Entscheidungsdatum
02.05.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2140577-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.11.2016, Zahl 1061702504-150371575, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2017 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 12.04.2015 in einer größeren Gruppe von Fremden, offenbar aus Ungarn kommend, irregulär in Österreich ein und wurde in 2424 ZURNDORF auf einer Bundesstraße mangels eines Aufenthaltstitels vorläufig festgenommen. Er stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
Eine EURODAC-Abfrage ergab keine Übereinstimmung bezüglich der erkennungsdienstlichen Daten des BF.
1.2. In seiner Erstbefragung am 14.04.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland, Competence Center (CC) Eisenstadt, gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:
Er stamme aus XXXX, Provinz Logar, sei Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, sunnitischer Moslem und ledig. Er spreche neben Paschtu auch noch Dari und Englisch und habe zwölf Klassen Grundschule in Kabul besucht.
Afghanistan habe er vor ca. sieben Monaten von Kabul aus per PKW verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn schlepperunterstützt bis nach Österreich gebracht worden.
Zum Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er als Dolmetsch für amerikanische Truppen tätig gewesen und deswegen von den Taliban mit dem Tode bedroht worden sei.
1.3. Dem Verwaltungsakt liegt ein Volksanwaltschaftsschreiben vom 16.06.2016 an den damaligen Bundesminister für Inneres betreffend die Dauer des Verfahrens beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) ein, in dem um Stellungnahme ersucht wurde, welche Hindernisse einer Entscheidung entgegengestanden wären und zu welchem Zeitpunkt ein weiterer Verfahrensschritt bzw. ein Abschluss des Verfahrens zu erwarten sei.
Ein Antwortschreiben liegt dem Akt nicht ein.
1.4. Bei seiner Einvernahme am 27.07.2016 vor dem BFA [Regionaldirektion Oberösterreich], Außenstelle Linz, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari und eines Vertreters des BF, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Angaben und gab im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei im Jahr 2005 mit seiner Familie von Logar in die Provinz Kabul gezogen, wo sie in einem Ort ca. 18 Kilometer von der Stadt entfernt gewohnt hätten.
Zu seinem Lebenslauf befragt gab der BF an (Auszug aus der Niederschrift, Schreibfehler teilweise korrigiert):
" [...] Ich war in der Provinz Logar bis 2005 und besuchte die Schule dort. Bis zur 6. Schulklasse war ich in Logar. Danach kam ich nach Kabul und besuchte weitere sechs Schulklassen. Während der Schulzeit besuchte ich einen Englischkurs und einen Computerkurs. Nach einiger Zeit war ich in der Lage, in einem Englischkurs die englische Sprache zu unterrichten. Zu dieser Zeit war meine Familie in Logar, und ich lebte alleine bei meiner Schwester in Kabul. Nach Beendigung meiner Schule ging ich zu der Firma XXXX, um dort als Dolmetscher zu arbeiten. Vor dem Arbeitsbeginn fand ein Training für eine Woche statt. Dies war am 01.04.2011. Dann ging ich in die Provinz Logar zur Basis, Stützpunkt der US-Amerikaner, Fab Altamoor im Distrikt Charkh, das Camp ist in einer Wüste., ca. 15 Minuten Flug bis zur Stadt Charkh entfernt. Ich habe dort drei Monate gearbeitet, dann kam ich wieder nach Kabul zurück. Dann war ich drei Monate arbeitslos. Im Oktober 2011 begann ich in einer Pharmafirma in Kabul als Gebietsmanager, dort arbeitete ich ca. 20 Monate, danach lief mein Vertrag ab. Anschließend war ich wieder zwei Monate arbeitslos. Danach ging ich wieder zur Firma XXXX, dies war am 11. oder 12.07.2013. Die Firma XXXX schickte mich in die Provinz Helmand zum US-Stützpunkt Leadernik. Dies war in der Nähe von der Stadt Lashkargah. Dort habe ich ca. zehn Monate gearbeitet. Mein letzter Arbeitstag war am 15.05.2014, danach kam ich nach Kabul, wo bereits meine Familie im Jahr 2011 aufhältig war. Mein Ausreisedatum war am
18. oder 19.09.2014. In der Zwischenzeit war ich versteckt in Kabul.
[...]"
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF an:
"[...] Als ich im Jahre 2011 bei den Nato Truppen als Dolmetscher in der Provinz Logar im Stützpunkt Fab Altamoor arbeitete und die Taliban davon erfuhren, kamen sie zu uns nachhause und bedrohten meine Familie. Zu dieser Zeit war ich nicht zuhause. Danach rief mich mein Vater an und sagte mir, dass ich in Kabul bleiben solle, weil mich die Taliban suchten. Ich blieb einige Zeit in Kabul, und meine Eltern kamen zu mir und erzählten mir von dem Vorfall. Die Sicherheitslage in der Provinz Logar wurde von Tag zu Tag schlechter, und auch meine Eltern sagten mir, dass ich nicht mehr arbeiten soll. Deshalb hörte ich mit der Arbeit auf und blieb in Kabul, und meine Familie kam nach Kabul. Nach meiner dreimonatigen Arbeitspause begann ich, in einer Pharmafirma namens XXXX zu arbeiten. Nach meiner 20 monatigen Arbeit und der Beendigung meines Arbeitsvertrages war ich wieder zwei Monate zuhause. Anschließend im Juli 2013 begann ich, bei der Firma XXXXals Dolmetscher zu arbeiten. Ich arbeitete ca. zehn Monate, während meiner Arbeit erfuhren die Taliban, dass ich wieder als Dolmetscher tätig bin. Während dieser zehn Monate kam ich nur zweimal nachhause. Als ich zum zweitenmal am
14. oder 15.05.2014 nachhause kam, zwei Tage danach, es war gegen Mitternacht, dass Unbekannte an unsere Türe geklopft hatten. Mein Vater machte die Türe auf, die Leute sagten, dass sie mich, also seinen Sohn, bräuchten. Ich hörte dies mit und nahm mein Handy und flüchtete zu einem Nachbarn. Mein Vater erzählte mir, dass sie in unser Haus einstürmten und das Haus durchsuchten. Sie nahmen nichts mit, sie wollten nur mich. In derselben Nacht ging ich zu Fuß zu meiner Schwester XXXX nach XXXX. Am nächsten Tag riefen mich meine Eltern an und erzählten mir, was passiert ist. Ich war ca. dreieinhalb Monate bei meiner Schwester und einem Freund von mir versteckt. Ich wartete auf bessere Zeiten, dass ich wieder zu meiner Familie gehen konnte, aber es passierte nichts, die Sicherheitslage wurde noch schlimmer. Ich war kein Krimineller und hatte nichts angestellt, es war für mich schwer, ständig versteckt zu leben. Deshalb hat sich meine Familie entschlossen, dass ich das Land verlassen soll. Ich hatte nicht vor, nach Europa zu kommen. Wir hatten ein gutes Leben, aber die Situation und meine Probleme zwangen mich, das Land zu verlassen. [...]"
Auf weitere Befragung machte der BF nähere detaillierte Angaben zu seinen Lebensumständen und zu seinen Fluchtgründen.
Als Beleg für sein Vorbringen legte der BF eine übersetzte Tazkira (Personaldokument), diverse übersetzte Bestätigungen (einer Firma in Afghanistan über sein Beschäftigungsverhältnis als Maturant, des Unterrichtsministeriums und eines Gymnasiums über dieselbe Qualifikation), zwei übersetzte Bestätigungen (eines Nachbarn sowie des Bezirksvorstehers für den 12. Bezirk Kabul) bezüglich der Bedrohungen des BF (datiert mit dem Jahr 1393, offenbar irrtümlich auf 2004 statt richtig 2014 umgerechnet), Bestätigungen der Polizei und des Roten Kreuzes über die Tätigkeit des BF im Jahr 2016 in Österreich als Dolmetsch (und schließlich eine Bestätigung, dass der BF in Österreich vereinsmäßig Fußball spielt) vor.
1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 03.11.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 14.04.2015 [richtig: 12.04.2015] gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Zum Fluchtvorbringen führte das BFA beweiswürdigend aus, dass der BF eine persönliche Bedrohung nicht glaubhaft gemacht habe. Sein Vorbringen sei nicht hinreichend plausibel. Von einer überstürzten Abreise könne nach dreieinhalb Monaten nicht mehr gesprochen werden. Wäre die Gefährdung so groß gewesen wie vom BF angegeben, wäre er sofort ausgereist.
1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit offenbar von einer Hilfsorganisation unterstützt erstelltem Schreiben vom 10.11.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen "inhaltlicher Rechtswidrigkeit wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufgrund fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung" ein.
In der Beschwerdebegründung wurde das Vorbringen des BF noch einmal zusammengefasst wiederholt und im Wesentlichen moniert, dass die Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde unzutreffend sei. Der BF sei asylrelevant verfolgt worden, er hätte sich nicht frei bewegen können und sei nirgends sicher gewesen.
Weiters folgten Auszüge aus diversen Berichten (teils in englischer Sprache) zu Afghanistan.
Der BF hätte sich zudem in der Zwischenzeit hervorragend integriert, und wurden dazu weitere Belege (Bestätigung seiner Wohnsitzgemeinde, dass der BF gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet habe, Deutsch-Zertifikat A2 und mehrere weitere Empfehlungsschreiben) vorgelegt.
Diese Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 25.11.2016 beim BVwG ein.
1.7. Auf Antrag des BF wurde ihm mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) vom 31.08.2017 Verfahrenshilfe "für einen Fristsetzungsantrag" gewährt. Aufgrund des sodann gestellten Fristsetzungsantrages erließ der VwGH eine Verfahrensleitende Anordnung vom 06.11.2017, in der dem BVwG aufgetragen wurde, binnen "3 Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen [...] oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt."
1.8. Das BVwG führte am 04.12.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF persönlich in Begleitung seiner zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaterin und einer Vertrauensperson erschien.
Die belangte Behörde entschuldigte ihre Teilnahme an der Verhandlung, ersuchte um Übersendung der Verhandlungsschrift, beantragte die Abweisung der Beschwerde und beantragte für den Fall, "dass die vom BFA/BAA verwendeten Quellen zwischenzeitig nicht mehr als aktuell zu betrachten wären" [...] die "Einholung einer aktuellen Stellungnahme der Staatendokumentation" [...].
Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift, Schreibfehler korrigiert):
" [...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?
BF: Paschtu, ich spreche darüber hinaus Dari, Englisch und Deutsch.
RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?
D: Dari.
RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.
[...]
Der BF hat keinen Reisepass, er hat jedoch eine Tazkira (Personaldokumente) beim BFA vorgelegt und bisher nicht zurückerhalten. Eine Kopie befindet sich im Verwaltungsakt.
RI: Worum handelt es sich bei dem Schriftstück auf Seite 61 des Verwaltungsaktes?
BF: Das ist eine Eidformel in Englisch, die ich bei meiner Bestellung als Dolmetscher auswendig lernen musste.
RI: Haben Sie bei dieser Firma gearbeitet und wann?
BF: Ich habe zweimal bei dieser Firma gearbeitet. Das erste Mal habe ich ab dem 01.04.2011 für insgesamt drei Monate und das zweite Mal ab dem 11. oder 12.07.2013 für insgesamt zehn Monate als Dolmetscher gearbeitet.
RI: Und die geben Ihnen keine Bestätigung?
BF: Wir haben eine Art Ausweis gehabt, mit dem wir in die Arbeitsstelle hineingehen durften, aber diesen Ausweis durften wir aus Sicherheitsgründen nicht nach draußen mitnehmen. Ich war dort als Dolmetscher beschäftigt, aber ich bin nicht dazu gekommen, mir eine Bestätigung ausstellen zu lassen.
RI: Aber wieso machen die das nicht jetzt, das ist ja eine weltweite Organisation?
BF: Um eine Bestätigung ausstellen lassen zu können, muss man dort persönlich anwesend sein, sie stellen nicht jedem eine Bestätigung aus. Die Firma XXXX, für die ich gearbeitet habe, arbeitet in der Gegend, in der ich gearbeitet habe, nicht mehr. Die Firma ist zwar dort weiterhin aktiv, aber in besonderen Gegenden, die mir nicht bekannt sind, wahrscheinlich in XXXX. Ich habe es aber online noch nicht versucht, mir eine Bestätigung ausstellen zu lassen.
D auf Nachfrage von RI: XXXX ist der Militärstützpunkt der USA mit Flughafen, Gefängnis, etc., nördlich von Kabul in der Provinz Parwan.
Der BF legt weiters vor eine Bestätigung vom 27.06.2013, wonach er aus Anlass seiner Tätigkeit beiXXXX ein Bankkonto eröffnet hat.
RI: Warum legen Sie diese Bestätigung jetzt erst vor?
BF: Ich habe diese Bestätigung wie auch weitere Belege (die Tazkiras meines Vaters und meiner drei Brüder) auch schon beim BFA vorgelegt. Dieses hat diese jedoch nicht angenommen, mit der Begründung, dass sie für das Verfahren nicht wichtig seien.
Der BF legt vor eine Reihe von Belegen zu seiner Integration in Österreich vor (Bestätigungen über Dolmetschertätigkeiten, Einstellungsvereinbarung, Sprachkursbestätigung B1, Empfehlungsschreiben von Privaten, einer Gemeinde und vom Roten Kreuz, sowie über sportliche Tätigkeiten), diese Belege werden in Kopie zum Akt genommen.
[...]
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch die D verstehen können?
BF: Ja, ich spreche gut Deutsch. Ich habe die Prüfung B1 absolviert und lerne gerade für die Prüfung B2.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.
RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?
BF: Ich habe eine Einstellungsvereinbarung mit einer Baufirma.
RI befragt die anwesende VP [Vertrauensperson] aufgrund der Namensgleichheit nach dem Betrieb.
VP: Das ist die Firma meines Sohnes. Er hat ein Baggerunternehmen (Erdbewegungen). Der BF hat zwar keinen Führerschein, aber er könnte als Hilfskraft angestellt werden.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich habe vor vier Monaten den Chef und die Frau von ‚Carneval of Fear' kennengelernt. Nach dem Kennenlernen hat er mir erzählt, dass er eine kulturelle Veranstaltung einmal im Jahr hat. Nachdem ich an kulturellen Aktivitäten sehr interessiert bin, habe ich den Vorschlag auf eine freiwillige Mitarbeit angenommen. Der Auftrag von dieser Veranstaltung war, dass die Menschen überall auf der ganzen Welt gleichberechtigt sind, an alle Menschen mehr Wissen darüber heranzubringen. Diesbezüglich habe ich bereits auch eine Bestätigung vorgelegt, was meine sozialen Aktivitäten anbelangt. Seitdem ich in Österreich bin, am Anfang mit Englisch, und nachher als ich Deutsch gelernt habe, habe ich ständig der Caritas freiwillig als Dolmetscher geholfen. Beim Flüchtlingsstrom im Jahr 2015 habe ich bei der Polizei und beim Roten Kreuz täglich ca. zehn Stunden freiwillig als Dolmetscher gearbeitet. Ich habe auch dann für das Gericht als Dolmetscher gearbeitet. Ich spiele bei einer österreichischen Fußballmannschaft Fußball. Täglich gehe ich zum Fitness und Laufen. Zweimal in der Woche gehe ich auch zum Sprachkurs B2. Außerdem arbeite ich regelmäßig bei der Polizei als Dolmetscher.
[...]
RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?
BF: Ja. Zwei- oder dreimal im Monat über Facebook und Viber spreche ich meistens mit meinem Vater und meiner Mutter. Mit meinen drei Brüdern und fünf Schwestern spreche ich selten, die meisten von ihnen sind verheiratet.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Sie wurden bereits im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu den Gründen, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben bzw. warum Sie nicht mehr in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren können (Fluchtgründe), einvernommen. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein.
Sind Ihnen diese Angaben noch erinnerlich und, wenn ja, halten Sie diese Angaben vollinhaltlich und unverändert aufrecht, oder wollen Sie zu Ihren Fluchtgründen noch etwas ergänzen oder berichtigen, das Ihnen wichtig erscheint? Sie haben dafür nun ausreichend Zeit und auch die Gelegenheit, allfällige Beweismittel vorzulegen.
BF: Ich habe alles gesagt, ich habe die Wahrheit gesagt.
RI: Haben Sie die Taliban jemals konkret und persönlich bedroht?
BF: Wenn ein Taleb mir persönlich gegenüberstünde und mich fragen würde, ob ich ein Dolmetscher bin, würde er mich gleich köpfen. Aber sie haben mich gesucht, und sie wollten mich umbringen, aber glücklicherweise bin ich ihnen nicht in die Hände gefallen. Sie wissen über Menschlichkeit nichts.
RI: Woher genau wissen Sie, dass Sie gesucht worden sind?
BF: Als sie mich im Jahr 2011 das erste Mal bedroht haben, sind sie zu uns nachhause gekommen und haben meine Eltern bedroht. Für mich ist kein Vermögen wichtig, mein Leben ist mir wichtig.
RI: Warum haben dann die Taliban Ihre Eltern in Ruhe gelassen?
BF: Der Grund war, weil ich nach dieser Drohung meinen Job aufgegeben habe. Die Verfolgung der Taliban ist nicht so wie eine übliche Feindschaft. Die Taliban ziehen die Familienmitglieder nicht zur Verantwortung, sie haben nur mit der Person zu tun, die mit den Amerikanern, mit den Ausländern oder mit der Regierung zusammengearbeitet hat.
RI: Wieso haben Sie dann wieder als Dolmetscher zu arbeiten begonnen?
BF: Nach dem ersten Vorfall mit den Taliban ging ich nach Kabul, und ich habe dann erst zwei Jahre danach mit der Arbeit als Dolmetsch begonnen. Ich habe gedacht, dass ich, wenn ich in Kabul bin, in Sicherheit bin. Nachdem ich Englisch konnte und die Amerikaner für Frieden in Afghanistan arbeiten wollten, wollte ich auch zum Frieden in meiner Heimat beitragen.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Ich möchte zwei Themen hier ansprechen, erstens wenn ich nach Afghanistan zurückkehren würde, würden mein Vater und meine Mutter für mich ein Grab ausheben müssen. Ich komme aus Afghanistan, und ich kenne die Lage bzw. die Situation in Afghanistan. In einer Familie, wenn es mehrere Brüder gibt, ist ein Bruder für den Staat, und ein Bruder ist gegen den Staat. Dieses Beispiel habe ich aus dem Grund erwähnt, dass wenn mich die Taliban nicht finden würden, sie von meinen Cousins davon erfahren würden, weil diese alle davon wussten, dass ich für die Amerikaner gearbeitet habe und dass ich dann zurückgekehrt bin. Die Taliban haben mehr Informationen über die Einwohner als der Staat. Bevor ich nach Europa geflüchtet bin, wäre es mir möglich gewesen, in 34 Provinzen Afghanistans zu leben, aber nur, wenn ich nicht für die Amerikaner gearbeitet hätte. Seit dem Tag, als ich für die Amerikaner gearbeitet habe, sind für mich alle Provinzen nicht sicher. Die Taliban sind nicht nur eine oder zwei Personen, man kann dem besten Freund nicht vertrauen.
RI hält dem BF den Inhalt der gutächtlichen Stellungnahme von Dr. Rasuly zur Tätigkeit als Dolmetsch (siehe unten) vor.
BF: Ich lehne das alles ab, er (Dr. Rasuly) hat darüber keine ausreichenden Informationen, er spricht nur von sich selbst.
RI: Wenn Sie damals im Jahr 2011 als Dolmetsch aufgehört hätten und in Logar geblieben wären, wären Sie dann in Gefahr gewesen?
BF: Zu 100 Prozent. Diejenigen, die bei den Amerikanern als Dolmetscher gearbeitet haben, kommen für die Taliban an erster Stelle. Das habe ich selbst gespürt und gefühlt. Wenn ich mit den Amerikanern auf Patrouille gegangen bin, haben mir die kleinen Kinder nicht die Hand gegeben und haben gesagt, dass wir Heiden sind. Sie haben in unsere Richtung Steine geworfen.
RI: Was wäre gewesen, wenn Sie ein Chauffeur gewesen wären?
BF: Ich habe bereits gesagt, dass jeder, der mit den Amerikanern arbeitet, egal ob er ein Chauffeur, ein Koch oder etwas anderes ist, gefährdet ist. Nur die Stufen unterscheiden sich.
Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem BVwG vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.
Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
Der RI folgt BFV [Vertreterin des BF] eine Kopie dieser Berichte aus und gibt ihr die Möglichkeit, dazu Fragen an den BF zu stellen sowie eine Stellungnahme abzugeben.
BFV: Der BF war über einen längeren Zeitraum als Dolmetscher für ausländische Streitkräfte in Afghanistan tätig. Durch diese Tätigkeit sowie durch die Flucht vor dem Zugriff der Taliban hat er eine talibanfeindliche Gesinnung zum Ausdruck gebracht und droht ihm daher Verfolgung aufgrund seiner (unterstellten) politischen Gesinnung. Auch die in das Verfahren eingebrachten UNHCR-Richtlinien aus 2016 bestätigen, dass die Personen, die internationalen Streitkräfte unterstützen, einem Risikoprofil zuzuordnen sind und internationalen Schutz benötigen können. Aus dem gleichbleibenden Vorbringen des BF ergibt sich, dass den Taliban bereits bekannt ist, dass er für westliche Organisationen tätig war, und ist es daher wahrscheinlich, dass ihm bei einer Rückkehr und einer Weiterführung dieser Tätigkeit von den Taliban [feindliche politische Gesinnung] unterstellt wird und daher Verfolgung droht.
Ermittlungsermächtigung:
RI: Sind Sie damit einverstanden, dass entsprechend den vom Bundesverwaltungsgericht zu treffenden Anordnungen in Ihrem Herkunftsstaat allenfalls Erhebungen unter Verwendung Ihrer personenbezogenen Daten durchgeführt werden, wobei diese jedenfalls nicht an staatliche Stellen Ihres Herkunftsstaates weitergegeben werden?
BF: Wenn meine Familie deswegen keine Probleme bekommt, bin ich damit einverstanden.
Dem BF wird die Möglichkeit eingeräumt, binnen einer Frist von - zwei Wochen - eine Bestätigung von XXXX über seinen Arbeitseinsatz als Dolmetscher nachzubringen.
BF: Ich habe beim BFA eine Bestätigung darüber abgegeben, dass ich dort trainiert worden bin. Diese Bestätigung beinhaltet einen Zeitraum bzw. ein Datum sowie meinen Namen.
BFV und BF sowie RI durchsuchen den Verwaltungsakt nach dieser Bestätigung. Sie findet sich nicht darin.
Dem BF wird zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, allenfalls nach einer Akteneinsicht beim BFA, diese Bestätigung binnen einer Frist von - zwei Wochen - nachzubringen.
RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"
Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.
1.10. Mit Schreiben vom 18.12.2017 sowie 01.02.2018 erstattete der BF durch seine gewillkürtn Vertreterin ergänzende Stellungnahmen, in denen unter anderem die in der Verhandlung vor dem BVwG am 04.12.2018 angesprochene Bestätigung der FirmaXXXX vom 26.03.2011, die sich beim BFA befunden hatte, im Zuge einer Akteneinsicht dort abgeholt werden konnte und dem erkennenden Gericht vorgelegt wurde. Auch eine Ansprechperson samt Ansprechdaten für eine allfällige direkte Kontaktnahme wurden bekanntgegeben.
1.11. Mit Schreiben vom 05.02.2018 stellte das erkennende Gericht beim VwGH einen Antrag auf Verlängerung der Frist des § 38 Abs. 4 VwGG.
Mit Beschluss vom 01.03.2018 wies der VwGH den Fristsetzungsantrag des BF im Hinblick auf die gemäß § 56 Abs. 10 erster Satz BFA-VG mit 01.11.2017 in Kraft getretene - befristete - Verlängerung der Entscheidungsfrist des BVwG auf zwölf Monate (§ 21 Abs. 2b BFA-VG in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2017, BGBl. I Nr. 145/2017) zurück.
Der Fristsetzungsantrag sei "aufgrund der geänderten Rechtslage nämlich nicht (mehr) zulässig", und auf den Antrag des BVwG auf Verlängerung der Entscheidungsfrist um weitere drei Monate sei daher nicht mehr näher einzugehen.
1.12. Mit Schreiben vom 22.02.2018 legte der BF ergänzend eine Bestätigung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vor, wonach er für die Polizei als Dolmetscher für die Sprachen Farsi, Deutsch als auch Englisch tätig gewesen sei.
Mit Eingabe vom 09.04.2018 übermittelte der BF Fotos, auf denen er bei seiner Arbeit als Dolmetscher für amerikanische Truppen in Afghanistan abgebildet sei.
Die nach der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG vom BF ergänzend vorgelegten Belege wurden auch dem BFA übermittelt. Es hat dazu keine Stellungnahme abgegeben und sich auch sonst nicht am Verfahren beteiligt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 14.04.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 27.07.2016, das Schreiben des Volksanwaltes an den Innenminister hinsichtlich der Verfahrensdauer vom 16.06.2016 sowie die Beschwerde vom 12.01.2017
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (Aktenseiten 89 bis 179)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 04.12.2017 sowie Einsichtnahme in weitere im Beschwerdeverfahren vorgelegte Belege zu seiner Integration (inzwischen Deutsch B1, Tätigkeiten des BF als Dolmetsch vor Polizei und Strafgericht)
* Einsichtnahme in folgende vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Auszüge aus dem aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017)
o Zusammenfassung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom April 2016
o Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016 sowie
o Gutachterliche Stellungnahme des Ländersachverständigen für Afghanistan Dr. Sarajuddin Rasuly zum Vorbringen des BF, er habe für die afghanische Regierung/für Regierungsorganisationen/für ausländische Organisationen/für die Amerikaner als Dolmetsch/Fahrer/etc. gearbeitet und werde deshalb von den gegen diese kämpfenden Taliban verfolgt, eingebracht in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 13.06.2012 im Verfahren C15 410.319-1/2009)
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den Namen XXXX, geboren am XXXX. Er stammt aus XXXX, Distrikt Alam, Provinz Logar, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist mit seiner Familie im Jahr 2005 nach Kabul übersiedelt, wo diese lebt. Die Muttersprache des BF ist Paschtu, er spricht auch Dari, Englisch und Deutsch.
Der BF hat zwölf Klassen Grundschule sowie Englisch- und Computerkurse besucht und dann selbst Englischkurse gehalten.
Er hat von 2011 bis 2014 bei mehreren verschiedenen Firmen, zum Teil an Stützpunkten der amerikanischen Streitkräfte in den Provinzen Logar und Helmand, zum Teil bei einer Pharmafirma in Kabul, gearbeitet.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF hat im Jahr 2011 für die Firma XXXX am Stützpunkt der amerikanischen Streitkräfte in der Provinz Logar, Distrikt Charkh, nach einem einwöchigen Training als Dolmetscher gearbeitet. Als die Taliban davon erfuhren, bedrohten sie die Familie des BF.
Der BF beendete seine Tätigkeit als Dolmetscher und arbeitete dann ca. 20 Monate bei einer Pharmafirma in Kabul. Nach Beendigung dieser Tätigkeit begann er wieder bei der vorhin genannten Firma als Dolmetscher zu arbeiten, diesmal am Stützpunkt der amerikanischen Streitkräfte in der Provinz Helmand, bei Laskargah.
Die Taliban suchten den BF erneut bei seiner Familie auf, sodass dieser sich gezwungen sah, mit der Tätigkeit wieder aufzuhören und sich bei seiner Schwester in Kabul sowie bei einem Freund zu verstecken und schließlich die Flucht zu ergreifen.
3.2.2. Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner wiederholten Tätigkeit für eine Firma an Stützpunkten der amerikanischen Streitkräfte in den Jahren 2011 bis 2014 von den Taliban verfolgt und getötet zu werden.
3.2.3. Es liegen keine Gründe vor, nach denen der BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Es konnte vom BF glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus den oben (in Punkt 3.2.2. angeführten) asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.4. Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative nicht zur Verfügung, zumal er landesweit aufgefunden werden könnte und die staatlichen Einrichtungen seines Herkunftsstaates nicht hinreichend imstande wären, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen.
3.5. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.5.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, zuletzt aktualisiert am 30.01.2018, Schreibfehler teilweise korrigiert):
Politische Lage:
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).
Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017).
Parlament und Parlamentswahlen:
Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).
Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).
Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).
Parteien:
Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).
Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber anscheinend nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).
Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).
Friedens- und Versöhnungsprozess:
Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).
Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):
Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).
Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).
In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).
INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).
Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).
Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).
Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).
Kontrolle von Distrikten und Regionen:
Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).
Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).
Rebellengruppen:
Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).
Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).
Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).
Taliban und ihre Offensive:
Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).
Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).
Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).
Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:
The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).
Haqqani-Netzwerk:
Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).
Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).
Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul -,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).
Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).
Al-Qaida:
Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deu