TE Vfgh Beschluss 1997/11/27 B1435/97, B2126/97

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Veröffentlicht am 27.11.1997
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33
VfGG §82 Abs1

Leitsatz

Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrags wegen nicht bloß minderen Grades eines Versehens; Zurückweisung der Beschwerde als verspätet

Spruch

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I.1. Die am 11. Juni 1997 zur Post gegebene Beschwerde wendet sich gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. April 1997, der der beschwerdeführenden Gesellschaft - wie aus dem vom Bundesministerium für Finanzen mit der Gegenschrift vorgelegten Zustellnachweis hervorgeht - bereits am 29. April 1997 zugestellt wurde.

2. Mit Schriftsatz vom 13. August 1997, eingelangt beim Verfassungsgerichtshof am 18. August 1997, stellte die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß §33 VerfGG und §§146 ff ZPO einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gemäß Art144 B-VG gegen den oben genannten Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. April 1997 (unter gleichzeitiger, nochmaliger Einbringung der Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG).

Die - nach Übermittlung der Gegenschrift angestellten Nachforschungen der beschwerdeführenden Gesellschaft hätten ergeben, daß der bekämpfte Bescheid dieser tatsächlich am 29. April 1997 - und nicht wie von der beschwerdeführenden Gesellschaft ursprünglich angenommen am 30. April 1997 - zugestellt worden sei. An diesem Tag sei der bekämpfte Bescheid vom Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft, Dipl.Ing. P., übernommen und von diesem "im Vorzimmer auf den Schreibtisch der Sekretärin" gelegt worden, die "auf dem Poststück den Eingangsstempel mit dem richtigen Datum anbringen (hätte) müssen". Die ständige Sekretärin sei zu diesem Zeitpunkt erkrankt gewesen. Ihre Halbtagsvertretung sei am 30. April 1997 zur Arbeit erschienen und habe an diesem Tag mit Stempel als Eingangsdatum den 30. April 1997 auf dem Bescheid vermerkt, obgleich auf dem Kuvert, mit dem der bekämpfte Bescheid zugestellt wurde, das Zustelldatum 29. April 1997 klar ersichtlich gewesen sei (Rundsiegel der Post). Auf Grund der falschen Angabe des Datums der Bescheidzustellung (30. April 1997) sei von den Rechtsvertretern der beschwerdeführenden Gesellschaft die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit 11. Juni 1997 in Vormerk genommen und die Beschwerde auch an diesem Tag abgesandt worden.

Bei der Halbtagsvertretung handle es sich um eine zuverlässige Mitarbeiterin. Es habe daher damit gerechnet werden können, daß das Posteingangsdatum richtig eingetragen werde. Da bei der beschwerdeführenden Gesellschaft bis zum gegenständlichen Fall die Posteingangstermine genauestens eingetragen worden seien, sei es als minderer Grad des Versehens anzusehen, wenn der Geschäftsführer das Datum des Eingangsstempels nicht gesondert überprüft habe. Als Mittel der Glaubhaftmachung des geschilderten Vorganges der Zustellung und des Vermerkes des falschen Eingangsdatums legte die beschwerdeführende Gesellschaft eine eidesstattliche Erklärung des Geschäftsführers Dipl.Ing. P. vor.

II.1. Da das VerfGG 1953 in seinem §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen des §146 Abs1 ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden: Danach ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein "unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis" an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Gleiches gilt für Verschulden von Kanzleikräften (§39 ZPO, vgl. etwa VfSlg. 12372/1990, 13763/1994).

Unter "minderem Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (vgl. VfSlg. 9817/1983, 11706/1988, 13763/1994, 14157/1995).

Im vorliegenden Fall hat der Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft ein von ihm am 29. April 1997 übernommenes Schriftstück der erst wieder am 30. April 1997 erschienenen Halbtagsvertretung, die die ständige, zum damaligen Zeitpunkt kranke Sekretärin vertrat, auf den Schreibtisch gelegt, damit diese den Eingangsvermerk anbringe, ohne daß der Geschäftsführer eigens darauf hingewiesen hätte, daß das Schriftstück bereits am 29. April 1997 eingelangt ist. Eine Kontrolle, ob die vertretende Sekretärin den Posteingang richtig vermerkt hat, erfolgte nicht.

Im Hinblick darauf, daß dem Geschäftsführer der beschwerdeführenden Gesellschaft wohl bewußt war, daß die die ständige Sekretärin vertretende Ersatzkraft das zu bearbeitende Schriftstück erst einen Tag nach dessen Eingang vorfand, ist das Unterbleiben eines Hinweises des Geschäftsführers auf das tatsächliche Einlangen des Schriftstückes bzw. die fehlende Kontrolle des angebrachten Eingangsvermerkes als Organisationsverschulden anzusehen, das einen "minderen Grad eines Versehens" übersteigt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung abzuweisen (§35 VerfGG 1953 iVm. §§146 ff ZPO).

2. Die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde erweist sich demnach wegen Versäumung der ab Zustellung des angefochtenen Bescheides an die beschwerdeführende Gesellschaft (29. April 1997) zu berechnenden sechswöchigen Beschwerdefrist des §82 Abs1 VerfGG 1953 als verspätet und ist sohin zurückzuweisen.

3. Der Antrag, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten, ist abzuweisen, weil nach Art144 Abs3 B-VG (und §87 Abs3 VerfGG 1953) eine solche Abtretung nur für den Fall vorgesehen ist, daß der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde abweist oder eine Behandlung ablehnt, nicht aber für den Fall ihrer Zurückweisung.

III. Diese Beschlüsse konnten

gemäß §33 zweiter Satz und §19 Abs3 Z2 litb VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B1435.1997

Dokumentnummer

JFT_10028873_97B01435_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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