Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** L*****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GesmbH in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Bestands eines Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2017, GZ 10 Ra 60/17t-17, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 3. Februar 2017, GZ 20 Cga 50/16t-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die am ***** 1969 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit 29. 3. 1993 beschäftigt und der W***** GesmbH und Co KG dauerhaft zur Dienstleistung zugewiesen. Auf das Dienstverhältnis kamen die Bestimmungen der Wiener Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) zur Anwendung.
Die Klägerin war zunächst als Straßenbahnfahrerin und über ihren eigenen Wunsch wegen ihrer Wirbelsäulenbeschwerden ab 4. 10. 2012 im sogenannten Leichtdienst und ab 1. 1. 2014 als Kontrollorin (wegen ihrer Wirbelsäulen- und Venenbeschwerden vom Intensivdienst, der mit dauerndem Stehen verbunden ist, befreit) eingesetzt.
Die Klägerin befand sich im Jahr 2011 an 90 Tagen, 2012 an 51 Tagen (13. 2. bis 22. 2., 21. 3. bis 23. 3., 21. 5., 18. 6. bis 4. 7., 31. 7. bis 14. 8., 17. 12. bis 21. 12.), 2013 an 96 Tagen (5. 6. bis 14. 6., 29. 8. bis 5. 9., 4. 10. bis 20. 12.), 2014 an 112 Tagen (28. 7. bis 3. 9., 11. 9. bis 6. 11., 18. 11. bis 4. 12.), 2015 an 79 Tagen (19. 4. bis 7. 5., 30. 8. bis 23. 10., 27. 12. bis 31. 12.) und 2016 an 15 Tagen (1. 1. bis 5. 1., 29. 3. bis 7. 4.) in Krankenstand.
Ursache für den Krankenstand der Klägerin vom 11. 9. 2014 bis 6. 11. 2014 (57 Tage) war ihr Bluthochdruckleiden. Die daraus resultierenden Probleme sind nunmehr infolge Einnahme entsprechender Medikamente behoben. Dem Krankenstand vom 18. 11. 2014 bis 4. 12. 2014 (17 Tage) lag eine Erkältung und dadurch verursachte Stimmlosigkeit zugrunde. Die beiden Krankenstände vom 19. 4. 2015 bis 7. 5. 2015 und 30. 8. 2015 bis 23. 10. 2015 waren Folge einer Blasenentzündung und von Wirbelsäulenbeschwerden. Vom 27. 12. 2015 bis 5. 1. 2016 war die Klägerin wegen einer Grippe dienstunfähig, vom 29. 3. 2016 bis 7. 4. 2016 litt sie abermals an einer Erkältung mit dadurch verursachter Stimmlosigkeit.
Die Beklagte hatte die Klägerin in der Vergangenheit bereits mehrmals, zuletzt mit Schreiben aus dem Jahr 2012 darauf hingewiesen, dass sie bei weiterhin überhöhten Krankenständen mit der Auflösung ihres Dienstverhältnisses zu rechnen habe. Den Empfehlungen der Beklagten, von der Beratungsmöglichkeit durch die ArbeitsmedizinerInnen sowie von den gesundheitsunterstützenden Angeboten der Betriebskrankenkasse der W***** Gebrauch zu machen, war die Klägerin nicht gefolgt.
Mit Schreiben vom 1. 6. 2016 kündigte die Beklagte schließlich das Dienstverhältnis gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 zum 30. 11. 2016 auf, weil die Klägerin zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet sei.
Die Klägerin hat der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung nicht mitgeteilt, dass sie ihre gesundheitlichen Probleme mittlerweile überwunden hat. Die Klägerin ist nach zwei im Juni 2016 eingeholten Privatgutachten aus den Fachgebieten der Orthopädie und der Inneren Medizin in der Lage, die Tätigkeit als Kontrollorin (ohne Intensivkontrollen) auszuüben.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass das Dienstverhältnis über den 30. 11. 2016 hinaus fortbestehe. Bereits zum Kündigungszeitpunkt sei sie wieder dienstfähig gewesen. Es bestehe auch eine positive Zukunftsprognose, weil ihre Wirbelsäulenbeschwerden und der Bluthochdruck, welche Erkrankungen hauptsächlich Ursache ihrer vorangegangenen Krankenstände gewesen seien, ärztlich behandelt worden und daraus in Zukunft keine Krankenstände mehr zu erwarten seien. Zuletzt hätten sich ihre Krankenstände auch erheblich reduziert.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Die in den letzten drei Jahren weit über dem Durchschnitt gelegenen Krankenstände der Klägerin erfüllten den Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit. Schon allein aufgrund der Entwicklung der Krankenstände in der Vergangenheit sei davon auszugehen, dass bei der Klägerin auch in Zukunft Krankenstände in erhöhtem Ausmaß anfallen würden. Die konkreten Ursachen der Krankenstände der Klägerin seien der Beklagten im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe auch kein Recht, diese zu erfahren. Im Übrigen ließen die verschiedenen Krankheitsursachen auf eine allgemein schlechte gesundheitliche Verfassung der Klägerin schließen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die ungünstige Zukunftsprognose gründe sich auf die seit Jahren weit überhöhten Krankenstände der Klägerin, ohne dass sie die Beklagte über die Ursachen, eine zumutbare Krankenbehandlung oder eine Überwindung ihrer Erkrankungen informiert habe. Selbst die Einteilung der Klägerin zum Leichtdienst habe zu keiner Verringerung der Krankenstände geführt. Auch die von der Klägerin nach Ausspruch der Kündigung eingeholten medizinischen Gutachten ließen keinesfalls den Schluss auf eine Beschwerdefreiheit der Klägerin zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Krankenstände der Klägerin seien auch noch im letzten Jahr nach Zuteilung leichterer Dienste sowie der Aufforderung zur Inanspruchnahme arbeitsmedizinischer Betreuung weit über dem am allgemeinen Arbeitsmarkt in der Regel tolerierten Ausmaß gelegen. Die bloße Behauptung der Klägerin, hinsichtlich der Wirbelsäulenproblematik sei „ein stabiler Zustand“ eingetreten, spreche nur für keine zu erwartende Verschlechterung, nicht aber für eine Verbesserung der einschlägigen Beschwerden. Ein verständiger und sorgfältiger Dienstgeber wäre bei objektiver Betrachtung der Krankenstände und insbesondere ihrer Ursachen berechtigt davon ausgegangen, dass Krankenstände in erhöhtem Ausmaß mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft zu erwarten seien.
Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Fragen, die über den Einzelfall hinausgehen, nicht zu beantworten seien.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern, hilfsweise aufzuheben.
Die Beklagte beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Entscheidung der Vorinstanzen als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 ist die Beklagte zur Kündigung eines Vertragsbediensteten dann berechtigt, wenn dieser für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Dienstnehmer nicht mehr die für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben erforderliche gesundheitliche Eignung besitzt (vgl Ziehensack, VBG § 32 Rz 667).
2. Aber auch wenn der Dienstnehmer grundsätzlich für seine Arbeit körperlich geeignet ist, ist dieser Kündigungsgrund auch dann verwirklicht, wenn Krankenstände auftreten, die den Bediensteten laufend in einem weit über dem Durchschnitt liegenden Maß an der Dienstleistung hindern (RIS-Justiz RS0081880). Die im Gesetz genannte Erfüllung der Dienstpflichten umfasst nämlich nicht nur die Arbeitsleistung an sich, sondern auch deren Verfügbarkeit für den Dienstgeber (8 ObA 230/01h; 9 ObA 56/02d; vgl 9 ObA 133/13v).
Eine starre Grenze für überhöhte Krankenstände in Bezug auf deren Häufigkeit und Dauer besteht nicht (8 ObA 21/14t). Bei der Annahme überdurchschnittlicher Krankenstände orientiert sich die Rechtsprechung an Krankenständen, die jährlich sieben Wochen und darüber ausmachen (8 ObA 110/06v; 9 ObA 33/12m; vgl RIS-Justiz RS0113471 ua). Beim Erfordernis des „längeren Zeitraums“ wird von der Rechtsprechung darauf abgestellt, dass sich die über dem Durchschnitt liegenden Krankenstände über mehrere Jahre erstreckten (9 ObA 33/12m ua).
Kommen solcherart überhöhte Krankenstände als Kündigungsrechtfertigungsgrund in Betracht, so muss der Dienstgeber eine objektive Zukunftsprognose über die weitere Dienstfähigkeit des betroffenen Dienstnehmers anstellen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Kündigungszeitpunkt zu erstellen ist (9 ObA 119/12h; 8 ObA 21/14t; 8 ObA 35/16d).
Eine ungünstige Prognose kann etwa aus der anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen oder aus einer objektivierten Verschlechterung des Grundleidens abgeleitet werden (8 ObA 21/14t). Bei dieser Beurteilung darf auch die Art der Erkrankung samt deren Ursache und die daraus ableitbare gesundheitliche Situation des Dienstnehmers und Eignung für die Erfüllung der Dienstpflichten in der Zukunft nicht außer Betracht bleiben (9 ObA 133/13v; 8 ObA 21/14t). Schließlich trägt der für das Vorliegen des Kündigungsgrundes behauptungs- und beweispflichtige Dienstgeber das Risiko, dass sich der von ihm angenommene Kündigungsgrund später (im gerichtlichen Verfahren) als nicht berechtigt erweist (vgl RIS-Justiz RS0110154).
3. Der festgestellte Sachverhalt bietet jedoch keine tragfähige Grundlage für die Annahme, dass die von der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung der Klägerin
– alleine auf Grundlage der vergangenen Krankenstände der Klägerin – erstellte negative Zukunftsprognose über die Dienstfähigkeit der Klägerin zutreffend war. Weder konnte eine ungünstige Zukunftsprognose allein aus einer anhaltend steigenden Zahl der Krankheitstage bei regelmäßigen Krankenständen (Reduktion der Krankenstandstage ab dem Jahr 2015) noch aus einer festgestellten objektivierten Verschlechterung der Grundleiden der Klägerin abgeleitet werden.
4. Dennoch ist die Rechtssache noch nicht spruchreif. Aufgrund des bislang festgestellten Sachverhalts kann schon nicht beurteilt werden, ob die Klägerin
– abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt – aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, ihre Tätigkeit als Kontrollorin (ohne Intensivkontrollen) auszuüben. Derzeit steht nur fest, dass diese Frage „aufgrund von zwei im Juni 2016 eingeholten Privatgutachten aus den Fachgebieten der Orthopädie und der Inneren Medizin“ zu bejahen ist. Schließlich fehlen auch Feststellungen zu den Behauptungen der Klägerin, sie habe (auch) ihre Wirbelsäulenbeschwerden zum Kündigungszeitpunkt bereits so weit überwunden gehabt, dass (auch) daraus in Zukunft keine vermehrten Krankenstände mehr zu erwarten gewesen wären.
Nur wenn die Klägerin zum Kündigungszeitpunkt entweder grundsätzlich für ihre Arbeit körperlich ungeeignet oder aufgrund ihres damaligen Gesundheitszustands weiterhin mit überhöhten Krankenständen in der Zukunft zu rechnen war, dann war die Kündigung des Dienstverhältnisses wegen Verwirklichung des Kündigungsgrundes nach § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 berechtigt.
In Stattgebung der Revision der Klägerin waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E121290European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00153.17S.0321.000Im RIS seit
07.05.2018Zuletzt aktualisiert am
07.11.2018