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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §3 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision des N A T alias N S T in W, vertreten durch Mag. Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. August 2017, Zl. L504 2150611- 1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 16. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gab der Revisionswerber zu seinem Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe in seiner Heimat als Landvermesser gearbeitet. An einem näher bezeichneten Tag sei er mit Kunden zu einem Grundstück gefahren, um dieses zu vermessen. Bei den Kunden habe es sich um Angehörige der Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq gehandelt, welche einen Bruder des Revisionswerbers ermordet habe. Die Kunden hätten eine Unterschrift verlangt und gesagt, sie wüssten, dass der Revisionswerber Sunnit sei und würden ihn und seine Familie umbringen, wenn er nicht unterzeichne. Um Zeit zu gewinnen, habe der Revisionswerber eine Genehmigung in Aussicht gestellt und sei am nächsten Tag geflohen, ohne der Forderung der Kunden Folge zu leisten.
2 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 10. Februar 2017 hinsichtlich der Zuerkennung Asyls bzw. subsidiären Schutzes abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie unter einem festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt.
3 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom 10. März 2017 bemängelte der Revisionswerber insbesondere die Beweiswürdigung des BFA und griff dabei gezielt einzelne Aspekte an. Weiters wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) beantragt.
4 Das BVwG wies diese Beschwerde mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 11. August 2017 als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Es schloss sich zunächst der Beweiswürdigung des BFA im erstinstanzlichen Bescheid an und führte zudem aus, der Revisionswerber habe diese Beweiswürdigung in der Beschwerde nicht substantiiert bekämpft, weshalb sich das BVwG nicht veranlasst gesehen habe, das Ermittlungsverfahren zu wiederholen bzw. zu ergänzen. Anschließend setzte es sich beweiswürdigend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinander und kam zu dem Schluss, jenem keinen Glauben zu schenken.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Vorlage der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe sich begründend bloß auf den Akteninhalt bezogen, obwohl aufgrund der Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sowie der substantiierten Bestreitung der Beweiswürdigung des BFA in der Beschwerde eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes und ganzheitlichen Würdigung zwingend geboten gewesen wäre, womit das angefochtene Erkenntnis der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerspreche.
7 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt. 8 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung
unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0275, mwN).
9 Diesen in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
10 Das BVwG schloss sich zwar grundsätzlich der Beweiswürdigung des BFA an, erachtete es allerdings darüber hinaus für geboten, weitere ergänzende Argumente und Aspekte auszuführen. Dadurch schloß sich das BVwG nicht nur der Beweiswürdigung des BFA an, sondern nahm eine zusätzliche Beweiswürdigung vor, die dazu führt, dass das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzte. Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat jedoch regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 10.9.2015, Ra 2014/20/0142). Zudem hat der Revisionswerber die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Bescheides substantiiert bestritten, indem er zu einzelnen Aspekten, aus denen das BFA die fehlende Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens ableitete, ergänzendes Vorbringen erstattete.
11 Dem Argument, § 21 Abs. 7 zweiter Fall BFA-VG habe insoweit den Entfall der Verhandlung gerechtfertigt, ist angesichts dessen und vor dem Hintergrund der Rechtsprechung ebenfalls nicht beizutreten (vgl. VwGH 15.3.2018, Ra 2017/20/0405, mwN).
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. April 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017200363.L00Im RIS seit
16.05.2018Zuletzt aktualisiert am
18.05.2018