TE Vwgh Erkenntnis 2000/3/17 99/19/0003

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Veröffentlicht am 17.03.2000
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E05100000;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

31968R1612 Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft Art10 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
EURallg;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §49 Abs1;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Zens, Dr. Bayjones und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des 1966 geborenen GK in Wien, vertreten durch Dr. RM, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. November 1998, Zl. 121.624/6-III/11/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, beantragte am 3. Oktober 1997 die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Anlässlich einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Landeshauptmann von Wien am 23. Juni 1998 gab der Beschwerdeführer an, er halte sich seit 1994 durchgehend in Österreich auf. Er habe weder über Sichtvermerke noch über Aufenthaltsbewilligungen verfügt. Im Jahr 1993 sei ein Asylverfahren anhängig gewesen. Zur Zuerkennung von Asyl an den Beschwerdeführer sei es jedoch nicht gekommen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. November 1998 wurde der nach Inkrafttreten des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewertete Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Oktober 1997 gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die erstinstanzliche Behörde habe den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, weil dieser seinen eigenen Angaben zufolge seit vier Jahren unrechtmäßig in Österreich aufhältig sei. Der Beschwerdeführer habe im Februar 1996 eine österreichische Staatsangehörige geehelicht, welcher jedoch im Oktober 1996 verstarb.

Gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 könne die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung wegen Gefährdung öffentlicher Interessen insbesondere versagt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Der Beschwerdeführer sei seit 1. Oktober 1996 an einer Adresse in Wien gemeldet und halte sich ohne entsprechende Berechtigung "wissentlich illegal" in Österreich auf. Dieses Verhalten begründe den Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Gemäß § 37 FrG 1997 habe eine Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen unter Beachtung der in § 8 Abs. 3 FrG 1997 genannten Kriterien zu erfolgen. Diese Abwägung habe ergeben, dass den öffentlichen Interessen "absolute Priorität" eingeräumt werden müsse. Die öffentlichen Interessen an der Bekämpfung unrechtmäßiger Einwanderung überwögen die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Schließlich werde auch noch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer während seines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

     § 10 Abs. 2 Z. 3, § 47 Abs. 2 und Abs. 3, § 49 Abs. 1 sowie

§ 89 FrG 1997 lauten (auszugsweise):

     "§ 10. ...

     (2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann

wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2)

insbesondere versagt werden, wenn

     ...

     3.              der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung

oder Sicherheit gefährden würde;

...

§ 47. ...

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1. Ehegatten;

...

§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für Begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem ersten Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. ...

....

§ 89. (1) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft der Landeshauptmann. ...

(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel

1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem vierten Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt;

..."

Es bestehen keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer je über eine Aufenthaltsbewilligung oder einen gewöhnlichen Sichtvermerk verfügte. Die belangte Behörde wertete daher seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 3. Oktober 1997 zutreffend in Anwendung der Übergangsbestimmung des § 112 FrG 1997 als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, er sei als Witwer einer Österreicherin den in § 49 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 3 FrG 1997 umschriebenen Personen gleichzuhalten. Daraus folge zunächst, dass der Landeshauptmann von Wien zur Entscheidung über seinen Antrag vom 3. Oktober 1997 (seit 1. Jänner 1998) nicht zuständig gewesen sei. Überdies sei der Beschwerdeführer seit Inkrafttreten des Fremdengesetzes 1997 am 1. Jänner 1998 gemäß § 49 Abs. 1 FrG 1997 zur Antragstellung im Inland berechtigt. Sein unrechtmäßiger Aufenthalt (auch vor diesem Zeitpunkt) könne daher nicht mehr als Versagungsgrund ins Treffen geführt werden.

Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, dass das Regelungssystem des § 49 Abs. 1 FrG 1997 in Zusammenhang mit § 47 Abs. 3 FrG 1997 auf die Eigenschaft als Ehegatte eines österreichischen Staatsangehörigen, nicht aber auf jene als Witwer nach einem solchen, abstellt.

Auch eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung ergibt nichts anderes:

Durch § 49 Abs. 1 FrG 1997 sollte - von geringfügigen Modifikationen abgesehen - die Rechtsstellung von Angehörigen von Österreichern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, jener von Angehörigen von EWR-Bürgern, die ihrerseits ebenfalls Staatsangehörige eines Drittstaates sind, angeglichen werden. Offenbar wollte der Gesetzgeber des Fremdengesetzes 1997 damit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17. Juni 1997, Slg. Nr. 14.863, Rechnung tragen. Wie sich aus den Erläuterungen zu dieser Gesetzesbestimmung ableiten lässt, sollte von § 47 Abs. 3 FrG 1997 jedenfalls jener Personenkreis erfasst werden, der durch Art. 10 der Verordnung (EWG) 1612/68 begünstigt wird. Eine Erweiterung des begünstigten Personenkreise (gegenüber der in Rede stehenden Verordnung) sollte dadurch herbeigeführt werden, dass bewusst davon Abstand genommen wurde, beim Begriff der Familienangehörigen gleich dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht danach zu unterscheiden, ob es sich um Familienangehörige eines zum Aufenthalt berechtigten Arbeitnehmers, selbstständig Erwerbstätigen oder Dienstleistungserbringers, eines Studenten, eines aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen oder anderer EWR-Bürger handelt (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 5. November 1999, Zl. 99/19/0197, und vom 4. Februar 2000, Zl. 99/19/0125). Durch Art. 10 Abs. 1 lit. a der in Rede stehenden Verordnung wird nun dem Ehegatten eines "Arbeitnehmers" im Sinne dieser Verordnung das Recht eingeräumt, bei diesem Wohnung zu nehmen. Daraus ist zweifelsfrei ersichtlich, dass diese Bestimmung des Europarechtes auf ein aufrechtes Eheband abstellt, und nicht etwa auch verwitwete Angehörige eines "Arbeitnehmers" erfasst.

Da der Beschwerdeführer schon seit Oktober 1996 nicht mehr Ehegatte einer Österreicherin im Verständnis des § 49 Abs. 1 i.V.m.

§ 47 Abs. 3 FrG 1997 war, genoss er nicht nach dem vierten Hauptstück des FrG 1997 Niederlassungsfreiheit. Zur Entscheidung über seinen Antrag war daher gemäß § 89 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 der Landeshauptmann (hier von Wien) zuständig.

Auch sonst ist die Versagung der beantragten Bewilligung nicht als rechtswidrig zu erkennen:

Der Beschwerdeführer tritt der Annahme der belangten Behörde, er halte sich jedenfalls seit 1996 unrechtmäßig in Österreich auf, nicht entgegen.

Wie die Erläuterungen zum FrG 1997 zeigen, war es beabsichtigt, in § 10 Abs. 2 FrG 1997 die bisherigen Versagungsgründe wegen Gefährdung öffentlicher Interessen sprachlich adaptiert zusammenzufassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2000, Zl. 98/19/0188). § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 entspricht dem § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG 1992.

Zum letztgenannten Versagungsgrund hat der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/2429) ausgesprochen, dass ein längerdauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden im Bundesgebiet die Annahme rechtfertigt, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung gefährden, wenn dieser Fremde bisher weder über einen gewöhnlichen Sichtvermerk noch über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte. Diese Judikatur ist auch auf § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 anwendbar, sofern der Fremde auch nicht über einen Aufenthaltstitel nach dem Fremdengesetz 1997 verfügte. Dass dem Beschwerdeführer derartige Berechtigungen erteilt worden wären, wird weder in der Beschwerde behauptet, noch ergeben sich dafür Anhaltspunkte aus dem Akteninhalt.

Die belangte Behörde ging daher zu Recht vom Vorliegen des Versagungsgrundes des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 aus.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 14. Mai 1999, Zl. 97/19/0651, mit näherer Begründung ausgeführt hat, ist der Ausdruck "kann" in § 10 Abs. 2 FrG 1997 dahingehend zu verstehen, dass die Behörde bei Anwendung eines der dort angeführten Versagungsgründe zu prüfen hat, ob ein durch diese Anwendung allenfalls erfolgter Eingriff in ein durch Art. 8 MRK geschütztes Recht des Antragstellers aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist. Dabei handelt es sich im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde nicht um eine Ermessensentscheidung (vgl. auch hiezu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2000).

Auf Grund des lange dauernden unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers wäre vorliegendenfalls der Eingriff in ein gedachtes, durch Art. 8 MRK geschütztes Recht desselben auf Einwanderung unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der öffentlichen Ordnung und dem damit verbundenen Recht des Staates auf Regelung der Neuzuwanderung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Abwägung gemäß § 37 FrG 1997 - entgegen der von der belangten Behörde im Bescheid vertretenen Auffassung - nicht zu erfolgen. Diese letztgenannte Bestimmung ist lediglich im Verfahren zur Verhängung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes anzuwenden.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. März 2000

Schlagworte

Ermessen Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999190003.X00

Im RIS seit

12.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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