TE OGH 2018/3/21 7Ob124/17m

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Veröffentlicht am 21.03.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** M*****, vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei D***** AG *****, vertreten durch Mag. Christiane Hoja-Trattnig, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 28.800 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. April 2017, GZ 5 R 137/16f-29, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 18. Mai 2016, GZ 26 Cg 71/14h-25, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.804,50 EUR (darin 300,75 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Dem von den Parteien abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrag liegen (ua) die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung AUVB 1999 zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 7

Dauernde Invalidität

1. Ergibt sich innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet, dass als Folge des Unfalles eine dauernde Invalidität zurückbleibt, wird aus der hiefür versicherten Summe der dem Grade der Invalidität entsprechende Betrag gezahlt.

2. Für die Bemessung des Invaliditätsgrades gelten folgende Bestimmungen:

2.1. bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit

….

- eines Beines bis über die Mitte des Oberschenkels 70 %

- eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels 60 %

- eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels oder eines Fußes 50 %

...

2.2. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktionsunfähigkeit der vorgenannten Körperteile oder Organe werden die Sätze von 2.1. anteilig angewendet.

Bei Funktionseinschränkungen von Armen oder Beinen ist der Satz für die gesamte Extremität anteilig anzuwenden. Der Prozentsatz der Funktionseinschränkung ist jedoch mit dem Prozentsatz des vollständigen Verlustes der Extremität maximiert.

...

6. Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl der Versicherte als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen, und zwar ab drei Jahren nach dem Unfalltag auch durch die Ärztekommission.

Ergibt in einem solchen Falle die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung als der Versicherer bereits erbracht hat, so ist der Mehrbetrag zu erbringen. Ergibt jedoch in einem solchen Fall die endgültige Bemessung eine niedrigere Invaliditätsleistung als der Versicherer bereits erbracht hat, so ist der Mehrbetrag vom Versicherungsnehmer zurückzuerstatten. ...

Der Kläger erlitt am 24. 2. 2007 bei einem Sturz von einer Leiter eine komplexe Pilon-Tibial-Fraktur rechts. Die Beklagte bezahlte aus der Unfallversicherung wegen dauernd unfallkausal verbliebener Invalidität 115.200 EUR. Der Kläger begehrte von der Beklagten nach der am 28. 6. 2013 erfolgten Amputation seines rechten Unterschenkels eine weitere Zahlung von 28.800 EUR sA.

Das Berufungsgericht sprach in seinem die Klagsabweisung bestätigenden Urteil aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es gebe – soweit überblickbar – keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur entscheidungs-wesentlichen Frage, ob der Versicherer verpflichtet sei, den Versicherungsnehmer auf sein auf vier Jahre befristetes Recht zur Neubemessung des Invaliditätsgrads nach Art 7.6. AUVB 1999 (bzw nach vergleichbaren Regelungen) hinzuweisen, und ob die Berufung auf den Fristablauf bei unterlassenem Hinweis gegen Treu und Glauben verstoße.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

1.1. Seinen ursprünglichen Standpunkt, dass sich das Begehren nach der geltend gemachten Versicherungsleistung auf den Vorfall vom 18. 3. 2013 gründet, gab der Kläger auf. Auf diesen ist folglich nicht mehr einzugehen.

1.2. Soweit der Kläger sein nunmehr weiteres Zahlungsbegehren auf eine vermeintlich unrichtige Erstbemessung der Versicherungsleistung stützen wollte, hat das Berufungsgericht darin eine unzulässige Neuerung erkannt. Diese Rechtsansicht wird in der Revision nicht nachvollziehbar bekämpft. Ein allfälliger Anspruch aus einer unrichtigen Erstbemessung wäre überdies verjährt (§ 12 VersVG; 7 Ob 144/17b; RIS-Justiz RS0080324; RS0080075).

2. Im Rahmen seiner Rechtsrüge macht der Kläger gegen die von den Vorinstanzen bejahte Verfristung nach Art 7.6. AUVB 1999 geltend, dass die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoße. Dem ist Folgendes zu entgegnen:

2.1. Der Kläger geht zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Fachsenats davon aus, dass es sich bei der in Art 7.6. AUVB 1999 vorgesehenen Frist insofern um eine Ausschlussfrist handelt, als ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad nur dann zu bemessen und zu berücksichtigen ist, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder dem Versicherer begehrt wird (RIS-Justiz RS0109447 [T2]). Die Frist soll verhindern, dass die abschließende Bemessung der Invalidität auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wird. Beide Parteien sollen innerhalb der Frist von vier Jahren Klarheit über den Grad der Invalidität erlangen können, um letztlich Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und Rechtssicherheit und Rechtsfrieden innerhalb eines überblickbaren Zeitraums schaffen zu können. Wird der Antrag auf Neubemessung versäumt, so bleibt es bei der letzten Feststellung der Bemessung der Invaliditätsentschädigung (7 Ob 63/07a).

2.2. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und -einschränkungen rechnen und sich durch Einsicht in die Bedingungen über die konkreten Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlussfristen informieren (7 Ob 169/17d). Er kann nicht erwarten, dass alle Änderungen des Gesundheitszustands bis zu seinem Lebensende gedeckt sind. Dieses Risiko wäre für die Versicherer kaum überschaubar. Die Frist für die Neubemessung ist daher nicht ungewöhnlich im Sinn des § 864a ABGB und sie ist für den Versicherungsnehmer auch nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB, weil sie sowohl für den Versicherungsnehmer als auch für den Versicherer gleichermaßen gilt (7 Ob 63/07a).

2.3. Richtig ist, dass die Berufung des Versicherers auf den Ablauf einer Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoßen kann (vgl RIS-Justiz RS0016788). Ein solcher Fall liegt aber nicht schon dann vor, wenn die Frist unverschuldet versäumt wurde. Erforderlich ist vielmehr ein solches Verhalten des Anspruchsgegners, durch das der Anspruchsberechtigte veranlasst wurde, seine Forderung nicht fristgerecht geltend zu machen (RIS-Justiz RS0016824). Für eine noch weitergehende, vom Kläger reklamierte Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer gleichsam standardmäßig auf die Neubemessungsfrist von vier Jahren hinzuweisen, fehlt in Österreich (zum Unterschied von Deutschland) eine gesetzliche Grundlage und jeder Anhaltspunkt in der bisherigen Rechtsprechung. Dieser vom Berufungsgericht und vom Kläger angesprochenen Zulassungsfrage muss aber schon deshalb nicht weiter nachgegangen werden, weil sich die Unfallfolgen beim Kläger seit dem der Erstbemessung zugrunde gelegenen Sachverständigengutachten bis zum Ablauf der Neubemessungsfrist ohnehin nicht verschlimmert haben. Schließlich wurde dem Kläger schon anlässlich dieser Begutachtung mitgeteilt, „dass es wahrscheinlich das Beste wäre, den Fuß abzunehmen“, sodass für den Kläger auch insoweit keine Fehlvorstellung bestehen konnte.

3. Bei der Annahme eines schlüssigen Verzichts ist besondere Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RIS-Justiz RS0014190; RS0014420) und kein Zweifel möglich ist, dass das Verhalten des Berechtigten den Verzichtswillen zum Ausdruck bringen soll (RIS-Justiz RS0014217). Dass die Beklagte im Jahre 2013 ein neuerliches Sachverständigengutachten einholte, hat der Kläger durch seine damals erstattete neue Unfallmeldung veranlasst. Dass die Vorinstanzen daraus keinen Verzicht auf die Einhaltung der Neubemessungsfrist nach dem Unfall im Jahre 2007 ableiteten, ist unter diesen Umständen keine korrekturbedürftige Einzelfallbeurteilung.

4.1. Da somit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegen, ist die Revision unzulässig und zurückzuweisen, ohne dass dieser Beschluss einer weitergehenden Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).

4.2. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 50, 41 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E121372

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00124.17M.0321.000

Im RIS seit

14.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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