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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern die mit € 2.376,-- bestimmten Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar russischer Staatsangehörigkeit und ihr minderjähriges Kind, reisten am 14. Juli 2006 in das Bundesgebiet ein und stellten am gleichen Tag Anträge auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheiden vom 3. August 2006 wies das Bundesasylamt die Anträge auf internationalen Schutz gemäß §5 Abs1 AsylG als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art16 Abs1 litc der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Polen zuständig sei; ferner wurden die Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet gemäß §10 Abs1 Z1 leg. cit. nach Polen ausgewiesen. Mit dem angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufungen der Beschwerdeführer gemäß §§5 und 10 AsylG ab, schob aber die Durchführung der Ausweisung gemäß §10 Abs3 AsylG bis 15. Februar 2007 auf, da sich die Zweitbeschwerdeführerin im neunten Schwangerschaftsmonat befand und überdies hinsichtlich latenter TBC medizinisch behandelt wurde.
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG gerichtete Beschwerde, in der die Verletzung von Art3, 8 und 14 EMRK sowie Willkür gerügt wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 1. Oktober 2007, G179, 180/07, die Wortfolge "gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass" sowie das Wort "ist" am Satzende in §10 Abs3 des Asylgesetzes (Art2 des Fremdenrechtspaketes 2005, BGBl. I 100/2005) als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 1. Oktober 2007. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 17. November 2006 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an, indem sie einen befristeten Durchführungsaufschub gewährte, der mit einem (bis zur Entscheidung mit aufschiebender Wirkung verbundenen) Antrag nicht verlängert werden konnte. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
IV. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag antragsgemäß sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 396,-- enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:B1690.2006Dokumentnummer
JFT_09928992_06B01690_00