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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art133 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamtes Bregenz in 6900 Bregenz, Brielgasse 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 30. September 2015, Zl. RV/1100654/2015, betreffend Einkommensteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: W S in F, vertreten durch die Mag. Rainer Rangger Steuerberatungs GmbH in 6973 Höchst, Bonigstraße 11), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei war bis 30. April 2014 als Grenzgängerin in der Schweiz beschäftigt. Ab 1. Mai 2014 nahm sie eine nichtselbständige Tätigkeit in Österreich auf. Infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz wurde auch das Vorsorgeverhältnis zur betrieblichen Pensionskasse der Arbeitgeberin aufgelöst. Gemäß Austrittsabrechnung zum 30. April 2014 betrug das angesparte Pensionskassenguthaben 48.026 CHF. Davon wurde nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts der so genannte obligatorische Teil in Höhe von 10.432,45 CHF auf ein auf die mitbeteiligte Partei lautendes "Freizügigkeitskonto" überwiesen. Der überobligatorische Teil wurde nach Abzug der Quellensteuer auf Antrag der mitbeteiligten Partei in Höhe von 35.379,90 CHF bar ausbezahlt.
2 Im Rahmen der elektronisch eingebrachten Arbeitnehmerveranlagung 2014 beantragte die mitbeteiligte Partei, den ausgezahlten Betrag als Pensionsabfindung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.
3 Das (revisionswerbende) Finanzamt erkannte in der von der mitbeteiligten Partei getroffenen Wahl, sich das Pensionsguthaben direkt von der Pensionskasse auszahlen anstatt es auf ein "Freizügigkeitskonto" überweisen zu lassen, einen Umstand, der der Gewährung der Steuerbegünstigung entgegensteht (Hinweis auf VwGH 24.5.2012, 2009/15/0188, und 25.4.2013, 2010/15/0158).
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 erhobenen Bescheidbeschwerde der mitbeteiligten Partei statt. Entgegen der Ansicht des Finanzamtes sei ein Drittel der strittigen Barauszahlung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 steuerfrei zu belassen. Der Dienstaustritt vor Eintritt des Versorgungsfalles habe stets ex lege die Beendigung des Vorsorgeverhältnisses mit der beruflichen Pensionskasse des bisherigen Dienstgebers zur Folge und löse gemäß Art. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über die Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 17. Dezember 1993 (Freizügigkeitsgesetz, kurz FZG) den gesetzlichen Anspruch auf die Austrittsleistung (Freizügigkeitsleistung) aus. Die mitbeteiligte Partei habe gegenüber der Pensionskasse bei Dienstaustritt nur einen Anspruch auf die Austrittsleistung. Ein alternativer Anspruch gegenüber der Pensionskasse des bisherigen Dienstgebers auf Verbleib in der Pensionskasse und auf spätere Zahlung einer Altersrente aus dem bei dieser Pensionskasse angesparten Guthaben bestehe nicht. Wie das Finanzamt selbst festgestellt habe, bestünde auch keine Möglichkeit, das Altersguthaben auf eine inländische Pensionskasse zu übertragen und dadurch den Rentenanspruch zu erhalten. Selbst wenn die mitbeteiligte Partei die Möglichkeit gehabt habe, den von der Pensionskasse bar ausbezahlten Betrag auf das Freizügigkeitskonto bei der U AG (auf das der obligatorische Teil des Pensionskassenguthabens überwiesen worden sei) übertragen zu lassen, könne darin nicht ein von der Pensionskasse (als Schuldnerin aus dem Vorsorgeverhältnis) wahlweise eingeräumter, gleichrangiger Anspruch auf Zahlung einer Rente (keine obligatio alternativa iSd § 908 ABGB) erblickt werden. Überdies komme es mit der Übertragung auf die Freizügigkeitseinrichtung zweifelsohne zu einem Schuldnerwechsel. Die Übertragung auf das Freizügigkeitskonto sichere nur das angesparte Kapital und vermittle - wie sich aus dem Kontoauszug der U AG ergebe - einen Anspruch auf Verzinsung des Kapitals.
5 Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 2007, 2006/15/0258, gehe überdies hervor, dass auch die Abfindung eines Anspruches aus einer Freizügigkeitspolice der Drittelbegünstigung unterliege und die Freiwilligkeit der Entscheidung der Begünstigung nicht entgegenstehe. Die vom Finanzamt für dessen Standpunkt angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes beträfen andere Sachverhalte.
6 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig, weil zu einem vergleichbaren Sachverhalt und identer Rechtslage (übereinstimmende) Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vorlägen (Hinweis auf VwGH 19.4.2007, 2005/15/0010, und 19.12.2007, 2006/15/0258) und die vom Finanzamt angeführten Erkenntnisse (VwGH 24.5.2012, 2009/15/0188; 16.12.2010, 2007/15/0026; 25.4.2013, 2010/15/0158) zu mit dem gegenständlichen Sachverhalt nicht vergleichbaren Sachverhalten ergangen seien.
7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts.
8 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Das Finanzamt macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu "begünstigungsschädlichen Pensionsabfindungen" ab und verweist dazu auf die Erkenntnisse vom 24. Mai 2012, 2009/15/0188, 16. Dezember 2010, 2007/15/0026, und 25. April 2013, 2010/15/0158.
13 Gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 sind "Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen auf Grund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen."
14 Im Erkenntnis vom 19. April 2007, 2005/15/0010, hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit einem "Altersguthaben" eines österreichischen Grenzgängers befasst, welches infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in der Schweiz und dem damit verbundenen "endgültigen Verlassen der Schweiz" ausbezahlt worden war. Der Verwaltungsgerichtshof hat es für die Rechtslage des Jahres 2001 für nicht rechtswidrig erachtet, dass das ausgezahlte "Altersguthaben" als Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 besteuert worden war. Auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwies der Verwaltungsgerichtshof im nachfolgenden Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, 2006/15/0258, dem ein Fall zu Grunde lag, in dem das "Altersguthaben" zunächst auf eine Freizügigkeitspolice übertragen und "beim endgültigen Verlassen der Schweiz" antragsgemäß bar ausbezahlt worden war. Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den wesentlichen Sachverhaltselementen den mit den angeführten Erkennntnissen entschiedenen Beschwerdefällen.
15 Der vom revisionswerbenden Finanzamt gesehene Widerspruch der angeführten Erkenntnisse zu später ergangenen Erkenntnissen liegt nicht vor, weil die in der Revision angeführten Erkenntnisse zu Bestimmungen ergangen sind, die nicht streitgegenständlich sind oder anders gelagerte Sachverhalte betreffen.
16 Im Erkenntnis vom 24. Mai 2012, 2009/15/0188, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass eine "Abfindung im Sinne des § 124b Z 53 EStG 1988" nicht vorliege, wenn dem Gläubiger das freie Wahlrecht zwischen der Rente einerseits und dem Rentenbarwert (als Kapitalanspruch) andererseits eingeräumt ist. Das Erkenntnis betraf einen Wirtschaftstreuhänder, der von dem ihm durch die §§ 4 und 5 der Satzung der Vorsorgeeinrichtung der Kammer der Wirtschaftstreuhänder eingeräumten Recht Gebrauch gemacht hatte, zugleich mit seinem Antrag auf Zuerkennung der Alterspension einen Antrag auf Teilabfindung zu stellen. Ein vergleichbares Wahlrecht zwischen dem Bezug einer Alterspension oder der Barauszahlung des Rentenanspruchs (der Rentenanwartschaft) stand der mitbeteiligten Partei nach den unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen des Bundesfinanzgerichts im Revisionsfall nicht zu.
17 Das vom Finanzamt angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2010, 2007/15/0026, erging zur Abfindung einer privaten Firmenpension.
Streitgegenständlich waren die Jahre 1995 bis 1997. Ein dem § 124b Z 53 EStG 1988 idF BGBl. I Nr. 54/2002 zu subsumierender Fall lag demnach nicht vor.
18 Das Erkenntnis vom 25. April 2013, 2010/15/0158, ist zur nicht revisionsgegenständlichen Bestimmung des § 37 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 idF BGBl. Nr. 201/1996 ergangen und betraf gleichfalls die Abfindung einer privaten Firmenpension.
19 Das revisionswerbende Finanzamt begründet die Zulässigkeit der Revision weiters mit dem Vorbringen, die den Erkenntnissen vom 19. April 2007, 2005/15/0010, und vom 19. Dezember 2007, 2006/15/0258, zu Grunde liegenden Sachverhalte seien mit dem gegenständlich vorliegenden "in wesentlichen Bereichen nicht vergleichbar". Die angeführten Erkenntnisse seien zu der bis 2006 geltenden schweizerischen und gemeinschaftsrechtlichen Rechtslage ergangen, während nunmehr das Jahr 2014 streitgegenständlich sei.
20 Auch mit diesem - auf das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinauslaufenden - Vorbringen kann das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt werden.
21 Das Bundesfinanzgericht hat zur ausländischen Rechtslage festgestellt, dass auch für das Streitjahr 2014 der Dienstaustritt vor Eintritt des Versorgungsfalles stets ex lege die Beendigung des Vorsorgeverhältnisses mit der beruflichen Pensionskasse des bisherigen Dienstgebers zur Folge hat und gemäß Art. 2 FZG den gesetzlichen Anspruch auf die Austrittsleistung (Freizügigkeitsleistung) auslöst. Der Arbeitnehmer habe gegenüber der Pensionskasse im Falle seines Dienstaustrittes vor Eintritt des Versorgungsfalles nur einen Anspruch auf die Freizügigkeitsleistung. Ein (alternativer) Anspruch gegenüber der Pensionskasse des bisherigen Dienstgebers auf Verbleib in der Pensionskasse und auf spätere Zahlung einer Altersrente aus dem bei diesem angesparten Guthaben bestehe nicht. Dass ab 1. Juni 2007 - wie in der Revision ausgeführt wird - die Auszahlung des obligatorischen Guthabens grundsätzlich nicht mehr möglich ist, wenn die Person bei Rückkehr in einem EU/EWR-Staat dort der obligatorischen Rentenversicherung unterstellt ist (vgl. Art. 25f FZG), stellt keine entscheidungsrelevante Änderung der ausländischen Rechtslage dar. Die Einschränkung der Auszahlung auf den überobligatorischen Teil des Altersguthabens betrifft lediglich den Umfang des Auszahlungsbetrages. Die steuerliche Behandlung des tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Teiles des schweizerischen Pensionskassenguthabens erfährt dadurch keine Änderung.
22 Schließlich begründet das Finanzamt die Zulässigkeit der Revision mit dem Vorbringen, dass die Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 jedenfalls dann nicht zur Anwendung gelangen könne, wenn der Steuerpflichtige bis zu seiner Pensionierung in der Schweiz verbleibe und sich "dann bei Pensionsantritt das gesamte obligatorische sowie das über-, unter- und vorobligatorische Guthaben ausbezahlen" lasse, weil er diesfalls von dem ihm gemäß Art. 37 BVG (Schweizer Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982) eingeräumten Wahlrecht Gebrauch mache. Mit diesen Ausführungen wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art schon deshalb nicht aufgezeigt, weil die vom Finanzamt beschriebene Sachverhaltskonstellation im Revisionsfall nicht vorliegt. Ob die vom Finanzamt befürchtete "verfassungswidrige Schlechterstellung" jener Steuerpflichtiger eintritt, die bis zum Pensionseintritt in der Schweiz beschäftigt sind, kann gegenständlich dahinstehen.
23 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG von einem nach § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat mit Beschluss zurückzuweisen.
24 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. April 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016150025.L00Im RIS seit
17.05.2018Zuletzt aktualisiert am
31.07.2018