TE Bvwg Beschluss 2018/4/25 W158 2171969-1

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Veröffentlicht am 25.04.2018
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Entscheidungsdatum

25.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W158 2171969-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX den Beschluss:

A)

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige Afghanistans, stellte nach Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am XXXX wurde die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie an, am XXXX in XXXX geboren worden zu sein. Sie sei im Iran aufgewachsen. Ihr Mann solle von der iranischen Polizei für den Krieg in Syrien rekrutiert werden, andernfalls würde er abgeschoben werden.

I.3. Am XXXX wurde die BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde sie u.a. zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Religionszugehörigkeit, ihren Familienangehörigen, ihrer Herkunftsprovinz, ihrem Leben in Afghanistan und im Iran und ihrem bisherigen Leben in Österreich befragt. Dazu gab sie, soweit hier wesentlich an, dass sie seit drei Monaten kein Kopftuch mehr trage. Zu ihren Fluchtgründen befragt führte die BF aus, sie habe die gleichen Fluchtgründe wie ihr Mann. Außerdem wolle sie Christin werden.

Als Beilage zur Niederschrift wurden mehrere Integrationsnachweise genommen.

I.4. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA vom XXXX, der BF am XXXX zugestellt, wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen und ihr gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II), es wurde ihr daher eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III).

Begründend führte die Behörde zu Spruchpunkt I. an, dass die von der BF vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft seien und daher nicht zur Gewährung des Flüchtlingsstatus führen könnten. Zu Spruchpunkt II. führte die Behörde aus, dass ihr subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, da auch ihrem "vermeintlichen" Ehemann dieser Status zuerkannt wurde.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde der BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Mit Schreiben vom XXXX erhob die BF durch ihre damalige Rechtsvertretung Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Die BF sei bei einer Rückkehr aufgrund ihres Glaubensabfalles und ihrer westlichen Orientierung Verfolgung ausgesetzt. Es wurde beantragt, der BF die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen; allenfalls den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen; einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan und den spezifisch von der BF vorgebrachten Punkten befasst und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Der Beschwerde waren zahlreiche Integrationsnachweise beigelegt.

I.7. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX vorgelegt.

I.8. Am XXXX gab die BF die Vollmachtsauflösung ihres bisherigen Vertreters bekannt.

I.9. Am XXXX gab der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung bekannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

II.2. Zum Spruchpunkt A):

II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Materialien zum AsylG 2005 gehen davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV 952 BlgNR XXII. GP).

II.3. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Obwohl die BF in ihrer Einvernahme ohne Kopftuch erschien und dazu angab, sie habe das Kopftuch seit drei Monaten weggeben und werde auch beim Amt mit anderen Augen angeschaut, wenn sie kein Kopftuch trage, unterließ das BFA jegliche weitere Ermittlungen in Bezug auf die Frage einer möglichen westlichen Orientierung der BF, insbesondere zur Frage, ob sie eine "westliche" Lebensweise angenommen hat, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Identität und einen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt und die BF daher in Afghanistan aufgrund dieser Einstellung verfolgt werden würde. Auch im angefochtenen Bescheid werden keinerlei Feststellungen in diese Richtung getroffen. Offenbar überging das BFA dieses Vorbringen der BF völlig, so ist auch der Beweiswürdigung keine Beschäftigung mit diesem Vorbringen zu entnehmen. Dem BFA ist somit eine nur ansatzweise Ermittlung beziehungsweise eine Delegation der aus § 18 AsylG iVm § 39 AVG entspringenden Ermittlungspflicht in Bezug auf die Frage einer westlichen Orientierung der BF vorzuwerfen.

Darüber hinaus hat das BFA auch nur ansatzweise Ermittlungen zur Frage einer möglichen Bedrohung der BF durch ihren Vater und ihre Brüder getätigt. Obwohl die BF angab, sie habe Angst vor diesen, da sie Schande über die Familie gebracht habe, indem sie mit ihrem Mann "abgehauen" sei, sind dem Akt keine weiteren Ermittlungen in diese Richtung und im angefochtenen Bescheid keinerlei Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen zu erkennen. Wenngleich es sich dabei um eine private Verfolgung handelt, kann diesem Vorbringen jedoch nicht von vornherein jegliche Asylrelevanz abgesprochen werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0069). Dazu fehlen jedoch Ermittlungen und Feststellungen des BFA.

Der belangten Behörde ist zusammengefasst vorzuwerfen, in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage nicht mit der ihr gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen zu sein und ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben. Das BFA hat in Bezug auf das in Rede stehende (Flucht-)Vorbringen der BF und einer möglichen Gefährdung im Falle einer Rückkehr keine (ausreichenden) Ermittlungen durchgeführt und das Vorbringen keiner ganzheitlichen Würdigung unterzogen. Der angefochtene Bescheid leidet daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen die BF gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität; der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung der BF unter dem Aspekt der Gewährung des Status der Asylberechtigten als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid der BF gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen. Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der Bescheid aufzuheben ist.

II.4. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BFA daher eingehend mit der Situation der BF und einer möglichen Verwestlichung und einer damit möglicherweise unterstellten politischen oder religiösen Gesinnung sowie mit der möglichen Gefahr einer Verfolgung durch die Familie der BF und einer damit zusammenhängenden Gefahr einer Verfolgung in Afghanistan zu beschäftigen haben. Für den Fall der Annahme einer Privatverfolgung durch den Vater der BF wird auch die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Sicherheitsbehörden zu prüfen sein. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei hier festgehalten, dass die Rechtskraft der Gewährung des subsidiären Schutzes im gegenständlichen Fall der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht entgegensteht, da der Status nur von einem Familienangehörigen abgeleitet wurde (VwGH 18.05.2017, Ra 2016/20/0022).

Abschließend sei hier, obwohl Spruchpunkt II. nicht angefochten wurde und der Bescheid daher insoweit rechtskräftig ist, lediglich klarstellend festgehalten, dass, wie sich bereits aus § 34 Abs. 4 AsylG ergibt, grundsätzlich jeder Antrag eines Familienangehörigen selbst zu prüfen ist, ob ihm subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist. Es ist daher für jeden Familienangehörigen zuerst selbst zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen, die die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigen. Erst wenn einem Familienangehörigen kein originärer Schutz zuzuerkennen ist, greift die Norm des § 34 Abs. 3 AsylG, wonach der Status eines Familienangehörigen abgeleitet wird. Dazu bedarf es jedoch der Eigenschaft eines Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG und einer entsprechenden Feststellung im Bescheid. Alleine eine "vermeintliche" Familienangehörigkeit wie in weiten Teilen des Bescheids angeführt, genügt dafür nicht. Vielmehr wären, wenn das BFA davon ausgeht, dass es sich bei der BF nicht um die Ehegattin im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG handelt, der BF ein abgeleiteter subsidiärer Schutz nicht zu gewähren gewesen. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA daher eine nachvollziehbare Feststellung zu treffen haben, ob es sich bei der BF um die Ehegattin des XXXX handelt. Dazu sei erwähnt, dass lediglich aus der Nichtvorlage einer Heiratsurkunde noch nicht zwingend geschlossen werden kann, dass keine Ehe geschlossen wurde, kann diese doch während der Flucht der Familie beispielsweise verloren gehen oder auch in der Heimat zurückgelassen werden.

II. 5. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W158.2171969.1.00

Zuletzt aktualisiert am

08.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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