TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/5 Ra 2017/19/0169

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.04.2018
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3R E19103000;
E3R E19104000;
E6J;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32003R0343 Dublin-II Art10 Abs1;
32003R0343 Dublin-II Art16 Abs3;
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art13;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 lita;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litc;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1 litd;
32013R0604 Dublin-III Art18 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art18;
32013R0604 Dublin-III Art19 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art19 Abs3;
32013R0604 Dublin-III Art19;
32013R0604 Dublin-III Art3 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art7 Abs2;
62010CJ0620 Kastrati VORAB;
62015CJ0155 Karim VORAB;
62015CJ0695 Mirza VORAB;
62016CJ0490 A. S. VORAB;
AsylG 2005 §5;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Rossmeisel, den Hofrat Mag. Stickler sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das als Beschluss bezeichnete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2017, W241 2147965-1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: E E in M, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20. Juli 2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er zu seiner Reiseroute an, dass er über den Iran und die Türkei nach Bulgarien gereist sei. Dort habe er erstmals das Gebiet der Europäischen Union betreten. Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in Bulgarien sei er nach Serbien weitergefahren, wo er sich fünfzehn Tage aufgehalten habe. In weiterer Folge sei er nach einem viertägigen Aufenthalt in Ungarn in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Weder in Bulgarien noch in Ungarn habe er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er sei auch in keinem der beiden zuletzt genannten Mitgliedstaaten erkennungsdienstlich behandelt worden. Ein Visum oder einen Aufenthaltstitel habe er in keinem Land erhalten.

2 Eine durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 20. Juli 2016 durchgeführte Eurodac-Abfrage ergab keinen "Treffer".

3 Das BFA richtete am 13. August 2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 18 Dublin III-Verordnung gestütztes Aufnahmegesuch an die zuständige bulgarische Behörde.

4 Das Aufnahmegesuch blieb seitens der bulgarischen Behörde unbeantwortet. Infolgedessen teilte das BFA der bulgarischen Behörde mit Schreiben vom 31. Oktober 2016 mit, dass die in Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung genannten Verpflichtungen mangels fristgerechter Beantwortung des Aufnahmegesuchs auf Bulgarien übergegangen seien. Als für den Beginn der Überstellungsfrist maßgeblichen Tag nannte das BFA den 15. Oktober 2016.

5 Mit Verfahrensanordnung vom 10. November 2016 teilte das BFA dem Mitbeteiligten gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil eine Zuständigkeit Bulgariens angenommen werde.

6 Bei seiner Einvernahme durch das BFA am 22. November 2016 gab der Mitbeteiligte an, dass er nie in Bulgarien gewesen sei. Österreich sei für ihn "das erste europäische Land".

7 Mit Bescheid vom 6. Februar 2017 wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass für die Prüfung des Antrags gemäß Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung Bulgarien zuständig sei, erließ eine Anordnung zur Außerlandesbringung und stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Bulgarien zulässig sei.

8 Der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht mit der angefochtenen (als Beschluss bezeichneten) Entscheidung gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG statt und behob den Bescheid des BFA vom 6. Februar 2017. Das Gericht sprach aus, dass das Verfahren über den Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz zugelassen werde. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

9 Nach Darstellung des Verfahrensganges traf das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen, dass der Mitbeteiligte nach seiner Einreise in Bulgarien und nach einem dort verbrachten zweiwöchigen Aufenthalt nach Serbien ausgereist sei. Anschließend sei der Mitbeteiligte über Ungarn wieder in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist. Diese Feststellungen beruhten auf der "Dokumentation des Verfahrens im vorliegenden Verwaltungsakt".

10 Im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung führte das Gericht unter Berufung auf eine in der Literatur vertretene Rechtsansicht (Hinweis: Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Artikel 19 K6) aus, dass der Revisionswerber nach eigenen Angaben in Bulgarien zum ersten Mal in das Gebiet der Europäischen Union eingereist sei. Dieser habe das Land und damit das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aber anschließend wieder verlassen, weil er nach Serbien ausgereist sei. Anschließend sei er erneut, diesmal über Ungarn, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist. Die Rechtsansicht des BFA, wonach sich aus diesem Sachverhalt eine Zuständigkeit Bulgariens ergebe, werde nicht geteilt. Die Dublin III-Verordnung sei grundsätzlich von dem Gedanken getragen, dass derjenige Mitgliedstaat zur Führung eines Asylverfahrens zuständig sein solle, dem "eine gewisse Verantwortung" für den Aufenthalt eines Antragstellers beziehungsweise für die Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zukomme. Im Hinblick auf Art. 13 Dublin III-Verordnung bedeute dies, dass derjenige Mitgliedstaat zur Führung eines Asylverfahrens zuständig sein solle, über dessen Grenze ein Antragsteller in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten habe illegal einreisen können, weil diesem Mitgliedstaat der Aufenthalt und die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zurechenbar seien. Wenn aber ein Fremder von einem Drittstaat in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreise, sich dort aufhalte, ohne einen Asylantrag zu stellen, und er in der Folge wieder das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlasse, um sich in einen Drittstaat zu begeben, fehle es an einem asylrechtlichen Bezug und damit auch an einem Bezug zur Dublin III-Verordnung, weil sich der Fremde letztlich wieder außerhalb des Gebietes der Mitgliedstaaten befunden habe und keinerlei Notwendigkeit zur Führung eines Asylverfahrens bei einem der Mitgliedstaaten entstanden sei. Der Fremde habe sich - genauso wie wenn er sich niemals in "diesem" Mitgliedstaat aufgehalten hätte - in einem Drittstaat befunden. Es erscheine daher seine nachfolgende (neuerliche) Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die einem Mitgliedstaat zukommende Verantwortung für einen "dann" nach der Dublin III-Verordnung gegebenen Tatbestand relevant. Angesichts dessen komme es bei dieser Sachverhaltskonstellation nicht darauf an, ob sich der spätere Antragsteller für mehr oder weniger als drei Monate im Sinne des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zurück in einen Drittstaat begeben habe.

Die Frage der Dauer des Aufenthalts im Drittstaat (nach Rückreise von einem Mitgliedstaat) stelle sich in einem Aufnahmeverfahren beispielsweise dann, wenn ein Fremder aus einem Drittstaat in einen ersten Mitgliedstaat einreise, ohne dort einen Asylantrag zu stellen, von dort in einen zweiten Mitgliedstaat weiterreise und in diesem Mitgliedstaat einen Asylantrag stelle, er sich anschließend wieder in einen Drittstaat begebe, von dem aus er in weiterer Folge in einen dritten Mitgliedstaat reise und er letztlich in dem dritten Mitgliedstaat einen (weiteren) Asylantrag stelle. In diesem Fall sei durch die Antragstellung im zweiten Mitgliedstaat ein "Dublin-relevanter" Bezug und eine Verantwortlichkeit des ersten Mitgliedstaates gemäß Art. 13 Dublin III-Verordnung entstanden, sodass Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung anwendbar sei. Abhängig davon, ob der Aufenthalt des Antragstellers im Drittstaat mindestens drei Monate gedauert habe, sei nach Art. 13 Dublin III-Verordnung entweder der dritte Mitgliedstaat oder im Fall einer kürzeren Aufenthaltsdauer nach wie vor der erste Mitgliedstaat zuständig. Ein solcher Sachverhalt sei im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Folglich scheide Bulgarien als zuständiger Mitgliedstaat gemäß Art. 13 Dublin III-Verordnung aus und es sei vielmehr Ungarn als zuständiger Mitgliedstaat anzusehen. Daran vermöchten auch die Umstände nichts zu ändern, dass Bulgarien seine Zuständigkeit durch Fristablauf akzeptiert habe. Da die Frist von drei Monaten gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-Verordnung für die Stellung eines Aufnahmegesuchs an Ungarn bereits abgelaufen sei, ergebe sich die Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrags des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz.

11 Den Ausspruch betreffend die Unzulässigkeit der Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das Verwaltungsgericht dahingehend, dass infolge einer "ohnehin klaren Rechtslage" eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht vorliege.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, die angefochtene Entscheidung, die im Übrigen nicht in Beschlussform, sondern in Form eines Erkenntnisses zu treffen gewesen wäre, weiche von bereits "implizit" bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Juni 2016, Ra 2016/20/0069, in einer mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Konstellation zum Ausdruck gebracht, dass die Zuständigkeit des Mitgliedstaates, in dem die erste illegale Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten erfolge und in dem kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt werde, gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auch dann fortbestehe, wenn der Betroffene zunächst in einen Drittstaat weiterreise, anschließend über einen zweiten Mitgliedstaat erneut in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreise und erst anschließend in einem dritten Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz stelle. Eine "ausdrückliche" Rechtsprechung zu dieser Frage fehle jedoch. Nach Ansicht der revisionswerbenden Partei sei das Bundesverwaltungsgericht zu Unrecht von einer sich aufgrund von Art. 13 Dublin III-Verordnung ergebenden, ausschließlichen Zuständigkeit Ungarns ausgegangen.

13 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Revision beantragt werden.

14 Die Revision erweist sich im Hinblick auf die von ihr angesprochene Rechtsfrage als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), im Folgenden: Dublin III-Verordnung, lauten auszugsweise:

"Artikel 2

Definitionen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck ...

c) "Antragsteller" einen Drittstaatsangehörigen oder

Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde;

...

KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Artikel 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

...

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

...

Artikel 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

...

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)        einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat

einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29

aufzunehmen;

b)        einen Antragsteller, der während der Prüfung seines

Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen,

der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen

Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen. ...

Artikel 19

Übertragung der Zuständigkeit

(1) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.

(2) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

Ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

(3) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben c und d erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Wiederaufnahme er ersucht wurde, nach Rücknahme oder Ablehnung des Antrags das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlassen hat.

Ein nach einer vollzogenen Abschiebung gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.

KAPITEL VI

AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN

ABSCHNITT I

Einleitung des Verfahrens

Artikel 20

Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. ...

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst...."

Die Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II-Verordnung), lauteten auszugsweise:

"Artikel 10

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. ...

Artikel 4

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des gemäß dieser Verordnung zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald ein Asylantrag erstmals in einem Mitgliedstaat gestellt wurde. ...

KAPITEL III

RANGFOLGE DER KRITERIEN

Artikel 5

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. ...

KAPITEL V

AUFNAHME UND WIEDERAUFNAHME

Artikel 16

(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

a)        einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat

einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19

aufzunehmen;

b)        die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;

c)        einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines

Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats

aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

d)        einen Asylbewerber, der seinen Antrag während der

Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat

einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder

aufzunehmen;

e)        einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt

hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

...

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

16 Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf der Auffassung, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung eine Zuständigkeit des Mitgliedstaates "der ersten illegalen Einreise" dann nicht bestehe, wenn in diesem Mitgliedstaat (noch) kein Antrag auf internationalen Schutz, sondern (erst) nach zwischenzeitlichem Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten in einem anderen Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden sei; dies unabhängig davon, ob das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für weniger als drei Monate verlassen worden sei. Diese Rechtsansicht ist aus den im Nachstehenden dargelegten Gründen unzutreffend.

17 Zunächst ergibt sich ausgehend von dem eindeutigen Wortlaut des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung, dass dieser auch für Aufnahmekonstellationen, in denen entsprechend Art. 18 Abs. 1 lit. a Dublin III-Verordnung der Antragsteller in dem ersuchten (zuständigen) Mitgliedstaat noch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, vorsieht, dass die in Art. 18 Abs. 1 Dublin III-Verordnung genannten - den zuständigen Mitgliedstaat treffenden - Pflichten erlöschen, wenn dieser nachweisen kann, dass der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat (arg: "um

dessen Aufnahme ... er ersucht wurde").

18 Weiters ist festzuhalten, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung offenkundig voraussetzt, dass eine Zuständigkeit eines Mitgliedstaates aufgrund der in Kapitel III der Dublin III-Verordnung festgelegten Kriterien bereits besteht.

19 Folglich trifft Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung eine ausdrückliche Regelung für jene Fälle, in denen eine Zuständigkeit eines Mitgliedstaates, der um die Aufnahme ersucht wird, zunächst besteht, jedoch diese Verpflichtung nachträglich erlischt, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Asylwerber das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat (siehe betreffend Verpflichtungen zur Aufnahme und Wiederaufnahme Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) 7.6.2016, George Karim gegen Migrationsverket, C-155/15, Rn.15; VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0034).

20 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass bei Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten für weniger als drei Monate infolge der kurzfristigen freiwilligen Ausreise die Verpflichtung eines Mitgliedstaates zur Aufnahme beziehungsweise Wiederaufnahme gemäß Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung nicht erlischt (vgl. zur Dublin II-Verordnung und zum abschließenden Charakter der in dieser betreffend das Erlöschen der Aufnahme- und Wiederaufnahmeverpflichtungen enthaltenen Regelungen, und zwar insbesondere des Art. 16 Abs. 3 Dublin II-Verordnung, EuGH 3.5.2012, Migrationsverket gegen Nurije Kastrati u.a., C-620/10, Rn. 45). Dies gilt aufgrund des unmissverständlichen Wortlauts des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung (siehe oben) auch für jene Fälle, in denen in dem zuständigen, um die Aufnahme des Antragstellers ersuchten Mitgliedstaat kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

21 Es steht zudem außer Zweifel, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung auch in jenen Fällen Anwendung findet, in denen eine Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung aufgrund des illegalen Überschreitens einer Außengrenze des betreffenden Mitgliedstaates zum Tragen kommt.

22 Die auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung gegründete Zuständigkeit endet gemäß Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz Dublin III-Verordnung zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

23 Zu der Bestimmung des Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz Dublin III-Verordnung hat der EuGH bereits festgehalten, dass diese die auf dem Kriterium des illegalen Überschreitens der Grenze des Mitgliedstaates beruhende Zuständigkeit desselben zeitlich beschränkt (vgl. dazu EuGH 26.7.2017, A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, Rn. 47). Diese Frist stellt - so der EuGH in der zuletzt zitierten Entscheidung weiter - eine Voraussetzung für die Anwendung des in Art. 13 Abs. 1 erster Satz Dublin III-Verordnung genannten Kriteriums dar. Gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wird bei der Bestimmung des nach den Kriterien ihres Kapitels III zuständigen Mitgliedstaates von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz Dublin III-Verordnung ist daher so zu verstehen, dass er impliziert, dass der Mitgliedstaat, dessen Außengrenze ein Drittstaatsangehöriger illegal überschritten hat, nicht mehr auf der Grundlage dieser Bestimmung für zuständig erachtet werden kann, sofern die Frist von zwölf Monaten nach dem illegalen Grenzübertritt bereits abgelaufen ist, wenn der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt (vgl. betreffend eine Konstellation, in der in dem Mitgliedstaat, dessen Außengrenze illegal überschritten und dessen gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zu bestimmende Zuständigkeit daher bejaht wurde, kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde EuGH 26.7.2017, A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, Rn. 49, 52 und 53).

24 Dass die Anwendung des Zuständigkeitskriteriums des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung grundsätzlich nicht davon abhängt, ob in dem gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ergibt sich somit nicht nur aus dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-Verordnung, sondern auch aus der jüngst zu Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ergangenen Rechtsprechung (vgl. wie bereits erwähnt EuGH 26. Juli 2017, A.S. gegen Republika Slowenija, C-490/16, Rn. 53, sowie VwGH 20.9.2017, Ra 2016/19/0303, 0304; dazu, dass in einem Fall, in dem systemische Mängel im Asylsystem eines vorderhand zuständigen Mitgliedstaates herrschen und dieser daher nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-Verordnung als zuständiger Mitgliedstaat ausscheidet, im Rahmen der fortzusetzenden Prüfung allein aufgrund dieser Bestimmung alle Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung - und somit auch das in Art. 13 Dublin III-Verordnung genannte Kriterium der illegalen Einreise - bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates maßgeblich bleiben, vgl. VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069; auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen).

25 Die Systematik der Dublin III-Verordnung, die betreffend das Erlöschen der Verpflichtung zur Aufnahme beziehungsweise Wiederaufnahme im Zusammenhang mit der kurzfristigen freiwilligen Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten in ihrem Art. 19 Abs. 2 ausdrückliche Regelungen vorsieht und in ihrem Art. 13 Abs. 1 zweiter Satz in zeitlicher Hinsicht einen ausdrücklichen "Erlöschenstatbestand" normiert, legt ebenso nahe, dass eine aufgrund von Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung gegebene Zuständigkeit im Fall der kurzfristigen freiwilligen Ausreise - unabhängig davon, ob im betreffenden Mitgliedstaat vor der Ausreise ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde -

außerhalb des Anwendungsbereiches explizit normierter "Erlöschenstatbestände" (vgl. Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung) nicht erlischt.

26 Ebenso ist aufgrund systematischer Überlegungen anzunehmen, dass die Dublin III-Verordnung, die auf Konstellationen der kurzfristigen freiwilligen Ausreise (u.a.) in Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ausdrücklich Bedacht nimmt, eine entsprechende ausdrückliche Regelung enthalten müsste, sollten von dem Zuständigkeitskriterium der illegalen Einreise jene Situationen nicht erfasst werden, in denen nicht während des ersten durchgehenden Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, sondern erst nach zwischenzeitigem Verlassen dieses Gebiets in einem anderen Mitgliedstaat ein Asylantrag gestellt wird. Es ist folglich auch deshalb davon auszugehen, dass die in Rede stehende Konstellation durch die Dublin III-Verordnung in dem Sinn geregelt wurde, dass Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auf diese Konstellation Anwendung findet.

27 Aus dem Entstehungsprozess der Dublin III-Verordnung ist weiters ersichtlich, dass die Neufassung der Art. 10 Abs. 1 und Art. 16 Abs. 3 der Dublin II-Verordnung (nunmehr Art. 13 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung) dem Zweck diente, der im Anwendungsbereich der Dublin II-Verordnung bestehenden Rechtsunsicherheit betreffend die das Erlöschen der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten regelnden Vorschriften dadurch zu begegnen, dass die entsprechenden Bestimmungen präzisiert werden sollten (siehe beispielsweise den Bericht der Europäischen Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems, KOM/2007/0299 endg., 4, auf den der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Neufassung der Dublin II-Verordnung vom 3. Dezember 2008, KOM/2008/0820 endg., ausdrücklich Bezug nimmt, 1 und 4).

28 Dass dieses Vorhaben im Zuge des Normsetzungsverfahrens verwirklicht wurde, spiegelt sich in der Textierung des Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wider, der - wie bereits oben dargestellt - nunmehr ausdrücklich den um die Aufnahme des Asylwerbers ersuchten Mitgliedstaat erwähnt und somit keine Zweifel daran offen lässt, dass auch Konstellationen des Aufnahmeverfahrens von der zuletzt genannten Bestimmung umfasst sind (vgl. dazu auch Reyhani/Steinwendtner/Valenta, Aktuelle Herausforderungen bei der Auslegung der Dublin-II-VO, migraLex 2/2012, 52).

29 Der vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Standpunkt misst hingegen Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ohne Berücksichtigung der mit der Neufassung verfolgten Zielsetzung, eindeutige Regelungen für die Zuständigkeiten und für das Erlöschen der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten zu schaffen, einen Regelungsinhalt bei, der eben dieser Zielsetzung nicht Rechnung trägt. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts beruht vielmehr auf der Annahme, dass durch die hier maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-Verordnung keine klare Regelung der Zuständigkeitskriterien getroffen worden sei und für Reiserouten in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten typische Reisebewegungen, die am Landweg eine zwischenzeitige Ausreise aus diesem Gebiet mit sich bringen, bei der Neufassung und der Bestimmung des Zuständigkeitskriteriums der illegalen Einreise nicht berücksichtigt worden seien. Genau davon ist aber - wie oben aufgezeigt - nicht auszugehen (vgl. auch Art. 20 Abs. 5 Dublin III-Verordnung, der im Zusammenhang mit dem kurzfristigen freiwilligen Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten und mit der Zurückziehung eines Antrags auf internationalen Schutzes während des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens ebenfalls spezielle Anordnungen für das Erlöschen von Wiederaufnahmeverpflichtungen trifft).

30 Das Bundesverwaltungsgericht vertritt im Wesentlichen die Ansicht, dass die in Art. 13 Dublin III-Verordnung vorgesehene Regelung infolge einer teleologischen Reduktion ihres Anwendungsbereichs jene Fälle nicht umfasse, in denen während des auf die erste illegale Einreise folgenden durchgehenden Aufenthalts im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden sei.

31 Die im angefochtenen Erkenntnis vertretene Sichtweise ist indes mit der klar erkennbaren Zielsetzung der Dublin III-Verordnung, durch die Schaffung eindeutiger Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates Sekundärmigration zu verhindern, nicht vereinbar. Es läge auf dem Boden der Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts im Belieben des Betroffenen, ein vorrangiges Kriterium des III. Kapitels der Dublin III-Verordnung (hier: Art. 13) dadurch "abzuwählen", dass im Mitgliedstaat der ersten illegalen Einreise auf das Stellen eines Antrags auf internationaler Schutz verzichtet und der Antrag - nach kurzfristiger Ausreise in einen Drittstaat und erneuter Einreise über eine Außengrenze - erst in einem anderen Mitgliedstaat gestellt wird (zu dem mit der Dublin III-Verordnung verfolgten Ziel, einheitliche Verfahren und Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu schaffen, um gerade Sekundärmigration zu verhindern, vgl. EuGH 17.3.2016, Shiraz Baig Mirza, C-695/15 PPU, Rn. 52).

32 Im Übrigen zeigen die Bestimmungen des Wiederaufnahmeverfahrens, dass die Dublin III-Verordnung nicht im Sinn der vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen These darauf abstellt, ob dem ersuchten Mitgliedstaat bei strenger Prüfung der jeweiligen Kausalitätszusammenhänge die Verantwortung dafür zukommt, dass sich der Betroffene nach zwischenzeitlichem kurzfristigem freiwilligem Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten und nach erneuter Einreise über eine Außengrenze im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates ohne Aufenthaltstitel aufhält oder dass in dem ersuchenden Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde und ein "dann" gegebener "Dublin-Tatbestand" eintritt (vgl. beispielsweise Art 18 Abs. 1 lit. c und lit. d Dublin III-Verordnung betreffend Konstellationen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz in dem zuständigen Mitgliedstaat zurückgezogen oder bereits abgelehnt wurde und daher grundsätzlich bereits "erledigt" war; auch in diesen Fällen erlischt gemäß Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates nicht durch die freiwillige kurzfristige Ausreise der in Art. 18 Abs. 1 lit. c und lit. d Dublin III-Verordnung genannten Personen in einen Drittstaat. Es könnte - im Zusammenhang mit der Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten - ein sofortiges Erlöschen der Verpflichtung zur Aufnahme beziehungsweise Wiederaufnahme gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin III-Verordnung nur dadurch eintreten, dass der Betroffene das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlässt).

33 Der Verwaltungsgerichtshof geht daher zusammengefasst davon aus, dass die Bestimmungen des Art. 13 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 Dublin III-Verordnung sowohl nach ihrem Wortlaut, ihrer Systematik, ihrer Entstehungsgeschichte, als auch im Hinblick auf die mit der Dublin III-Verordnung verfolgten Ziele im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des EuGH nur so verstanden werden können, dass das in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung bestimmte Kriterium der illegalen Einreise bezogen auf den Mitgliedstaat der ersten illegalen Einreise auch dann zur Anwendung gelangt, wenn der Asylwerber in diesem Mitgliedstaat keinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, sondern ein solcher Antrag nach kurzfristiger freiwilliger Ausreise in einen Drittstaat erst in einem anderen Mitgliedstaat gestellt wurde (in diesem Sinn auch Nedwed, Das Dublin-System in der Krise? Zu den Auswirkungen der Migrationsströme, in Filzwieser/Taucher, Asyl- und Fremdenrecht, Jahrbuch 2017, 219 ff.). Dass unter den in Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin III-Verordnung angeführten Umständen nochmals eine Prüfung auch unter dem in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung genannten Blickwinkel zu erfolgen hat (vgl. dazu nochmals VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069), ändert daran nichts.

34 An dieser Auslegung besteht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum für Zweifel. Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2012, U 330/12, VfSlg. 19.652, erging zu der nach der Dublin II-Verordnung bestimmten und nicht zu der hier maßgeblichen - wie oben dargestellt: in den entscheidungswesentlichen Aspekten veränderten und nunmehr insofern eindeutigen - Rechtslage nach der Dublin III-Verordnung.

35 Nach dem Gesagten steht fallbezogen - entgegen der Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts - der Umstand, dass der Mitbeteiligte in Bulgarien keinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, der Annahme einer auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung gegründeten Zuständigkeit Bulgariens nicht entgegen.

36 Davon ausgehend belastete das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Die - im Übrigen unzutreffender Weise in Beschlussform ergangene (vgl. VwGH 5.10.2016, Ra 2016/19/0208) - angefochtene Entscheidung war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

37 Die Entscheidung konnte ungeachtet des in der Revisionsbeantwortung gestellten Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden. Wien, am 5. April 2018

Gerichtsentscheidung

EuGH 62015CJ0155 Karim VORAB
EuGH 62010CJ0620 Kastrati VORAB
EuGH 62016CJ0490 A. S. VORAB
EuGH 62015CJ0695 Mirza VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190169.L00

Im RIS seit

08.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.02.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten
JUSLINE Umfrage
Welchen Beruf üben Sie aus?
Beispiele: Selbstständiger Architekt, Mitarbeiter einer Rechtsabteilung, Rechtsanwalt,...
JUSLINE Werbung