Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** SE *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2017, GZ 4 R 45/17t-11, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. Jänner 2017, GZ 19 Cg 65/16d-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR an USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist eine klagebefugte Einrichtung im Sinn der Unterlassungsklagenrichtlinie (2009/22/EG), des § 29 KSchG und des § 14 UWG.
Die Beklagte ist ein im Bereich der Rechtsschutzversicherung tätiges Versicherungsunternehmen, welches regelmäßig in Kontakt mit Verbrauchern tritt. Den von der Beklagten an Verbraucher vertriebenen Rechtsschutzversicherungen liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2012) zugrunde.
Die Parteien führten mit gleicher Rollenverteilung vor dem Handelsgericht Wien zu 18 Cg 100/13i einen Vorprozess. In den ARB war zur Zeit des Vorprozesses folgende Regelung für eine Wertanpassung enthalten:
„1. Sie [gemeint: die Prämie und die Versicherungssumme] unterliegen jenen Veränderungen des Versicherungstarifes, die sich aufgrund von Veränderungen des Gesamtindex der Verbraucherpreise 2000 oder bei dessen Entfall des entsprechenden Nachfolgeindex ergeben. Die jeweilige Tarifberechnung erfolgt unter Anwendung der Indexziffer des letzten Monats eines jeden Kalendervierteljahres (Berechnungsmonat). Die für die jeweilige Tarifberechnung gültige Indexziffer ist aus der Polizze ersichtlich.
Eine Tarifänderung wirkt auf die Prämie und Versicherungssumme frühestens ab der Prämienhauptfälligkeit, die drei Monate nach Ablauf des Berechnungsmonats eintritt. Die Prämienhauptfälligkeit ist Tag und Monat, die auf der Polizze unter 'Ablauf der Versicherung' eingetragen sind. Beträgt der Unterschied mehr als 0,5 % und unterbleibt trotzdem ganz oder teilweise eine Wertanpassung, kann dieser Unterschied bei späteren Wertanpassungen angerechnet werden.
2. Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, die Wertanpassung unbeschadet des Fortbestandes der sonstigen Vertragsbestimmungen unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten auf den Zeitpunkt der nächsten Prämienhauptfälligkeit zu kündigen. Tritt nach der Kündigung eine Erhöhung des Tarifes aufgrund der Wertanpassung in Kraft, vermindert sich die Leistung von A***** im gleichen Verhältnis, in dem die vom Versicherungsnehmer zu zahlende Prämie zu der im Zeitpunkt des Versicherungsfalles gültigen Tarifprämie steht.“
Der Fachsenat erkannte mit Urteil vom 9. 4. 2015, 7 Ob 62/15s, die Beklagte schuldig, die Verwendung der zuvor wiedergegebenen oder sinngleicher Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Vertragsformblättern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen und es weiters zu unterlassen, sich auf diese oder sinngleiche Klauseln zu berufen, soweit diese unzulässigerweise vereinbart worden sind. Der Fachsenat begründete diese Entscheidung zusammengefasst damit, dass diese Klauseln den Versicherungsnehmer zur Wertanpassung verpflichteten. Dafür bestehe kein schutzwürdiges Interesse des Versicherers, weil nicht nur die Prämie, sondern auch die Versicherungssumme gleichermaßen der Inflation unterliege und sich daher die Äquivalenz nicht verschiebe. Durch die Regelung sichere sich der Versicherer die stetige Erhöhung der Prämie unabhängig vom konkreten Willen des Versicherungsnehmers. Die in den ARB zwingend vorgesehene und unter Sanktion gestellte Wertanpassung sei unwirksam. Sie verstoße gegen §§ 864a und 879 Abs 3 ABGB und es fehle auch an der durch § 6 Abs 1 Z 5 KSchG gebotenen Zweiseitigkeit.
Die Beklagte wandte sich nach Urteilszustellung an ihre Kunden. Mit einem an „Sehr geehrte(r) Kundin(e)“ gerichteten, jeweils gleichlautenden Schreiben teilte sie ua mit, dass
- sie sich gegenüber Verbrauchern auf die bisher vereinbarte Wertanpassungsklausel nicht mehr berufen und diese Regelung der ARB oder sinngleiche Klauseln nicht mehr verwenden dürfe und
- aus ihrer Sicht „nun eine ergänzende Vertragsauslegung zur Anpassung von Prämie und Versicherungssumme zu erfolgen [hat]“.
Auf der Rückseite des Schreibens druckte die Beklagte eine „Klausel NEU“ ab, die wie folgt lautet:
„Wann und wie erfolgt eine Anpassung von Prämie und Versicherungssumme?
1. Die vereinbarte Jahresprämie und die vereinbarte Versicherungssumme sind jeweils in EURO (Nominalbetrag) im Versicherungsschein (Polizze) dokumentiert.
2. Der Nominalbetrag der Jahresprämie und der Versicherungssumme erhöht oder vermindert sich mit Wirksamkeit zur jeweiligen Prämienhauptfälligkeit (Anpassung) gemäß dem von Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex VPI 2000, sofern die Voraussetzungen gemäß Punkt 4 vorliegen. 'Prämienhauptfälligkeit' ist Tag und Monat, die im Versicherungsschein unter 'Ablauf der Versicherung' eingetragen sind. Eine Anpassung der Jahresprämie erfolgt erstmals frühestens zu derjenigen Prämienhauptfälligkeit, die drei Monate nach Vertragsabschluss liegt.
3. Der vereinbarten Jahresprämie und der vereinbarten Versicherungssumme liegt eine im Versicherungsschein (Polizze) dokumentierte Indexzahl zugrunde (Index-Ausgangswert). Diese Indexzahl ergibt sich aus dem vereinbarten VPI 2000 für dasjenige Monat, das sechs Monate vor dem Inkrafttreten desjenigen Prämientarifs liegt, der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegt.
4. A***** prüft jährlich, ob die Voraussetzungen für eine Anpassung vorliegen. Die Entwicklung des VPI führt unter den folgenden Voraussetzungen zu einer Anpassung:
4.1. Der Veränderungswert ergibt sich aus der prozentuellen Veränderung der Indexzahl des Ausgangswertes gegenüber der Indexzahl des vereinbarten VPI für dasselbe Monat des Folgejahres (Index-Vergleichswert).
4.2. Eine Anpassung zur Prämienhauptfälligkeit unterbleibt, sofern und solange der Veränderungswert 0,5 % nicht übersteigt. Der Index-Ausgangswert bleibt unverändert.
4.3. Beträgt der Veränderungswert mehr als 0,5 %, dann ist A***** verpflichtet, die Anpassung entsprechend dem Veränderungswert durchzuführen.
4.4. Erfolgt eine Anpassung, dann gilt für die nächstfolgende Anpassung
– die Indexzahl des Vergleichswertes der vorgenommenen Prämien- und Versicherungs-
summenanpassung als neuer Index-Ausgangswert und
– die angepasste Prämie und Versicherungssumme in EURO als Basis.
5. A***** verpflichtet sich, den Versicherungsnehmer über die Anpassungen (aktueller Veränderungswert, neuer Index-Ausgangswert, die konkrete Höhe der angepassten Prämie und Versicherungssumme) mit der jeweiligen Information zur Prämienhauptfälligkeit in geschriebener Form zu informieren.
6. Wird der VPI 2000 von Statistik Austria nicht mehr veröffentlicht, dann gilt der damit verkettete VPI der Statistik Austria als vereinbart. Wird kein VPI mehr veröffentlicht, dann gilt der von Gesetz wegen an seine Stelle tretende Nachfolgeindex als vereinbart.
7. Die sonstigen Rechte und Pflichten aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag bleiben von dieser Anpassung unberührt. Dies gilt insbesondere auch für Vertragsbestimmungen und gesetzliche Regelungen, die aufgrund einer Vergrößerung oder Verminderung des versicherten Risikos eine Änderung der Prämie vorsehen (Artikel 13, §§ 23 ff VersVG) sowie für eine Veränderung der in der Prämie enthaltenen Versicherungssteuer (Artikel 12).“
Im Schreiben gab die Beklagte bekannt, dass dies ihr Vorschlag einer Neuregelung sei, dass dieser Vorschlag dem Parteiwillen entspreche und dass es dem Versicherungskunden freistehe, sollte er mit der Regelung nicht einverstanden sein, „die vorgeschlagene Regelung vom Gericht in einem Zivilverfahren überprüfen zu lassen oder Einwendungen in einem von A***** eingeleiteten Gerichtsverfahren zu erheben“.
Zugleich gab die Beklagte in individualisierten Schreiben den Versicherungsnehmern die Prämienerhöhung auf Basis der vorgeschlagenen „Vertragsergänzung“ wie folgt bekannt:
„Rechtsschutz-Versicherungspolizze Nr. …
Die Prämie für Ihre Versicherung wird im ... fällig.
Bitte verwenden Sie zur Sicherstellung einer richtigen Zahlungszuordnung den Originalzahlschein. …
Wir ersuchen Sie, den auf dem Zahlschein angeführten Betrag in den nächsten Tagen einzuzahlen.
…“
Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, „es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen,
1.1. Versicherungsnehmern im Rahmen bestehender Rechtsschutzversicherungsverträge Wert-
anpassungen unter Berufung auf vertraglich vereinbarte Indexklauseln und/oder angeblich dem Parteiwillen entsprechende Neuregelungen, die etwa im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung an die Stelle der alten, unwirksamen Regelungen treten sollen, bekanntzugeben, obwohl es ihr durch Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. 4. 2015, 7 Ob 62/15s, gerichtlich untersagt ist, diese oder sinngleiche Indexklauseln zu verwenden oder sich darauf zu berufen, sofern mit den einzelnen Versicherungsnehmern auch keine anderen, zulässigen Indexklauseln vereinbart wurden;
1.2. gegenüber Versicherungsnehmern im Rahmen bestehender Rechtsschutzversicherungsverträge, die die laut Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. 4. 2015, 7 Ob 62/15s, unzulässige Indexklausel enthalten haben, zu behaupten, die von der Beklagten vorgeschlagene Neuregelung der Wertsicherung oder sinngleiche Klauseln würden den Argumenten des Obersten Gerichtshofs in der Entscheidung 7 Ob 62/15s Rechnung tragen und es hätte eine gerichtliche Klärung zur Folge, wenn der Versicherungsnehmer die von der Beklagten vorgeschlagene Neuregelung nicht akzeptiere;
1.3. Versicherungsnehmern im Rahmen bestehender Rechtsschutzversicherungsverträge erhöhte Prämien aufgrund von Indexanpassungen in Rechnung zu stellen, und auch die Zahlung der erhöhten Prämien zu fordern, obwohl es keine vertragliche Grundlage für derartige Prämienerhöhungen gibt, etwa deshalb, weil die Indexanpassung auf einer laut Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 9. 4. 2015, 7 Ob 62/15s, unzulässigen Indexklausel gründet.“
Darüber hinaus stellte die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.
Die Klägerin brachte dazu vor, dass das Verhalten der Beklagten gesetzwidrig im Sinn des § 28a KSchG und eine unlautere Geschäftspraktik im Sinn der §§ 1 und 2 UWG sei. Der Wegfall der unzulässigen Klausel habe zu keiner Vertragslücke geführt, weshalb eine „ergänzende Vertragsauslegung“ in diesem Fall nicht zulässig sei. Die von der Beklagten behauptete „ergänzende Vertragsauslegung“ stelle in Wahrheit den Versuch einer jedenfalls unzulässigen teleologischen Reduktion der im Vorprozess verbotenen Klauseln dar.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Durch den Wegfall der im Vorprozess beanstandeten Wertanpassungsklausel sei eine Vertragslücke entstanden und es sei zulässig, diese durch eine „ergänzende Vertragsauslegung“ zu füllen. Die Beklagte informiere in den Schreiben die Versicherungsnehmer über den von ihr eingenommenen Rechtsstandpunkt, was nicht unzulässig sein könne. Die sich aus der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung inhaltlich ergebende neue Klausel trage den Kritikpunkten des Obersten Gerichtshofs in allen Belangen Rechnung.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren statt und ermächtigte die Klägerin eine bestimmte Fassung des Urteilsspruchs in der K*****-Zeitung auf bestimmte Art und Weise zu veröffentlichen. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass eine ergänzende Vertragsauslegung eine Lücke voraussetze, die nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Eine solche sei hier aber nicht vorhanden. Die „ergänzende Vertragsauslegung“ der Beklagten sei gesetzwidrig im Sinn des § 28a KSchG und das Unterlassungsbegehren schon aus diesem Grund berechtigt. Außerdem seien die versendeten Schreiben zusätzlich als eine zumindest irreführende Geschäftspraktik im Sinn des § 2 Abs 1 UWG zu qualifizieren.
Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Erledigung der Berufung die materielle Rechtskraft des Titels aus dem Vorprozess nicht entgegenstehe, weil die jeweils erhobenen Begehren ein aliud darstellten.
In der Sache baue die Argumentation der Beklagten auf der Prämisse auf, dass es auch im Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher nach Wegfall einer missbräuchlichen Klausel grundsätzlich erlaubt sei, eine entstandene Lücke im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Ob dies mit Art 6 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG vereinbar sei, sei strittig, könne aber offen bleiben, weil sich durch den Wegfall der Klauseln keine Vertragslücke ergebe. Der Oberste Gerichtshof habe in seinem Urteil im Vorprozess ausgeführt, dass es dann, wenn der Wert der Versicherungssumme inflationsbedingt sinke, an den Vertragsparteien liege, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß sie eine Anpassung des Versicherungsvertrags vornehmen wollten. Er halte demnach das Fehlen einer Wertanpassungsklausel für den Bereich der Rechtsschutzversicherung für unproblematisch, weshalb eine ergänzende Vertragsauslegung nicht notwendig sei.
Die Inflation wirke sich – entgegen der Ansicht der Beklagten – auf die Leistung des Versicherers und die Gegenleistung des Versicherungsnehmers unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungskosten nicht unterschiedlich aus, weil nicht nur den Versicherer, sondern auch den Versicherungsnehmer ein gewisser Verwaltungsaufwand (zB für Kontoführung, Internet und Telefonie) treffe.
Insgesamt nehme die Beklagte mit der in Anspruch genommenen ergänzenden Vertragsauslegung gegenüber ihren Kunden einen inhaltlich unrichtigen Rechtsstandpunkt ein, aus dem sie abstrakt unberechtigte Zahlungsansprüche ableite.
Schließlich sei es ein fundamentaler Widerspruch, wenn der Geltungsgrund von Zahlungspflichten des Verbrauchers in entscheidender Hinsicht bloß in einer ergänzenden Vertragsauslegung post festum liege, widerspreche dies doch dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG. Die Beklagte sei daher unterlassungspflichtig.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Frage, ob eine Vertragslücke vorliegt, eine solche des Einzelfalls sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass die Klagebegehren abgewiesen werden. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin erstattete eine – ihr freigestellte – Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil noch keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage vorliegt, ob der Unternehmer im Verbandsprozess eine ergänzende Vertragsauslegung für sich in Anspruch nehmen kann. Die Revision ist allerdings nicht berechtigt.
I. Zur Nichtigkeit:
1. Das Berufungsgericht hat betreffend den Vorprozess (7 Ob 62/15s) das Vorliegen des Prozesshindernisses der Rechtskraft von Amts wegen geprüft und verneint; damit besteht eine den Obersten Gerichtshof bindende Entscheidung (9 Ob 114/06i; RIS-Justiz RS0039226), mit der das Vorliegen dieses Nichtigkeitsgrundes verneint ist.
II. Zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens:
Unter den „Rechtsfragen des Verfahrensrechts“ macht die Beklagte keinen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, den das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat (RIS-Justiz RS0043051):
1. Der Fachsenat ist bereits bei seiner Entscheidung im Vorprozess von der von der Beklagten für die Zulässigkeit ihres Vorgehens betonten Äquivalenz zwischen Versicherungssumme und Prämie ausgegangen. Dieses Äquivalenzverhältnis wird durch den Vertrag und im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgelegt und bleibt auch in weiterer Folge erhalten. Die Versicherungssumme, die gegebenenfalls zu erbringenden Versicherungsleistungen und die Versicherungsprämien unterliegen nämlich wertmäßig denselben inflationsbedingten Schwankungen. Diese Umstände waren schon Beurteilungsgrundlage der Entscheidung im Vorprozess und bedurften folglich keiner Beweisaufnahme durch einen Sachverständigen.
2. Gleiches gilt für die Erwägungen zur wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist daher auch insoweit nicht erforderlich. Abgesehen davon muss, selbst wenn man – wie offenbar Rabl (Zur aktuellen Judikatur über die ergänzende Vertragsauslegung bei nichtigen Klauseln, ÖBA 2015, 246 [247]) – ganz generell meinen wollte, dass „die Vereinbarung einer Wertanpassung des Entgelts bei einem Dauerrechtsverhältnis nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern geradezu ein Gebot der Vernunft ist“, die Entscheidung für eine Wertanpassung von beiden Parteien getroffen werden und dem Versicherungsnehmer auch die Möglichkeit offen stehen, eine Erhöhung abzulehnen, wenn er sie für sich als nicht notwendig erachtet (7 Ob 62/15s).
3. Nach Ansicht der Beklagten ist das Verfahren auch deshalb mangelhaft geblieben, weil ein benannter Zeuge nicht einvernommen worden sei, mit dem die Beklagte hätte beweisen wollen, dass sie sich redlich bemüht habe, die Anforderungen der Entscheidung 7 Ob 62/15s möglichst getreu umzusetzen. Aufgabe eines Zeugen ist allerdings (nur), über von ihm gemachte Wahrnehmungen von Tatsachen vor Gericht auszusagen (Frauenberger in Fasching/Konecny3 III/1 Vor §§ 320 ff ZPO Rz 1). Die Beurteilung, ob das inkriminierte Vorgehen der Beklagten rechtswidrig ist oder nicht, kann dagegen nicht zulässiger Gegenstand einer Zeugenaussage sein.
4. Ein Mangel des Berufungsverfahrens liegt somit nicht vor.
III. Zur unrichtigen rechtlichen Beurteilung:
1. Die aktive Klagslegitimation der Klägerin im Sinn der Unterlassungsklagenrichtlinie (2009/22/EG), des § 29 KSchG und des § 14 UWG ist unstrittig.
2. Das Berufungsgericht ist in seiner rechtlichen Beurteilung vorrangig davon ausgegangen, dass das Fehlen einer Wertanpassungsklausel für den Bereich der Rechtsschutzversicherung unproblematisch sei, deshalb keine Vertragslücke vorliege und damit auch kein Bedarf nach einer ergänzenden Vertragsauslegung bestehe.
Ob nun tatsächlich eine Vertragslücke auch dann verneint werden kann, wenn die Parteien – wie hier – eine vertragliche Regelung gerade zur Wertanpassung getroffen haben, soll dahingestellt bleiben. Selbst wenn man nämlich im Sinn des von der Beklagten vertretenen Standpunkts das Vorliegen einer Vertragslücke bejahen wollte, ist daraus, wie zu zeigen sein wird, im Ergebnis nichts zu gewinnen.
3.1. Wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, oder wer solche Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann nach § 28 Abs 1 KSchG auf Unterlassung geklagt werden. Dieses Verbot schließt auch das Verbot ein, sich auf eine solche Bedingung zu berufen, soweit sie unzulässigerweise vereinbart worden ist.
3.2. Nach der Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei der anderen bei Abschluss eines Vertrags stellt; gleichgültig ist, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in der Vertragsurkunde selbst aufgenommen sind, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat (7 Ob 93/12w; 4 Ob 117/14f; RIS-Justiz RS0123499 [T2]). Ein Vertragsformblatt, das Allgemeinen Geschäftsbedingungen gleichzuhalten ist (7 Ob 207/04y; 7 Ob 89/08a), liegt auch dann vor, wenn es sich nur auf Teile des Vertrags oder auf bestimmte Vertragspunkte bezieht (7 Ob 93/12w). Die von der Beklagten an ihre Kunden gerichteten, von der Klägerin beanstandeten Schreiben mit der „Klausel NEU“ sind demnach „allgemeine Geschäftsbedingungen“ bzw „Vertragsformblätter“ im Sinn des § 28 KSchG.
4.1. Nach § 28a Abs 1 KSchG kann, wer im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit der Vereinbarung von missbräuchlichen Vertragsklauseln gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot verstößt, und dadurch jeweils die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt, unbeschadet des § 28 Abs 1 KSchG auf Unterlassung geklagt werden.
4.2. § 28a KSchG erweitert den Anwendungs-
bereich der Verbandsklagen auf gesetzwidrige Geschäftspraktiken von Unternehmern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern, beschränkt auf die in § 28a Abs 1 KSchG angegebenen Vertragsverhältnisse und außervertraglichen Rechtsverhältnisse (Kathrein/Schoditsch in KBB5 § 28a KSchG Rz 1). Der Unterlassungsanspruch gemäß § 28a KSchG setzt (ua) voraus, dass das beanstandete Verhalten die „allgemeinen Interessen der Verbraucher“ beeinträchtigt. Die beanstandete Verhaltensweise muss daher für eine Vielzahl von Verträgen oder außervertraglichen Rechtsverhältnissen von Bedeutung sein (7 Ob 201/12b; 4 Ob 143/14d mwN; 10 Ob 13/17k; RIS-Justiz RS0121961). Nach den Materialien ist dies vor allem bei gesetzwidrigen Verhaltensweisen im Massengeschäft der Fall (ErläutRV 1998 BlgNR 20. GP 33 f). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt, weil der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zahlreiche Kunden der Beklagten, einer großen österreichischen Versicherung, betrifft.
5.1. Der Fachsenat hat in einem vergleichbaren Fall zu 7 Ob 11/14i das Vorliegen einer gesetzwidrigen Geschäftspraxis erkannt und die Rechtsansicht vertreten, dass die Frage, ob im Licht der Judikatur des EuGH nach Nichtigerklärung einer Vertragsklausel eine ergänzende Vertragsauslegung zulässig ist, nicht im Verbandsprozess geklärt werden könne. Die Zulässigkeit und gegebenenfalls der Inhalt einer zur Lückenfüllung vorzunehmenden ergänzenden Vertragsauslegung müssten mangels Einigung der Parteien dem Gericht vorbehalten bleiben und erforderlichenfalls im Individualprozess geklärt werden.
5.2. Die Entscheidung 7 Ob 11/14i (RIS-Justiz RS0129406) hat im Schrifttum unterschiedliche Reaktionen ausgelöst:
Kietaibl (ÖBA 2014/2042, 683 [685]) vertrat zusammengefasst den Standpunkt, dass ohne inhaltliche Prüfung der vom Unternehmer vertretenen Auslegung der Unterlassungsklage nur mit dem Argument stattgegeben hätte werden können, dass Lückenfüllung durch ergänzende Auslegung in Verbraucherverträgen generell (und damit unabhängig von ihrem Inhalt) unzulässig und deshalb eine gesetzwidrige Praxis im Sinn des § 28a KSchG sei. Lasse man diese Frage aber offen und/oder gehe davon aus, dass sie im Verbandsverfahren nicht geklärt werden könne, so wäre auch der Unterlassungsanspruch zu verneinen gewesen.
Nach Graf (Von nichtigen Klauseln, rechtswidrigen Geschäftspraktiken, Verbandsprozessen und ergänzender Vertragsauslegung, ecolex 2014, 1043 [1045]) erfordere eine gegen eine bestimmte Geschäftspraxis gerichtete, auf § 28a KSchG gestützte Unterlassungsklage eine inhaltliche Beurteilung dieser Praxis durch das Gericht auch dann, wenn sie auf eine ergänzende Vertragsauslegung gestützt wird.
Vonkilch (Versicherungsrechtliche Dauerrabatt-
rückforderung qua ergänzender Vertragsauslegung? Zak 2015/115, 64) überzeugt es nicht, eine Rechtswidrigkeit schon allein darin zu erblicken, dass sich ein Vertragsteil gegenüber seinem Kontrahenten vor dem Ergehen einer dies bejahenden gerichtlichen Entscheidung auf das Bestehen von Ansprüchen beruft, die ihre Berechtigung in einer ergänzenden Auslegung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags haben.
Nach Palma (Ist die außergerichtliche Geltendmachung von zweifelhaften Ansprüchen eine gesetzwidrige Praxis? ZFR 2015/79, 162 [165]) stellt die außergerichtliche Geltendmachung von zweifelhaften Ansprüchen kein rechtswidriges Verhalten dar, weswegen sich hierdurch kein Anspruch gemäß § 28a KSchG begründen lasse. Auch aus der Art und Weise, wie der beklagte Versicherer seine Forderung geltend gemacht habe, lasse sich kein rechtswidriges Verhalten ableiten, denn es stehe jedem zu, Forderungen, auch wenn sie zweifelhaft sind, mit entsprechendem Nachdruck geltend zu machen.
Leupold/Ramharter (Die ergänzende Auslegung von Verbraucherverträgen im Lichte des Europarechts, ÖBA 2015, 16 [35 f]) erscheint die Geschäftspraxis unzulässig, dem Kunden gegenüber den Eindruck zu erwecken, das in Anspruch genommene Recht bestehe schon unabhängig von einer richterlichen Entscheidung. Erwecke der Unternehmer den Eindruck, die richterliche Vertragsergänzung sei gar nicht notwendig, in einem Prozess gehe es nur noch darum, den Verbraucher durch richterlichen Befehl und mit Kostenfolgen zur Zahlung des entsprechenden Betrags zu verhalten, entstehe beim Verbraucher ein falsches Bild von seiner Rechtsposition.
5.3. Der 1. Senat vertrat in der Entscheidung 1 Ob 37/14v (= VbR 2015/8 [krit Fidler]) die Rechtsansicht, dass die systematisch gehandhabte Praxis, durch Vorschiebung eindeutig nicht tauglicher Rechtsgründe Konsumenten als ehemalige Partner eines Vermögensverwaltungsvertrags zur Zahlung jener Beträge zu veranlassen, die in einer rechtskräftig als nach dem KSchG unzulässig erkannten Klausel ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegt waren, eine über Unterlassungsklage nach § 28a KSchG zu verbietende Geschäftspraxis sei. Die Frage der Zulässigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung im Verbandsprozess könne bei diesem Ergebnis auf sich beruhen.
6. Der Fachsenat hält trotz der im Schrifttum geäußerten Bedenken an dem zu 7 Ob 11/14i gewonnenen Ergebnis fest:
6.1. Die Beklagte geht im Wesentlichen davon aus, dass das von der Klägerin beanstandete Schreiben mit der „Klausel NEU“ zur Klarstellung der Rechtslage notwendig sei und damit die vom Fachsenat in der Entscheidung im Vorprozess vertretene Rechtsansicht umgesetzt werde. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass die Rechtslage nach dem Vorprozess insofern völlig zweifelsfrei klargestellt ist, als die dort als nichtig erkannten Klauseln unwirksam sind, ersatzlos entfallen (7 Ob 11/14i) und daher nicht mehr Teil des Vertrags mit den betreffenden Versicherungsnehmern sind. Ob sich bei Unwirksamkeit einer Klausel, die dispositives Recht abbedingen sollte, die Vertragslücke insofern ipso iure schließt, als wieder dispositives Recht an die Stelle der weggefallenen vertraglichen Vereinbarung tritt, ist hier nicht zu beurteilen. Auf eine solche dispositive gesetzliche Regelung beruft sich die Beklagte nämlich nicht; sie stützt sich vielmehr auf eine vermeintlich zulässige einseitig vorgegebene „ergänzende Vertragsauslegung“ zum Zweck der Schließung der nach dem Entfall der Klauseln entstandenen „Vertragslücke“.
6.2. Treten nach Abschluss der Vereinbarung Problemfälle auf, die von den Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt wurden, ist unter Berücksichtigung der übrigen Vertragsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks sowie unter Heranziehung der Verkehrssitte zu prüfen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien für diesen Fall vereinbart hätten (ergänzende Vertragsauslegung; RIS-Justiz RS0113932). Als Mittel der ergänzenden Vertragsauslegung kommen der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Verkehrsauffassung in Betracht, wobei es unter diesen Aspekten keine feste Rangfolge gibt, sondern unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten die Lücke so zu schließen ist, wie es der Gesamtregelung des Vertrags gemessen an der Parteienabsicht am besten entspricht (RIS-Justiz RS0017832).
6.3. Der Vorwurf gegenüber der Beklagten besteht – entgegen der im Schrifttum verschiedentlich vertretenen Ansicht – nicht lediglich darin, bislang ungeklärte oder zweifelhafte Ansprüche geltend zu machen, die allein die Beklagte nach eigenem Auslegungsverständnis für berechtigt, angemessen und rechtsrichtig hält. Der Beklagten ist vielmehr anzulasten, dass sie ihren Versicherungsnehmern nicht etwa eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen anbietet, sondern den Eindruck erweckt, sie könne sich auf eine gesicherte Rechtslage stützen, durch einseitige Willenserklärung mit konstitutiver Wirkung die für nichtig erkannten Klauseln ergänzen und auf diese Weise rechtmäßig eine Zahlungspflicht ableiten, der sich der Versicherungsnehmer nur durch einen Prozess entziehen könne. Damit wird die Rechtslage zur Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens unrichtig dargestellt und der Versicherungsnehmer insbesondere durch Androhung der Notwendigkeit eines Rechtsstreits dahin unter Druck gesetzt, sich dem einseitig vorgetragenen Standpunkt der Beklagten zu fügen, noch dazu – im Gegensatz zur Bedingungslage des Vorprozesses verschärfend – ohne Möglichkeit, sich der Prämienanpassung zu entziehen. Durch diese unrichtige Darstellung der Sach- und Rechtslage verstößt die Beklagte in ihren auch als „allgemeine Geschäftsbedingungen“ bzw „Vertragsformblätter“ zu wertenden Schreiben jedenfalls gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG. Damit erweisen sich die Begehren der Klägerin nach §§ 28, 28a KSchG als berechtigt (zur Möglichkeit der Überschneidung der Anwendungsbereiche dieser Bestimmungen vgl 4 Ob 143/14d). Der Revision der Beklagten war deshalb nicht Folge zu geben.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E121317European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00168.17G.0321.000Im RIS seit
08.05.2018Zuletzt aktualisiert am
21.04.2021