Entscheidungsdatum
30.04.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W154 2012888-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2014, Zahl: 821013803 - 1525047, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.12.2017 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. wird gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 06.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Dazu gab er im Rahmen einer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag im Wesentlichen an, aus dem Distrikt Sonamgonj zu stammen, der Volksgruppe der Bengalen anzugehören, sunnitischen Glaubens und ledig zu sein sowie die Grundschule besucht zu haben. In der Heimat lebe noch seine Mutter, sein Vater sei verstorben.
Zu seinem Fluchtgrund erklärte er, im Jahr 2009 durch ein Hochwasser sein Hab und Gut verloren zu haben. Da es für ihn keine Existenzgrundlage gegeben hätte, habe er sein Land verlassen und sei im März 2009 mit dem Flugzeug ausgereist.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 06.12.2012 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend an, aus dem Bezirk Jogonnatpur zu stammen, von 2005 bis 2008 Verkäufer von Telefonkarten gewesen zu sein und zuletzt in der Stadt Sylhet gelebt zu haben.
Als Fluchtgrund brachte Beschwerdeführer vor, dass das Hochwasser, welches im Jahr 2004 stattgefunden habe - nicht konkret der Grund gewesen sei, Bangladesch verlassen zu haben. Vielmehr sei er fälschlicherweise eines Mordes angezeigt worden, obwohl er keinen begangen habe. Ursache dafür wäre, dass er als Sympathisant der BNP an ihren Veranstaltungen teilgenommen habe und deren Mitläufer - jedoch kein Mitglied - gewesen sei. Als er sich bereits in Griechenland befunden habe, hätte man ihn in Abwesenheit zu sieben Jahren Haft und einer Geldstrafe von 50.000 Taka verurteilt. Ausgereist sei er am 28.12.2008, der ihm fälschlicherweise angelastete Mord sei am 14.09.2008 verübt worden. Das Opfer sei Funktionär der Chattra League (CL), einer Organisation der Awami League gewesen. An dem betreffenden Tag habe der Beschwerdeführer mit Parteifreunden auf dem Spielfeld eines Colleges in Sylhet Cricket gespielt, als eine Gruppe von CL-Leuten, unter ihnen auch das Opfer, zum Feld gekommen sei und sie aufgefordert habe, dieses für sie freizumachen. Dabei wäre es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung gekommen und der Beschwerdeführer und dessen Freunde hätten die Flucht ergriffen. Am Abend desselben Tages habe er dann von dem Mord erfahren. Insgesamt seien neun Leute angezeigt bzw. beschuldigt worden. Wie sein Name ausgeforscht worden sei, zumal er selbst ja auch keinen Bezug zu dem besagten College gehabt habe, wisse er nicht. Anfang Dezember 2008 habe er von einem Cousin väterlicherseits von den Anschuldigungen gegen ihn erfahren. Der Beschwerdeführer habe keine Kenntnis darüber, woher dieser davon wisse. Er selbst habe sich - aus Angst vor den Mitgliedern der CL getötet zu werden - am 18.09.2008 nach Chittagong begeben und dort bis zu seiner Ausreise in einem Hotel gelebt. Grund dafür sei gewesen, dass er von Mitgliedern der BNP informiert worden wäre, dass seitens der CL nach jenen Personen gesucht werde, die damals auf dem besagten Collegefeld gespielt hätten.
In der Erstbefragung habe er dies deshalb nicht angegeben, weil er etwas durcheinander und auch sehr erschöpft gewesen sei. Vor diesem Ereignis habe er mit niemandem Probleme oder Schwierigkeiten in Bangladesch gehabt.
Seinen Lebensunterhalt habe er sich als Verkäufer in einem Call-Shop in Sylhet verdient. In der Heimat lebe noch seine Mutter im Elternhaus im Distrikt Sunamgonj, wo auch der Beschwerdeführer bis zum Hochwasser im Jahr 2004 gewohnt habe. Danach sei er in eine Mietwohnung in Sylhet gezogen. Zwischen seiner Ausreise aus Bangladesch und der Einreise in Österreich habe er sich in Griechenland aufgehalten.
Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut von Unterlagen in der Sprache Bengali (Anzeige, Polizeibericht, Gerichtsurteil) sowie ein Schreiben eines Rechtsanwaltes auf Englisch vor, die das Bundesasylamt in weiterer Folge übersetzen ließ. Die Unterlagen habe ein Cousin väterlicherseits vom Gericht geholt und dem Beschwerdeführer per Post nach Österreich geschickt.
Am 25.06.2013 erstellte die Staatendokumentation im Auftrag des Bundesasylamtes auf Basis eines Ermittlungsberichtes des Vertrauensanwaltes vor Ort eine Anfragebeantwortung. Demnach würden die Angaben des Beschwerdeführers nur teilweise den Tatsachen entsprechen. Die Anzeige, der Polizeibericht sowie das Gerichtsurteil könnten nicht als authentisch angesehen und es könne nicht bestätigt werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich des Mordes schuldig gesprochen und in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Dies ergebe eine inoffizielle Einsichtnahme in die Gerichtsakten der Strafabteilung sowie in die Aufzeichnungen der zuständigen Polizeistation. Der Anwaltsbrief sei zwar authentisch, jedoch auf falscher Grundlage erstellt worden, bzw. habe der Anwalt keine verfahrensbezogenen Dokumente vorweisen können. Gemäß den Aussagen der befragten Nachbarn des Beschwerdeführers sei dieser in keiner Weise politisch aktiv gewesen. Es gebe keine Hinweise, dass er von der Polizei gesucht werde bzw. ein Haftbefehl existiere. Die Polizei habe nie die angegebenen Gebäude auf der Suche nach ihm gestürmt und es seien auch keine Haftbefehle gegen ihn ausgeführt oder ausgestellt worden. Im Zuge der Befragung eines jüngeren Bruders des Beschwerdeführers habe man herausgefunden, dass Letzterer mithilfe eines Agenten nach Österreich gegangen sei. Der Vater sei im August 2004 verstorben und die Mutter leide an verschiedenen Krankheiten. Auch habe man herausgefunden, dass die Familie des Beschwerdeführers aus acht Brüdern und einer Schwester bestehe. Er selbst sei unverheiratet gewesen und habe bis zur zwölften Klasse ein College besucht. Seine Familie sei komplett unkooperativ gewesen und habe absichtlich keine Kopie seines Passes oder anderer Dokumente betreffend seine Identität angefertigt. Zudem habe der Beschwerdeführer niemals an der von ihm angegebenen letzten Adresse in Sylhet dauerhaft gewohnt, bevor er ins Ausland gegangen sei, sondern in seinem Heimatdorf. Die Mutter und Geschwister würden nach wie vor in seinem Geburtsort leben.
In einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 03.09.2013 wurden dem Beschwerdeführer die Ergebnisse der vor Ort Recherche vorgehalten. Dieser erklärte, bei seinen bisherigen Angaben zu bleiben. Zudem ersuchte er um nochmalige Recherchen, weil die Person, die in seinem Fall recherchiert habe, von seinem Cousin Geld verlangt hätte. Außerdem hätte er nicht ihre Sprache gesprochen, weil es sich um einen Inder handle.
Am 24.06.2014 übermittelte die Staatendokumentation dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) nach nochmaliger Überprüfung des Falles durch einen anderen Vertrauensanwalt einen neuen Ermittlungsbericht. Demnach werde das Rechercheergebnis des ersten Vertrauensanwalts bestätigt. Der Beschwerdeführer scheine nirgendwo als Verdächtiger auf, die vorgelegten Dokumente seien gefälscht. Es sei fraglich, ob es den Mord überhaupt gegeben habe.
Mit Schriftsatz vom 08.07.2014 wurde dem Beschwerdeführer der aktuelle Stand des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben und gleichzeitig die Möglichkeit eingeräumt, sich innerhalb einer Frist von drei Wochen dazu schriftlich zu äußern.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Bangladesch nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat zulässig sei. Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.). Zu Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde begründend im Wesentlichen aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gewesen seien.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein Vorbringen und brachte nunmehr vor, bei seiner Erstbefragung sehr nervös und eingeschüchtert gewesen, wegen des Polizisten in Uniform an seine Probleme in Bangladesch erinnert worden zu sein und Angst gehabt zu haben, dass man ihn an die Regierung bzw. Polizei in Bangladesch verraten würde. Seine Angaben, der vorgelegte Polizeibericht und das Gerichtsurteil würden den Tatsachen entsprechen. Er könne die Glaubhaftigkeit des österreichischen Vertrauensanwaltes nicht abschätzen, da er keine näheren Informationen über ihn hätte. Zudem legte er Berichte aus dem Jahr 2014 bzw. 2013 über die politische Situation in Bangladesch vor.
Am 19.12.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt als weitere Partei des Verfahrens nicht teilnahm und der ein Dolmetscher für die Sprache Bengali beigezogen wurde.
Dabei brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass bei der vor Ort Recherche seine Identität preisgegeben worden wäre, weshalb die dortigen Behörden wüssten, dass er sich in Österreich befinde. Im Oktober 2014 seien Polizisten in Bangladesch bei ihm zu Hause gewesen und hätten seinem Bruder gegenüber gesagt, dem Vertrauensanwalt falsche Informationen gegeben zu haben, nämlich, dass der Beschwerdeführer nicht angeklagt worden sei. Somit hätten sie den Weg freigemacht, dass er zurückkehre und würden ihn bereits am Flughafen festnehmen. Im September 2017 hätten sie wieder das Haus durchsucht, ob er da sei. Er bleibe bei seinen vor dem Bundesamt getätigten Angaben und habe nichts mehr hinzuzufügen.
Weiters erklärte der Beschwerdeführer, außer seiner Mutter keine Familienangehörigen in Bangladesch zu haben und ein Einzelkind zu sein. Auf Vorhalt, er habe soeben erwähnt, dass die Polizei bei seinem Bruder gewesen wäre, erklärte er, seinen Cousin gemeint zu haben, der im Familienbereich lebe. Dazu meinte der Dolmetscher, dass er "Bruder" gesagt hätte, jedoch, wenn er mit diesem aufgewachsen sei, auch seinen Cousin als solchen bezeichnen könnte. Der Dolmetscher habe aber "Bruder" gehört.
Weiters würden in Bangladesch noch sieben Cousins und zwei Onkel väterlicherseits leben, ein Onkel sei gestorben. Der Beschwerdeführer selbst habe die Grundschule absolviert und sei von Jänner 2002 bis Dezember 2002 von einem Meister als Elektriker angelernt worden. Von Jänner 2003 bis Jänner 2004 habe er auf verschiedenen Baustellen als Elektriker gearbeitet, von Februar 2004 bis Ende Juni 2008 sei er Verkäufer in einem Call-Shop gewesen. Danach habe er keine Tätigkeit mehr ausgeübt und Ende Dezember 2008 oder Anfang Jänner 2009 das Land verlassen.
In Österreich habe er einen Sprachkurs auf dem Niveau A2 abgeschlossen. Diesbezüglich legte er ein ÖSD-Zertifikat vom 22.09.2017 vor, das in Kopie zum Akt genommen wurde. Er arbeite als Zeitungszusteller. Da er in Vertretung eines Freundes tätig sei, könne er eine Zahlungsbestätigung über den Erhalt eines Honorars vorlegen. Auch diese wurde in Kopie zum Akt genommen. Im Monat verdiene er ca. € 200 und bestreite darüber hinaus seinen Lebensunterhalt aus der Grundversorgung. Er lebe mit zwei Landsleuten in einer Wohngemeinschaft, einer seiner Mitbewohner habe die Wohnung privat gemietet. Diesbezüglich legte der Beschwerdeführer eine Einzahlungsbestätigung für seinen Mietanteil vor. In Österreich habe er keine Familienangehörigen und lebe nicht in einer Partnerschaft. Er sei Mitglied beim Roten Kreuz sowie bei der Bangladesch-Österreichischen Gesellschaft und legte diesbezüglich seine Mitgliedskarte bzw. eine Mitgliedsbestätigung vor. Von Zeit zu Zeit nehme er an Hilfsaktionen des Roten Kreuzes teil, an denen er koche und Essen verteile. Weiters sei er beim Roten Kreuz auf einer Freiwilligenliste und jederzeit auf Abruf bereit, zu helfen. Im Zuge seiner Zeitungszustellertätigkeit habe er Österreicher bzw. Leute mit österreichischer Staatsbürgerschaft kennengelernt und stehe auch außerhalb der Arbeit mit ihnen in Kontakt. Zudem sei er Mitglied in einem Cricketverein. Zusätzlich legte der Beschwerdeführer eine mit 06.11.2017 datierte Einstellungszusage als Koch (Lohn: € 1209,80-monatlich Brutto) vor.
Zu seinem Heimatland habe er gar keine Bindung mehr, seine Cousins seien mit sich selbst beschäftigt, sein Vater sei verstorben. Mit seiner Mutter stehe er in telefonischem Kontakt.
Im Rahmen dieser Verhandlung wurden dem Beschwerdeführer die vorläufigen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur allgemeinen Situation in Bangladesh ausgehändigt und ihm eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt.
Am 28.12.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Darin brachte dieser im Wesentlichen vor, im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung gezögert zu haben, vor den uniformierten Polizisten seine wahren Fluchtgründe anzugeben. Ihm werde aus Gründen der politischen Verfolgung in der Heimat ein Mord unterstellt, ein faires Verfahren bzw. eine effektive rechtliche Verteidigung sei ihm nicht möglich. Dieses Vorbringen sei vor dem Hintergrund der generellen Berichtslage authentisch und nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer befindet sich seit beinahe sechs Jahren in Österreich und habe sich immer tadellos verhalten; er spreche auf A2 Niveau Deutsch, habe einen großen Freundeskreis in Österreich und es bestehe nur ein sporadischer Kontakt zu Bangladesch. Er sei sozial, beruflich und sprachlich integriert. Da es auch eine Einstellungszusage gebe, könne eine sehr günstige Prognose hinsichtlich des künftigen Aufenthaltes in Österreich getroffen werden.
Am 02.01.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Konvolut von Unterstützungserklärungen für den Beschwerdeführer ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch; stammt aus dem Bezirk Jogonnatpur im Distrikt Sonamgonj, gehört der Volksgruppe der Bengalen und dem sunnitischen Glauben an.
Er reiste in Österreich ein und stellte am 06.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in der Heimat wegen seiner politischen Überzeugung seitens der staatlichen Behörden ein Mord unterstellt wurde.
Der Beschwerdeführer ist ledig, gesund und arbeitsfähig, besuchte bis zur zwölften Klasse das College und war auch als Verkäufer bzw. als "angelernter" Elektriker tätig. Er ist gesund und arbeitsfähig und leidet weder an einer schweren bzw. lebensbedrohenden Erkrankung noch besteht längerfristiger Pflege- oder Rehabilitationsbedarf. In der Heimat leben noch die Mutter, zu der er gelegentlichen Kontakt hält, sowie Geschwister, Onkel und Cousins.
In Österreich konnte der Beschwerdeführer ein ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau A2 vorlegen, lebt in einer privaten Wohngemeinschaft und verdient ca. € 200 monatlich als Zeitungszusteller. Zudem hat er eine Einstellungszusage als Koch (Bruttomonatslohn € 1209,80). Er ist Mitglied beim Roten Kreuz, in einem Cricket-Club sowie in der Bangladesch-Österreichischen Gesellschaft und hat österreichische Freunde. Der Beschwerdeführer ist auch ehrenamtlich tätig und konnte mehrere Unterstützungserklärungen vorlegen. Familienangehörige oder eine Partnerschaft hat der Beschwerdeführer in Österreich nicht.
Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Politische Lage
Bangladesch ist eine Volksrepublik (People' s Republic of Bangladesh) mit einer seit 1991 wieder geltenden parlamentarischen Demokratie als Regierungsform (GIZ 5.2017).
Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird, eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt Großteils zeremonielle Funktionen aus, die Macht liegt in den Händen des Premierministers als Regierungschef, der von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt wird. Der Premierminister, ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der 5-jährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige "Caretaker"-Regierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB New Delhi 12.2016; vgl. GIZ 5.2017). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 5.2017). Aktuell hat Sheikh Hasina von der Awami League (AL) das Amt der Premierministerin inne (ÖB New Delhi 12.2016)
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten Abgeordneten (ÖB New Delhi 12.2016) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (AA 14.1.2016). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der "Caretaker"-Regierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB New Delhi 12.2016).
Das politische Leben wird seit 1991 durch die beiden größten Parteien, die "Awami League" (AL) und "Bangladesh Nationalist Party" (BNP) bestimmt. Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind stark politisiert und parteipolitisch durchdrungen (AA 3.2017a). AL und BNP werden quasi-dynastisch von Sheikh Hasina und Begum Khaleda Zia geführt, die das politische Vermächtnis ihrer ermordeten Männer fortführen und eine unangefochtene Machtstellung in ihrer jeweiligen Partei genießen. Sie beeinflussen den Kandidatenauswahlprozess für Partei- und Staatsämter und geben den Takt für die politischen Auseinandersetzungen vor. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potential, durch Generalstreiks (Hartals) großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 5.2017). Nennenswerte parlamentarische Stärke haben in der Vergangenheit sonst nur die Jatiya Party (JP) und die JI erzielt (GIZ 5.2017).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteiischen Demokratie hat de facto jedoch die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei nach ihrem Wahlboykott am 5.1.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten ist. Wie schon die Vorgängerregierungen, so baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in der Verwaltung, im Rechtswesen und im Militär aus. Auch im Regierungskabinett folgen Ernennungen und Umbesetzungen meist dem Prinzip der Patronage (GIZ 5.2017).
Bereits am 30.7.2011 hat das Parlament bei nur einer Gegenstimme, die BNP und ihre Verbündeten haben der Parlamentssitzung nicht beigewohnt, in der 15. Verfassungsänderung den Islam als Staatsreligion bestätigt, jedoch den Zusatz "Absolutes Vertrauen und der Glauben an den Allmächtigen Allah soll die Basis allen Handelns sein" aus der Verfassung gestrichen. Ungeachtet der ausgeprägten Leistungsdefizite staatlicher Institutionen, der undemokratischen innerparteilichen? Entscheidungsstrukturen und der in der letzten Dekade verstärkt gewalttätig ausgetragenen Parteienrivalität ist der Glauben an die Demokratie innerhalb der Bevölkerung ungebrochen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a).
Am 5.1.2014 boykottierte die BNP die 10. Parlamentswahlen wodurch die AL eine verfassungsändernde Mehrheit erreichen konnte. Weitere Sitze gingen an Koalitionspartner der AL. Die sehr geringe Wahlbeteiligung von nur ca. 30% bei den Parlamentswahlen 2014 ist auf den Wahlboykott der Opposition zurückzuführen. Es gab Berichte über massive Einschüchterungsversuche wahlbereiter Bürger seitens oppositioneller Gruppen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a). Am Wahltag wurden mindestens 21 Menschen getötet und über 130 Wahllokale in Brand gesetzt. Die Opposition reagierte bereits einen Tag nach den Wahlen mit Generalstreiks und in vielen Distrikten wurde über Attacken gegen ethnische und religiöse Minderheiten, v.a. Hindus, berichtet. Die AL versuchte mit gezielten Verhaftungen von Oppositionspolitikern den Druck auf das Regime zu schwächen (GIZ 5.2017).
Die verfassungsändernde Mehrheit im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration in den Händen der AL respektive der Regierung. Mit neuen Gesetzen zu Medien, Äußerungen im Internet, Absetzung von obersten Richtern und Förderung von NGOs aus dem Ausland wird diese Konzentration noch weiter verstärkt. Die derzeitige Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Verbrechen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 juristisch aufzuarbeiten. Angeklagt sind damalige Kollaborateure der pakistanischen Streitkräfte, von denen viele bis zur letzten innerparteilichen Wahl in führenden Positionen der islamistischen JI waren (AA 3.2017a). Auch die BNP ist dadurch in der Defensive (GIZ 5.2017). Die Prozesse und (häufig Todes-) Urteile öffnen alte Wunden und führen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen säkularen und islamistischen Kräften (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden acht Todesurteile und mehrere lebenslange Haftstrafen ausgesprochen, sechs Hinrichtungen wurden vollstreckt. Dabei hat sich innerhalb der säkularen Zivilgesellschaft mit Blick auf das Kriegsverbrechertribunal ein grundlegender Dissens entwickelt: Während die einen auf rechtstaatliche Standards pochen und die Todesstrafe ablehnen, ist für andere, v.a. aus der urbanen Protestbewegung Shabagh, jedes Urteil unterhalb der Todesstrafe inakzeptabel (GIZ 5.2017).
Bei den am 30.12.2015 in 234 Stadtbezirken durchgeführten Kommunalwahlen in Bangladesch ist die regierende AL als Siegerin hervorgegangen (NETZ 2.1.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch
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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/334685/476437_de.html, Zugriff 9.6.2017
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NETZ - Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V. (2.1.2016): Bangladesch Aktuell, http://bangladesch.org/bangladesch/aktuell/detailansicht/news/detail/News/kommunalwahlen/cHash/781fa29261a9302cfb84107680f22794.html, Zugriff 9.6.2017
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ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht
Sicherheitslage
Es gibt in Bangladesch keine Bürgerkriegsgebiete (AA 3.2017a).
Die Opposition organisierte Proteste und Straßenblockaden, unter denen die Wirtschaft leidet. Die Regierung reagiert mit Verhaftungen und mit Einschränkungen von Grundrechten. Sie will die öffentliche Ruhe mit allen Mitteln wiederherstellen. Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Gewalt scharf und hat die Beteiligten zum Dialog aufgerufen (GIZ 5.2017).
Extremistische Gruppen, wie Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansar al-Islam, die ihre Zugehörigkeit zu Daesh und Al Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS) erklärten, haben Angriffe auf Angehörige religiöser Minderheiten, Akademiker, Ausländer, Menschenrechtsaktivisten und LGBTI-Personen, sowie weitere Gruppen durchgeführt (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). Medienberichten zufolge hat die Terrororganisation IS 2016 für 39 Morde die Verantwortung übernommen, der bengalische Al-Kaida-Ableger soll sich zu acht Taten bekannt haben (GIZ 5.2017). Die Sicherheitsbehörden waren zunächst nicht bereit, angemessene Schutzmaßnahmen zu veranlassen, gewährt aber in vielen Fällen inzwischen Personenschutz (AA 14.1.2016). Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu intra- und interreligiöser Gewalt (AA 3.2017a; vgl. AI 22.2.2017). die Polizei tötete laut eigenen Angaben mindestens 45 mutmaßliche Terroristen in Schießereien (AI 22.2.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch
-
AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017
-
AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/336450/479091_de.html, Zugriff 28.6.2017
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017
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USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof. Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB New Delhi 12.2016).
Die Gerichtsbarkeit ist überlastet und sieht sich von vielen Seiten Versuchen der Einflussnahme ausgesetzt. (AA 3.2017a). Zusätzlich behindern Korruption und ein erheblicher Verfahrensrückstand das Gerichtssystem. Gerichtsverfahren sind durch eine überlange Verfahrensdauer geprägt, was viele Angeklagten bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf ein faires Verfahren hindert. Weiters kommt es zu Zeugenbeeinflussung und Einschüchterung von Opfern (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017). Straffälle gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 1.2017). Richter des Obersten Gerichtshofs haben des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB New Delhi 12.2016). Durch eine kürzlich erfolgte Verfassungsänderung hat nunmehr das Parlament das Recht, oberste Richter abzusetzen (AA 3.2017a).
Auf Grundlage mehrerer Gesetze ("Public Safety Act", "Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act", "Women and Children Repression Prevention Act", "Special Powers Act") wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese "Speedy Trial" Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren ca. 200 Personen zum Tode verurteilt (ÖB New Delhi 12.2016).
Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB New Delhi 12.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017
-
FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/341770/485095_de.html, Zugriff 28.6.2017
-
ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht
-
USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017
Sicherheitsbehörden
Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit und Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen. Diese Mechanismen werden aber nicht immer angewandt (USDOS 3.3.2017). Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 14.1.2016). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. Die Polizei hat Regeln für angemessene Gewaltausübung in ihre Grundausbildung einbezogen, um bürgernahe Polizeiarbeit umsetzen zu können (USDOS 3.3.2017).
Bangladeschs Sicherheitskräfte haben eine lange Geschichte von willkürlichen Verhaftungen, erzwungenem Verschwinden Lassen und außergerichtlichen Tötungen (HRW 12.1.2017). Obwohl gesetzlich verboten, gibt es Hinweise auf willkürliche Festnahmen, sowie auf die willkürliche Anwendung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen gemäß den Spezialgesetzen "Special Powers Act" und "Public Safety Act". Diese erlauben die 30-tägige Inhaftierung ohne Angabe von Gründen, um Taten zu verhindern, welche die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden. Nach 30 Tagen sind dem Angehaltenen die Haftgründe zu nennen, oder er muss entlassen werden. Die Praxis weicht davon ab. Die Arretierten haben keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand. Die davon hauptsächlich betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben (ÖB New Delhi 12.2016). Des Weiteren gibt es Berichte von Folter und anderen Missbräuchlichen Handlungen in Polizeigewahrsam. Der "Torture and Custodial Death (Prevention) Act" von 2013 wird nur schleppend umgesetzt (AI 22.2.2017). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben (AA 14.1.2016).
Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten "Bangladesch Police", die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung:
Rapid Action Bataillons (RABs): Das Rapid Action Bataillon (RAB), gegründet 2004, untersteht dem Innenministerium. Es unterhält 14 Standorte in Bangladesch (RAB-1 bis RAB-14) (AA 14.1.2016) mit insgesamt ca. 8.500 Mann. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen und die Terrorabwehr (ÖB New Delhi 12.2016; vgl. AA 14.1.2016). Die gut ausgebildeten und modern ausgerüsteten RABs sind hauptsächlich in den urbanen Zentren des Landes stationiert und verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete "Gang"-Mitglieder, was zu zahlreichen Tötungen während Schusswechseln führt. Auch im Zuge von Demonstrationen setzten die RABs neben Gummigeschossen scharfe Munition ein, was auch hier zu Todesopfern führte. Insgesamt starben seit der Gründung 2004 laut Schätzungen über 800 Personen entweder durch Schusswechsel oder in RAB-Gewahrsam, es kam jedoch bisher zu keinen Verurteilungen (ÖB New Delhi 12.2016).
Bangladesch Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leichtbewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB New Delhi 12.2016).
Bangladesch Rifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Innenministerium, wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BDRs sind auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB New Delhi 12.2016).
Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches "Platoon" (32 Personen) geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sogenannte "Town Defence Parties" (ÖB New Delhi 12.2016).
Special Branch of Police (SB) ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 14.1.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/336450/479091_de.html, Zugriff
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/334685/476437_de.html, Zugriff 12.6.2017
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ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht
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USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017
Folter und unmenschliche Behandlung
Obwohl Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, durch die Verfassung und Gesetze wie der "Torture and Custodial Death (Prevention) Act" von 2013, verboten sind, gibt es weiterhin Vorwürfe von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte und Geheimdienste. Menschrechtsorganisationen berichten, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 acht Personen zu Tode gefoltert wurden (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). Zusätzlich gab es 2016 laut Bericht von Odhikar 178 Fälle von außergerichtlichen Tötungen und 90 Fälle von erzwungenem Verschwinden Lassen (FH 1.2017).
Per Gesetz ist es Richtern möglich, über Verdächtige Untersuchungshaft zu verhängen, während Befragungen ohne Beisein eines Anwalts erfolgen können. Laut Menschrechtsorganisationen fanden viele Fälle von Folter in dieser Phase statt. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen kommt es selten zu Anzeigen, und folglich Bestrafungen oder Verurteilungen der verantwortlichen Sicherheitskräfte (USDOS 3.3.2017). 2013 hat sich mit der Praxis des "kneecapping" eine neue Art der Folter entwickelt. Dabei wird den Gefangenen in die Knie geschossen. Bei den Opfern, von denen einige invalide wurden, handelt es sich um Politiker, Journalisten und einfache Verdächtige. Diese Praxis hat auch 2016 angehalten (Odhikar 2017). Seit 2013 bis 2016 gab es 25 derartige Fälle (USDOS 3.3.2017)
Um Folter in Verwahrung zu reduzieren zu bekämpfen, hat der Oberste Gerichtshof Richtlinien für Strafverfolgungspersonal und Gerichte, bzgl. medizinischer Kontrollen und Ermittlungen zu Foltervorwürfen erlassen. Der Oberste Gerichtshof forderte außerdem die Regierung auf, einige Abschnitte des Strafprozessgesetzes zu ändern, um polizeilichen Missbrauch von Bürgern zu verringern (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/336450/479091_de.html, Zugriff 28.6.2017
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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/341770/485095_de.html, Zugriff 28.6.2017
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Odhikar (2017): BANGLADESH - Annual Human Rights Report 2016, http://1dgy051vgyxh41o8cj16kk7s19f2.wpengine.netdna-cdn.com/wp-content/uploads/2017/01/AHRR-2016_Eng.pdf, Zugriff 12.6.2017
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USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017
Allgemeine Menschenrechtslage
Bangladesch hat bisher zahlreiche UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert, u.a.:
* CAT - Convention against Torture and Other Cruel Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (ratifiziert 5.10.1998)
* CCPR - International Covenant on Civil and Political Rights (ratifiziert 6.9.2000)
* CEDAW - Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (ratifiziert 6.11.1984)
* CERD - International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (ratifiziert 11.6.1979)
* CESCR - International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ratifiziert 5.10.1998)
* CMW - International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families (unterzeichnet 7.10.1998, beigetreten 24.8.2011)
* CRC - Convention on the Rights of the Child (unterzeichnet 26.1.1990, ratifiziert 3.8.1990)
* CRC-OP-AC - Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the involvement of children in armed conflict (unterzeichnet 6.9.2000, ratifiziert 6.9.2000)
* CRC-OP-SC - Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the sale of children child prostitution and child pornography (unterzeichnet 6.9.2000, ratifiziert 6.9.2000)
* CRPD - Convention on the Rights of Persons with Disabilities (unterzeichnet 9.5.2007, ratifiziert 30.11.2007)
* CRPD-OP - Optional protocol to the Convention on the Rights of Persons with Disabilities (akzeptiert 12.5.2008)
* CAT, Art.20 - Inquiry procedure under the Convention against Torture (akzeptiert 5.10.1998)
* CRPD-OP, Art.6-7 - Inquiry procedure under the Convention on the Rights of Persons with Disabilities (akzeptiert 12.5.2008) (UNHROHC 2017).
Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in ihrem Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum High Court offen. Die "National Human Rights Commission" wurde im Dezember 2007 unter dem "National Human Rights Commission Ordinance" von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB New Delhi 12.2016).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Internet und in der Presse, weitverbreitete Korruption, geringe justizielle Kapazitäten, geringe Unabhängigkeit der Justiz sowie langwierige Untersuchungshaft. Behörden haben wiederholt Persönlichkeitsrechte der Bürger verletzt (USDOS 3.3.2017).
Menschenrechtsverletzungen finden auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und der RABs statt (GIZ 5.2017). Dazu zählen außergerichtliche Hinrichtungen, Verschwinden lassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen, Folter und weitere Gewaltausübungen durch Sicherheitskräfte, (USDOS 3.3.2017). In den ersten neun Monaten 2016 sollen nach Angaben der bengalischen Menschenrechtsorganisation Odhikar allein 118 Personen durch Strafverfolgungsbehörden getötet, acht Personen dabei zu Tode gefoltert bzw. geprügelt worden sein (GIZ 5.2017). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2000 Mitglieder der RABs wegen diverser Vergehen (ÖB New Delhi 12.2016).
Einige NGOs sind rechtlichen und informellen Einschränkungen ihrer Tätigkeiten ausgesetzt (USDOS 3.3.2017). Am 5. Oktober 2016 verabschiedete das Parlament den "Foreign Donation (Voluntary Activities) Regulation Act 2016", das die Arbeit von Organisation des Bürger- und politischen Rechts erschwert (UNHCR 15.5.2017). Das neue Gesetz verlangt die vorherige Zustimmung des Büros für NGO Angelegenheiten im Büro des Premierministers im Fall der Finanzierung durch ausländische Spenden (HRW 12.1.2017). Aufgrund von als abwertend angesehenen Meldungen oder Berichten über Regierungskörperschaften ist es nun möglich NGOs die Registrierung wieder zu entziehen. Kritischen Gruppen wurden Genehmigungen für Projekte nicht erteilt und sie sind Belästigung und Überwachung ausgesetzt (FH 1.2017). Die Kontrolle der Regierung über die Arbeit der NGOs ist dadurch signifikant gestiegen (AI 22.2.2017).
Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen bleibt ein Problem, vor allem für Kinder, die den Eintritt in eine öffentliche Schule anstreben. Fälle von gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten bestehen fort. Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung hat zugenommen (USDOS 3.3.2017).
Der "Information and Communication Technology Act 2006" (geändert 2009, 2013)" und der "Special Powers Act 1974" werden weiterhin als Instrumente der juristischen Belästigung von Regierungskritikern verwendet, die für ihre Kritik wegen Volksverhetzung inhaftiert werden können (UNHCR 15.5.2017).
Die Regierung unternimmt Anstrengungen den "Prevention and Suppression of Human Trafficking Act (PSHTA)" von 2012 umzusetzen, erreicht aber noch nicht die Minimalstandards zur Verhinderung von Menschenhandel. Für 2016 hat die Regierung 355 Opfer von Menschenhandel gemeldet (im Vergleich zu 1.815 bzw. 2.899 in den Jahren 2015 und 2014). Davon waren 212 Männer, 138 Frauen und fünf Kinder. 2016 wurden außerdem 122 Fälle von Sex- und 168 Fälle von Arbeitskräftehandel untersucht, sowie drei Menschenhändler zu 14 jährigen Haftstrafen verurteilt. Aufgrund kurzer und mangelhafter Untersuchungsdauern bleiben Verurteilungen jedoch selten (USDOS 27.6.2017).
Für Frauen und Kinder, die Opfer von Menschenhandel waren stellt die Regierung Zugang zu neun Mehrzweckunterkünften und Safe Häusern, die durch das Ministerium für soziale Wohlfahrt (MSW) verwaltet werden, zur Verfügung. NGOs kritisieren, dass die Unterstützung nicht ausreichend ist und die Gefahr neuerlich Opfer zu werden hoch ist. NGOs unterstützen männliche Opfer, bieten jedoch keine Unterkunft an (USDOS 27.6.2017).
Es sind Fälle bekannt geworden, in denen Kinder von ihren Eltern zur Ableistung von Schulden an Menschenhändler übergeben wurden (AA 14.1.2016).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch