TE Bvwg Beschluss 2018/4/24 I401 2192156-1

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Veröffentlicht am 24.04.2018
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Entscheidungsdatum

24.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

I401 2192156-1/3E7

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Libyan Arab Jamahiriya, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 12.03.2018, Zahl: 1055097009 - 150317350/BMI-BFA_STM_AST_01, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 28.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der an diesem Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zunächst an, an Depressionen zu leiden, jedoch die Einvernahme machen zu können. Er nehme Medikamente ein. In Irland sei seine Krankheit den Behörden bekannt. Er habe Phasen, in denen er die Kontrolle über sich verliere. Da ihm bekannt sei, dass er nach Irland zurück müsse, wolle er keine Angaben zur Reiseroute machen. Er habe in Ungarn und Irland einen Asylantrag gestellt. Die Entscheidung in Ungarn habe er nicht abgewartet, das Asylverfahren in Irland, wo er sich für ca. vier Jahre aufgehalten habe, sei noch nicht abgeschlossen. Irland habe er wegen seiner psychischen Probleme verlassen.

Befragt zu den Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dazu keine Angaben machen zu wollen. Nach Libyen wolle er nicht zurück, weil er Angst vor dem Krieg und dem Tod habe.

Nach einem Ergebnisbericht zum EURODAC-Abgleich vom selben Tag stellte der Beschwerdeführer am 31.05.2010 und am 23.06.2010 in Irland, am 28.11.2014 in Griechenland und am 13.03.2015 in Ungarn einen Antrag auf Asyl.

Die österreichische Dublin-Behörde richtete an diesem Tag an die ungarische Dublin-Behörde ein Ersuchen auf Zurücknahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-VO).

Ebenfalls an diesem Tag wurde ihm eine Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost, gemäß § 29 Abs. 3 AsylG ausgefolgt, wonach beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil die Zuständigkeit des Dublin-Staates Irland oder Ungarn gegeben sei.

Am 23.04.2015 langte bei der österreichischen Dublin-Behörde ein Schreiben der ungarischen Dublin-Behörde vom 20.04.2015 ein, dass Ungarn der Rücküberstellung des Beschwerdeführers zustimme. In ihm waren ein anderer (bzw. Alias-) Familienname und als weitere Staatsbürgerschaft Syrien angegeben.

Per E-Mail vom 04.08.2015 teilte die österreichische der ungarischen Dublin-Behörde mit, dass die Überstellung aufgeschoben wird und sich die Überstellungfrist auf Grund der Verhaftung des Beschwerdeführers auf zwölf Monate verlängert.

Infolge der Inhaftierung des Beschwerdeführers wurde die Überstellung nach Ungarn ausgesetzt und nach Ablauf der Überstellungsfrist das Asylverfahren des Beschwerdeführers am 21.11.2016 zugelassen.

2. Die für den 01.02.2018 anberaumte niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Graz (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet), wurde nicht durchgeführt, weil der Beschwerdeführer angab, die Einvernahme nicht durchführen zu können, weil es ihm gesundheitlich nicht gut gehe; sein Kopf schmerze extrem, so dass es ihm nicht möglich sei, die gestellten Fragen zu beantworten.

3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 15.02.2018 durch die belangte Behörde führte der Beschwerdeführer zunächst aus, sich heute psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, Angaben zum Asylverfahren zu machen; es gehe ihm gut. Er stehe derzeit nicht in ärztlicher Behandlung und befinde sich nicht in einer Therapie. Vor drei Jahren habe er Depressionen gehabt. Manchmal nehme er Schlaftabletten ein.

Er sei in Libyen, in Tripolis geboren worden; er habe die libysche Staatsangehörigkeit. Dokumente, welche seine Identität beweisen könnten, habe er nicht. Den Reisepass habe er vor langer Zeit verloren. In Tripolis habe er seit seiner Geburt bis zu seiner Ausreise mit seinen Eltern in einer Eigentumswohnung zusammengelebt.

Auf die Frage, welche angrenzenden Städte, Distrikte, bekannte Bauwerke, Hauptstraßen es vor Ort gebe, antwortete der Beschwerdeführer, er könne das nicht mehr genau sagen, weil er seit 19 Jahren von zu Hause weg sei. Es gebe ein kleines Dorf in der Nähe namens T. Um Tripolis herum seien die Städte M und D. Andere nahegelegene Städte könne er nicht nennen.

In Irland und Ungarn habe er um Asyl angesucht, jedoch den Ausgang der Verfahren nicht abgewartet. In Irland habe er unter Depressionen gelitten und sei deswegen in Behandlung gestanden; er sei für eineinhalb Monate in einem Spital gewesen. In Ungarn habe er nicht bleiben wollen; man könne dort nicht leben.

Die Frage, ob es wirtschaftliche Gründe gewesen seien, warum er seine Heimat verlassen habe, verneinte er, erklärte aber, einfach nach Europa gewollt zu haben.

Noch einmal befragt, aus welchem Grund er hier um Asyl angesucht habe, gab der Beschwerdeführer an, in Österreich leben zu wollen, weil er dieses Land liebe. In Libyen herrsche Bürgerkrieg. Ansonsten habe er keine Probleme in seinem Heimatland gehabt. Das seien seine Fluchtgründe gewesen. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise habe es keine konkreten Probleme oder Bedrohungen gegeben; derzeit sei Krieg. Auf die Frage, was den weiteren Verbleib im Heimatland unmöglich gemacht habe, antwortete er, er habe in Europa arbeiten und leben wollen; deswegen sei er ausgereist. Nichts habe seinen weiteren Verbleib in einem anderen Teil seiner Heimat unmöglich gemacht. Bei seiner Rückkehr nach Libyen sei er keinen Gefahren ausgesetzt, aber es gebe in Libyen Krieg, es sei dort gefährlich. Noch einmal befragt, warum er in Österreich einen Asylantrag gestellt habe, erklärte er, hier leben zu wollen.

4. Mit Bescheid vom 12.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) den Antrag des Beschwerdeführers vom 28.03.2015 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libyen (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Libyen zulässig ist (Spruchpunkt V.). Zudem sprach sie aus, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VI.), und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Weiters wurde festgestellt, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 30.07.2015 verloren hat (Spruchpunkt IX.).

Die belangte Behörde stellte fest, die Identität des Beschwerdeführers stehe nicht fest. Er sei Staatsangehöriger Libyens, gehöre der Volksgruppe der Araber an und bekenne sich zur Glaubensgemeinschaft des Islam. Seine Muttersprache sei arabisch. Er habe behauptet, Libyen, die Stadt Tripolis vor 19 Jahren verlassen zu haben.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde unter anderem aus, dass der Herkunftsstaat auf Grund der Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers habe festgestellt werden können. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zu seinen Lebensumständen könnten auf seine diesbezüglichen glaubhaften Angaben sowie auf die Kenntnis und Verwendung der arabischen Sprache gestützt werden.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht (per E-Mail) erhobene Beschwerde des durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH vertretenen Beschwerdeführers vom 06.04.2018, welche er mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begründete.

6. Mit Schriftsatz vom 10.04.2018, bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes eingelangt am 13.04.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der oben unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde.

1. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf der Grundlage des § 28 Abs. 3 VwGVG.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

1.2. Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung, d.h. im Tatsachenbereich, zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. die Erk. des VwGH vom 23.05.1985, Zl. 84/08/0085; vom 19.01.2009, Zl. 2008/07/0168;).

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er in der letztgenannten Entscheidung insbesondere Folgendes ausgeführt:

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der ‚obersten Berufungsbehörde' beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."

Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und folgende für die Auslegung des § 28 VwGVG maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, auch dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen würde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).

1.3. Im gegenständlichen Fall erweist sich das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren in wesentlichen Punkten als mangelhaft und in zentralen Aspekten ergänzungsbedürftig:

Der belangten Behörde musste auf Grund des (sich im erstinstanzlichen Akt befindenden) Schreibens der ungarischen Dublin-Behörde vom 20.04.2015, in dem Ungarn der Rücküberstellung des Beschwerdeführers zustimmte, bekannt sein, dass er in dem in Ungarn geführten Asylverfahren einen anderen Familiennamen und eine andere Staatsbürgerschaft, nämlich Syrien, angab.

Der Beweiswürdigung der belangten Behörde, der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stehe auf Grund seiner Sprachkenntnisse fest und die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zu seinen Lebensumständen könnten auf seine diesbezüglichen glaubhaften Angaben und auf die Kenntnis und Verwendung der arabischen Sprache gestützt werden, kann (noch) nicht beigetreten werden.

Dass der Beschwerdeführer der arabischen Sprache mächtig ist und sich entsprechend artikulieren konnte, reicht für die Feststellung, er sei Staatsangehöriger von Libyen und stamme aus Tripolis nicht hin. Seine Angaben zur auf Tripolis Bezug nehmenden Frage, welche angrenzenden Städte, Distrikte, bekannte Bauwerke und Hauptstraßen es vor Ort gebe, dass er das nicht mehr genau sagen könne, weil er seit 19 Jahren von zu Hause weg sei, und um Tripolis herum gebe es die (phonetisch angeführten) Städte "Masrata" und "Derna", andere nahegelegene Städte kenne er nicht, lassen nicht auf besondere lokale Kenntnisse schließen. Auch wenn eine Person seit ca. 19 Jahren nicht mehr in ihrem Herkunftssaat aufhältig ist, werden ihr, wenn sie ihn im Alter von ca. 24 Jahren verließ, einprägsame Lokalitäten in Erinnerung bleiben. Auf Grund der langen Abwesenheit keine diesbezüglichen Angaben mehr machen zu können, lässt Zweifel an den Angaben des Beschwerdeführers, er stamme aus Libyen und aus Tripolis, aufkommen.

Der Beweiswürdigung der belangten Behörde, der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers habe auf Grund dessen Sprachkenntnisse festgestellt werden können, kann in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden. Die Verwendung der arabischen Sprache, die in den nordafrikanischen Staaten vorherrschend ist, kann für sich allein genommen nicht die Feststellung begründen, eine Person stamme aus einem bestimmten Herkunftsstaat, im konkreten Fall aus Libyen.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer (auch) in Ungarn einen Asylantrag stellte, wobei er - wie bereits ausgeführt - dort einen anderen Familiennamen gebrauchte und einen anderen Herkunftssaat, nämlich Syrien, angab, hätte für die belangte Behörde ein zu beachtender Grund sein müssen, entsprechende Ermittlungsschritte über die (tatsächliche) Herkunft des Beschwerdeführers zu veranlassen. Gerade bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit bzw. des Herkunftsstaates eines Asylwerbers handelt es sich zweifellos um eine zentrale Frage im Asylverfahren, die einer Prüfung der Asyl- und auch Non-Refoulementgründe vorgelagert ist (vgl. das Erk. des VwGH vom 20.02.2009, Zl. 2007/19/0535), welche grundsätzlich von der Behörde erster Instanz zu klären ist. Ansonsten würde dem Bundesverwaltungsgericht die erstmalige Feststellung des Herkunftsstaates des Drittstaatsangehörigen übertragen werden, was letztlich auf die Verkürzung des Instanzenzuges zum Nachteil des Beschwerdeführers hinausliefe.

Bei bestehenden Zweifeln über den Herkunftsstaat bedarf es einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung auf der Grundlage eines hinreichend festgestellten Sachverhalts, die gegenständlich aber nicht vorliegt. Es ist daher noch nicht möglich, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in einen bestimmten Herkunftsstaat abschließend zu beurteilen.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortzusetzenden Verfahren nochmals mit der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, respektive mit der von ihm gesprochenen Variante des Arabischen, auseinander zu setzen haben, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die belangte Behörde als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.

Sie hat auch effizientere Möglichkeiten, einschlägige Informationen über den vom Beschwerdeführer in Irland gestellten Asylantrag einzuholen.

Die Frage des Herkunftsstaates ist allenfalls mit Hilfe einer Sprach- und Herkunftsanalyse zu klären. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, ob der Beschwerdeführer tatsächlich aus Libyen stammt und verneinendenfalls, aus welchem anderen Land er stammt, wobei in diesem Fall die entsprechenden Länderfeststellungen Berücksichtigung zu finden haben und er erneut zu seinem Fluchtgründen zu befragen wäre.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt in einem für das gegenständliche Asylverfahren wesentlichen Gesichtspunkt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangten Behörde zurückzuverweisen.

1.4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. das Erk. des VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, Herkunftsstaat, Kassation,
mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Staatsangehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I401.2192156.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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