TE Bvwg Beschluss 2018/5/2 W221 2192520-1

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Veröffentlicht am 02.05.2018
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Entscheidungsdatum

02.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W221 2192520-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2018, Zl. 1139289203-161746922, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.12.2016 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er in Somalia XXXX von Mitgliedern der Al Shabaab entführt und geschlagen worden sei. Die Gruppierung habe ihn auch drei Monate in Gefangenschaft gehalten, wobei es ihm sehr schlecht ergangen sei. Als ihn Al Shabaab XXXX erneut entführen habe wollen, habe er sich entschlossen Somalia zu verlassen.

Am 02.03.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte er zunächst, er stamme aus dem Dorf XXXX im Bezirk XXXX und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Seine Mutter und eine Schwester würden noch in Somalia leben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, vier bewaffnete Mitglieder von Al Shabaab seien im August XXXX zu ihm gekommen und hätten ihn unter Todesdrohungen aufgefordert am nächsten Morgen in die Moschee zu kommen um ihn zu rekrutieren. Er sei daraufhin nach XXXX geflüchtet, habe sich nach fünf Tagen jedoch in die dortige Moschee begeben, wo er von Angehörigen der Al Shabaab geschlagen und in ein Camp gebracht worden sei. Dort sei er drei Monate mit fünfzehn weiteren Personen in einem fensterlosen Raum festgehalten, geschlagen und beschuldigt worden, ein Spion zu sein. Danach seien seine Füße, nachdem man ihm die Augen verbunden habe, zweimal mit Feuer verbrannt worden. Dabei habe er Verletzungen an den Unterschenkeln erlitten. Nachdem er das Bewusstsein verloren habe, sei er von mehreren Männern nach XXXX gebracht worden, wo er im Spital aufgewacht sei. Nach seiner Entlassung habe sich seine Schwägerin um ihn gekümmert. Im Mai und NovemberXXXX sei er jedoch telefonisch von Al Shabaab bedroht worden, weswegen er sich nach Mogadischu begeben und später Somalia verlassen habe.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid vom 14.03.2018, zugestellt am 16.03.2018, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt (Spruchpunkt II.), und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Diese Entscheidung begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich und somit nicht glaubhaft sei.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 14.03.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 12.04.2018 beim Bundesamt einlangte. Darin wurde der Beweiswürdigung der belangten Behörde entgegengetreten.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 16.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Der Beschwerdeführer hat anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angegeben, von Milizen der Al Shabaab in einem Camp in XXXX über drei Monate in einem fensterlosen Raum festgehalten, mehrmals geschlagen und an seinen Füßen verbrannt worden zu sein, wobei er auch Narben an den Unterschenkeln zeigte. Im Protokoll ist daraufhin festgehalten, dass der Beschwerdeführer am rechten Fuß sechs Narben und am linken Fuß drei Narben aufweise.

Das Vorhandensein der Narben wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch im Zusammenhang mit dem Fluchtvorberingen nicht gewürdigt. Die Narben wurden auch keiner entsprechenden medizinischen Untersuchung unterzogen.

Die Notwendigkeit der Einholung einer solchen medizinischen Untersuchung ergibt sich auch aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 08.06.2017, E 2733/2016, wonach es ein leichtfertiges Abgehen vom Akteninhalt darstellt, wenn in der Begründung nicht einmal im Ansatz auf die Verletzungen bzw deren Herkunft eingegangen wird und diese insbesondere auch im Zusammenhang mit der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des fluchtgrundbezogenen Vorbringens im Rahmen der Beweiswürdigung gänzlich unberücksichtigt bleiben.

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Pflicht, die Ursache der vorhandenen Narben des Beschwerdeführers zu erheben, verabsäumt und es somit unterlassen, den notwendigen, entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ermitteln. Dem angefochtenen Bescheid fehlt es daher an Feststellungen, die die Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu tragen vermögen.

Damit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher damit auseinanderzusetzen haben, ob die vorhandenen Narben des Beschwerdeführers mit seinem Vorbringen in Einklang zu bringen sind und diesbezüglich ein dementsprechendes medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen haben. Dabei wird nicht verkannt, dass ein medizinisches Gutachten nicht geeignet ist, Aufklärung über die Frage zu geben, im Zuge welcher Ereignisse die Verletzungen erlitten wurden; sehr wohl geeignet ist es jedoch dafür, Verletzungsursachen von vorhandenen Narben zu belegen und eventuell auch zeitlich einzugrenzen, wann der Vorfall passiert ist.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, ist in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, gesundheitliche
Beeinträchtigung, Gutachten, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, medizinische Versorgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W221.2192520.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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