TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/19 Ra 2016/15/0030

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Veröffentlicht am 19.04.2018
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §111 Abs1;
BAO §111 Abs2;
BAO §111;
BAO §144;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der B OG in M, vertreten durch Dr. Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 30. Dezember 2015, Zl. RV/4100369/2013, betreffend Festsetzung einer Zwangsstrafe, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 22. März 2013 setzte das Finanzamt gegenüber der revisionswerbenden OG gemäß § 111 BAO eine Zwangsstrafe in Höhe von 2.700 EUR fest. Begründend wurde ausgeführt, am 26. Februar 2013 um 13.00 Uhr habe im Sportwettenlokal der Revisionswerberin in K eine Kontrolle durch die Finanzpolizei stattgefunden. Dabei hätten Bedienstete der Abgabenbehörde die Grundaufzeichnungen und das Kassasystem nach den Bestimmungen der BAO überprüfen wollen. Unter Hinweis auf § 144 BAO und Vorlage des Dienstausweises sei Einblick in die Aufzeichnungen und die sonstigen für die Abgabenerhebung maßgeblichen Unterlagen verlangt worden. Der für die Leitung des Lokals verantwortliche Angestellte F habe die Einsichtnahme untersagt. Daraufhin sei ihm mehrmals die Verhängung einer Zwangsstrafe über 2.700 EUR gemäß § 111 BAO angedroht worden. Nachdem die Überprüfung der Grundaufzeichnungen weiterhin nicht ermöglicht worden sei, sei diese um 14.38 Uhr verhängt worden.

2 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Berufung, die ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt wurde.

3 Im Zuge der am 22. April 2015 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht, das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG mit 1. Jänner 2014 an die Stelle des unabhängigen Finanzsenats getreten war, wendete der Vertreter der Revisionswerberin ein, dass die einschreitenden Beamten der Finanzpolizei die Zwangsstrafe schriftlich weder gegenüber der Revisionswerberin noch gegenüber ihrem Mitarbeiter vor Ort angedroht hätten. Dem "lokalverantwortlichen Mitarbeiter" vor Ort gegenüber sei die Strafe nur mündlich angedroht worden. Es wäre diesem auch nicht möglich gewesen, die geforderten Daten offenzulegen, da er zu diesen keinen Zugang gehabt hätte. Seine Aufgabe sei es, Sportwetten anzunehmen und Wettgewinne auszuzahlen. Zudem habe er das Lokal sauber zu halten.

4 Der Einsatzleiter der Finanzpolizei führte aus, dass es sich bei der Nachschau vom 26. Februar 2013 neben einer Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz auch um eine Nachschau iSd § 144 BAO gehandelt habe. Er habe nach zweimaliger Androhung die Zwangsstrafe ausgesprochen, nachdem der "Lokalverantwortliche" F den einschreitenden Beamten trotz mehrmaliger Aufforderung verweigert habe, hinter die Theke zu treten, wo sich die Geschäftsunterlagen befunden hätten.

5 Der Geschäftsführer der Revisionswerberin gab an, dass im Lokal die gesamten Wettaufzeichnungen, Getränkeaufzeichnungen, und "alles, was man in einem Lokal führe," aufbewahrt worden seien. Beide Geschäftsführer der Revisionswerberin hätten über unmittelbares direktes Auffordern durch das Finanzamt die geforderten Unterlagen beigeschafft und vorgelegt. Es sei jedoch weder gegenüber der Revisionswerberin bzw. ihren Geschäftsführern eine solche Aufforderung ergangen, noch sei ihr bzw. ihnen gegenüber eine Zwangsstrafe angedroht worden.

6 Das Bundesfinanzgericht setzte die Zwangsstrafe auf

1.250 EUR herab, wies die (nunmehrige) Beschwerde im Übrigen jedoch ab.

7 Begründend führte es aus, die Duldung einer Nachschau gemäß § 144 BAO und die Vorlage von Unterlagen, die für die Abgabenerhebung maßgeblich seien, seien mit Zwangsstrafe erzwingbar.

8 Es könne aufgrund der Aktenvermerke der Finanzpolizei und der Aussage des Einsatzleiters der Finanzpolizei im Rahmen der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen werden, dass der "verantwortliche Mitarbeiter" im Lokal den einschreitenden Beamten im Zuge der durchgeführten Nachschau die Einsichtnahme in Aufzeichnungen und Geschäftsunterlagen zu Unrecht verweigert habe und der Einsatzleiter nach zweimaliger Androhung der Zwangsstrafe diese ausgesprochen habe.

9 Die Festsetzung der Zwangsstrafe sei zu Recht erfolgt, weil die Revisionswerberin und ihre Mitarbeiter verpflichtet gewesen wären, den einschreitenden Beamten die Einsichtnahme in die im Lokal aufbewahrten Geschäftsunterlagen zu gewähren und der Aufforderung zur Vorlage der Geschäftsbücher zu entsprechen. Dieser Verpflichtung sei der "lokalverantwortliche Mitarbeiter" nicht nachgekommen, er habe die einschreitenden Beamten vielmehr behindert. Da aufgrund des Verhaltens des Mitarbeiters Grund zur Annahme bestanden habe, dass die gegenständlichen Unterlagen der Überprüfung gänzlich entzogen werden würden, sei die mündliche Androhung berechtigterweise erfolgt.

10 Aufgrund der Tatsache, dass gegenüber der Revisionswerberin bereits 2012 im Zuge einer Nachschau eine Zwangsstrafe ausgesprochen worden war, sei die Festsetzung der gegenständlichen Zwangsstrafe dem Grunde nach gerechtfertigt und begründet. Die Höhe der nunmehr vom Bundesfinanzgericht festgesetzten Strafe ergebe sich aufgrund der wiederholten Handlungsweise der Revisionswerberin bzw. ihrer Mitarbeiter und aus dem Umstand, dass 2012 eine Strafe in Höhe von 1.000 EUR ausgesprochen worden sei.

11 Das Bundesfinanzgericht erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

13 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Begriff des "Verpflichteten" gemäß § 111 Abs. 2 BAO fehle. Zudem sei die Zwangsstrafe mündlich angedroht worden, obwohl keine Gefahr im Verzug vorgelegen sei.

14 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. 15 Gemäß § 111 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden

berechtigt, die Befolgung ihrer auf Grund gesetzlicher Befugnisse getroffenen Anordnungen zur Erbringung von Leistungen, die sich wegen ihrer besonderen Beschaffenheit durch einen Dritten nicht bewerkstelligen lassen, durch Verhängung einer Zwangsstrafe zu erzwingen. Bevor eine Zwangsstrafe festgesetzt wird, muss der Verpflichtete gemäß Abs. 2 leg. cit. unter Androhung der Zwangsstrafe mit Setzung einer angemessenen Frist zur Erbringung der von ihm verlangten Leistung aufgefordert werden. Die Aufforderung und die Androhung müssen schriftlich erfolgen, außer wenn Gefahr im Verzug ist.

16 Zweck der Zwangsstrafe ist, die Abgabenbehörde bei Erreichung ihrer Verfahrensziele zu unterstützen und die Partei (z. B. Abgabepflichtiger, Auskunftsperson) zur Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten zu verhalten (vgl. VwGH 27.9.2000, 97/14/0112).

17 Zu den abgabenrechtlichen Pflichten, die mittels Zwangsstrafe erzwungen werden dürfen, gehört auch die Duldung einer Nachschau iSd § 144 BAO (vgl. Ritz, BAO6, § 111 Tz 2). In Ausübung einer Nachschau dürfen Organe der Abgabenbehörde die Vorlage der nach den Abgabenvorschriften zu führenden Bücher und Aufzeichnungen sowie sonstiger für die Abgabenerhebung maßgeblicher Unterlagen verlangen und in diese Einsicht nehmen.

18 Wer "Verpflichteter" iSd § 111 Abs. 2 BAO ist, bestimmt sich nach der Pflicht, deren Erfüllung mit Androhung bzw. mit Ausspruch der Zwangsstrafe durchgesetzt werden soll. Eine Zwangsstrafe zur Erzwingung dieser Verpflichtungen kann nur gegenüber demjenigen verhängt werden, der zu einem bestimmten Tun oder Dulden verpflichtet ist. Vor der Verhängung der Zwangsstrafe ist auch dieser zur Erbringung der von ihm geforderten Leistung unter Androhung der Strafe aufzufordern.

19 Gegenständlich hätte die Aufforderung zur Vorlage der Grundaufzeichnungen unter Androhung der Zwangsstrafe somit an die Person, die nach abgabenrechtlichen Vorschriften zur Führung der abverlangten Aufzeichnungen verpflichtet war, ergehen müssen. Eine Zurechnung der Androhung an die OG setzt voraus, dass die Androhung an die OG gerichtet war. Diesbezügliche Feststellungen hat das Bundesfinanzgericht in Verkennung der Rechtslage nicht getroffen. Wer Adressat der mündlichen Androhung einer Zwangsstrafe war, kann im Übrigen auch dem über die mündliche Verkündung angefertigten Aktenvermerk vom 27. Februar 2013 nicht entnommen werden.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

21 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. April 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016150030.L00

Im RIS seit

17.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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