterbringungsplätzen (AIDA 2.2017).

Die CDA (centri di accoglienza) sind allgemeine Aufnahmezentren, in denen insbesondere die auf dem Staatsgebiet aufgegriffenen Fremden zur Identitätsfeststellung und Statusbestimmung untergebracht werden, während CARA (Centri d'Accoglienza Richiedenti Asilo) Zentren für die Aufnahme von Asylwerbern sind. CDA und CARA umfassen derzeit 15 Erstaufnahmezentren mit ca. 14.694 Plätzen (AIDA 2.2017). Asylwerber sollen dort einige Wochen oder Monate untergebracht werden, bis die administrativen Formalitäten bezüglich eines Asylantrags abgeschlossen und ein neuer Unterkunftspatz gefunden ist. Sprachtraining oder andere Integrationsmaßnahmen finden in diesen Zentren nicht statt (CoE 2.3.2017).

CARA, CDA und CPSA sollen sukzessive in den durch das Gesetz 142/2015 eingeführten sogenannten "hub regionali" aufgehen. Jede Region soll über einen solchen hub verfügen. Migranten, die in den Hotspots um internationalen Schutz ansuchen, sollen dann an diese "hub regionali" als Erstaufnahmezentren weitergeleitet werden. Ziel ist es, die Strukturen zu straffen und die Schutzsuchenden in Zentren unterzubringen, die in der Nähe von Einwanderungsbüros liegen (AIDA 2.2017, vgl. MdI 2016; SFH 8.2016)

Die CAS (Centri di accoglienza straordinaria) sind temporäre Aufnahmezentren, die speziell in Zeiten hoher Migrationsströme andere Zentren entlasten sollen. De facto dienen sie zur Unterbringung von Bootsflüchtlingen. Ihre Zahl wird je nach Bedarf angepasst und ist daher nur schwer festzumachen. Die CAS dienen auch als "Second-Line-Aufnahme" in Vorbereitung auf die Unterbringung in SPRAR. Derzeit sind ca. 130.000 Personen in über 7000 CAS-Unterkünften in ganz Italien untergebracht (AIDA 2.2017, vgl. MdI 28.7.2015). Primär als Notunterkünfte vorgesehen, liegt der Schwerpunkt der CAS nicht auf einer längerfristigen Integration, obwohl viele Asylsuchende während der Bearbeitung ihrer Asylanträge in einem CAS untergebracht sind (CoE 2.3.2017).

Grundsätzlich sollen Asylwerber jedenfalls in allen hier genannten Einrichtungen nur temporär untergebracht werden, bis eine Verlegung in das SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) möglich ist. Da SPRAR aber nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, gibt es einen chronischen Rückstau, der wiederum eine zum Teil massive Überbelegung der CAS-Unterkünfte zur Folge hat. Viele Asylsuchende bleiben bis zum Asylentschied in den CAS. Um eine gewisse Entlastung des Systems herbeizuführen, werden Asylwerber oft sofort nach Erhalt eines positiven Bescheids aus de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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