TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/19 Ra 2017/20/0491

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Veröffentlicht am 19.04.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §25a;
VwGG §42 Abs2 Z3;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des M N L in L, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. November 2017, Zl. I415 2161943-1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Republik Kamerun, stellte am 21. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Befragt zu den Fluchtgründen gab der Revisionswerber sowohl in der niederschriftlichen Erstbefragung als auch in der Einvernahme zusammengefasst an, dass er in seinem Heimatstaat aufgrund seiner Zugehörigkeit zur englischsprachigen Minderheit diskriminiert und wegen seiner Unterstützung der politischen Bewegung des "Southern Cameroons National Council" (in weiterer Folge SCNC) verfolgt werde.

3 Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kamerun zulässig sei (Spruchpunkt III). Überdies wurde dem Revisionswerber keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und einer Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

4 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde, in der er unter anderem die Verletzung von Verfahrensvorschriften in Bezug auf die Verwendung von unvollständigen und unrichtigen Länderfeststellungen - unter Anführung von Berichten hinsichtlich der Lage von SCNC-Mitgliedern in Kamerun - geltend machte. Zudem rügte der Revisionswerber in weiterer Folge die unrichtige rechtliche Beurteilung.

5 Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. November 2017 wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A) und die Revision für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

6 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Revisionswerber keine asylrelevante Verfolgungsgefahr habe glaubhaft machen können. Auch gebe es keine Hinweise dafür, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr dem "real risk" einer Verletzung der in Art. 2 oder 3 EMRK gewährten Rechte ausgesetzt sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Vorlage der Revision samt den Verfahrensakten hat der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes weiche von der - näher dargelegten - Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab: So habe es das Bundesverwaltungsgericht gänzlich unterlassen, Feststellungen zum Heimatland des Revisionswerbers zu treffen. Infolge der unzureichenden Begründung sei eine inhaltliche Überprüfung "auf Grund des vom VwG angenommenen Sachverhaltes" nicht möglich, weshalb der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall gehindert sei, seine Rechtskontrollaufgabe gemäß § 41 Abs. 1 VwGG wahrzunehmen. Es sei sohin nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Tatsachen das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehe, dass das Vorbringen des Revisionswerbers, er werde aufgrund seiner Mitgliedschaft beim SCNC verfolgt, nicht plausibel sei. Hätte das Bundesverwaltungsgericht sich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers in Zusammenhang mit den - in der Beschwerde - beigebrachten Berichten zur Lage von SCNC-Mitgliedern auseinandergesetzt, wäre ihm das Vorbringen plausibel erschienen.

11 Überdies sei das Bundesverwaltungsgericht von der - wiederum näher dargelegten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es auf relevantes Beschwerdevorbringen in Hinblick auf den SCNC-Mitgliedsausweis des Revisionswerbers als Beweismittel nicht eingegangen sei. Auch die im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgte Einvernahme des Obmannes des SCNC Österreich sei vom Bundesverwaltungsgericht ohne jegliche Begründung als "unsubstantiiert" eingestuft worden. Auch damit werde das Bundesverwaltungsgericht seiner Begründungspflicht nicht gerecht.

12 Der Revisionswerber macht damit einen gravierenden, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterlaufenen und in Bezug auf den Verfahrensausgang relevanten Begründungsmangel geltend. Ein relevanter Begründungsmangel der Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes bewirkt die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 25a VwGG (vgl. VwGH 14.12.2017, Ra 2017/07/0089, mwN).

13 Die Revision erweist sich somit als zulässig. Sie ist auch begründet.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass in einem Fall, in dem das Verwaltungsgericht die der Entscheidung zu Grunde gelegten maßgeblichen Länderfeststellungen in den wesentlichen Punkten wiedergegeben und lediglich darüber hinaus auf die getroffenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen hat, die Entscheidung solcherart einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich und aus diesem Grund nicht als rechtswidrig zu erkennen ist (vgl. VwGH 28.11.2014, Ra 2014/01/0085).

15 Hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof in Fällen, in denen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zur Gänze fehlten, eine Verletzung der Begründungspflicht angenommen:

16 Auch ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen, weshalb auch das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen hat (vgl. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

17 Das Bundesverwaltungsgericht hat es unterlassen, eigene Feststellungen zu Kamerun zu treffen. Es hat lediglich auf die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Länderfeststellungen verwiesen. Es hat sich nicht mit dem Beschwerdevorbringen, die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwendeten Länderberichte seien unvollständig und unrichtig, auseinandergesetzt.

18 In der vorliegenden Revision hat der Revisionswerber die Relevanz dieses Mangels - vor dem Hintergrund der Rechtsprechung - dargetan, indem Quellen angeführt werden, aus denen hervorgeht, dass u.a. Anti-Terror-Gesetze dazu benützt würden, den SCNC zu zerschlagen oder etwa, dass es bei einer Reihe von Demonstrationen der SCNC zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften gekommen sei. Vor diesem Hintergrund ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall des Vermeidens des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

19 Schon aus diesem Grund war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. April 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017200491.L00.1

Im RIS seit

17.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

12.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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