TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/26 I404 2146821-1

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Veröffentlicht am 26.04.2018
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Entscheidungsdatum

26.04.2018

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I404 2146821-1/30E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Vorsitzende und den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER sowie den fachkundigen Laienrichter Dr. Ludwig RHOMBERG als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, vertreten durch seine Sachwalterin Mag. Anneliese Markl, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol, vom 07.12.2016 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz nach nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung

"Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar"

in den Behindertenpass gegeben sind.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.Verfahrensgang

1. Herrn XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer) wurde am 03.03.2000 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung wurde mit 60 % festgesetzt.

2. Mit formularmäßigem Vordruck, beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Tirol (in der Folge: belangte Behörde) eingelangt am 10.05.2016, beantragte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde die Eintragung der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" im Behindertenpass.

3. In der Folge erstellte Dr. Martin J im Auftrag der belangten Behörde ein medizinisches Gutachten vom 03.10.2016, in welchem er folgende Funktionseinschränkungen feststellte:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos. Nr

GdB %

1

Zustand nach Polytrauma Begründung: Belastungsbeschwerden im rechten Kniegelenk, posttraumatische Abnützungen in verschiedenen Gelenksregionen Witterungsempflindlichkeit

02.02.03

60

Gesamtgrad der Behinderung 60 v. H.

1. Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtiungen schränken die Mobilität ein? In welcher Weise ist dadurch das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (ca. 300 - 400 Meter), das Ein- und Aussteigen unter Beachtung der üblichen Niveauunterschiede oder die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe auf erhebliche Art und Weise erschwert bzw. verunmöglicht?

Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, ist - allenfalls unter Verwendung geeigneter Hilfsmittel wie einem Gehstock oder einer Unterarmstützkrücke - zumutbar.

Die Überwindung einiger Stufen - allenfalls unter Benützung eines Handlaufs - sowie das Festhalten bei notweniger Fortbewegung im Verkehrsmittel ist möglich.

4. Mit Bescheid vom 07.12.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass im Ermittlungsverfahren ein Gutachten eingeholt worden sei. Nach diesem Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Sachwalterin, rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass das Gutachten vom 03.10.2016 weder schlüssig noch vollständig sei. Dies vor allem deswegen, da ohne Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Röntgenbilder divere Schädigungen im Bereich der Beine, des Knies und der Hüfte des Beschwerdeführers nicht feststellbar seien.

6. Mit Schreiben vom 01.02.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. In der Folge erstellte Dr. Martin J im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichtes eine medizinische Stellungnahme vom 03.04.2017, in welcher er insbesondere wie folgt ausführte:

Hinsichtlich Gehleistung bzw. Stiegensteigen wurden jeweils die Angaben des Antragsstellers - wie von diesem geäußert - übernommen. Zur Untersuchung erschien der Antragsteller selbständig gehend, ohne Gehhilfe; Straßenschuhe wurden getragen, das Umkleiden war nicht behindert, das Gangbild unbeschuht rechts entlastend, leicht hinkend; der Zehenballen-, Fersen- und Einbeinstand war beidseits möglich; in die Hocke Gehen und Aufrichten aus der Hocke erfolgte ohne Armhilfe. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist dem Antragsteller - allenfalls unter Zuhilfenahme eines Gehstocks oder einer Unterarmstützkrücke - zumutbar.

8. In weiterer Folge erstellte Dr. Heinrich S, ein Facharzt für Neurologie, im Auftrag des Bundesverwaltungsgerichts ein Sachverständigengutachten vom 01.03.2018, in welchem er folgende Funktionsbeeinträchtigungen des Beschwerdeführers feststellte:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos. Nr

GdB %

1

Zn Schädelhirntrauma mit kaum motorischen Beeinträchtigungen, aber komplexer optomotorischer Störung, Hörstörung links, Trigeminusläsion V2 R und Dysexekutivem Syndrom sowie hieraus resultierend psychomotorischer Verlangsamung, Depressio und Konzentrationsstörung mit Defiziten in der Ausführung zu planender oder durchzuführender Handlungen

04.01.02

70

2

Peronäusläsion R mit Parese, keine sicheren Stürze nach langjähriger Gewöhnugsphase

04.05.13

20

3

Chronisches Schmerzsyndrom und Trigemimusneuralgie V2 R, Behandlung mit Schmerzmedikamenten Stufe 1 WHO

04.11.01

20

Gesamtgrad der Behinderung 80 v. H.

...

Zumutung der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Eine Zumutbarkeit ist aufgrund der verzögerten Reaktionslage und erschwerten Entscheidungsfindung sowie der überlagerten Gangstörung bei Personäusläsion R nicht gegeben. Der Antragsteller ist wohl in der Lage eine kurze Wegstecke zu überwinden, jedoch durch seine verzögerte Reaktionslage und Gangbehinderung selbständig gefährdet beim Ein/Aussteigen und beim Auswählen der korrekten Linien und Ein-/Ausstiegsstellen.

9. Mit Schreiben vom 21.03.2018 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde das Gutachten vom 01.03.2018 und räumte beiden Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.

10. Mit Schreiben vom 06.04.2018 führte der Beschwerdeführer aus, dass zum vorliegenden Gutachten keine Stellungnahme abgegeben werde. Des Weiteren werde mitgeteilt, dass keine Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt werde.

11. Mit Schreiben vom 10.04.2018 führte die belangte Behörde aus, dass nach Rücksprache mit dem ärztlichen Dienst festgestellt werde, dass der neu erstellte Sachverständigenbeweis von Dr. Heinrich S schlüssig und vollständig sei. Der Ordnung halber wolle die belangte Behörde darauf hinweisen, dass zum Zeitpunkt der Gutachtenserstellung durch Dr. Martin J weder kognitive noch psychische Einschränkungen feststellbar gewesen seien. Sowohl die Antragstellung als auch die eingebrachten Schriftsätze und Befunde würden sich nur auf seine orthopädischen Leiden beziehen.

12. Mit Schreiben vom 11.04.2018 führte die belangte Behörde aus, dass sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

1.1. Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren und hat seinen Wohnsitz in Österreich. Dem Beschwerdeführer wurde am 03.03.2000 ein Behindertenpass ausgestellt. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers wurde mit 60 % festgesetzt.

1.2. Der Beschwerdeführer leidet an Z.n. Schädelhirntrauma, Peronäusläsion rechts mit Parese und einem chronischen Schmerzsyndrom.

1.3. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner verzögerten Reaktionslage und seiner erschwerten Entscheidungsfindung sowie aufgrund seiner Gangbehinderung beim Ein- und Aussteigen sowie beim Auswählen der korrekten Linien und Ein-und Ausstiegstellen gefährdet. Die dauernde Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers wirkt sich daher auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Feststellungen zu Wohnort und Alter des Beschwerdeführers sowie zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und sind unstrittig.

2.2. Die Feststelllungen bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vom BVwG eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten von Dr. Heinrich S vom 01.03.2018.

Ein (ärztliches) Gutachten ist auf seine Vollständigkeit (also, ob es Befund und Gutachten im engeren Sinn enthält) und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten sind nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.

Im vorliegenden Verfahren wird das von Dr. Heinrich S erstellte Gutachten als vollständig, schlüssig und frei von Widersprüchen beurteilt.

Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt Dr. Heinrich S nachvollziebar aus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner verzögerten Reaktionslage und seiner erschwerten Entscheidungsfindung sowie aufgrund seiner Gangbehinderung beim Ein-Aussteigen sowie beim Auswählen der korrekten Linien und Ein-/Ausstiegstellen gefährdet ist.

Den im ärztlichen Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen, sind der Beschwerdeführer sowie die belangte Behörde nicht entgegen getreten. Es finden sich keine Anhaltspunkte zur Annahme, dass das Gutachten des Facharztes für Neurologie mit den Erfahrungen des Lebens oder den Denkgesetzen in Widerspruch steht. Die im Gutachten dargelegten Feststellungen sind daher in freier Beweiswürdigung dem Sachverhalt zugrunde zu legen.

2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vergleichbaren Regelung des § 67d AVG (vgl. VwGH vom 24.4.2003, 2002/07/0076) wird die Durchführung der Verhandlung damit ins pflichtgemäße Ermessen des Verwaltungsgerichts gestellt, wobei die Wendung "wenn es dies für erforderlich hält" schon iSd rechtsstaatlichen Prinzips nach objektiven Kriterien zu interpretieren sein wird (vgl. VwGH vom 20.12.2005, 2005/05/0017). In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" sind die Art und das Ausmaß der bei dem Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. Heinrich S eingeholt. Wie bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Dem Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Ermittlungsverfahrens wurde jedoch nicht entgegengetreten. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Des Weiteren ist auf den Umstand hinzuweisen, dass sowohl der Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde ausdrücklich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.

Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

§ 7 Abs. 1 BVwGG lautet wie folgt:

Senate

§ 7. (1) Die Senate bestehen aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Für jeden Senat sind mindestens ein Stellvertreter des Vorsitzenden und mindestens zwei Ersatzmitglieder (Ersatzbeisitzer) zu bestimmen.

§ 45 Abs. 3 und 4 Bundesbehindertengesetz (BBG), BGBl 1990/283 in der geltenden Fassung, lauten wie folgt:

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Über die vorliegende Beschwerde war daher durch einen Senat, bestehend aus zwei Berufsrichtern und einem fachkundigen Laienrichter, zu entscheiden.

Die §§ 1, 17, 28 Abs. 1 und 2 und 58 Abs. 1 und 2 des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG) lauten wie folgt:

§ 1. Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

§ 17. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu Spruchpunkt A) -Stattgebung der Beschwerde

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BBG lautet wie folgt:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

...

§ 1 Abs. 4 Z. 3 und Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 2016/263, lautet wie folgt:

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

3.2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. ua. VwGH vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186, oder vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128).

3.2.3. Der Gutachter Dr. Heinrich S stellte in seinem Gutachten widerspruchsfrei fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner verzögerten Reaktionslage und seiner erschwerten Entscheidungsfindung sowie aufgrund seiner Gangbehinderung beim Ein-Aussteigen sowie beim Auswählen der korrekten Linien und Ein-/Ausstiegstellen gefährdet ist. Die dauernde Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers wirkt sich daher auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel aus.

Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass liegen gegenständlich somit vor. Der Beschwerde war daher Folge zu geben.

3.3. Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision

§ 25a Abs. 1 VwGG lautet wie folgt:

Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eindeutige Rechtsvorschriften stützen. Darüber hinaus stellten sich im gegenständlichen Fall in erster Linie Fragen der Tatsachenfeststellung und der Beweiswürdigung.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2146821.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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