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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32004L0018 Vergabe-RL öffentliche Bauaufträge AnhIII;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der b GmbH in G, vertreten durch die Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. Mai 2015, W134 2105546-2/19E, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Ö GmbH in W, vertreten durch die Harrer Schneider Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Jasomirgottstraße 6/3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
I.
1 1. Die mitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) hat im Dezember 2014 einen Dienstleistungsauftrag betreffend die Entwicklung einer Individualsoftwarelösung im Oberschwellenbereich im Wege eines Verhandlungsverfahrens nach vorheriger Bekanntmachung ausgeschrieben. Die Bekanntmachung erfolgte auf nationaler Ebene und auf Unionsebene.
2 Mit Entscheidung vom 27. März 2015 teilte die Auftraggeberin der Revisionswerberin mit, dass sie nicht zur zweiten Stufe des Vergabeverfahrens zugelassen werde. Mit Schriftsatz vom 7. April 2015 begehrte die Revisionswerberin die Nichtigerklärung dieser Entscheidung.
3 Das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) teilte den Parteien mit Schreiben vom 7. Mai 2015 mit, dass es sich bei der mitbeteiligten Partei im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12.9.2013, IVD, C-526/11, möglicherweise nicht um eine öffentliche Auftraggeberin im Sinn des § 3 Bundesvergabegesetz 2006 (BVergG 2006) handle, und räumte den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Sowohl die mitbeteiligte Partei als auch die Revisionswerberin gingen in ihren daraufhin erstatteten Stellungnahmen davon aus, dass die mitbeteiligte Partei eine öffentliche Auftraggeberin im Sinn des § 3 BVergG 2006 sei.
4 2. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Nichtigerklärungsantrag der Revisionswerberin "gemäß § 3 BVergG 2006" zurück. Der Antrag auf Ersatz der Pauschalgebühren wurde abgewiesen. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes sei die Auftraggeberin eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Notariatskammern und der Österreichischen Notariatskammer. Als ihre Aufgabe habe die mitbeteiligte Partei in ihrer Stellungnahme die Förderung der Information und Zusammenarbeit der österreichischen Notariatskammern und deren Mitglieder in fachlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Belangen sowie unter anderem die Entwicklung und Bereitstellung von EDV-Software angegeben. Die Finanzierung der Notariatskammern erfolge durch die von ihnen festgesetzten Beiträge der Notare. Bei den von den Notariatskammern erfüllten Aufgaben im Standesinteresse der Notare handle es sich um solche im Allgemeininteresse und sie seien auch nicht gewerblicher Art. Auch die mitbeteiligte Partei - so das Verwaltungsgericht weiter - sei zu dem Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erbringen.
6 Das Verwaltungsgericht prüfte in der Folge, ob der dem EuGH-Urteil C-526/11 zugrunde liegende Fall mit dem hier zu beurteilenden vergleichbar sei. Dem Umstand, dass die mitbeteiligte Partei von der Definition in Anhang III zur Richtlinie 2004/18/EG wohl erfasst sei, hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass die Aufnahme von Einrichtungen in diesen Anhang keine unwiderlegbare Vermutung für das Bestehen einer "Einrichtung des öffentlichen Rechts" im Sinn von Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG darstelle.
7 Zu dem in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG erstgenannten Kriterium der überwiegenden Finanzierung verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass diese auch dann erfüllt sein könne, wenn sich die Einrichtung zwar durch - formal von ihr selbst festgelegte - Beiträge finanziere, die zu erbringenden Leistungen und die damit verbundenen Aufgaben aber durch Gesetz festgelegt seien, der Einrichtung eine Gewinnerzielungsabsicht untersagt sei und die Festlegung der Beitragssätze der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde bedürfe. Diese Vorgaben sah das Verwaltungsgericht vorliegend nicht als erfüllt an, weil den Notariatskammern gesetzlich eine erhebliche Autonomie bei der Bestimmung des Wesens, des Umfangs und der Durchführungsmodalitäten der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten und damit auch bei der Festlegung der Höhe der Beiträge eingeräumt sei. Zudem bedürfe die Festlegung der Beiträge keiner Genehmigung einer Aufsichtsbehörde.
8 Zum zweiten in der zitierten Bestimmung enthaltenen Kriterium, der Aufsicht hinsichtlich der Leitung durch öffentliche Stellen, verwies das Verwaltungsgericht auf das eingeschränkte Aufsichtsrecht des Bundesministers für Justiz gemäß § 153 Notariatsordnung (NO) und darauf, dass die Aufgaben des Rechnungshofes betreffend gesetzliche berufliche Vertretungen "also auch der Auftraggeberin" sowohl hinsichtlich des Gegenstandes als auch des Maßstabes der Überprüfung eingeschränkt seien.
9 Folglich würden "die Modalitäten der Finanzierung einer solchen Einrichtung keine überwiegende Finanzierung durch öffentliche Stellen" darstellen und "diesen keine Aufsicht über die Leitung der Einrichtung" ermöglichen. Die mitbeteiligte Partei sei daher keine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinn des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006.
10 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
11 Zur Zulässigkeit bringt die Revisionswerberin vor, es gehe um die Frage, ob Rechtsträger, deren Anteile ausschließlich von gesetzlichen beruflichen Vertretungen gehalten würden, welche an diese einen Teil ihrer Aufgaben auslagern würden, als öffentliche Auftraggeber anzusehen seien. Die diese Frage verneinende Auffassung des Verwaltungsgerichtes stehe in Widerspruch zu Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG und zur bisherigen (näher zitierten) innerstaatlichen Rechtsprechung, wonach gesetzliche berufliche Vertretungen als öffentliche Auftraggeber anzusehen seien.
12 Das vom Verwaltungsgericht begründend herangezogene Urteil des EuGH C-526/11 sei - so die Revisionswerberin weiter - nicht einschlägig, weil die (in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG bzw. in § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006 geforderte) Beherrschung nie damit begründet worden sei, dass die Notariatskammern oder die mitbeteiligte Partei öffentlich finanziert seien. Vielmehr würden die Notariatskammern der öffentlichen Aufsicht durch den Rechnungshof und den Bundesminister für Justiz unterliegen, weshalb die jeweils zweite Alternative der genannten Bestimmungen erfüllt sei. Die mitbeteiligte Partei wiederum unterliege der Aufsicht durch die Notariatskammern und ihre Leitungsorgane würden durch die Notariatskammern bestellt. Zudem sei die mitbeteiligte Partei ein Verband gemäß § 3 Abs. 1 Z 3 BVergG 2006 und auch deshalb als öffentliche Auftraggeberin anzusehen. Zum Vorliegen der Aufsicht im Wege der Rechnungshofkontrolle verweist die Revisionswerberin auf das Erkenntnis VwGH 17.9.2014, 2013/04/0144, von dem das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung abgewichen sei. Schließlich fehle konkret Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auftraggebereigenschaft der Notariatskammern.
13 4. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zulassung der außerordentlichen Revision beantragt und - ebenso wie die Revisionswerberin - die Auffassung vertritt, dass die Notariatskammern und auch sie selbst Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinn des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 seien. II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 1. Die Revision ist in Hinblick auf das oben dargestellte Zulässigkeitsvorbringen der Revisionswerberin zulässig.
15 2. Der hier maßgebliche § 3 des Bundesvergabegesetzes 2006 (BVergG 2006), BGBl. I Nr. 17 in der Fassung BGBl. I Nr. 10/2012, lautet auszugsweise:
"Öffentliche Auftraggeber und sonstige zur Anwendung von
Bestimmungen dieses Bundesgesetzes verpflichtete Auftraggeber
§ 3. (1) Dieses Bundesgesetz gilt mit Ausnahme
seines 3. Teiles für die Vergabeverfahren von öffentlichen
Auftraggebern (im Folgenden: Auftraggeber), das sind
1. der Bund, die Länder, die Gemeinden und
Gemeindeverbände,
2. Einrichtungen, die
a) zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht
gewerblicher Art sind, und
b) zumindest teilrechtsfähig sind und
c)
überwiegend von Auftraggebern gemäß Z 1 oder anderen Einrichtungen im Sinne der Z 2 finanziert werden oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die von Auftraggebern gemäß
Z 1 oder anderen Einrichtungen im Sinne der Z 2 ernannt worden sind,
3. Verbände, die aus einem oder mehreren Auftraggebern
gemäß Z 1 oder 2 bestehen.
(...)"
16 Art. 1 sowie Anhang III der (vorliegend noch maßgeblichen) Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 34 vom 30.4.2004, S. 114, in der Fassung der Richtlinie 2013/16/EU des Rates vom 13. Mai 2013, ABl. L 158 vom 10.6.2013, S. 184, (im Folgenden: Richtlinie 2004/18/EG) lauten auszugsweise:
"Artikel 1
Definitionen
(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die Definitionen der Absätze 2 bis 15.
(...)
(9) ,Öffentliche Auftraggeber' sind der Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.
Als ,Einrichtung des öffentlichen Rechts' gilt jede
Einrichtung, die
a) zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu
erfüllen,
b) Rechtspersönlichkeit besitzt und
c) überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften
oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.
Die nicht erschöpfenden Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Kriterien erfüllen, sind in Anhang III enthalten. Die Mitgliedstaaten geben der Kommission regelmäßig die Änderungen ihrer Verzeichnisse bekannt.
(...)
Anhang III
Verzeichnis der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach
Artikel 1 Absatz 9 Unterabsatz 2
(...)
ÖSTERREICH
Alle Einrichtungen, die der Haushaltskontrolle durch den Rechnungshof unterliegen, sofern sie nicht gewerblichen Charakter
haben.
(...)"
17 3. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Umschreibung der (österreichischen) Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Anhang III zur Richtlinie 2004/18/EG "die Auftraggeberin wohl umfassen würde", dass dies aber keine unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts sei. Die Revisionswerberin vertritt demgegenüber die Auffassung, dass der Anhang III zur Richtlinie 2004/18/EG für das Bundesverwaltungsgericht - anders als für den EuGH - verbindlich sei und die Notariatskammern als Gesellschafter der mitbeteiligten Partei schon aus diesem Grund öffentliche Auftraggeber seien.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur rechtlichen Bedeutung der Aufnahme von Einrichtungen in den Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG unter Verweis auf das EuGH-Urteil C-526/11 festgehalten, es sei fallbezogen zu prüfen, ob im Hinblick auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH vernünftige Zweifel daran bestehen, dass die gegenständliche Einrichtung zutreffend mit Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG als Einrichtung des öffentlichen Rechts nach dieser Richtlinie deklariert worden sei (siehe das bereits zitierte Erkenntnis VwGH 2013/04/0144).
19 Allgemein gilt im vorliegenden Zusammenhang, dass in Anbetracht der Ziele der Öffnung für den Wettbewerb und der Transparenz der Begriff der Einrichtung des öffentlichen Rechts weit zu verstehen ist (siehe VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0021, Rn. 19, mwH auch auf die Rechtsprechung des EuGH). Ebenso steht fest, dass die in den lit. a bis c des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 enthaltenen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Einrichtung des öffentlichen Rechts kumulativ erfüllt sein müssen (siehe VwGH 16.12.2015, Ro 2014/04/0065, mwH auf die Rechtsprechung des EuGH zur entsprechenden sekundärrechtlichen Regelung in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG).
20 5. Zum Vorliegen der drei Voraussetzungen hinsichtlich der mitbeteiligten Partei ergibt sich Folgendes:
21 5.1. Das Verwaltungsgericht ist - gestützt auf das Vorbringen der mitbeteiligten Partei im Nachprüfungsverfahren - davon ausgegangen, dass die mitbeteiligte Partei zu dem Zweck gegründet worden sei, vornehmlich im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erbringen. Im Hinblick auf die - im angefochtenen Erkenntnis mit "Förderung der Information und Zusammenarbeit der österreichischen Notariatskammern und deren Mitgliedern in fachlichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Belangen des Berufsstandes der Notare, u.a. mit der Aufgabe der Entwicklung und Bereitstellung von EDV-Software" wiedergegebene - Aufgabe bestehen gegen die Einstufung als "im Allgemeininteresse liegend" keine Bedenken. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den von der mitbeteiligten Partei erfüllten Aufgaben um solche gewerblicher Art handeln würde, finden sich weder im angefochtenen Erkenntnis noch in den Schriftsätzen der Parteien. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichtes, es handle sich um Aufgaben nicht gewerblicher Art, ist daher basierend auf den vorliegenden Grundlagen ebenfalls nicht zu beanstanden.
22 5.2. Da es sich bei der mitbeteiligten Partei um eine GmbH handelt, ist ihre Rechtsfähigkeit gegeben.
23 5.3. § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006 sieht (ebenso wie Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG) drei alternativ zu erfüllende "Beherrschungstatbestände" vor.
24 Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die ersten beiden Kriterien (überwiegende Finanzierung bzw. Aufsicht hinsichtlich der Leitung) unter Bezugnahme insbesondere auf die Ausführungen des EuGH im Urteil C-526/11 geprüft und jeweils verneint. Das drittgenannte Kriterium (Ernennung von Organen) wurde nicht behandelt.
25 Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Prüfung nicht durchgehend klar zum Ausdruck gebracht, ob sich die Prüfung auf die mitbeteiligte Partei selbst oder die Gesellschafter der mitbeteiligten Partei, somit die (sechs) Notariatskammern gemäß § 128 Notariatsordnung (NO) und die Österreichische Notariatskammer gemäß § 140 NO (im Folgenden zusammenfassend als Notariatskammern bezeichnet), bezieht. Dazu ist Folgendes anzumerken:
26 Die Beherrschungskriterien des § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006 stellen auf die Beherrschung durch andere öffentliche Auftraggeber ab. Fallbezogen kommen als derartige - die mitbeteiligte Partei beherrschende - öffentliche Auftraggeber die Notariatskammern als alleinige Gesellschafter ihrer 100- prozentigen Tochtergesellschaft (der mitbeteiligten Partei) in Betracht. Ausgehend davon wären das zweite und dritte Beherrschungskriterium (Aufsicht hinsichtlich der Leitung, Ernennungsrechte) in Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen (vgl. zur Aufsicht hinsichtlich der Leitung VwGH 1.7.2010, 2009/04/0207, mwN) jedenfalls dann als erfüllt anzusehen, wenn es sich bei den Notariatskammern ihrerseits um öffentliche Auftraggeber handeln sollte. Insofern ist es für die Beurteilung der Auftraggebereigenschaft der mitbeteiligten Partei erforderlich, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 auch - wie dies das Verwaltungsgericht der Sache nach gemacht hat - in Bezug auf die Notariatskammern zu prüfen.
27 6. Bei den nach dem VIII. Hauptstück der Notariatsordnung eingerichteten Notariatskammern handelt es sich um die gesetzlichen beruflichen Vertretungen der Notare (und Notariatskandidaten).
28 Die Erläuterungen zum BVergG 2006 halten fest, es werde darauf verzichtet, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts demonstrativ zu umschreiben, und es erübrige sich somit, "die Sozialversicherungsträger sowie die beruflichen Interessenvertretungen (Kammern) explizit zu nennen" (RV 1171 BlgNR 22. GP, 26). Auch vom Verfassungsgerichtshof wird die Eigenschaft einzelner, konkret betroffener gesetzlicher beruflicher Vertretungen als öffentliche Auftraggeber nicht in Zweifel gezogen (vgl. VfGH 12.6.2001, B 1698/99, hinsichtlich der Wirtschaftskammer Wien). Gleichermaßen hat der Verwaltungsgerichtshof die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeberin - jedenfalls implizit - nicht in Frage gestellt (vgl. VwGH 24.1.2007, 2006/04/0102).
29 6.1. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es sich bei den von den Notariatskammern zu erfüllenden, primär im Standesinteresse der Notare liegenden Aufgaben um solche im Allgemeininteresse handelt. Diese Einschätzung ist in Hinblick auf die insbesondere in den §§ 134 und 140a f NO geregelten Aufgaben, zu denen unter anderem die Ausübung der Disziplinargewalt, die Entscheidung über Beschwerden oder die Eintragung in das Verzeichnis der Notariatskandidaten, die Mitwirkung bei der Besetzung von Notarstellen, die Festsetzung von Beiträgen sowie die Einrichtung und Führung bestimmter - im Allgemeininteresse liegender - Register gehören, nicht zu beanstanden. So kann nach den Erläuterungen zum BVergG 2006 im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass ein Handeln in hoheitlicher Rechtsform einer öffentlichen Zwecksetzung und damit der Verwirklichung eines Allgemeininteresses dient (vgl. RV 1171 BlgNR 22. GP, 23). Zu beachten ist weiters, dass die Notariatskammern gesetzlich eingerichtet worden sind, um bestimmte, ihnen ausschließlich zufallende Aufgaben zu erfüllen (vgl. zur Relevanz dieses Umstandes auch die Nachweise bei Holoubek/Fuchs, in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg.), Bundesvergabegesetz 2006, § 3 Rz. 67). Anhaltspunkte, die für die gewerbliche Art der zu erfüllenden Aufgaben sprechen (wie etwa ein wettbewerbliches Umfeld oder eine Risikotragung; vgl. allgemein dazu VwGH Ra 2016/04/0021), wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich.
30 6.2. Die Voraussetzung der lit. b des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 ("zumindest teilrechtsfähig") liegt in Bezug auf die Notariatskammern jedenfalls vor, weil diese als Körperschaften öffentlichen Rechts eingerichtet sind (siehe die §§ 128 Abs. 4 sowie 140 Abs. 1 NO).
31 6.3. Näher zu prüfen ist allerdings, ob in Hinblick auf die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil C-526/11 von einer Beherrschung der Notariatskammern ausgegangen werden kann.
32 6.3.1. Eine Beherrschung im Wege von Bestellungsbzw. Ernennungsrechten (drittes Kriterium des § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006) kann bei den Notariatskammern im Hinblick auf die Regelungen der §§ 129 ff sowie 141 ff NO ausgeschlossen werden (vgl. allgemein auch den für sonstige Selbstverwaltungskörper geltenden Art. 120c Abs. 1 B-VG, der als verfassungsrechtlichen Grundsatz für die Organisation der nichtterritorialen Selbstverwaltung vorgibt, dass die Organe der Selbstverwaltungskörper aus dem Kreis ihrer Mitglieder nach demokratischen Grundsätzen zu bilden sind).
33 6.3.2. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, eine Beherrschung durch eine überwiegende Finanzierung (erstes Kriterium des § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006) liege vor dem Hintergrund der Ausführungen des EuGH im Urteil C-526/11 nicht vor, wurde von den Parteien nicht in Zweifel gezogen und begegnet ausgehend von dem vom Verwaltungsgericht diesbezüglich zugrunde gelegten Sachverhalt auch keinen Bedenken.
34 6.3.3. Somit kann eine Beherrschung nur im Wege einer Aufsicht hinsichtlich der Leitung vorliegen. Dazu ist vorauszuschicken, dass in allen drei Tatbeständen des § 3 Abs. 1 Z 2 lit. c BVergG 2006 eine enge Verbindung zwischen der Einrichtung und den öffentlichen Stellen zum Ausdruck kommt, welche die Möglichkeit mit sich bringt, dass sich eine Einrichtung bei ihren Entscheidungen im Bereich der Vergabe von Aufträgen von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt (siehe VwGH Ro 2014/04/0065, mwH auf die Rechtsprechung des EuGH). Wie sich den Erläuterungen zum BVergG 2006 entnehmen lässt, muss das alternative Beherrschungskriterium "Aufsicht hinsichtlich der Leitung" - da es eines der drei in der Definition jeweils genannten Merkmale darstellt - eine Verbindung mit der öffentlichen Hand schaffen, die der Verbindung gleichwertig ist, die besteht, wenn eines der beiden anderen alternativen Merkmale (nämlich die überwiegende Finanzierung oder die Ernennung von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Leitungsorgans durch die öffentliche Hand) erfüllt ist. Für diese Beurteilung ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen (siehe zu all dem RV 1171 BlgNR 22. GP, 25, sowie - zur Gesamtbetrachtung im Zusammenhang mit der Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle - VwGH 14.3.2012, 2009/04/0309).
35 Die Notariatskammern unterliegen hinsichtlich ihrer Gebarung der Kontrolle des Rechnungshofes (vgl. Art. 127b B-VG sowie zur Bedeutung der Rechnungshofkontrolle etwa VwGH Ra 2016/04/0021). Die Erläuterungen zu § 3 BVergG 2006 verweisen in Zusammenhang mit einer - über eine bloß nachprüfende Kontrolle hinausgehenden und somit richtlinienrelevanten - Aufsicht im Wege einer unmittelbaren Kontrolle auch der laufenden Gebarung in Verbindung mit laufenden Berichten an die Gesellschafter beispielhaft auf die Kontrollkompetenzen des Rechnungshofes (RV 1171 BlgNR 22. GP, 25).
36 Der EuGH hat im bereits zitierten Urteil C-526/11 zur Frage der Beherrschung im Wege der Aufsicht hinsichtlich der Leitung Folgendes festgehalten:
"29 Sodann ist zum zweiten in Art. 1 Abs. 9 Unterabs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 genannten Kriterium, der Aufsicht der öffentlichen Stellen über die Leitung, darauf hinzuweisen, dass eine nachträgliche Kontrolle dieses Kriterium grundsätzlich nicht erfüllt, da eine solche Kontrolle es den öffentlichen Stellen nicht erlaubt, die Entscheidungen der betreffenden Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2003, Adolf Truley, C-373/00, Slg. 2003, I-1931, Randnr. 70). Dies ist somit bei einer nachträglichen allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle durch eine Aufsichtsbehörde grundsätzlich der Fall und gilt erst recht, wenn die Behörde in der Form tätig wird, dass sie die Entscheidung dieser Einrichtung über die Festlegung der Höhe der ihre Finanzierung im Wesentlichen sicherstellenden Beiträge genehmigt, und sich dabei auf die Prüfung beschränkt, ob der Haushalt der betreffenden Einrichtung ausgeglichen ist.
30 Somit verfügt eine Einrichtung wie die Ärztekammer, obgleich gesetzlich geregelt ist, worin ihre Aufgaben bestehen, wie ihre überwiegende Finanzierung zu gestalten ist und dass die Entscheidung, mit der sie die Höhe der von den Kammerangehörigen zu entrichtenden Beiträge festlegt, der Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde bedarf, konkret über eine organisatorische und haushaltstechnische Autonomie, aufgrund deren nicht von einer engen Verbindung zwischen ihr und öffentlichen Stellen ausgegangen werden kann. Folglich stellen die Modalitäten der Finanzierung einer solchen Einrichtung keine überwiegende Finanzierung durch die öffentlichen Stellen dar und ermöglichen diesen keine Aufsicht über die Leitung der Einrichtung."
37 Der EuGH hat daher im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Aufsicht hinsichtlich der Leitung (Rn. 29) auf seine frühere Rechtsprechung im Urteil 27.2.2003, Adolf Truley, C-373/00, Bezug genommen.
38 Der Verwaltungsgerichtshof hat im bereits zitierten Erkenntnis 2013/04/0144 unter Bezugnahme auf die Urteile des EuGH C-526/11 sowie C-373/00, zur Bedeutung der Kontrolle durch den Rechnungshof Folgendes festgehalten:
"Damit hat der EuGH in seiner Rechtsprechung bereits klargestellt, dass ein Sachverhalt, bei dem auch die laufende Verwaltung im Hinblick auf ihre ziffernmäßige Richtigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit kontrolliert wird und zum anderen die öffentliche Hand berechtigt ist, die Betriebsräume und Anlagen dieser Einrichtung zu besichtigen und über das Ergebnis dieser Prüfung einer Gebietskörperschaft zu berichten, das Tatbestandsmerkmal der Aufsicht der Leitung erfüllt. Dabei hat der EuGH sachverhaltsmäßig auf die Prüfungsbefugnisse des Kontrollamtes der Stadt Wien abgestellt.
(...)
Aus (näher zitierten Bestimmungen des Rechnungshofgesetzes) ergibt sich, dass die Gebarungskontrolle des Rechnungshofes über die Beschwerdeführerinnen auch jene Prüfungsbefugnisse aufweisen wie die vom EuGH in seiner Rechtsprechung aufgestellten Erfordernisse.
4.9. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EuGH zum Tatbestandsmerkmal der Aufsicht über die Leitung sind beim Verwaltungsgerichtshof keine vernünftigen Zweifel darüber entstanden, dass die Einstufung der Beschwerdeführerinnen als Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Anhang III Punkt XX Richtlinie 2004/18 nicht den in dieser Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen entspricht. (...)"
39 Vorliegend verweist das Verwaltungsgericht darauf, dass die Aufgaben des Rechnungshofes betreffend die gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowohl hinsichtlich des Gegenstandes als auch hinsichtlich des Maßstabes der Prüfung eingeschränkt seien. Der Verwaltungsgerichtshof ist aber aus nachstehenden Gründen nicht der Ansicht, dass diesen Unterschieden bei der Beurteilung der Beherrschung durch die Aufsicht hinsichtlich der Leitung vorliegend entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt und sie somit zu einem anderen Ergebnis führen müssten.
40 Soweit die Zuständigkeit des Rechnungshofes in Hinblick auf gesetzliche berufliche Vertretungen nach Art. 127b Abs. 3 zweiter Halbsatz B-VG bzw. § 20a Abs. 1 zweiter Satz Rechnungshofgesetz 1948 (RHG) "nicht die für die Gebarung in Wahrnehmung der Aufgaben als Interessenvertretung maßgeblichen Beschlüsse der zuständigen Organe der gesetzlichen beruflichen Vertretungen" umfasst, ist darauf hinzuweisen, dass von dieser Einschränkung nicht die Art und Weise der Durchführung derartiger interessenpolitischer Organbeschlüsse erfasst ist (siehe RV 265 BlgNR 19. GP, 3, sowie Kroneder-Partisch, Art. 127b B-VG, in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht, Rz. 12, mwN).
41 Zum Ausschluss der Zweckmäßigkeit als Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Kontrolle der gesetzlichen beruflichen Vertretungen ist zunächst anzumerken, dass die Prüfungsmaßstäbe der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit keine isoliert nebeneinander stehenden Prüfungskriterien darstellen, sondern Ausformungen des allgemeinen Effizienzprinzips. Auch vor dem Hintergrund, dass diese Einschränkung in den Erläuterungen (AB 58 BlgNR 19. GP, 7) mit der Autonomie der Selbstverwaltung begründet wird, ist nicht anzunehmen, dass damit die Kontrolle der Art und Weise der Umsetzung von interessenpolitischen Entscheidungen in Hinblick auf die Erfüllung der Effizienzkriterien eingeschränkt werden soll (vgl. auch Kroneder-Partisch, aaO, Rz. 14, mwN).
42 Zudem ist - im Rahmen der oben bereits angesprochenen Gesamtbetrachtung - auch die Aufsicht durch den Bundesminister für Justiz (§ 153 NO) zu berücksichtigen. Diesem kommt - unter bestimmten Voraussetzungen - das Recht zu, bestimmte Beschlüsse aufzuheben (§ 140a Abs. 1 NO) oder eine Kammer aufzulösen (§ 139 Abs. 2 NO; siehe zur Maßgeblichkeit derartiger Faktoren wiederum die Erläuterungen zum BVergG 2006, RV 1171 BlgNR 22. GP, 25).
43 7. Im Ergebnis steht somit fest, dass die Notariatskammer und damit (siehe oben Rn. 27) auch die mitbeteiligte Partei die Voraussetzungen für eine Einrichtung des öffentlichen Rechts nach § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 erfüllen.
44 Der angefochtene Beschluss war daher in Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung hinsichtlich der Erfüllung des zweiten Kriteriums des § 3 Abs. 1 Z 2 BVergG 2006 eine unzutreffende Auffassung zugrunde gelegt hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
45 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 (angesichts der Zurückweisung der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei) und 6 VwGG abgesehen werden.
46 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
47 Ein Aufwandersatz zugunsten der mitbeteiligten Partei die dem Rechtsstandpunkt der Revisionswerberin beitritt, kam nicht in Betracht, weil das VwGG den Eintritt als mitbeteiligte Partei auf Seiten des Revisionswerbers nicht kennt. Die Stellung als Mitbeteiligter setzt vielmehr rechtlich geschützte Interessen im Widerspruch zur Interessenslage des Revisionswerbers voraus (vgl. VwGH 11.5.2017, Ro 2016/04/0008, mwN).
Wien, am 12. April 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62011CJ0526 IVD VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015040054.L00Im RIS seit
17.05.2018Zuletzt aktualisiert am
27.11.2018