Entscheidungsdatum
26.04.2018Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
I404 2168973-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Vorarlberg, vom 27.07.2017 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung
"Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar"
in den Behindertenpass gegeben sind.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I.Verfahrensgang
1. Mit formularmäßigen Vordruck, welcher am 27.06.2017 bei der belangten Behörde einlangte, beantragte der XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.
2. Dem Beschwerdeführer wurde am 20.07.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung wurde mit 60 % festgesetzt.
3. In der Folge erstellte Dr. Mark W, ein Facharzt für Orthopädie, im Auftrag der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 27.07.2017, in welchem er wie folgt ausführte:
Die Gehleistung ist auf kurze und mittlere Wegstecken uneingeschränkt, das Überwinden von von Höhenunterschieden (Ein- und Aussteigen) ohne Hilfe möglich und der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel gewährleistet. Nach einer operativen Versteifung der Halswirbelsäule gibt es mechanische Überlastungen (Arbeitszwanghaltungen, Vibrationen durch Arbeitsgeräte (z.B. Schlagbohrer, Rüttelplatte, etc.), das Heben von Schweren Gewichten, etc. ist zu vermeiden. Die geringen Vibrationen in einem öffentlichen Verkehrsmittel (zum Beispiel in einem Bus) sind im Fall von [Beschwerdeführer] zumutbar. Die Schmerztherapie entspricht der WHO Stufe 1 in niedriger Dosierung und ist bei Bedarf ausbaubar. Die Selbständigkeit im Alltag ist soweit gegeben, dass eine Begleitperson im öffentlichen Raum nicht notwendig ist. Zusammenfassend ist aus ärztlicher Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar und eine Begleitperson nicht notwendig.
4. Mit Bescheid vom 27.07.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Begründend führte er aus, dass es ihm nicht möglich sei öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Selbst Fahrten mit seinem PKW solle er vermeiden, da diese ihm immer starke Schmerzen, ausgehend von der Halswirbelsäule, im Nacken, im Rücken, in den Schultern und in den Armen und Hände bereiten würden. Mit seinem PKW versuche er dann immer sämtliche Straßenunebenheiten wie Kanaldeckel und kleine Wellen zu umfahren, wenn dies denn überhaupt möglich sei. Des Weiteren wolle er ergänzend anführen, dass während seines Reha Aufenthaltes ein zunehmender Schultertiefstand rechts sowie eine Schwäche der Schulter- und Rückenmuskulatur rechts festgestellt werden habe können. Diese Syptome seien zum Zeitpunkt der Untersuchung zum Sachverständigengutachten noch nicht auffällig gewesen und hätten sich erst bei der Reha durch das Training bemerkbar gemacht. Des Weiteren seien diese fortschreitenden Muskeldegenerationen auch von Dr. H, einem Facharzt für Neurochirurgie, am LKH Feldkirch festgestellt worden. Der Beschwerde legte der Beschwedeführer eine "Nervenfachärztliche Bestätigung" von Dr. Wolfgang B vom 18.08.2017 bei.
6. Mit Schreiben vom 28.08.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
7. In der Folge erstellte Dr. Thomas S, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, ein medizinisches Sachverständigengutachten vom 06.12.2017, in welchem er insbesondere wie folgt ausführte (Anonymisierungen durch das Bundesverwaltungsgericht):
a) Kann der Beschwerdeführer eine kurze Wegstrecke (ca. 300 bis 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe (allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe) ohne Unterbrechung zurücklegen?
Der Beschwerdeführer kann eine kurze Wegstrecke (ca. 300 bis 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen.
b) entfällt
c) Wirkt sich die dauernde Gesundheitsschädigung/die dauernden Gesundheitsschädigungen auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens (zu überwindende Niveauunterschiede) und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel (u.a. beim Stehen oder bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt) unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus?
Diese Frage kann bejaht werden bezüglich der Teilfrage, ob sich die dauerende Gesundheitsschädigung auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirken kann - in Übereinstimmung mit der vorliegenden Bestätigung von Dr. B vom 18.08.2017 sollte bei [Beschwerdeführer] alles vermieden werden, was zu einer zusätzlichen Belastung der Halswirbelsäule führt, und wäre dies auch nur von ganz kurzer Dauer. Durch ein (meist auch nicht vorherschaubares) abruptes Anhalten eines öffentlichen Verkehrsmittels kann es zu Beschleunigungsbewegungen der Halswirbelsäule kommen, welche nach Möglichkeit von vornherein ausgeschlossen werden sollten. Von der allgemeinen Lebenserfahrung her ist auch bekannt, dass es in einem öffentlichen Verkehrsmittel auch etwa durch ein nicht harmonisches Dahingleiten des Fahrzeuges aber auch dann und wann durch einen Zusammenprall mit anderen Menschen zu ruckartigen Bewegungen mit eben auch Auswirkungen auf die Halswirbelsäule kommen kann. Es darf auch noch die glaubhaft anmutende Anmerkung seiner Gattin im Rahmen dieser Begutachtung hier angeführt werden, wonach [Beschwerdeführer] auch bei Fahrten als Beifahrer in einem PKW durch Schläge oder Vibrieren belastet werde, welche von einem Kanaldeckel oder durch sonstige Unebenheiten der Strasse hervorgerufen werden.
d) Bestehen bei dem Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten, erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. Funktionen?
Diese Frage kann gesamthaft verneint werden (mit Ausnahme der bestehenden Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit im Bereich der Arme).
e) Handelt es sich bei den von Ihnen festgestellten Funktionseinschränkungen um einen Dauerzustand oder ist eine Nachuntersuchung erforderlich?
Vom klinischen Längsverlauf muss hier zum jetzigen Zeitpunkt von einem Dauerzustand ausgegangen werden, die Prognose bezüglich einer deutlichen Rückbildung bis hin zu einer Beschwerdefreiheit muss jedenfalls bereits als ungünstig bezeichnet werden.
8. Mit Schreiben vom 11.01.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht das Gutachten vom 06.12.2017 dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Des Weiteren forderte das Bundesverwaltungsgericht beide Parteien auf, bekannt zu geben, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werde oder ob darauf verzichtet werde.
9. Mit Schreiben vom 23.03.2018 führte der Beschwerdeführer aus, dass es ihm gesundheitlich nicht möglich sei, zu einer mündlichen Verhandlung nach Innsbruck zu reisen. Er hoffe, dass ohne mündliche Verhandlung mit Hilfe der ärztlichen Gutachten entschieden werden könne.
10. Die belangte Behörde machte in der Folge von der ihr eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
1.1. Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Dem Beschwerdeführer wurde am 20.07.2017 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit 60 % festgesetzt.
1.2. Der Beschwerdeführer leidet an einem chronisch radikulärem Nackenarmschmerz mit einer leichtgradigen Lähmung und Muskelverschmächtigung rechts bei Z.n. einer Bandscheibenorperation C 4-7 mit Versteifung (GdB 60 %).
1.3. Aus medizinischer Sicht ist im Falle des Beschwerdeführers alles zu vermeiden, was zu einer zusätzlichen Belastung der Halswirbelsäule führt. Durch ein abruptes Anhalten eines öffentlichen Verkehrsmittels kann es zu Beschleunigungsbewegungen der Halswirbelsäule kommen, welche vermieden werden sollten. Die dauerenden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers wirken sich daher auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus.
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu Wohnort und Alter des Beschwerdeführers sowie zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.
2.2. Die Feststelllungen bezüglich der bei dem Beschwerdeführer vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung ergeben sich aus dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. Mark W vom 27.05.2017.
Die Frage, wie sich die festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, wurde dem von Bundesverwaltungsgericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. Thomas S vom 06.12.2017 entnommen.
Ein (ärztliches) Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.
Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führte Dr. Thomas S nachvollziebar aus, dass die bei dem Beschwerdeführer vorliegenden dauerenden Gesundheitsschädigungen sich auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirken und begründete dies umfassend. So führte Dr. Thomas S konkretisierend aus, dass aufgrund der Gesundheisschädigung des Beschwerdeführers alles vermieden werden sollte, was zu einer zusätzlichen Belastung der Halswirbelsäule führt, und zwar auch dann, wenn diese Belastung nur von ganz kurzer Dauer wäre. Beschleunigungsbewegungen, zu welchen es aufgrund eines abrupten Anhalten eines öffentlichen Verkehrsmittels kommen kann, sollten von vorherein ausgeschlossen werden. Auch ruckartige Bewegungen, welche durch ein nicht harmonisches Dahingleiten des Fahrzeuges oder durch einen Zusammenprall mit anderen Menschen verursacht werden könnten, würden zu negativen Auswirkungen auf die Halswirbelsäule führen.
Den im ärztlichen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen, ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Es finden sich keine Anhaltspunkte zur Annahme, dass das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen in Widerspruch steht. Die im Gutachten dargelegten Feststellungen sind daher in freier Beweiswürdigung dem Sachverhalt zugrunde zu legen.
2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" sind die Art und das Ausmaß der bei dem Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. Thomas S eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegengetreten. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Des Weiteren ist auf den Umstand hinzuweisen, dass gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG ein Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung bereits in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen hat. Ein solcher Antrag wurde im vorliegenden Beschwerdefall nicht gestellt. Des Weiterein ist darauf hinzuweisen, dass zu den einen Entfall der Verhandlung nach Art. 6 EMRK rechtfertigenden Umständen auch der (ausdrückliche oder schlüssige) Verzicht auf die mündliche Verhandlung gehört. Nach der Rechtsprechung wird die Unterlassung eines darauf abzielenden Antrages von der Rechtsordnung unter bestimmten Umständen als (schlüssiger) Verzicht auf eine Verhandlung gewertet. Ein solcher Verzicht liegt zwar dann nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VfSlg. 16.894/2003 und 17.121/2004; VwGH 26.04.2010, 2004/10/0024; VwGH 12.08.2010, 2008/10/0315; VwGH 30.01.2014, 2012/10/0193). Dies ist hier aber angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer durch das erkennende Gericht aufgefordert wurde, bekanntzugeben, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt oder ob darauf verzichtet werde, nicht der Fall und hat der Beschwerdeführer darüber hinaus ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht
§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:
Senate
§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.
§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.
Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:
§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A) -Stattgebung der Beschwerde
3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lautet wie folgt:
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
...
§ 1 Abs. 4 Z. 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).
3.2.3. Der Gutachter Dr. Thomas S stellte in seinem Gutachten widerspruchsfrei fest, dass es insbesondere durch ein abruptes Anhalten eines öffenltichen Verkehrsmittels zu Beschleunigungsbewegungen der Halswirbelsäule kommen kann, welche zu vermeiden sind. Die dauerenden Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers wirken sich daher auf die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen aus. Dies hat die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zur Folge.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass liegen gegenständlich somit vor. Der Beschwerde war daher Folge zu geben.
3.3. Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision
§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2168973.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.05.2018