TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/24 W164 2169686-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2018
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Entscheidungsdatum

24.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2169681-1/4E

W164 2169686-1/4E

W164 2169682-1/4E

W164 2169679-1/4E

W164 2169687-1/4E

W164 2169684-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , (3.) XXXX , geb. XXXX , (4.) XXXX , geb. XXXX , (5.) XXXX , geb. XXXX , (6.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen die Bescheide vom 08.08.2017, GZ: (1.) 1125271507/161079268, (2.) 1125264502/161079292, (3.) 11252564600/161079314, (4.) 1125259001/161079335, (5.) 1125259110/161079349, (6.) 1125259208/161079357, des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom 28.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und es wird (1) XXXX , (2) XXXX , (3) XXXX , (4) XXXX , (5) XXXX und (6) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass (1) XXXX ,

(2) XXXX , (3) XXXX , (4) XXXX , (5) XXXX und (6) XXXX kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter der

minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), der

minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3), des

minderjährigen Viertbeschwerdeführers (im Folgenden: BF4), des

minderjährigen Fünftbeschwerdeführers (im Folgenden: BF5) und der

minderjährigen Sechstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF6).

1. Die BF1 stellte am 04.08.2016 nach illegaler Einreise für sich und die minderjährigen BF2, BF3, BF4, BF5 und BF6 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung gab sie an, sie sei am 05.07.1980 in Kabul geboren, sei verheiratet, sunnitische Muslima und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie habe keine Schulbildung und sei Analphabetin. Ihren Ehemann, XXXX , und ihren Sohn, XXXX , habe sie bei der Flucht im Iran verloren. Sie kenne den derzeitigen Aufenthaltsort der beiden nicht. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie ihre Heimat aufgrund der unsicheren Lage und des Krieges verlassen habe. Der BF4 sei letztes Jahr bei einem Bombenanschlag am Bein verletzt worden. Außerdem hätten unbekannte Personen ihre Kinder bedroht und hätten wollen, dass sie nicht mehr die Schule besuchen. Für Frauen und Mädchen sei es in Afghanistan besonders schwierig. Sie würden benachteiligt und unterdrückt. Es herrsche Krieg und Unsicherheit. Die BF1 habe Angst um ihre Kinder.

Die BF2 gab anlässlich der Erstbefragung an, sie sei am 19.05.2000 geboren sei ledig, sunnitische Muslima und Tadschikin. Sie habe 10 Jahre lang die Grundschule besucht. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass es in Afghanistan keine Sicherheit gebe und die Bedingungen für Mädchen sehr schlecht seien. Sie würden benachteiligt und bedroht. Es herrsche Krieg und Unsicherheit.

Die BF3 gab anlässlich der Erstbefragung an, sie sei am 06.07.2001 geboren, sei ledig, sunnitische Muslima und Tadschikin. Sie habe 9 Jahre lang die Grundschule besucht. Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie Afghanistan aufgrund der unsicheren Lage verlassen hätten. Sie hätten nicht zur Schule gehen können. Wenn sie zur Schule gegangen seien, hätten sie unbekannte Personen bedroht. Diese hätten gesagt, dass sie nicht mehr in die Schule gehen und einen Niqab tragen sollten.

Am 28.02.2017 fand die niederschriftliche Einvernahme der BF1, BF2 und BF3 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) statt. Diese wurde von einem männlichen Referenten durchgeführt.

Die BF1 gab an, sie sei nicht sicher, ob die Geburtsdaten ihrer Kinder richtig protokolliert worden seien. Dazu legte sie einen Zettel mit Geburtsdaten vor, welche die BF2 nun aufgrund der Angaben der BF1 errechnet habe. Sie selbst sei 45 Jahre alt und am 15.07.1972 geboren. Nach ihrem Lebenslauf befragt gab die BF1 an, sie sei in Kabul geboren und aufgewachsen, habe traditionell geheiratet und im Dorf XXXX gelebt, ca. eine Auto-Stunde vom Zentrum Kabuls entfernt. Sie habe keine Schule besucht und sei Hausfrau gewesen. Sie hätten ein Haus gehabt. Ihr Vater sei verstorben. Ihre Mutter lebe in Kabul. Ihren Ehemann und ihren Sohn habe sie an der Grenze zwischen Iran und Türkei verloren. Sie habe keinen Kontakt zu ihnen. Ihre drei Brüder und drei Schwestern würden in Kabul leben. Sie habe keinen Kontakt zu ihrer Familie. Die Familie habe sie ausgeschlossen. Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF1 an, sie hätten Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Sie hätten in einer Gegend gelebt, wo es vor allem für Frauen schwer gewesen sei. Der BF1 sei es nicht möglich gewesen, eine Schule zu besuchen. Ihre Töchter seien auf dem Weg zur Schule ständig aufgefordert worden, sich auf der Straße nur verschleiert zu bewegen. Sie hätten (Anm: nur) ein Kopftuch getragen. Die BF selbst sei mit der Burka auf die Straße gegangen. Die BF3 sei auf dem Weg zur Schule von einem Mann beobachtet worden, der sie habe heiraten wollen. Seine Familie habe öfters Heiratsanträge gemacht. Die BF1 habe jedoch abgelehnt, da der Mann bereits verheiratet gewesen sei und zwei Kinder gehabt habe. Der BF4 sei bei einem Bombenanschlag am Bein verletzt worden. Er habe eine Brandwunde erlitten und sei drei Monate im Krankenhaus gewesen. Die BF1 habe ihn regelmäßig besucht und Angst gehabt, dass er seinen Fuß verliere. Er sei 10 Mal operiert worden. Nach drei Monaten hätten sie das Krankenhaus verlassen dürfen. Nachgefragt, ob sie die ganzen drei Monate im Krankenhaus gewesen sei, meinte sie, dass sie natürlich auch nach Hause gegangen sei. Als sie nach Hause gekommen sei, habe sie erfahren, dass ihre Töchter nicht mehr die Schule besuchen würden. Ihre Töchter hätten ihr keinen Kummer bereiten wollen, da sie so besorgt um ihren Sohn gewesen sei. Der Mann, der die BF3 habe heiraten wollen, habe sie öfters belästigt. Er habe an ihrer Kleidung gezerrt und einmal habe er sie in ein Auto zerren wollen. Sie habe aber flüchten können, da die zweite Tochter bei ihr gewesen sei. Als der Mann erfahren habe, dass sie nicht mehr zur Schule gehe, habe er sie zuhause belästigt. Eines Tages sei er in Begleitung von zwei anderen Personen gegen 22:00 Uhr zu ihnen nach Hause gekommen. Ihr Ehemann habe die Türe geöffnet und sie hätten zu streiten begonnen. Ihr Ehemann habe gefragt, warum er sich erlaube, zu ihnen nach Hause zu kommen. Auch sie habe mit ihnen gestritten. Die Leute hätten sie und ihren Mann geschlagen. Ihr Mann habe an der Nase geblutet. Sie selbst sei am Kopf und am Rücken geschlagen worden. Der BF4 habe einen Schock erlitten, alle hätten geweint und die BF3 sei ohnmächtig geworden. Daraufhin hätten die drei Personen das Haus verlassen. Die BF1 hätte versucht die Kinder zu beruhigen. Ihr Ehemann habe Anzeige bei der Polizei erstattet. 10 Tage später sei der Vater der BF1 verstorben. Als sie wegen der Bestattung nicht zuhause gewesen seien, sei jener Mann zu ihnen nach Hause gekommen, habe die Fenster zerschlagen und die Möbel auf den Kopf gestellt. Er habe auch einen Drohbrief hinterlassen. Dieser habe gelautet: "Ich war hier und ihr wart nicht zuhause. Wenn ich noch einmal komme und ihr lehnt mich wieder ab, werde ich euch mit eurem Zuhause vernichten." Als ihr Ehemann deshalb wieder zur Polizei ging, sei ihm dort gesagt worden, dass sie nicht helfen könnten, da jener Mann zu einer einflussreichen Familie gehöre und sein Vater bei einer Behörde arbeite. Auch ihr Ehemann sei am Weg zur Arbeit öfters bedroht worden. Eines Abends seien diese Personen wieder zu ihnen nach Hause gekommen, hätten ihren Ehemann mit einer Waffe bedroht und hätten gesagt, dass sie die BF3 auch mit Gewalt mitnehmen würden, wenn sie nicht freiwillig hergegeben werde. Außerdem hätten die Männer gedroht zu verbreiten, dass die Familie nicht gemäß dem Islam lebe, damit die Familie vom Volk gesteinigt würde. Sie hätten gedroht, auch die BF3 so zu verunstalten, dass sie kein Mann mehr ansehen würde. Die Familie sei machtlos gewesen: Sie seien einfache Menschen gewesen, jener Mann aber einflussreich. Der Ehemann der BF1 habe um eine Monatsfrist gebeten, um die BF3 zu überzeugen, jenen Mann zu heiraten. Diese Zeit hätten sie genützt um das Haus zu verkaufen und zu flüchten. Im Jänner 2016 hätten sie Afghanistan verlassen. An der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei habe der Schlepper gesagt, dass es gefährlich sei. Da der Ehemann der BF1 an Sauerstoffmangel gelitten habe und den Sohn an der Hand gehabt habe, habe er gemeint, dass sie vorauslaufen sollten. Da hätten sich ihre Wege getrennt. Bei der Ersteinvernahme sei für diese ausführliche Schilderung keine Zeit gewesen und die BF1 sei angewiesen worden, nur eine kurze Darstellung zu geben.

Nach Details zu den Heiratsanträgen befragt gab die BF1 an, die Mutter jenes Mannes und seine zwei Tanten seien fünfmal zu ihnen nach Hause gekommen. Die BF1 habe jedes Mal abgelehnt. Beim ersten Mal hätten sie gesagt, dass sie um die Hand der Tochter anhalten würden, da sich ihr Sohn in sie verliebt habe. Seine Mutter sei selbst nicht einverstanden gewesen, da er bereits verheiratet gewesen sei aber er habe seine Mutter zu diesen Besuchen gezwungen. Die BF1 habe abgelehnt, da er kein korrekter Junge gewesen sei. Er sei falsch, verzogen und ein Dieb. Das hätten die Leute bzw. die Nachbarn im Ort erzählt. Die BF1 habe den Mann nicht gekannt. Er heiße XXXX und sein Vater XXXX . Die Nachbarn hätten gewusst, dass es sich um eine einflussreiche Familie handle und darum hätten alle Angst vor ihm gehabt. Der Vater jenes Mannes arbeite für das Parlament. Man könne es über Facebook nachverfolgen. Er sei bekannt und habe eine hohe Position. Sein Sohn sei nicht auf Facebook. Aber jeder im Dorf kenne ihn. Er habe ein teures Auto gefahren. Außerdem habe er so eine Waffe nur gehabt, weil er mit einer Behörde zusammengearbeitet habe. Vor den Vorfällen mit ihrer Tochter habe die BF1 ihn aber nicht gekannt. Eine Flucht nach Kabul sei für die Familie aus den genannten Gründen nicht in Frage gekommen. Den Drohbrief jenes Mannes könne die BF1 nicht vorlegen. Der Drohbrief sei ein weißes Papier gewesen. Die BF1 deutete auf ein am Tisch liegendes A4-Blatt. Den Verkauf des Hauses habe ihr Ehemann gemacht. Zum Dorfältesten sei ihr Ehemann nicht gegangen. Die Geschwister der BF1 würden in Kabul leben. Als sie ihrer Familie über diese Vorfälle erzählt hätte, hätte sich diese von ihr distanziert, da sie mit dieser Feindschaft mit einem einflussreichen Mann nichts zu tun haben hätte wollen. Seitdem habe die BF1 keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Ihr Ehemann habe keine Geschwister.

Die BF2 gab an, sie sei am 19.06.2001 in Kabul geboren und habe in XXXX gewohnt. Sie habe die Schule bis zur 10.Klasse besucht und könne lesen und schreiben. Ihre Großmutter sowie Onkel und Tanten würden in Kabul leben. Sie hätten aber keinen Kontakt mehr zu ihnen seit sie in Österreich seien. Sie hätten zum letzten Mal beim Begräbnis Kontakt mit ihnen gehabt. Ihr Vater habe als Elektriker gearbeitet und für die Familie gesorgt. Zu ihrem Fluchtgrund gab BF2 an, dass sie ein afghanisches Mädchen sei und daher in Afghanistan keine Sicherheit habe. Ein Mann, dessen Vater bei der Behörde tätig gewesen sei, habe ihre Schwester am Weg zu Schule belästigt. Wegen ihrer Schwester sei das Leben der ganzen Familie in Gefahr gewesen. Jener Mann habe versucht ihre Schwester am Kleid zu packen. Sie selbst sei dabei an der Hand verletzt worden. Sie hätten geschrien und die Leute verständigt. Wegen dieses Vorfalls hätten sie die Schule verlassen. Jener Mann habe dann aber nicht aufgehört sie zu belästigen und habe sie auch zuhause aufgesucht. Er habe gedroht, dass er ihren Ruf soweit zerstören würde, dass sie gesteinigt würden oder er würde sie verbrennen. Als sie nicht zuhause waren, habe er sehr viele Gegenstände zerstört. Er habe auch ihren Vater bedroht, sodass sie um eine Frist hätten bitten müssen. Dann seien sie geflüchtet. Die BF2 habe diesen Mann nicht gekannt. Sein Vater sei beim Staat beschäftigt und heiße XXXX . Zu dem Überfall auf ihre Familie befragt gab die BF2 an, dass die Leute an die Tür geklopft, mit ihrem Vater gestritten und ihn verprügelt hätten. Seine zwei Freunde, die sie nicht gekannt habe, hätten die Waffen herausgezogen und ihnen befohlen, nicht zu schreien. Die BF3 sei daraufhin schwach geworden. Die Leute hätten ihre Mutter geschlagen und auch ihre Schwester geschlagen. Dazu befragt, ob auch der Vater verletzt worden sei, gab die BF2 an, der Vater habe eine gebrochene Nase gehabt und habe geblutet. Im Streitgespräch mit ihrem Vater habe der Mann gesagt, dass der Vater ihm die BF3 geben solle, sonst würde er sie sich mit Gewalt holen. Den Drohbrief habe die BF2 nie gesehen. Ihr Vater habe ihn nur der Polizei gezeigt, wo ihm gesagt worden sei, dass der Mann einflussreich sei. Nach dem Drohbrief sei der Mann nur noch einmal zu ihnen nach Hause gekommen. Insgesamt sei der Mann dreimal zu ihnen nach Hause gekommen. Während die BF1 beim BF4 im Krankenhaus gewesen sei, sei sie nur nach Hause gekommen, um zu duschen und sich frisch zu machen. Die BF2 habe in Afghanistan nur ein Kopftuch und keine Burka getragen. Die Familie hätte nicht nach Kabul gehen können, man würde sie töten, egal wo sie hingehen. Die Verwandten hätten gesagt, dass sie ihnen nicht helfen könnten. Ihre Großmutter habe sogar ihre Mutter rausgeworfen, weil sie jetzt Feinde habe.

Die BF3 gab an, sie sei am 19.06.2001 in Kabul geboren und habe in XXXX gewohnt. Die Schule habe sie bis zur 9.Klasse besucht und könne lesen und schreiben. Zu ihren Verwandten in Kabul hätten sie keinen Kontakt mehr. Früher hätten sie Kontakt zur Großmutter, und zu jenem Onkel und jener Tante gehabt, die bei der Großmutter leben würden. Ihr Vater sei Elektriker gewesen und habe für die Familie gesorgt. Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF3 an, dass in Afghanistan keine Sicherheit herrsche. Sie hätten in einem Gebiet gewohnt, wo Mädchen nur schwer die Schule besuchen könnten. Dort habe man wollen, dass die Mädchen die Schule nur mit Burka besuchen. Sie und ihre Schwester hätten die Burka aber nicht angezogen, da sie sich frei bewegen hätten wollen. Auf dem Weg zur Schule habe sie einem Mann namens XXXX gefallen. Dieser sei öfters zu ihnen nach Hause gekommen und habe der BF3 einen Heiratsantrag gemacht. Da er ein verzogener und bereits verheirateter Mann gewesen sei und auch noch viel älter als sie, habe ihre Mutter abgelehnt. Als ihr Bruder eine Fußverletzung erlitten habe, sei die Mutter ein paar Monate durchgängig im Krankenhaus aufhältig gewesen. In dieser Zeit habe dieser Mann die BF3 belästigt. Er habe sie auf dem Weg zur Schule gestört. Er habe gedroht, sie mit Säure zu verunstalten, wenn sie nicht mit der Heirat einverstanden wäre. Er habe gedroht, einen so schlechten Ruf über die Familie zu verbreiten, dass man sie steinigen würde. Er habe sie mit dem Auto entführen wollen. Er habe sie mit Gewalt an der Hand gerissen. Dabei habe sie ihr Kopftuch verloren und ihre Kleidung sei zerrissen worden. Ihre Schwester sei auch dabei gewesen und habe versucht, sie in Schutz zu nehmen. Dabei sei die Schwester am Arm verletzt worden. Jener Mann sei in Begleitung gewesen. Die BF3 und BF2 hätten versucht laut zu schreien, sodass sich viele Leute versammelt hätten und die Männer weggefahren seien. Wegen dieses Vorfalls hätten sie die Schule verlassen. Ihrer Mutter hätten sie erst davon erzählt, nachdem diese aus dem Krankenhaus zurückgekommen sei, da sie sie nicht beunruhigen wollten. XXXX habe erfahren, dass sie nicht mehr zur Schule gehe und habe begonnen, sie direkt zuhause zu stören. Einmal - das genaue Datum könne sie nicht nennen - sei er mit zwei Freunden, die sie nicht gekannt habe, gegen 22:00 Uhr zu ihnen nach Hause gekommen. Ihr Vater habe die Türe geöffnet, ihm vorgehalten, warum er zu ihnen nach Hause komme, und sie hätten sich gestritten. Wie der Mann gekleidet gewesen sei, könne die BF3 nicht sagen. Die Männer hätten ihren Vater zusammengeschlagen. Die BF3 habe nicht darauf geachtet, wohin sie ihn genau geschlagen hätten, da sie beängstigt gewesen sei. Der Vater habe an der Nase geblutet. Da sei ihre Mutter dazwischen gegangen und habe auch mit ihnen gestritten. Ihre Geschwister seien im Schlafzimmer gewesen und geschockt und verängstigt gewesen. Ihr Bruder habe geschrien und sie selbst sei ohnmächtig geworden, als sie gesehen habe, dass ihre Mutter und ihr Vater zusammengeschlagen werden. Am nächsten Tag habe ihr Vater Anzeige bei der Polizei erstattet. Die Polizei habe gemeint, dass sie recherchieren würden und herausfinden, um welche Person es sich handle. Einige Zeit später sei ihr Großvater verstorben, deshalb seien sie bei ihrer Großmutter gewesen. In der Zwischenzeit hätten die Leute ihr Haus, ihre Fenster und den Fernseher zerstört. Jener Mann habe einen Drohbrief hinterlassen, in dem er geschrieben habe:

"Dieses Mal wart ihr nicht zuhause. Wenn ich nächstes Mal komme und ihr mich wieder ablehnt, werde ich euer Zuhause mit euch zusammen in Brand setzen." Sie hätten den Drohbrief gelesen. Er sei auf gewöhnlichem weißem Papier geschrieben worden. Über Nachfrage, wie groß der Brief gewesen sei, und Zeigen eines A4-Blattes meinte die BF3, dass er kleiner gewesen sei und bestätigte die Größe eines A5-Blattes. Den Drohbrief hätte sie nicht mehr. Ihr Vater sei wieder zur Polizei gegangen. Die Polizei habe in der Zwischenzeit herausgefunden, dass es sich um einen starken Mann handeln würde. Der Vater habe dann gemeint, dass sie ihn nicht bewältigen können würden. Der Vater habe erwähnt, dass er, um seine Familie nicht zu beunruhigen, ihnen nicht erzählt hätte, dass ihn die Leute sogar in Zusammenhang mit seiner Arbeit gestört hätten. Letztlich sei der Mann nachts wiedergekommen, habe eine Waffe auf den Vater gerichtet und gedroht, dass er der BF3 Säure ins Gesicht spritzen werde, sodass sie kein Mann mehr ansehen würde, wenn sie ihm nicht gegeben werde. Außerdem würde er die Familie vernichten und Gerüchte über sie verbreiten, damit sie gesteinigt würden. Ihr Vater habe um eine einmonatige Entscheidungsfrist gebeten, damit er die BF3 überreden könne. Sie seien aber zwischenzeitlich geflohen.

Zu den Heiratsanträgen befragt gab die BF3 an, dass jener Mann seine Mutter und zwei Tanten zu ihnen nach Hause geschickt hätte. Die BF3 sei nicht dabei gewesen. Ihre Mutter habe das Gespräch geführt. Ihre Mutter habe den Antrag abgelehnt. Jener Mann sei ein schlechter und verzogener Junge gewesen. Das hätte sein Vater von den Leuten erzählt bekommen. Die Frauen hätten außerdem erzählt, dass er schon verheiratet sei und Kinder habe. Er sei auch älter als die BF3. Sie sei damit einverstanden gewesen, dass die Mutter den Antrag ablehne und auch der Vater habe gesagt, dass sie ihn ablehnen solle. Sie habe den Mann nicht gekannt. Sein Vater habe eine Position im Parlament gehabt. Über mehrmaliges Nachfragen, woher sie wisse, dass er im Parlament sei, meinte sie, dass man über die Medien erfahren könne, wer einflussreich sei. Der Vater heiße XXXX . Nach Kabul sei die Familie nicht gegangen, da der Vater des Mannes sie aufgrund seines Einflusses überall hätte finden können. Ihre Großmutter habe überhaupt nicht verstanden, warum sie nicht dem Mann zur Heirat gegeben wurde und habe geschimpft. Sie hätten ihr von dem ersten Vorfall erzählt als der Großvater gestorben sei. Deshalb hätten sie nicht zu ihr gehen können. Auch die anderen Verwandten hätten ihnen nicht helfen können, da der eine stumm sei und der andere auch krank. Sie hätten gesagt, dass sie ihren Ruf wahren wollen würden und nichts mit den Feinden der Familie zu tun haben wollen würden. Zum Verkauf des Hauses könne die BF3 nichts sagen, da das ihr Vater gemacht habe. Sie wisse auch nicht, an wen er es verkauft habe.

Am 14.03.2017 langte eine ergänzende Stellungnahme der BeschwerdeführerInnen ein. Darin wird zur Situation der Frauen in Afghanistan ausgeführt, dass Zwangs- und Kinderheirat nach wie vor weit verbreitet praktiziert würde. Auch der Zugang zu Bildung, Gesundheit, Polizeischutz und anderen Dienstleistungen sei für Frauen stark eingeschränkt. Der afghanischen Regierung fehle der politische Wille, das Gesetz zur Eliminierung der Gewalt gegen Frauen konsequent umzusetzen. Frauen, die aus dem Ausland nach Afghanistan zurückkehren, seien besonders gefährdet. Sie würden als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen und seien daher einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt. Sie würden Opfer häuslicher Gewalt, Isolation, Stigmatisierung und Opfer von Ehrenmorden werden. Zur Lage in der Stadt Kabul wurde ausgeführt, dass die Bevölkerung zunehmend von komplexen Angriffen mit massiven Opfern betroffen sei. Die Taliban würden sich seit der Frühjahrsoffensive 2016 vermehrt auf die Großstädte fokussieren. Außerdem sei die Aufnahmekapazität der Stadt äußerst eingeschränkt, dies insbesondere vor dem Hintergrund des Rekordniveaus an Binnenvertreibung und der erzwungenen Rückkehr von Afghanen aus Pakistan.

Mit sechs im Spruch dieses Erkenntnisses näher genannten Bescheiden des BFA vom 08.08.2017 wurden die Anträge der BeschwerdeführerInnen auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden ihnen nicht erteilt und es wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 ihr Fluchtvorbringen nicht glaubhaft gemacht habe. Ihre Aussagen seien vage, nicht plausibel und zum Teil in Zusammenschau mit den Aussagen der BF2 und BF3 widersprüchlich gewesen. Die BF1 habe keinerlei Zeitangaben machen können, daraus sei zu schließen, dass sie es vermeiden wollte, andere Zeitangaben als ihre Töchter zu machen, was indiziere, dass die vorgebrachte Geschichte konstruiert sei. Die BF1 habe auch nicht angegeben, wie sie davon erfuhr, dass ihre Tochter beobachtet wurde. Auch die Anzahl der Heiratsanträge habe sie nicht nennen können. Die BF1 habe nicht von sich aus angegeben, welche Verletzungen der BF4 hatte. Die belangte Behörde habe diesbezüglich nachfragen müssen. Das gleiche gelte für die Frage, worum es bei dem Streitgespräch zwischen dem Ehemann und dem angeblichen Verehrer der BF3 ging. Betreffend die Besuche bei ihrem Sohn im Krankenhaus habe die BF1 zunächst angegeben, sie hätte ihn regelmäßig besucht, später, sie hätte die ganzen drei Monate bei ihm verbracht. Nicht plausibel sei auch, dass die BF1 einerseits angegeben habe, jenen Mann nicht gekannt zu haben, und andererseits Gründe nannte, die sie zur Ablehnung seines Heiratsantrags veranlassten. Auch sei nicht plausibel, dass die Männer zwei Mal zum Haus der Familie gekommen seien: Wenn die Familie schon mehrmals Heiratsanträge abgelehnt hätte, hätte jenem Mann bewusst sein müssen, dass die BF3 nicht freiwillig zu ihm gehen würde und er hätte seine Drohung nicht erst noch einmal ausgesprochen sondern gleich in die Tat umgesetzt also die BF3 gleich mitgenommen. Was die Größe des vorgebrachten Drohbriefes betrifft, so habe die BF1 andere Angaben gemacht, als die BF3. Auch sei der BF1 nicht zu glauben, dass sie von ihrer Familie verstoßen worden sei und dass ihr Mann ein Einzelkind sei. Von der Einvernahme durch eine weibliche Referentin habe Abstand genommen werden können, da nach der Einvernahme klar gewesen sei, dass es sich um eine bloß konstruierte Geschichte handle. Die BF1 sei auch keine westlich orientierte Frau, da sie in diesem Zusammenhang nichts vorgebracht habe. Da sich das Vorbringen auf eine Belästigung und Zwangsverheiratung ihrer Tochter beziehe, sei es angemessen gewesen, dass ein männlicher Referent die Einvernahme durchführe. Die BF1 wäre in der Lage, ihren Lebensunterhalt in Kabul zu bestreiten. Sie sei eine junge, erwachsene, gesunde und arbeitsfähige Frau und verfüge über Berufserfahrung. Sie habe familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul und könne von ihren Verwandten unterstützt werden. Die BF1 habe nicht glaubhaft machen können, dass sich ihre Familie von ihr distanziert hätte. Im Fall einer Rückkehr würde sie auch durch die islamische Glaubensgemeinschaft, die Volksgruppe der Tadschiken, das UNHCR oder IOM unterstützt werden. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung werde eine Interessensabwägung vorgenommen. Im vorliegenden Fall würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens überwiegen.

In den Begründungen der Bescheide betreffend die übrigen BeschwerdeführerInnen wurde im Wesentlichen auf die Begründung betreffend die BF1 verwiesen und betreffend Spruchpunkt II. drauf hingewiesen, dass ihre Eltern die Versorgung für sie in Kabul sicherstellen können würden. Betreffend die BF3 wurde angeführt, dass bereits aufgrund der Aussage der BF1 klar gewesen sei, dass es sich bei der vorgebrachten Gefährdungslage um eine konstruierte Geschichte handle, sodass eine Einvernahme durch eine weibliche Referentin nicht nötig gewesen sei.

Gegen diese Bescheide erhoben die BeschwerdeführerInnen fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Nach Darstellung des Fluchtvorbringens wurde ausgeführt, dass die vor der Behörde gemachten Vorbringen der drei Beschwerdeführerinnen in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen würden. Es sei aktenwidrig, wenn die belangte Behörde behaupte, dass drei vollkommen unterschiedliche Geschichten vorliegen würden. Auch sei bei der Beweiswürdigung in einigen Punkten vom Akteninhalt abgegangen worden bzw. die Beweiswürdigung spekulativ und ungeeignet, dies z.B. wenn behauptet werde, dass die BF1 über mehrjährige Berufserfahrung verfüge, dass sie nicht angeben habe können, wie viele Heiratsanträge es gewesen seien, dass sie nicht angeben habe können, wie ihr Sohn verletzt wurde, und das sie nicht angeben habe können, wie sie zu der Information gekommen sei, dass die BF3 am Schulweg beobachtet worden sei. Die belangte Behörde habe im Vorbringen der BF1 genaue Datumsangaben vermisst. Es wäre ihr jedoch freigestanden, auch die BF2 und die BF3 zu konkreten Datumsangaben aufzufordern. Die Beweiswürdigung sei unverhältnismäßig. Die Behörde habe es außerdem unterlassen betreffend den Vater des abgelehnten Brautwerbers zu ermitteln und diesbezüglich Feststellungen zu treffen. Auch die Beurteilung der Behörde, dass die Beschwerdeführerinnen insb. die BF2 und die BF3 keine Frauen mit westlicher Orientierung seien, sei unschlüssig, da beide angegeben hätten, das Tragen einer Burka verweigert zu haben und auch unter sonstigen Einschränkungen und Gefahren in Afghanistan gelitten hätten. Die Stellungnahme vom 14.03.2017 habe die Behörde gänzlich ignoriert. Die Beurteilung, dass eine Frau mit sechs minderjährigen Kindern den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder in Kabul bestreiten könne, sei völlig realitätsfern, dies umso mehr als die BF1 Analphabetin und immer Hausfrau gewesen sei. Diesbezüglich wurde auf den Artikel von Friederike Stahlmann im Asylmagazin 3/2017 verwiesen. Es wurde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, den BeschwerdeführerInnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, zumindest den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Angelegenheit zur Sanierung von Verfahrensmängeln an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.

Am 28.3.2018 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, zu der alle BeschwerdeführerInnen in Begleitung ihres Rechtsvertreters erschienen und die BF1, die BF2 sowie die BF3 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari befragt wurden. Das ebenfalls geladene BFA nahm an dieser Verhandlung nicht teil.

Die BF1 - sie erschien ohne Kopfbedeckung - machte zunächst in Anwesenheit der übrigen BeschwerdeführerInnen folgende ergänzende Angaben: Dass die Geburtsdaten bei der Erstbefragung offenbar falsch ausgerechnet wurden, sei der BF1 aufgefallen, als sie ihre (Anm: jüngste) Tochter in den Kindergarten geben wollte. Da sei die Tochter nach den Unterlagen jünger gewesen, als es die BF1 gewusst habe. Die BF1 sei Analphabetin. Sie kenne auch nicht die genauen Geburtstage ihrer Kinder, sehr wohl aber die Monate und die Jahre. Sie wisse also, wie alt ihre Kinder seien. Die Umrechnung habe die Tochter mit dem Handy gemacht. Die jüngste Tochter (BF6) sei im November/Dezember 2010 geboren. Sie sei acht, aber eigentlich sieben. - Die Dolmetscherin merkte an, dass das Alter in Afghanistan - anders als in Europa - so angegeben werde, dass man z.B. 18 werde, wenn das 18. Lebensjahr beginnt.

In Abwesenheit der BF 2 bis 6 machte die BF1 die folgende ergänzende Angaben:

Die BF1 selbst sei 16 Jahre alt gewesen, als sie heiratete. Nach der Hochzeit habe es etwa vier Jahre gedauert, bis Kinder kamen. Das Dorf XXXX wo die Familie wohnte, gehöre zum XXXX . Bezirk von Kabul, es sei aber eher ländlich wie ein Dorf. Die Verwandten des Mannes hätten im selben Dorf gewohnt. Die BF1 habe Kontakt zu ihnen gehabt. Ihr Mann habe ihr einmal erzählt, weshalb er das einzige Kind seiner Eltern war, nämlich weil die Gebärmutter entfernt werden musste. Die Eltern des Ehemannes seien schon vor längerem gestorben.

Davon, dass die BF2 und BF3 am Schulweg aufgefordert wurden, sich zu verschleiern, hätten die beiden der BF1 erzählt. Es habe sich um eine ländliche Gegend gehandelt. Die BF1 selbst habe eine Burka getragen. Die Familie jenes Mannes, der sich in die Tochter BF3 verliebt hatte, habe die BF1 nicht gekannt. Der Mann habe seine Mutter, seine Tante mütterlicherseits und seine Tante väterlicherseits mehrmals zur BF1 geschickt, um um die Hand der BF3 anzuhalten. Das seien Gespräche unter Frauen gewesen. Ihrem Mann habe die BF1 am Abend davon erzählt. Die Mutter jenes Mannes habe der BF1 mitgeteilt, dass ihr Sohn verheiratet sei und Kinder habe, aber trotzdem habe er sich in meine Tochter verliebt und sie geschickt, um um die Hand dieses Mädchens anzuhalten. Die BF1 habe dabei bemerkt, dass die Mutter des Mannes eigentlich mit dieser Bewerbung nicht einverstanden war, weil ihr Sohn bereits verheiratet war und Kinder hatte. Die BF1 habe den Antrag abgelehnt: Die BF3 hätte ihr bereits vorher davon erzählt, dass dieser Mann sie mehrmals am Schulweg angesprochen hatte. Die BF3 habe gesagt, dass der Mann viel älter sei als sie und dass sie ihn nicht heiraten wolle.

Als der BF4 im Krankenhaus bleiben musste, sei die BF1 bei ihm gewesen und nur alle paar Tage nach Hause gekommen, um sich zu duschen. Dann sei sie wieder ins Krankenhaus gefahren, dies drei Monate lang. Der Weg ins Krankenhaus habe etwa 1,5 Stunden in Anspruch genommen. Die BF1 habe im Krankenhaus übernachten können. Der BF4 habe zwar Essen vom Krankenhaus bekommen, aber sie habe von Zeit zu Zeit Essen von draußen für ihn geholt. Sie habe ihm geholfen, wenn er die Bett-Schüssel benutzen musste, sie habe ihm rechtzeitig die Medikamente gegeben, habe in gewaschen und umgezogen, habe ihm das Essen hingestellt. Die BF2 und BF3 seien vormittags in die Schule gegangen. Die kleineren seien ganztags in der Schule untergebracht gewesen. Die Größeren seien am Nachmittag zu Hause gewesen und am Abend sei der Vater heimgekommen. So habe der Alltag daheim in dieser Zeit funktionieren müssen. Dass die älteren Mädchen dann irgendwann nicht mehr in die Schule gingen, hätten sie der BF1 erst erzählt, als diese Phase vorbei war und die BF1 wieder daheim leben konnte. Da sie daraufhin nach dem Grund gefragt habe, hätten sie ihr dann auch von dem Vorfall erzählt, wo der Mann die Töchter ins Auto zerren wollte.

Als jener Mann das erste Mal zur Familie kam, hätten sie alle geschlafen. Der Ehemann der BF1 habe ihm die Tür geöffnet, habe ihn aber nicht eintreten lassen wollen. Daraufhin sei es laut geworden. Die BF1 sei aufgewacht und habe gesehen, wie ihr Mann geschlagen wurde. Es seien drei Personen gewesen, sie seien dann ins Haus gekommen. Die BF1 habe auch mit ihnen gestritten, daraufhin hätten sie auch die BF1 geschlagen. Die Kinder hätten geweint und die BF3 sei in Ohnmacht gefallen. Daraufhin seien die drei Männer gegangen. Am nächsten Tag sei der Mann zur Polizei gegangen und habe sich beschwert. Die Polizei habe ihm versprochen, zu ermitteln, wer diese Personen waren. Dies habe der Ehemann der BF1 erzählt.

Das in erster Instanz angesprochene Begräbnis des Großvaters habe den Vater der BF1 betroffen. Ob jener Mann, der die BF3 bedrängt hatte, von der Abwesenheit der Familie gewusst habe, wisse die BF1 nicht. Als sie nach dem Begräbnis heimkamen, habe sie gesehen, dass die Fenstergläser kaputt sind, dass der Monitor des Fernsehers gebrochen sei und dass alles verwüstet sei. Unmittelbar angrenzende Nachbarn habe die Familie nicht gehabt. Im Übrigen würden sich Nachbarn bei solchen Vorfällen nicht einmischen. Auf den Drohbrief sei der Ehemann der BF1 aufmerksam geworden. Er habe den Brief der BF1 vorgelesen. Er habe den Brief dann zur Polizei gebracht und von dieser erfahren, dass der Polizei nun bekannt sei, wer jener Mann sei. Allerdings sei seine Familie so mächtig, dass die Polizei nichts gegen sie unternehmen könne.

Nach ein paar Tagen sei jener Mann wiedergekommen. Er habe dem Ehemann der BF1 eine Pistole an den Kopf gehalten und gesagt: "Wenn du dieses Mal meine Forderung ablehnst, werde ich dich und deine gesamte Familie umbringen und dein Haus anzünden". Jener Mann habe gesagt, er würde verbreiten, dass die Familienmitglieder keine Moslems seien und dass sie den Koran angezündet hätten; er werde auf dem Gesicht der BF3 Säure ausschütten damit sie mit niemandem mehr heiraten könne. Der Ehemann der BF habe daraufhin um eine Frist von einem Monat ersucht und habe zugesagt, dass er versuchen werde, die BF3 umzustimmen. Danach hätte der Ehemann gemeinsam mit der BF1 beschlossen, das Haus zu verlassen. Mit den Kindern habe die BF1 nicht drüber gesprochen. Zwei Tage später seien sie geflohen. Sie hätten alles zurückgelassen. Sie seien zur Bushaltestelle gegangen und mit dem Bus nach Nimroz gefahren. Von Nimroz seien sie nach Pakistan gebracht worden und dann in den Iran und dann weiter gereist. Der Mann der BF1 habe ihrer Mutter und ihrem Bruder am Telefon von der Verwüstung des Hauses erzählt. Diese hätten sich distanziert und hätten missbilligt, dass die Familie der BF1 nun eine Feindschaft habe. Die BF1 selbst habe dann nicht mehr mit ihrer Familie gesprochen. Auf der Flucht habe die BF1 ihren Mann und einen damals 13 jährigen Sohn verloren. Sie habe von keinem von beiden mehr etwas gehört.

In Österreich habe die BF1 noch für etwa vier oder fünf Monate das Kopftuch getragen, habe es dann aber abgelegt. Ihr Plan sei, Deutsch zu lernen und dann Pflegerin in einem Altersheim zu werden. Sie würde gerne in diesem Bereich eine Ausbildung machen. In ihrem Heim nehme sie an den Deutschkursen teil, die ältere Frauen einmal wöchentlich dort veranstalten. Sie besuche auch das "Frauen-Cafe" zu einem Frühstück gemeinsam mit Österreicherinnen und nehme an Workshops (Yoga, Stricken) teil, welche die Caritas veranstalte. Die BF1 habe ja auch fünf Kinder zu versorgen. Die BF2 und die BF3 würden die HTL besuchen.

Die - ohne Kopfbedeckung erschienene - BF3 machte in Abwesenheit der übrigen Familienmitglieder die folgenden Angaben:

Sie sei in Afghanistan ca. eine halbe Stunde zu Fuß in die Schule gegangen, immer mit der BF2. Auf dem Weg der Schule habe es Straßen, Gassen und in der Nähe vom Haus Felder gegeben. Die jüngeren Geschwister seien in eine andere Schule gegangen. Auf dem Schulweg hätten der BF3 und BF2 einfache Leute im Vorbeigehen zugerufen, dass sie eine Burka tragen müssten. Jenen Mann, der sich für sie interessiert hatte, habe die BF3 zum ersten Mal bemerkt, als er sie auf dem Schulweg - auf den Feldern in der Nähe des Hauses der Familie - angesprochen habe und ihr gesagt habe, dass er an ihr interessiert sei und sie heiraten möchte. Wo der Mann damals hergekommen sei, wisse sie nicht. Er sei plötzlich zu ihr gekommen. Sie habe seinen Antrag abgelehnt und ihm gesagt, dass sie nicht bereit sei ihn zu heiraten. Zu Hause habe sie das ihrer Mutter erzählt. Diese habe es anfangs nicht ernst genommen. Dann habe die Mutter Gespräche mit den Verwandten jenes Mann gehabt. Die BF3 sei damals zu Hause gewesen, sie sei aber nicht zu ihnen gegangen. Mit ihrer Mutter habe sie nachher nicht mehr gesprochen. Diese habe ja bereits gewusst, was sie zu den Leuten zu sagen habe. In der Zeit, als der BF4 im Krankenhaus war und die Mutter fast ständig bei ihm gewesen sei, sei die BF3 mit der BF2 auf dem Weg von der Schule nach Hause gewesen. Noch auf der Straße habe ein Auto neben ihnen gestoppt. Jener Mann sei mit einem Freund im Auto gewesen. Beide seien ausgestiegen und hätten versucht, die BF3 ins Auto zu zerren. Die BF2 sei zu ihr geeilt, um ihr zu helfen. Der Freund jenes Mannes habe die BF2 gestoßen und an der Hand verletzt. Die BF3 und die BF2 hätten geschrien. Daraufhin hätten sich Passanten versammelt und diese beiden Männer seien weggefahren. Da die BF2 blutete, hätten die Passanten sie zur Apotheke gebracht damit ihre Hand medizinisch versorgt wird. Die BF3 habe die BF2 begleitet. Danach seien sie nachhause gegangen. Als der Vater am Abend heimkam, hätten sie ihm nichts von dem Vorfall erzählt. Ab diesem Vorfall seien sie aber nicht mehr in die Schule gegangen. Da der Vater untertags nicht zuhause war, habe er nicht mitbekommen ob die BF3 und BF2 in die Schule gehen oder nicht.

Als jener Mann am Abend zur Familie nachhause kam, habe die BF3 geschlafen. Als der Mann angeklopft habe, habe der Vater die Tür geöffnet und ihn gefragt, warum er so spät zur Familie komme. Es sei laut geworden. Die BF3, ihre Mutter und ihre Geschwister seien im zweiten Stockwerk gewesen. Durch ein Fenster hätten sie hinunter in den Hof schauen können. Jener Mann sei mit zwei weiteren Personen gekommen, sie hätten den Vater im Innenhof geschlagen. Als die Mutter dies sah, sei sie hinuntergegangen und habe sich eingemischt, habe mit ihnen gestritten und gefragt warum sie den Vater schlagen. Sie hätten daraufhin auch die Mutter geschlagen. Der Vater habe an der Nase geblutet. Als BF3 diesen Zustand sah, sei sie bewusstlos geworden. Der Vater sei dann zur Polizei gegangen und habe erzählt, dass die Polizei ermitteln werde.

Als die Familie vom Begräbnis des Großvaters zurückkam seien die Fenstergläser zerbrochen gewesen, der Monitor vom Fernseher sei kaputt gewesen, das Haus sei verwüstet und durcheinander gewesen. Wer den Drohbrief gefunden habe, wisse die BF3 nicht. Der Vater habe ihn vorgelesen und dann den Brief zur Polizei gebracht. Die BF3 habe den Drohbrief in der Hand des Vaters gesehen.

Nach einiger Zeit sei jener Mann wieder gekommen. Der Vater habe ihm aufgemacht. Die BF3 sei oben im Schlafzimmer gewesen. Der Mann sei dann gemeinsam mit dem Vater in das Schlafzimmer hinaufgekommen und habe dem Vater die Pistole an den Kopf gehalten. Er habe gesagt, dass er auf das Gesicht der BF3 Säure schütten werde, die ganze Familie anzünden werde und die Verleumdung verbreiten werde, dass die Familie nicht nach dem Islam lebe. Der Vater habe dann gesagt, jener Mann solle ihm ein Monat Zeit geben damit er die BF3 umstimmen könne. Danach werde er die BF3 mit jenem Mann verloben. Die BF3 habe unmittelbar danach nicht mit dem Vater gesprochen. Später habe er ihr und den Geschwistern gesagt, dass die Familie fliehen werde. Kurz darauf habe er gesagt, dass er die Bus-Tickets besorgt habe. Sie habe nur ein paar Stück Kleider mitgenommen. Zwei Tage nach dem Vorfall seien sie geflohen. In Österreich fühle sich die BF3 frei. Sie müsse kein Kopftuch tragen, fühle mich sicher wenn sie in die Schule gehe, könne alleine einkaufen gehen und brauche nicht unbedingt einen Begleiter. Die BF3 besuche seit September 2017 die HTL. Vorher habe sie Sprachkurse gemacht.

Die - ohne Kopfbedeckung erschienene - BF2 machte in Abwesenheit der übrigen Familienmitglieder die folgenden Angaben:

Sie sei in Afghanistan zu Fuß in die Schule gegangen, etwa eine halbe Stunde. Sie sei immer mit der BF3 gegangen. Auf dem Schulweg seien eine belebte Straße, eine Gasse und Felder gewesen. Befragt danach, wer ihnen zugerufen habe, dass sie sich zu verschleiern hätten, gab sie an, das seien einfache Leue gewesen. Sie beide hätten sich aber weiterhin so bekleidet wie sie sich schon immer bekleidet hatten. Sie hätten ja bereits einen Hijab getragen. Jener Mann, der die BF3 heiraten wollte, sei auf sie beide zugekommen und habe der BF3 gesagt, dass sie ihm gut gefalle und er möchte sie heiraten. Die BF3 habe seinen Antrag abgelehnt und habe gesagt, dass sie ihn nicht heiraten möchte. An diesem Tag habe jener Mann sie beide dann in Ruhe gelassen. Er habe jedoch seine Verwandten zu Ihnen nachhause geschickt, damit sie für ihn um die Hand der BF3 anhalten. Befragt nach dem Vorfall, als die BF3 beinahe ins Auto gezerrt wurde, gab die BF2 an, jener Mann sei gemeinsam mit seinem Freund in einem Auto gewesen. Sie hätten das Auto auf der Straße neben den beiden Schwestern gestoppt und hätten die BF3 mit Gewalt ins Auto zerren wollen. Die BF2 habe ihrer Schwester helfen wollen. Der Freund jenes Mannes habe sie gestoßen, und ihre Hand verletzt. Der BF3 sei der Ärmel vom Kleid abgerissen worden. Sie beide hätten geschrien. Passanten seien zu ihnen gekommen. Die Angreifer seien dann weggefahren. Die BF2 habe an der Hand geblutet. Die Passanten hätten die BF2 dann in die Apotheke gebracht. In der Apotheke sei die Hand genäht und gebunden worden. Dann seien sie beide nachhause gegangen. Die Narbe könne man sehen. (Die BF2 zeigte die Narbe am Handgelenk). Den Eltern hätten sie von diesem Vorfall damals nicht erzählt.

Als jener Mann das erste Mal zum Haus der Familie kam, sei die BF2 oben in ihrem Zimmer gewesen. Die Leute hätten die Eltern geschlagen. Die Brüder hätten geweint. Die BF2 sei bei ihren Brüdern gewesen. Sie habe dann gesehen, dass die Nase des Vaters geblutet hat. Sie habe von oben vom Fenster gesehen, als die Leute den Vater und die Mutter schlugen.

Als sie nach dem Begräbnis des Großvaters nachhause kamen, hätten sie gesehen dass die Fenstergläser kaputt waren, der Monitor vom Fernseher sei kaputt gewesen und alle Zimmer seien verwüstet worden. Davon dass jener Mann einen Drohbrief hinterlassen hatte, habe sie erst später von ihrer Mutter erfahren. Als jener Mann später wieder zu ihrem Haus kam, habe er eine Pistole an den Kopf des Vaters gehalten. Die BF2 sei im Schlafzimmer gewesen. Die Leute seien diesmal ins Schlafzimmer nach oben gekommen. Sie seien wieder gegangen, nachdem der Vater eine Frist von einem Monat verlangt habe, und ihnen versprochen habe, er werde die BF3 umstimmen. Zwei Tage später habe der Vater den Kindern gesagt, dass die Familie fliehen würde. Sie sollten Kleidung für unterwegs mitnehmen. Seit September 2017 besuche die BF2 die HTL. Davor habe sie einen Deutschkurs besucht. Sie sei bemüht, die Sprache zu erlernen und möchte nach der Schule Informatik studieren und einen Beruf ergreifen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die strafrechtlich unbescholtene BF1 wurde im Jahr 1980 in Kabul geboren, ist afghanische STA, verheiratet, Sunnitin und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Sie hat keine Schule besucht und hat zuletzt mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in XXXX , einem Außenbezirk Kabuls mit vorwiegend ländlicher Bevölkerung gewohnt. Die BF2 hat die 10. Klasse der Grundschule und die BF3 die 9. Klasse der Grundschule besucht. Beide trugen am Schulweg einen Hijab aber keine Burka. Sie wurden deshalb von Passanten öfters aufgefordert, sich mit einer Burka zu verschleiern. Ein Mann aus der Gegend hatte die BF3 auf dem Schulweg beobachtet und wollte sie heiraten. Er sprach die BF3 am Schulweg an. Die BF3 lehnte ab. Ihre Eltern, die BF1 und ihr Ehemann, hielten zu ihr. Die unter den Frauen der beiden Familien geführten Gespräche führten zu einer Ablehnung des Heiratsantrages.

Eines Tages wurde der BF4 durch eine Bombe schwer verletzt und musste drei Monate stationär im Krankenhaus verbringen. Die BF1 war bei ihrem Sohn und kam nur alle paar Tage kurz nach Hause, um sich frisch zu machen.

In dieser Zeit fuhr jener Mann gemeinsam mit einem Freund den beiden Mädchen, die am Schulweg waren, mit dem Auto nach, hielt neben ihnen auf der Straße, beide Männer stiegen aus, versuchten, die BF3 ins Auto zu zerren und verletzten die BF2, die ihrer Schwester helfen wollte. Da beide Mädchen um Hilfe schrien, kamen Passanten, was die beiden Männer zur Flucht veranlasste. Die Passanten brachten die BF2 zum Apotheker, der eine Wunde an ihrem Handgelenk nähen und verbinden musste. Danach gingen beide Mädchen heim und beschlossen, ihren Eltern - da diese wegen der schweren Verletzung des jüngeren Bruders schon genug Sorgen hätten - nichts zu erzählen, aber auch nicht mehr in die Schule zu gehen. Der Vater, der in der Früh zur Arbeit ging und erst abends heimkam, bemerkte das nicht. Die Mutter erfuhr von dem Vorfall erst, als sie wieder dauernd bei der Familie wohnen konnte.

Eines späten Abends kam jener Mann in Begleitung von zwei Freunden zum Haus der Familie. Der Vater der Kinder wollte ihn nicht einlassen. Es kam zum Streit. Der Vater wurde verletzt und blutete an der Nase. Die BF1 beobachtete das Geschehen, das sich im Innenhof abspielte, zunächst mit den Kindern vom Fenster des Schlafzimmers aus. Als sie sah, dass ihr Mann geschlagen wurde, kam sie diesem zu Hilfe und wurde selbst geschlagen. Die Kinder weinten laut. Die drei Eindringlinge zogen wieder ab. Der Vater erhob danach Anzeige bei der Polizei.

Kurz darauf starb der Vater der BF1. Die ganze Familie fuhr zum Begräbnis in der Stadt Kabul. Währenddessen wurden in ihrem Haus die Fenster eingeschlagen und die Zimmer verwüstet. Es blieb ein Drohbrief zurück der etwa lautete: "Ich war da und ihr ward nicht da, wenn ich noch einmal komme und ihr lehnt mich ab, werde ich euch mit eurem Zuhause vernichten"

Der Vater ging erneut zur Polizei und erfuhr, dass der Vater des genannten Mannes ein politisch einflussreicher Parlamentarier sei.

Der Mann kam noch einmal in der Nacht in Begleitung von zwei Freunden zum Haus der Familie, hielt dem Ehemann der BF1 eine Pistole an den Kopf, schob ihn so vor sich her hinauf ins Schlafzimmer, drohte, die BF3 zu verunstalten und den Ruf der Familie zu zerstören, wenn er die Zustimmung zur Heirat der BF3 nicht erhalte. Der Ehemann der BF1 bat sich ein Monat Frist aus, um die BF3 umstimmen zu können, besprach sich hernach aber mit der BF1. Sie entschlossen sich zu Flucht. Der Ehemann der BF1 verkaufte das Haus. Die Familie ließ alles zurück und flüchtete. Auf der Flucht verloren sich die BF1 mit fünf ihrer Kinder einerseits und der Vater mit einem damals 13 jährigen Sohn andererseits.

Allgemeine Länderfeststellungen:

Quelle: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, HCR/EG/AFG/16/02 vom 19.04.2016:

Trotz der ausdrücklichen Verpflichtung der afghanischen Regierung, ihre nationalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, ist der durch sie geleistete Schutz der Menschenrechte weiterhin inkonsistent. Große Teile der Bevölkerung - einschließlich Frauen und Kinder - sind Berichten zufolge weiterhin zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch unterschiedliche Akteure ausgesetzt.

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden Berichten zufolge in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betreffenden Gebiete tatsächlich kontrolliert. In von der Regierung kontrollierten Gebieten kommt es Berichten zufolge regelmäßig zu Menschenrechtsverletzungen durch den Staat und seine Vertreter. In Gebieten, die von regierungsnahen bewaffneten Gruppen (teilweise) kontrolliert werden, begehen diese Berichten zufolge straflos Menschenrechtsverletzungen. Ähnlich sind in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten Menschenrechtsverletzungen, darunter durch die Auferlegung paralleler Justizstrukturen, weit verbreitet. Zusätzlich begehen sowohl staatliche wie auch nicht-staatliche Akteure Berichten zufolge außerhalb der von ihnen jeweils kontrollierten Gebiet Menschenrechtsverletzungen. Aus Berichten geht hervor, dass schwere Menschenrechtsverletzungen insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet sind.

Berichten zufolge begehen regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) extralegale Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen. Sie hinderten Zivilisten zudem an der Ausübung ihres Rechte auf Bewegungsfreiheit, auf Freiheit der Meinungsäußerung, auf Zugang zu Bildung und zu wirksamem Rechtsschutz. Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) nutzen die Abwesenheit staatlicher Justizmechanismen oder -dienste aus, um eigene parallele "Justiz"-Strukturen, vor allem, jedoch nicht ausschließlich in Gebieten unter ihrer Kontrolle, durchzusetzen.

Einige moderate Gruppierungen innerhalb der Taliban haben Berichten zufolge ihre Unterstützung der Bildung von Mädchen und Frauen erklärt. Jedoch liegen Berichte darüber vor, dass sowohl Taliban wie auch mit ISIS verbundene Gruppen Schulen und Medresen (Koranschulen) nutzen, um Kinder zu indoktrinieren, für den Einsatz in Kampfhandlungen und für die Unterstützung von Kampfhandlungen zu rekrutieren. Berichten zufolge griffen die Taliban in Lehrpläne ein oder unternahmen Versuche, Lehrpläne in Hinblick auf die Einhaltung von durch die Taliban genehmigte Kriterien zu überprüfen. Vorfälle von konfliktbezogener Gewalt, die sich direkt auf den Zugang zu Bildung auswirken, finden Berichten zufolge weiterhin in allen Regionen des Landes statt. Die berichteten Vorfälle, darunter das Abbrennen von Schulen, gezielte Tötungen und Einschüchterung von Lehrern und Mitarbeitern, in oder in der Nähe von Schulen gelegte Sprengsätze, Raketenangriffe auf Bildungseinrichtungen und Schließung von Schulen, insbesondere von Schulen für Mädchen, werden überwiegend regierungsfeindlichen bewaffneten Kräften, einschließlich den Taliban, zugerechnet. Schulen wurden Berichten zufolge außerdem besetzt und für militärische Zwecke benutzt, wodurch ihr geschützter Status nach dem humanitären Völkerrecht beeinträchtigt und den Kindern der Zugang zu Bildung entzogen wurde. Außerdem bleiben Berichten zufolge viele Schulen in Afghanistan aufgrund der vor Ort herrschenden Sicherheitsbedingungen geschlossen. Gleichermaßen geht aus Berichten hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) den Zugang zur Gesundheitsversorgung beschränken. 2015 dokumentierte UNAMA 63 gegen Krankenhäuser und medizinisches Personal gerichtete Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), ein Anstieg um 47 Prozent im Vergleich zu 2014. Trotz Zusagen der Taliban, Polio-Impfkampagnen zu unterstützen geht aus Berichten hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) Impfungen verbieten und Personen angreifen, die in diesem Bereich tätig sind. Das Recht auf Religionsfreiheit wird Berichten zufolge ebenfalls von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, einschließlich durch Bedrohungen und Angriffe auf Einzelpersonen und Gemeinschaften, die vermeintlich gegen die Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch die regierungsfeindlichen Kräfte verstoßen. Sogar dort, wo der rechtliche Rahmen den Schutz der Menschenrechte vorsieht, bleibt die Umsetzung der Verpflichtungen Afghanistans, nach nationalem und internationalem Recht diese Rechte zu fördern und zu schützen, in der Praxis oftmals eine Herausforderung.

Die Regierungsgewalt Afghanistans und die Rechtsstaatlichkeit werden als besonders schwach wahrgenommen, die Zufriedenheit der Öffentlichkeit mit der Regierungsarbeit und das Vertrauen in öffentliche Einrichtungen sanken Berichten zufolge im Jahr 2015 auf drastische Weise. Die Fähigkeit der Regierung, die Menschenrechte zu schützen, wird in vielen Distrikten durch Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) untergraben. Ländliche und instabile Gebiete leiden Berichten zufolge unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden. Von der Regierung ernannte Richter und Staatsanwälte sind Berichten zufolge oftmals aufgrund der Unsicherheit nicht in der Lage, in diesen Gemeinden zu bleiben. Beobachter berichten von einem hohen Maß an Korruption, von Herausforderungen für effektive Regierungsgewalt und einem Klima der Straflosigkeit als Faktoren, die die Rechtsstaatlichkeit schwächen und die Fähigkeit des Staates untergraben, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten. Berichten zufolge werden in Fällen von Menschenrechtsverletzungen die Täter selten zur Rechenschaft gezogen und für die Verbesserung der Übergangsjustiz besteht wenig oder keine politische Unterstützung. Wie oben angemerkt, begehen einige staatliche Akteure, die mit dem Schutz der Menschenrechte beauftragt sind, einschließlich der afghanischen nationalen Polizei und der afghanischen lokalen Polizei, Berichten zufolge in einigen Teilen des Landes selbst Menschenrechtsverletzungen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden.

Berichten zufolge betrifft Korruption viele Teile des Staatsapparats auf nationaler, Provinz- und lokaler Ebene. Es wird berichtet, dass bis zu zwei Drittel der afghanischen Bürger, die Kontakt zu Staatsbediensteten auf Provinz- und Distriktebene hatten, Schmiergelder zahlen mussten, um öffentliche Dienstleistungen zu erhalten. Innerhalb der Polizei sind Berichten zufolge Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch. Das Justizsystem ist Berichten zufolge auf ähnliche Weise von weitreichender Korruption betroffen. In einigen Gebieten bevorzugen Berichten zufolge lokale Gemeinschaften parallele Justizstrukturen, etwa Gerichte der Taliban, um zivile Streitfälle auszutragen. Opfer von Menschenrechtsverletzungen, die durch diese parallelen Justizstrukturen begangen wurden, haben Berichten zufolge keinen Zugang zu staatlichen Rechtsschutzmechanismen.

Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit dem fortwährenden Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen, oder aufgrund der Kombination beider Gründe.

Eine besonders sorgfältige Prüfung der möglichen Risken ist insbesondere unter anderem notwendig bei Personen mit den folgenden Profilen:

-

Personen, von denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen;

-

Frauen mit spezifischen Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben;

-

Frauen und Männer, die vermeintlich gegen soziale Sitten verstoßen;

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben. In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das "Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters" tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder einen Haarschnitt tragen, der ihrer Auffassung nach eitel ist. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft.

Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten. Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet. Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen. Beobachter berichten, dass Gesetze zum Schutz von Frauenrechten weiterhin nur langsam umgesetzt werden, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz). UNAMA berichtet, dass sowohl die afghanische nationale Polizei (ANP) als auch die Staatsanwaltschaften zahlreiche Fälle, einschließlich schwerwiegender Straftaten, an jirgas und shuras zum Zweck der Beratung oder Entscheidung weiterleiten und dadurch die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) unterminieren und die Praktizierung schädlicher traditioneller Bräuche fördern.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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