TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/15 99/09/0251

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Veröffentlicht am 15.03.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §52;
KOVG 1957 §18;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der HF in W, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Wien vom 6. Oktober 1999, Zl. OB. 115-158449-005, betreffend Erhöhung der Pflegezulage nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Im gegenständlichen Verfahren wurde der den Antrag auf Erhöhung der dem am 11. Mai 1995 verstorbenen Gatten der Beschwerdeführerin gewährten Pflegezulage nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 - KOVG - abweisende Bescheid der Schiedskommission beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland vom 28. Oktober 1996 mit dem hg. Erkenntnis vom 16. November 1997, Zl. 96/09/0380, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Verwaltungsgerichtshof verweist zur Vermeidung von Wiederholungen zur Vorgeschichte bis zur Erlassung dieses Bescheides auf das genannte Erkenntnis.

Im fortgesetzten Verfahren holte die - nunmehr zuständige - belangte Behörde ein neues ärztliches Sachverständigengutachten ein. Dieses wurde vom selben Sachverständigen erstellt, der bereits das im hg. Erkenntnis vom 16. November 1997, Zl. 96/09/0380, näher ausgeführte Gutachten vom 10. Mai 1995 erstattet hatte.

Dieses neue Gutachten vom 29. Juni 1998 hat folgenden Wortlaut:

"ALLGEMEIN-ÄRZTLICHES SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN

Aktengutachten: 29.6.1998

SACHVERHALT: Aktengutachten in Bezug auf VGH -

Erkenntnis ABl. 622-622/5.

Vorgeschichte: aktenmäßig

Befund: aktenmäßig

Dienstbeschädigung:

Verlust des rechten Unterschenkels im mittleren Drittel nach therapieresistenter Osteomyelitits im Fersenbeinbereich.

Ausgedehnte Narbenbildung mit Muskeldefekt im Beugebereich des Oberschenkels rechts.

Narbenbildung am linken Oberschenkel nach Lappenentnahme.

Akausale Leiden:

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus.

Sklerotische Cardiopathie nach zweimaligem Herzinfarkt.

Kraftminderung am rechten Arm nach Narkoselähmung 1981.

Z. n. ChE.

Beurteilung:

Der KT. benötigt Fremdhilfe zum An- und Auskleiden, zur

gründlichen täglichen Körperpflege, zur Reinigung nach

Notdurftverrichtung und zur Stumpfpflege.

Der KT kann ohne Fremdhilfe essen.

Es ist ein Maß an qualifizierter Hilfeleistung erforderlich,

das als Pflege und Wartung angesehen werden kann.

Außergewöhnliche Pflege und Wartung ist erforderlich. Dauerndes Krankenlager liegt praktisch vor.

Die Hilflosigkeit wird im Zusammenwirken der kausalen und akausalen Leiden verursacht.

Die außergewöhnliche Pflege und Wartung war durch die schwere akausale Erkrankung - Herzinsuffizienz - bedingt.

Die DB selbst aber war im gegenständlichen Fall lediglich an einem Leidenszustand beteiligt -,

für welchen die Zuerkennung der Pflegezulage im Ausmaß der Stufe I (eins) vorgeschlagen wird.

Zeitpunkt des Eintrittes der Hilflosigkeit: laufend wie bisher.

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.

Demnach abschließender Vorschlag:

Weiterhin GEWÄHRUNG der PFLEGEZULAGE der STUFE I (EINS)."

Auf Grund einer Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 14. Oktober 1998 ergänzte der Gutachter Dr. L. folgendermaßen:

"Nach Meinung des Senates fehlt im Gutachten die schlüssige, nachvollziehbare Begründung für die Behauptung, dass die außergewöhnliche Pflege und Wartung ausschließlich durch akausale Leiden verursacht war.

Aus allgemeinärztlicher Sicht ist zu der Meinung des Senates festzuhalten, dass bei Herrn F als führende DB ein Verlust des rechten Unterschenkels im mittleren Drittel wegen therapieresistenter Osteomyelitits im Fersenbeinbereich mit einer MdE von 50 % vorlag, weiters fanden sich eine ausgedehnte Narbenbildung mit Muskeldefekt am rechten Oberschenkel mit einer MdE von 20 % und eine Narbe am linken Oberschenkel nach Lappenentnahme mit einer MdE von 0 % vorgelegen ist.

Wesentlich gravierender in Bezug auf notwendiger Pflege und Wartung wirkten sich die akausalen Leiden aus und hier insbesondere die schwere cardiale Erkrankung, an der der Antragsteller dann auch einen Tag nach meinem am 10.5.1995 durchgeführten Hausbesuch verstarb.

Aus allgemeinärztlicher Sicht war daher die DB im gegenständlichen Fall lediglich an einem Gesamtleidenszustand beteiligt, für welchen die Zuerkennung der Pflegezulage im Ausmaß der Stufe I (eins) vorzuschlagen ist."

In der dazu erstatteten Stellungnahme vom 9. Juni 1999 rügte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Unschlüssigkeit dieser Gutachtenergänzung.

Die belangte Behörde stützte ihren (Ersatz-)Bescheid vom 6. Oktober 1999 - den nunmehr angefochtenen Bescheid - auf das im fortgesetzten Verfahren erstattete neue ärztliche Sachverständigengutachten Dris. L. Sie erkannte dieses Gutachten als schlüssig und legte es in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde. Der angefochtene Bescheid enthält keine weitere Begründung zum Verhältnis der im Verwaltungsverfahren behaupteten Verschlechterung der als kausal anerkannten sowie der akausalen Leiden in Beziehung auf den dadurch bewirkten Einfluss auf die gewöhnliche Pflege und Wartung bzw. außergewöhnliche Pflege und Wartung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss ein Sachverständiger darlegen, auf welchem Weg er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen ist, damit eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens vorgenommen werden kann (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 823 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 7. Mai 1996, Zl. 95/09/0178, betreffend Beschädigtenversorgung nach dem KOVG ein ärztliches Sachverständigengutachten als "mit einer gewissen Willkürlichkeit behaftet" angesehen, da darin u.a. keine nachvollziehbare Begründung enthalten war, warum an der die Minderung der Erwerbsfähigkeit bewirkenden Schwerhörigkeit ein Anteil von zwei Drittel auf Kriegsereignisse zurückzuführen sein solle und ein altersbedingter akausaler Anteil von einem Drittel zu berücksichtigen sei. Zu diesen Überlegungen komme, dass die Rechtsfrage des Kausalzusammenhanges richtigerweise nicht vom ärztlichen Sachverständigen, sondern (auf der Grundlage des Gutachtens) von der belangten Behörde zu beurteilen und nachvollziehbar zu begründen gewesen wäre.

Im gegenständlichen Fall stützt sich der Sachverständige offenbar ausschließlich auf seine bereits im Gutachten vom 10. Mai 1995 enthaltene "Vorgeschichte" und Befundaufnahme. Der in dieser Hinsicht - unter anderem auch - zur Aufhebung des Vorbescheides vom 28. Oktober 1996 führende Widerspruch zum damaligen Zweitgutachter Dr. K. erscheint demnach ausgeräumt, zumal die belangte Behörde das Zweitgutachten nunmehr nicht verwertet.

Mit dem neuen Gutachten hat Dr. L. auch ausdrücklich eine Unterscheidung dahingehend getroffen, dass die Dienstbeschädigung annähernd gleichwertig mit akausalen Leiden an jenem Zustand des Kriegsbeschädigten beteiligt sei, welcher ein Maß an qualifizierter Hilfeleistung erforderlich mache, das als Pflege und Wartung angesehen werden könne. Die akausalen Leiden seien hingegen ausschließlich dafür verantwortlich, dass im Falle des Kriegsbeschädigten außergewöhnliche Pflege und Wartung erforderlich sei. Damit ist auch der ursprüngliche Mangel des Gutachtens Dris. L. vom 10. Mai 1995 saniert, in dem diese Unterscheidung nicht mit ausreichender Deutlichkeit getroffen worden war.

Der Gutachter hat aber keine nähere, nachvollziehbare Begründung zu seiner Unterscheidung im Gutachten geliefert. Er geht aus medizinischer Sicht in Wahrheit begründungslos über die in der "Vorgeschichte" erwähnte stationäre Behandlung im Juni 1994 "wegen Herzproblemen und Problemen mit dem Amputationsstumpf" (Unterstreichung durch den Verwaltungsgerichtshof) - vgl. den im genannten Erkenntnis vom 16. November 1997 ausgeführten Befundbericht des Donauspitals vom 25. Jänner 1995 - hinweg. Insbesondere fehlen Ausführungen, ob bzw. in welcher Weise sich die Entwicklung des als Dienstbeschädigung anerkannten Leidens auf die Pflegebedürftigkeit des Kriegsbeschädigten auswirkte. Des Weiteren zeigt der Gutachter nicht auf, wie sich die akausalen Leiden seit der letzten Bemessung der Pflegezulage entwickelten. Auch zum etwaigen Einfluss der akausalen Leiden auf die fortschreitende Verschlechterung der Kriegsbeschädigung findet sich im Gutachten nichts. Mangels Ausführungen zu diesen für die vorgenommene Unterscheidung des Gutachters in diesem komplexen Zusammenhang notwendigen Parametern ist daher - wie auch die, wenngleich in anderem rechtlichen Zusammenhang, vorgenommene Trennung des kausalen und akausalen Anteils durch den ärztlichen Gutachter in dem dem genannten Erkenntnis vom 7. Mai 1996 zugrundeliegenden Fall - auch hier die hier vorgenommene Trennung mit "einer gewissen Willkürlichkeit behaftet".

Der Verwaltungsgerichtshof weist im gegebenen Zusammenhang nachdrücklich darauf hin, dass es bei einem derart komplexen Zusammenhang zwischen kausalen und akausalen Leiden im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Pflegebedürftigkeit eines Kriegsbeschädigten nicht angeht, dass sich der ärztliche Gutachter bei seiner Beurteilung sich im Wesentlichen mit der inhaltlichen Wiedergabe (samt geringfügigem Zusatz) des schon im Erstgutachten vom 10. Mai 1995 verwendeten "Formulares" begnügt, in der Ergänzung bloß die bereits seit 1989 festgestellte Dienstbeschädigung mit eigenen Worten wiedergibt und die begründungslose Behauptung wiederholt, dass die akausalen Leiden ausschließlich für die Erforderlichkeit außergewöhnlicher Pflege und Wartung verantwortlich seien. Nach der Aktenlage sah auch die belangte Behörde das Gutachten vom 29. Juni 1998 zunächst als nicht ausreichend an. Sie gab sich aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen in der Folge mit der - im Wesentlichen inhaltsleeren - Ergänzung des Dr. L. vom 20. April 1999 zufrieden.

Hinzu kommt, dass im gegenständlichen Fall von der belangten Behörde keine eigene Begründung zur Rechtsfrage geliefert wurde, für welchen Grad der Pflegebedürftigkeit die Dienstbeschädigung in ihrer weiteren Entwicklungsform wesentlich war, sondern sie nur die Ausführungen Dris. L. übernahm.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Das Mehrbegehren hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes ein Kostenersatz unter dem Titel der Umsatzsteuer und des Einheitssatzes nicht zusteht. Das Begehren auf Ersatz der "Stempelgebühr" war abzuweisen, weil gemäß § 64 Abs. 2 KOVG keine Gebührenpflicht besteht (eine solche Gebühr wurde tatsächlich auch nicht entrichtet).

Wien, am 15. März 2000

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Verwertung aus anderen Verfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999090251.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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