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10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §33Leitsatz
Abweisung eines Wiederaufnahmsantrags mangels Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes; Geltendmachung der Unrichtigkeit eines Zurückweisungsbeschlusses kein Wiederaufnahmsgrund; Abweisung von Wiedereinsetzungsanträgen; Zurückweisungsbeschluß bzw Rechtsirrtum über das Bestehen einer Beschwerdemöglichkeit der Verlassenschaft bzw der Erben kein "unvorhergesehenes" EreignisSpruch
1. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird abgewiesen.
2. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden abgewiesen.
Begründung
Begründung:
I.1. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 23. Oktober 1996 wurde unter anderem der Vorstellung der Mag. H. als Nachbarin gegen einen Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz, mit welchem der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung für die Errichtung einer Aufstockung und den Umbau des Hofgebäudes auf GST-NR 1937 und 1938/1, je KG Linz, erteilt wurde, keine Folge gegeben. Dieser Vorstellungsbescheid wurde am 23. Oktober 1996 an Frau Mag. H., z.H.d. des sie vertretenden Rechtsanwaltes Dr. G.-W., "zugestellt".
Mit auf Art144 B-VG gestützter Beschwerde vom 4. Dezember 1996 wurde namens Frau Mag. H., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G.-W., gegen den genannten Vorstellungsbescheid Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Diese Beschwerde wurde mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1997, B4839/96, zurückgewiesen. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, daß die Beschwerdeführerin - wie das durchgeführte Verfahren ergeben hat - bereits am 9. September 1996, und sohin vor Einbringung der Beschwerde am 4. Dezember 1996 verstorben ist und deshalb namens der Beschwerdeführerin nach ihrem Tod nicht wirksam Beschwerde erhoben werden konnte. Die gemäß §1022 ABGB zu beurteilende Vollmacht des für die Beschwerdeführerin einschreitenden Rechtsanwaltes sei durch den Tod der Vollmachtgeberin erloschen. Wenn auch §1022 ABGB dem Gewalthaber gestatte, unter Umständen ein angefangenes Geschäft zu vollenden, so könne doch mit der Vollmacht des Verstorbenen nicht ein Verfahren (hier: verfassungsgerichtliches Verfahren) eingeleitet werden.
2. Die drei Erben nach der verstorbenen Mag. H., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. G.-W., stellten nunmehr einen auf §530 Abs1 Z7 ZPO gestützten Wiederaufnahmeantrag gegen den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1997.
Der Wiederaufnahmeantrag wird damit begründet, daß §1022 ABGB nur eine widerlegliche Vermutung aufstelle, daß die Vollmacht durch den Tod des Gewaltgebers aufgehoben werde. Im letzten Satz der genannten Bestimmung heiße es aber, daß sich die Vollmacht auch "über den Sterbefall des Gewaltgebers hinausgehend" (richtig: "auf den Sterbefall des Gewaltgebers") erstrecken könne und dann der Gewalthaber das Recht und die Pflicht habe, das Geschäft zu vollenden. §1022 ABGB sei nach hM dispositiv. Eine Vollmacht könne sich insbesondere auch über den Tod des Geschäftsherrn hinaus erstrecken (vgl. Strasser in:
Rummel, ABGB2, §§1020-1026, Rz 26 mwN; OGH 7 Ob 506/92). Eine Generalvollmacht berechtige selbst nach dem Tod noch zur Klagseinbringung, während dies bei bloß prozeßbezogener Vollmacht nicht der Fall sei (vgl. OGH Arb 7307; GlUNF 5758; Strasser aaO, Rz 21a; Fucik in: Rechberger, ZPO, §35 Rz 1).
Die verstorbene Mag. H. habe dem einschreitenden Rechtsanwalt im Zuge des der Beschwerde zugrundeliegenden Bauverfahrens eine - dem Wiederaufnahmeantrag beigelegte - Generalvollmacht (vom 28.11.1995) erteilt. Der Verfassungsgerichtshof sei im zurückweisenden Beschluß vom 10. Juni 1997 daher "zu Unrecht davon aus(gegangen), daß der Rechtsanwalt keine Vollmacht der Verstorbenen zur Einleitung des VfGH-Verfahrens hatte". Zur Bekräftigung der Tatsache, daß die Vollmacht nach dem Tod der Beschwerdeführerin weiter aufrecht gewesen sei und nach wie vor sei, würden die Generalvollmacht und eidesstattliche Erklärungen des einschreitenden Anwaltes sowie des Gatten der Verstorbenen über die Vollmachtserteilung auch für den Fall des Todes über diesen Zeitpunkt hinaus vorgelegt, woraus sich der Wiederaufnahmsgrund des §530 Abs1 Z7 ZPO ergebe, da die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes nicht vorhersehbar gewesen sei und deshalb auch nicht als Verschulden anzulasten sei, daß "diese neuen Tatsachen und Beweismittel" (Generalvollmacht und eidesstattliche Erklärungen) nicht schon vorher vorgelegt worden seien.
3. Ferner stellen die Erben nach der verstorbenen Mag. H. einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da sie es in ihrer Stellungnahme vom 17. März 1997 im verfassungsgerichtlichen Verfahren zu B4839/96 unterlassen hätten, zur Behauptung der Weitergeltung der Vollmacht eine entsprechende eidesstattliche Erklärung bzw. die Einvernahme des ausgewiesenen Vertreters als Beweismittel anzubieten. Es habe daher die Versäumung einer Prozeßhandlung stattgefunden. Dieses Versehen des einschreitenden Anwaltes stelle höchstens eine leichte Fahrlässigkeit dar, da nicht vorherzusehen gewesen sei, "daß der VfGH die dispositive Natur des §1022 ABGB außer Acht läßt und eine wirksame Vollmacht über den Tod hinaus nicht berücksichtigte". Dieser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird unter der Prämisse gestellt, daß die von der verstorbenen Mag. H. erteilte Vollmacht im Zeitpunkt der Einleitung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nach wie vor aufrecht war und es auch nunmehr noch ist.
Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof vom Erlöschen der Vollmacht ausgehen sollte und "nach Ansicht des VfGH innerhalb der sechswöchigen Frist die Verlassenschaft die Beschwerde erheben müssen" hätte, wird ein - zweiter - Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, und zwar "namens der Verlassenschaft bzw. nunmehr der eingeantworteten Erben". Für die Verlassenschaft und die nunmehrigen Erben stelle es ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis dar, daß die Weitergeltung der Vollmacht nicht ausreichend sein soll. Infolge des Vertrauens aller Beteiligten samt des ausgewiesenen Vertreters auf die Weitergeltung dieser Vollmacht sei eine eigene Beschwerdeerhebung namens der Verlassenschaft innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist unterblieben.
II.1. Gemäß §35 Abs1 VerfGG iVm. §530 Abs1 Z7 ZPO kann ein Verfahren wieder aufgenommen werden, "wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde".
Der Verfassungsgerichtshof hat in dem zurückweisenden Beschluß vom 10. Juni 1997 - wie bereits in VfSlg. 4559/1963, 5618/1967, 6822/1972, 13543/1993 und zuletzt in der Entscheidung vom 12.6.1997, B20/96 - festgehalten, daß gemäß §1022 ABGB eine Vollmacht durch den Tod des Machtgebers erlischt und die Vertretung im Verwaltungsverfahren für die Erhebung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde auch kein angefangenes Geschäft im Sinne des §1022 ABGB darstellt, sodaß die Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde im Namen des Beschwerdeführers nach dessen Tod nicht zulässig ist. Die Wiederaufnahmswerber machen - als Rechtsnachfolger der verstorbenen Mag. H. - im vorliegenden Fall lediglich die ihrer Meinung nach bestehende Unrichtigkeit des zurückweisenden Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1997 geltend, ohne neu hervorgekommene Tatsachen geltend zu machen oder neu hervorgekommene Beweismittel im Sinne des §530 ZPO vorzulegen, welche ohne Verschulden im seinerzeitigen Verfahren nicht geltend gemacht oder vorgelegt werden konnten.
Abgesehen davon, daß das Vorbringen dem Grunde nach nur auf die Geltendmachung der Unrichtigkeit des zurückweisenden Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes gerichtet ist und schon insofern kein Wiederaufnahmsgrund vorliegt (vgl. VfSlg. 4635/1964, 8751/1980, 8755/1980), ist vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu §1022 ABGB auch nicht ersichtlich, daß bei Vorliegen der Generalvollmacht sowie der eidesstattlichen Erklärungen eine für die Wiederaufnahmswerber "günstigere Entscheidung" ergangen wäre. (Im übrigen wird auch im - von den Wiederaufnahmswerbern zitierten - Urteil des OGH Arb. 7307 lediglich festgehalten, daß der "ruhende Nachlaß, solange für ihn kein anderer Vertreter bestellt ist, noch auf Grund der von der Erblasserin erteilten und auch für die Erben und für die Zeit nach ihrem Tode ausgestellten Vollmacht vom Gewalthaber vertreten werden kann". Losgelöst von der Frage, ob im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung nicht bereits ein anderer Vertreter für den ruhenden Nachlaß bestellt war, ist diesen Ausführungen jedenfalls nicht die Zulässigkeit zur Einbringung einer Beschwerde im Namen der Verstorbenen, sondern allenfalls jene zur Einbringung der Beschwerde im Namen des "ruhenden Nachlasses" zu entnehmen.) Der Wiederaufnahmsantrag war daher abzuweisen.
2. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §35 Abs1 VerfGG iVm.
§146 Abs1 ZPO dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte; ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Auch die Wiedereinsetzungsanträge sind unbegründet. Soweit die Wiedereinsetzungswerber von der Weitergeltung der von der verstorbenen Frau Mag. H. erteilten Vollmacht ausgehen, wird der zurückweisende Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1997 als jenes "unvorhersehbare" Ereignis dargestellt, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Vornahme versäumter Prozeßhandlungen (Vorlage von Beweismitteln, ausführliche Darlegung der Weitergeltung der Vollmacht) rechtfertigen soll. Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes, auf dessen Aufhebung der Wiedereinsetzungsantrag wegen angeblicher Unrichtigkeit geradezu abzielt, kann jedoch zweifelsohne nicht als Wiedereinsetzungsgrund angesehen werden, zumal dann Beschwerdeführer jede ihnen mißliebige Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zum zulässigen Gegenstand eines Wiedereinsetzungsantrages machen könnten.
Soweit die Wiedereinsetzungswerber unter Zugrundelegung der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, daß im Zeitpunkt der Einbringung der Verfassungsgerichtshofsbeschwerde die Vollmacht der verstorbenen Mag. H. bereits erloschen war und in ihrem Namen eine Beschwerde wirksam nicht eingebracht werden konnte, die Meinung vertreten, daß demnach die Verlassenschaft die Beschwerde hätte einbringen müssen und die Beschwerdefrist für die Verlassenschaft bzw. infolge Einantwortung für die Erben bereits abgelaufen sei, und nunmehr wegen Versäumung der Beschwerdefrist einen Wiedereinsetzungsantrag stellen, machen sie im Ergebnis den Rechtsirrtum geltend, nicht gewußt zu haben, daß die Beschwerde im Namen der Verlassenschaft einzubringen gewesen wäre. Wie der Verfassungsgerichtshof jedoch in ständiger Rechtsprechung betont hat, bildet ein Rechtsirrtum über das Bestehen einer Beschwerdemöglichkeit, dem ein Beschwerdeführer unterlegen ist, kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das nach den §§33 und 35 Abs1 VerfGG iVm. §146 Abs1 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würde (vgl. VfSlg. 7674/1975, 12614/1991). Ob im vorliegenden Fall die Frist für die Einbringung einer Beschwerde durch die Verlassenschaft bzw. nunmehr durch die Erben tatsächlich bereits verstrichen ist, hängt davon ab, ob und wann der Verlassenschaft bzw. den Erben der eingangs erwähnte Bescheid wirksam zugestellt worden ist. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Wiedereinsetzungsantrages kann diese Frage jedoch dahingestellt bleiben.
Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand waren daher abzuweisen.
3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §34 zweiter Satz und §33 zweiter Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.
Schlagworte
VfGH / Wiederaufnahme, VfGH / Prozeßvollmacht, VfGH / WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B2106.1997Dokumentnummer
JFT_10028873_97B02106_00