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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
(Quasi)Anlaßfallwirkung der Aufhebung der die Familienbesteuerung betreffenden Bestimmungen des EStG 1988 mit E v 28.11.97, G451/97 und E v 17.10.97, G168/96 ua. Die belangte Behörde hat dadurch, daß sie den für die Kinder geleisteten Unterhaltszahlungen die steuerliche Anerkennung versagt hat , Gesetzesbestimmungen angewendet, die vom Verfassungsgerichtshof mit den zitierten Erkenntnissen aufgehoben wurden. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit S 33.210,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I.1. Der Beschwerdeführer bezog in den Jahren 1993 und 1994 Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit. Im Rahmen des Jahresausgleiches für 1993 bzw. der Arbeitnehmerveranlagung für 1994 machte er die Berücksichtigung von Versicherungsprämien und Darlehensrückzahlungen (im Jahr 1994 auch von einer Spende und von Kirchenbeiträgen) in näher bezifferter Höhe als Sonderausgaben geltend und gab bekannt, daß er für seine fünf Kinder ganzjährig den gesetzlichen Unterhalt geleistet habe.
2. Mit den nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG bekämpften, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Finanzlandesdirektion Vorarlberg wurde die Anerkennung dieser Aufwendungen als Sonderausgaben bzw. außergewöhnliche Belastung ohne Beschränkung der Höhe nach unter Berufung einerseits auf §18 EStG 1988 und andererseits §57 Abs2 Z3 EStG 1988 idF des FamilienbesteuerungsG 1992, BGBl. 312, (für das Kalenderjahr 1993) und der Sache nach gestützt auf §34 Abs7 Z1 und 2 EStG 1988 idF des SteuerreformG 1993, BGBl. 818, (für das Kalenderjahr 1994) versagt.
Der Beschwerdeführer behauptet in seinen Beschwerden die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines für verfassungswidrig erachteten Gesetzes und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der Bescheide, in eventu die Abtretung der Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihren Gegenschriften die Abweisung der Beschwerden beantragt.
II.Die Beschwerden sind im Ergebnis begründet.
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis G168/96 ua. vom 17. Oktober 1997 die Worte "und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen" in §20 Abs1 Z1 EStG 1988, BGBl. 400, §33 Abs4 Z3, §34 Abs7 Z1 und §57 Abs2 Z3 lita EStG 1988 idF BGBl. 312/1992 sowie §33 Abs4 Z3 lita und §34 Abs7 Z1 und 2 EStG 1988 idF BGBl. 818/1993 als verfassungswidrig aufgehoben.
Mit Erkenntnis G451/97 vom heutigen Tag hat der Verfassungsgerichtshof weiters die Bestimmungen des §34 Abs7 Z2 und des §57 Abs2 Z3 litb EStG 1988 idF BGBl. 312/1992 als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG ist ein vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenes Gesetz im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind einem Anlaßfall (im engeren Sinn) jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in jenem des Beginns der nichtöffentlichen Beratung über eine in der Beschwerdesache präjudizielle Gesetzesstelle anhängig sind (vgl. VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
3. a) Die hg. zu B55/95 protokollierte Beschwerde wurde am 9. Jänner 1995, die zu B3377/96 protokollierte am 18. Oktober 1996 beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Der Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung im Normenprüfungsverfahren G168/96 ua. war der 6. Oktober 1997; die nichtöffentliche Beratung im Normenprüfungsverfahren G451/97 begann am heutigen Tag. Die Gesetzesaufhebung (vgl. Pkt. II.1.) wirkt daher auch für sie.
Die angefochtenen Bescheide sind unter anderem in Anwendung von als verfassungswidrig aufgehobenen Bestimmungen ergangen. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß sich ihre Anwendung für den Beschwerdeführer als nachteilig erweist. Der Beschwerdeführer ist demnach durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden. Die Bescheide waren daher aufzuheben.
b) Auf das Beschwerdevorbringen betreffend die Berücksichtigung von Sonderausgaben zumindest in jener Höhe, die im jeweiligen Freibetragsbescheid ausgewiesen wurde, ist unter diesen Umständen nicht mehr näher einzugehen. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß die belangte Behörde bei Durchführung des Jahresausgleiches für das Jahr 1993 bzw. der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 1994 nicht an den für das jeweilige Jahr ergangenen, bloß eine vorläufige Maßnahme (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuer-Handbuch, Rz 1 zu §63; VwGH 10.7.1996, Z94/15/0011) darstellenden Freibetragsbescheid gebunden ist (weshalb auch der behauptete Eingriff in die Rechtskraft nicht vorliegt).
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in Höhe von
S 5.500,-- enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B55.1995Dokumentnummer
JFT_10028872_95B00055_00