TE Vwgh Erkenntnis 2018/4/11 Ra 2017/12/0090

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Veröffentlicht am 11.04.2018
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Index

E1P;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BDG 1979 §14 Abs1;
BDG 1979 §14 Abs3;
BDG 1979 §14;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, über die außerordentliche Revision der Dr. M E-H in W, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2017, W106 2157186-1/3E, betreffend Versetzung in den Ruhestand gemäß § 14 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt der Medizinischen Universität Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und stand bis zu ihrer - hier gegenständlichen - Ruhestandsversetzung als Ärztin an der Universitätsklinik für Urologie der Medizinischen Universität Wien in Verwendung.

2 Mit Bescheid der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom 5. April 2017 wurde die Revisionswerberin gemäß § 14 Abs. 1, 2 und 4 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333, wegen dauernder Dienstunfähigkeit von Amts wegen mit Ablauf des Monats der Rechtskraft des Bescheids in den Ruhestand versetzt.

3 Die Dienstbehörde stützte sich dabei auf das Obergutachten des BVA-Pensionsservice vom 23. Dezember 2016, das es wie folgt wiedergab:

"Diagnose: (nach Relevanz hinsichtlich Arbeitsfähigkeit)

1.

degenerative Veränderungen der LWS mit Bandscheibenprotrusionen und Peroneusparese beidseits mit Schienenbehandlung M 51.2 und G 57.2

2.

Instabilität in beiden Sprunggelenken M 25.3

3.

degenerative Veränderungen der HWS mit Bandscheibenprotrusionen C4/C5 und Prolaps C6/C7

4.

Listhese thorakal 11/thorakal 12

5.

Z.n. nach depressiver Belastungsstörung

Leistungskalkül:

‚Der Beamtin sind sitzende Tätigkeiten mit Unterbrechung möglich. Es sind halbzeitig gehende und stehende Tätigkeiten möglich, wobei bei einschießenden Krämpfen die Möglichkeit zu Pausen gegeben sein muss. Bei gehenden Tätigkeiten besteht erhöhte Sturzgefahr.

Die körperliche Belastbarkeit reicht für leichte Tätigkeiten aus und es sind leichte Hebe- und Trageleistungen möglich. Zwangshaltungen sind nicht empfohlen, jedoch alle fallweise möglich. Beim Auftreten von Krämpfen muss die Möglichkeit einer Pause gegeben sein.

Exposition gegenüber Nässe, Kälte, Hitze und Staub ist eingeschränkt möglich.

Bezüglich der Arbeitsart (Feinarbeit, Grobarbeit, Fingerfertigkeit) ist die Fingerfertigkeit der rechten Hand geringfügig eingeschränkt (wobei die Versicherte nach eigenen Angaben mit diesem Status seit Jahren problemlos operiert). Die psychische Belastbarkeit ist überdurchschnittlich, durchschnittlicher und halbzeitig besonderer Zeitdruck sind möglich. Das geistige Leistungsvermögen reicht für sehr schwierige Tätigkeiten aus.

Das Lenken eines KFZ ist nicht eingeschränkt.

Nacht- und Schichtarbeit ist fallweise möglich, jedoch nicht mehr

als ein Drittel der Monatsarbeitszeit.

Der Anmarschweg ist mit erhöhter Sturzgefahr noch immer eingeschränkt. Übliche Arbeitspausen sind nicht ausreichend. Abschließend wird festgehalten, dass der Versicherten aus neurologisch fachärztlicher Sicht das Tragen einer Bleischürze im Rahmen von Untersuchungen und operativen Eingriffen möglich ist. Arbeiten in Zwangshaltungen sind fallweise (eindrittelzeitig) in der Arbeitszeit für 5 Minuten am Stück ununterbrochen möglich, dann ist ein Wechsel der Arbeitshaltung oder ein Durchstrecken oder eine Pause von 5 Minuten erforderlich. Der Versicherten sind Operationen von mehrstündiger Dauer nicht möglich, da dabei die Möglichkeit zur Pause nicht gegeben ist. Der Versicherten ist das Arbeiten in der Nacht im Ambulanzbereich möglich, wobei Nachtdienste maximal im Ausmaß von ein Drittel der Monatsarbeitszeit möglich sind.

Eine Besserung ist weder aus neurologischer noch aus unfallchirurgischer Sicht zu erwarten. Eine Nachuntersuchung ist nicht notwendig.'"

4 Zusammenfassend kam die Dienstbehörde zum Ergebnis, dass die Revisionswerberin nicht mehr in der Lage sei, die Aufgaben ihres bisherigen Arbeitsplatzes zu erfüllen. Einen anderen Arbeitsplatz im Sinn des § 14 Abs. 2 BDG 1979, der zu ihrer bisherigen ärztlichen Tätigkeit an der Universitätsklinik für Urologie als mindestens gleichwertig anzusehen sei und dessen Aufgaben sie unter Berücksichtigung ihres Restleistungskalküls erfüllen könne, gebe es an der Medizinischen Universität Wien nicht. Ein solcher könne ihr daher nicht zugewiesen werden. Es sei somit eine dauernde Dienstunfähigkeit im Sinn des § 14 Abs. 2 BDG 1979 anzunehmen und mit einer Versetzung in den Ruhestand von Amts wegen gemäß § 14 Abs. 1 BDG 1979 vorzugehen.

5 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Inhaltlich führte sie aus, dass zwar mehrstündige Operationen eine Belastung darstellten, dies aber nicht rechtfertige, von einer bleibenden Dienstunfähigkeit auszugehen. Ihr Spezialgebiet und ihr angestammter Tätigkeitsbereich seien immer die Kinderurologie gewesen. Gegen die von der Dienstbehörde verneinte Möglichkeit der Erfüllung von Stützaufgaben bei älteren Patienten führte die Revisionswerberin aus, dass eine Stützung von Patienten nicht zu den Aufgaben des ärztlichen Fachpersonals zähle. In der Vergangenheit sei ihr zwar zugemutet worden, fünf bis sechs oder sogar mehr Nachtdienste pro Monat zu leisten, während ihre im Alter vergleichbaren Kollegen nur zwei bis drei Nachtdienste hätten absolvieren müssen. Den letztgenannten Anforderungen sei sie nach wie vor gewachsen. Der übliche Betrieb sei durchaus so, dass die Möglichkeit zu den erforderlichen Erholungspausen mit Schonungen und Haltungswechsel gegeben sein müsse. Bis dato habe ihr auch das Tragen einer Röntgenschürze entsprechend den dienstlichen Anforderungen kein Problem bereitet. Weiters ignoriere das Obergutachten eine Besserungsfähigkeit, die in allen anderen ärztlichen Unterlagen zum Ausdruck komme, das nach wie vor gegebene Verbesserungspotential und die tatsächlich im Zeitpunkt des anhängigen Verfahrens eingetretenen Verbesserungen. In diesem Zusammenhang sei nicht unmaßgeblich, dass ihr mit 2. Mai 2017 explizit ein Rehabilitationsaufenthalt bewilligt worden sei. Dafür sei ihr von der Dienstbehörde auch eine Dienstfreistellung vom

2. bis 23. Mai 2017 gewährt worden. Sie gehe daher davon aus, dass sie mit ihrem medizinischen Restleistungskalkül noch in der Lage sei, die Anforderungen des angestammten Berufs zu erfüllen bzw. dass es durch Rehabilitation möglich sein sollte, dies in einem realistischen Zeitraum mit entsprechend hoher Erfolgswahrscheinlichkeit zu erlangen, was der Annahme der bleibenden Dienstunfähigkeit entgegenstehe. Schließlich bestritt die Revisionswerberin mit näherer Begründung das Fehlen eines gleichwertigen Verweisungsarbeitsplatzes.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Juni 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG in Verbindung mit § 14 BDG 1979 ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

7 Das Bundesverwaltungsgericht ging in seinem Erkenntnis davon aus, dass die Revisionswerberin seit 17. Februar 2015 krankheitsbedingt vom Dienst abwesend sei. Sie sei der Medizinischen Universität Wien zur Dienstleistung zugewiesen und zuletzt als Ärztin an der Universitätsklinik für Urologie im AKH verwendet worden. Die urologische Abteilung verfüge über einen Personalstand von 21 Ärzten und habe Patienten jeder Altersgruppe zu betreuen. Die Kinderurologie sei Teil der urologischen Abteilung, eine organisatorische Trennung in der Patientenversorgung zwischen Kindern und Erwachsenen sei nicht vorgesehen. Die Tätigkeit in der urologischen Abteilung umfasse den Dienst in der Ambulanz, den Dienst in der stationären Patientenversorgung sowie Operationstätigkeit. Im Bereich des Dienstes auf der Station seien durchschnittlich 50 Patienten - meist nach operativen Eingriffen - zu betreuen. Dieser Dienst beinhalte zum Beispiel Visitentätigkeit, das Erstellen von Therapieplänen, Zusatzuntersuchungen, Katheterbehandlungen, den Einsatz bei Notfällen. Im Rahmen der Operationstätigkeit seien Operationen in der Dauer von ca. 20 Minuten bis zu acht Stunden zu bewältigen. Vom ärztlichen Personal seien auch regelmäßig Nacht- und Journaldienste zu leisten. Auf eine Person kämen bis zu sechs Nachtdienste pro Monat. Bei Personen über 50 Jahre sei auf eigenen Wunsch eine Reduzierung auf drei Nachtdienste möglich. Das ärztliche Personal müsse in allen angeführten Tätigkeitsbereichen der urologischen Abteilung voll einsetzbar sein. Es sei amtsbekannt, dass im sehr weitläufigen Gebäudekomplex des AKH u. a. auch vom ärztlichen Personal regelmäßig größere Fußwege zu bewältigen seien.

8 Weiters führte das Verwaltungsgericht feststellend aus (Schreibweise im Original):

"Bei der neurologisch psychiatrischen Untersuchung am 20.09.2016 gab die BF ihre Beschwerden wie folgt an:

1.

Ich kann ohne Peronaeusschiene nicht sicher gehen.

2.

Die Wirbelsäule ist instabil. Es gibt Bagatellbewegungen wie z.B. wenn ich aus einer Lade ein Papier nehme oder so, dann wird das plötzlich blockiert. Trage deshalb ich ein Mieder. Was mich immer daran erinnert, dass ich Bewegungen vorsichtig machen muss.'

Im Gutachten vom 20.09.2016 finden sich unter

‚Leistungsdefizite' folgende Ausführungen:

Allgemeine Beurteilung

Bei der Versicherten finden sich nervenärztlich von organneurologischer Seite Reflexdifferenzen an den unteren Extremitäten, die im Zusammenhang mit den Veränderungen an der Lendenwirbelsäule zu sehen sind. An den oberen Extremitäten sind keine Ausfälle objektivierbar. Bezüglich der Kraft zeigt sich an beiden unteren Extremitäten eine Schwäche der Vorfußhebung, die mit einer Peronaeusschiene zum Gehen in der Ebene ausgeglichen ist und damit das Gehen möglich ist.

Die geschilderte Schmerzsymptomatik bei plötzlichen Manövern, wie Husten, Stoßen, Niesen mit einem einschießenden Schmerz und Krampf im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule mit Zirkumferenz am Bauch sind medizinisch glaubhaft und nachvollziehbar. Die Betroffene ist mit einem Morphin-Derivat medikamentös eingestellt. Von geistiger Seite finden sich keine Ausfälle, die einer beruflichen Tätigkeit entgegensprechen würden.

Auch die Ausführungen der Betroffenen selbst, dass es bei langem und ununterbrochenem Stehen, Gehen oder Sitzen (aufrechte Körperhaltung) zu einer Verkrampfung und Schmerzen in der besagten Region kommt, sind prinzipiell nachvollziehbar. Ebenso zu erwähnen ist aber auch die Behandelbarkeit, die die Betroffene selbst durchführt, indem sie eine kurze Pause einlegt und versucht selbständig sich zu entkrampfen, damit die einschießenden Schmerzen zurückgehen.

Im Wesentlichen ist unter Beachtung dieser Eigenschaften die Betroffene vollständig dienstfähig. Eine Einschränkung der Nachtdienstverpflichtungen bzw. des gesamten Arbeitsumfanges ist anzuregen. Die Betroffene muss die Möglichkeit haben beim Auftreten von einschießenden Krämpfen für 5 Minuten eine Pause in liegender Position machen zu können.

Von psychischer Seite besteht ein Zustand nach einer depressiven

Episode, der vollständig abgeklungen ist.

Ansonsten Tätigkeit lt. Kalkül.

Beurteilung des Kalküls:

Arbeitshaltung (sitzend, gehend, stehend): ständig sitzend, halbzeitig gehend und stehend mit Pausen bei einschießenden Krämpfen wie oben genau beschrieben.

Körperliche Belastbarkeit (leicht, mittel, schwer): ständig leicht, fallweise mittel

Hebe-und Trageleistungen (leicht, mittel, schwer): ständig leicht, fallweise mittel

Zwangshaltung: alle fallweise. Beim Auftreten von Krämpfen (vorne gebeugte Haltung bei Katheteruntersuchungen) muss die Möglichkeit einer Pause gegeben sein.

Exposition (Nässe, Kälte, Hitze, Staub): nicht eingeschränkt Arbeitsart (Feinarbeit, Grobarbeit, Fingerfertigkeit): beidseits für alle drei Qualitäten ständig

Arbeitstempo (Zeitdruck): durchschnittlicher und halbzeitig

besonderer Zeitdruck

Psychische Belastbarkeit: überdurchschnittlich

Geistiges Leistungsvermögen: sehr schwierig

Aufenthalt in (geschlossenen Räumen, im Freien, bei Lärm, höhenexponiert, allgemein exponiert): nicht eingeschränkt Waffengebrauch (Hieb-, Stich- & Schusswaffen; Beurteilung optional bei entsprechenden Berufen): -

Lenken eines KFZ: nicht eingeschränkt Nacht-/Schichtarbeit: fallweise, nicht mehr als ein Drittel der Monatsarbeitszeit möglich.

Bildschirmarbeit: zumutbar unter Beachtung obiger Ausführungen

Kundenkontakt: nicht eingeschränkt

Anmarschweg: nicht eingeschränkt

Übliche Arbeitspausen ausreichend: nein

Besserung zu erwarten: nein

Nachuntersuchung empfohlen: nein'

Bei der orthopädisch-chirurgischen Untersuchung am 07.10.2016 werden die derzeitigen Beschwerden wie folgt beschrieben:

‚Schmerzen bei Belastung durch Rotationswirbel, Gangunsicherheit durch bds Peronäusläsion sowie häufige Krämpfe in der Fußmuskulatur, Sensibilitätsstörung im Bereich der rechten oberen Extremität'

Im Gutachten vom 06.11.2016 finden sich unter

‚Leistungsdefizite' folgende Ausführungen:

Allgemeine Beurteilung

PW erscheint ca 20Minuten verspätet zum Termin, wie im Voruntersuchungsbefund vermutet hat sich das Gangbild durch die Rehabilitationsaufenthalte deutlich verbessert. Die Patientin geht ohne Gehhilfen frei und flott. Die Peronäusschienen müssen weiterhin verwendet werden, derzeit stehen aber - wie schon bei der letzten Untersuchung - die Wirbelsäulenbeschwerden im Vordergrund. PW äußert mehrmals den Wunsch wieder zu arbeiten, kann sich jedoch eine Vollzeitverpflichtung nicht vorstellen. Eine wesentliche Verbesserung des Zustandsbildes ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht wahrscheinlich. Weiterhin ist Schmerztherapie sowohl regelmäßig als auch bedarfsgesteuert notwendig.

Beurteilung des Kalküls (mit Quantifizierung - ständig, überwiegend, fallweise)

Arbeitshaltung (sitzend, gehend, stehend): gehend erhöhte Sturzgefahr, stehend und sitzend mit Unterbrechungen

Körperliche Belastbarkeit (leicht, mittel, schwer): leicht

Hebe- und Trageleistungen (leicht, mittel, schwer): leicht

Zwangshaltung: nicht empfohlen

Exposition (Nässe, Kälte, Hitze, Staub): eingeschränkt Arbeitsart: Fingerfertigkeit der rechten Hand

geringfügig eingeschränkt (operiert jedoch nach eigenen Angaben mit diesem Status seit Jahren problemlos!)

Arbeitstempo (Zeitdruck): -

Psychische Belastbarkeit: -

Geistiges Leistungsvermögen: -

Aufenthalt in (geschlossenen Räumen, im Freien, bei Lärm, höhenexponiert, allgemein exponiert): nicht eingeschränkt

Waffengebrauch: -

Lenken eines KFZ: - Nacht-/Schichtarbeit: - Bildschirmarbeit: mit Pausen

problemlos

Kundenkontakt: problemlos Anmarschweg: mit erhöhter Sturzgefahr noch immer

eingeschränkt

Übliche Arbeitspausen ausreichend: ja Voraussichtliche Entwicklung

Besserung zu erwarten: nein Nachuntersuchung empfohlen: nein Reha-Maßnahmen: -

Hilfsmittel: 2 Peronäusschienen und ein Stützmieder werden ständig verwendet, Stützkrücke nicht mehr notwendig

Sonstige Bemerkungen: Weitere Untersuchungen durch Facharzt für - ist notwendig. Sind bereits geplant.'

..."

9 Des Weiteren verwies das Verwaltungsgericht auf das im Verfahrensgang wiedergegebene Obergutachten der BVA vom 23. Dezember 2016.

10 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, es teile die von der Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Entgegenstehende Äußerungen der Revisionswerberin erschienen in diesem Licht nicht haltbar bzw. seien sie irrelevant. Es gebe keinen Grund an der Feststellung der dauernden Dienstunfähigkeit der Revisionswerberin zu zweifeln. Von ihr sei auch kein für die Beurteilung relevanter Sachverhalt vorgebracht worden, zu dessen Erörterung eine mündliche Verhandlung erforderlich gewesen wäre. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe daher gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden können, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lasse. Dem Entfall der Verhandlung stehe auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zur Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30. März 2010, Seite 389, entgegen.

11 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht fallbezogen aus, dass sich aus der letzten Stellungnahme des chefärztlichen Dienstes der BVA vom 23. Dezember 2016 in Verbindung mit den zugrunde liegenden Fachgutachten eindeutig ergebe, dass eine Besserung der festgestellten Leistungsdefizite weder aus neurologischer noch aus unfallchirurgischer Sicht zu erwarten sei. Das Gutachten des BVA-Pensionsservice in Verbindung mit dem neurologisch psychiatrischen Fachgutachten vom 20. September 2016 sowie dem orthopädisch-chirurgischen Fachgutachten vom 6. November 2016 erfülle die Voraussetzungen der Vollständigkeit und der Schlüssigkeit. Die Behörde habe nachvollziehbar dargestellt, dass die Revisionswerberin mit den auf Dauer gegebenen Leistungsdefiziten ihre dienstlichen Aufgaben als Urologin nicht mehr erfüllen könne. So bestehe durch die Peronaeusläsion beidseitig eine Gangunsicherheit und es träten häufig Krämpfe in der Fußmuskulatur auf. Bei einschießenden Krämpfen müsse die Möglichkeit zu Pausen gegeben sein und bestehe bei gehenden Tätigkeiten erhöhte Sturzgefahr. Längere sitzende Tätigkeiten wie auch gehende und stehende Tätigkeiten seien nur mit Unterbrechungen möglich. Arbeiten in Zwangshaltungen seien fallweise für fünf Minuten am Stück ununterbrochen möglich, dann sei ein Wechsel der Arbeitshaltung oder ein Durchstrecken oder eine Pause von fünf Minuten erforderlich. Operationen von mehrstündiger Dauer seien nicht möglich, weil dabei keine Möglichkeit für Pausen bestehe. Die Fingerfertigkeit der rechten Hand sei eingeschränkt.

12 Es sei nachvollziehbar, dass die mit dem Arbeitsplatz verbundenen Tätigkeiten im Ambulanzdienst, in der stationären Patientenversorgung sowie im Operationsdienst mit den festgestellten Leistungseinschränkungen der Revisionswerberin nicht bewältigt werden könnten. Die Gehunsicherheit der Revisionswerberin mit ständig gegebener Sturzgefahr, die erforderlichen Pausen in liegender Position und die körperlich verminderte Belastbarkeit schränkten die Handlungsfähigkeit der Revisionswerberin in der Patientenversorgung erheblich ein. So müsse vor allem in medizinischen Notfällen, welche jederzeit auftreten könnten, die volle Einsatzfähigkeit jedes einzelnen ärztlichen Mitarbeiters gegeben sein, um der Verpflichtung des AKH zu einer optimalen Patientenversorgung gerecht zu werden. Von der Revisionswerberin werde auch selbst außer Streit gestellt, dass mehrstündige Operationen eine Belastung darstellten. Operationstätigkeit gehöre jedoch zum Aufgabenbereich eines jeden ärztlichen Bediensteten in der urologischen Abteilung. Es liege auf der Hand, dass Operationen von längerer Dauer, welche immer auch mit Zwangshaltungen verbunden seien, keine Unterbrechungen zuließen, welche jedoch für die Revisionswerberin zum Wechsel der Arbeitshaltung oder für ein Durchstrecken der Beine unbedingt erforderlich seien. Darüber hinaus sei auch davon auszugehen, dass die Ausfälle der Revisionswerberin durch die geforderten Pausen sowie weitere therapeutische Behandlungen vom ohnedies knapp bemessenen ärztlichen Team auszugleichen wären, was eine zusätzliche Belastung für den Dienstbetrieb bedeuten würde. Plausibel erscheine auch die Argumentation der Behörde, dass es notwendig sei, dass das zur Verfügung stehende Personal gleichermaßen für Nachtdienste/Journaldienste eingeteilt werden könne, weil ansonsten die Einhaltung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes mit dem gegebenen Personalstand nicht gewährleistet werden könne.

13 Wenn die Revisionswerberin mit dem Einwand, dass die Kinderurologie ihr angestammter Tätigkeitsbereich sei, zum Ausdruck bringen wolle, dass in diesem Bereich keine Stütztätigkeiten wie bei älteren Patienten erforderlich seien, sei ihr entgegenzuhalten, dass es an der urologischen Abteilung keine organisatorische Trennung in der Patientenversorgung von Kindern und Erwachsenen gebe und für Stütztätigkeiten an Patienten nicht ständig Hilfspersonal zur Verfügung stehe. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn die Behörde dem vom Pensionsservice der BVA erstellten Gutachten gefolgt sei und zu einer dauernden Dienstunfähigkeit der Revisionswerberin im Sinn des § 14 BDG 1979 gelangt sei.

14 Der Beweiswert eines tauglichen Sachverständigengutachtens könne nur durch Vorbringen auf gleichem fachlichen Niveau oder durch ein fachlich fundiertes Gegengutachten erschüttert werden. Eine solche Entgegnung sei der Revisionswerberin aber weder mit dem vorgelegten fachärztlichen Attest des Facharztes für Neurologie vom 25. Jänner 2016 noch mit ihrem Beschwerdevorbringen gelungen. Ihrer Selbsteinschätzung, dass sie mit dem medizinischen Restleistungskalkül noch die Anforderungen des angestammten Berufes erfüllen könne bzw. es ihr durch Rehabilitation möglich sein solle, dies in einem realistischen Zeitraum zu erlangen, stehe die Oberbegutachtung des BVA-Pensionsservice vom 23. Dezember 2016 diametral entgegen, wonach eine Besserung des Zustandsbilds weder aus neurologischer noch aus unfallchirurgischer Sicht zu erwarten sei.

15 Die Behörde habe auch nachvollziehbar begründet, warum ein adäquater Verweisungsarbeitsplatz nicht vorhanden sei.

16 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision der Revisionswerberin, die im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung rügt. Bereits in ihrer Beschwerde habe sie darauf hingewiesen, dass ihr ein Rehabilitationsaufenthalt vom 2. bis 23. Mai 2017 bewilligt worden sei. Angesichts des Beschwerdevorbringens und des ausdrücklichen Antrags hätte das Verwaltungsgericht nicht von der Anberaumung einer Verhandlung absehen dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht gehe in seiner Entscheidung auch mit keinem Wort auf den von ihr absolvierten Rehabilitationsaufenthalt ein, wodurch sich der maßgebliche Sachverhalt entscheidend geändert habe und weshalb ein zeitnahes, den geänderten Sachverhalt berücksichtigendes Gutachten einzuholen gewesen wäre.

18 Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit den Anträgen, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise diese als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

     19 Die Revision ist aus den in den Zulässigkeitsgründen

ausgeführten Gründen zulässig; sie ist deshalb auch berechtigt.

     20 § 14 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979),

BGBl. Nr. 333 in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2015, lautet (auszugsweise):

"Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

§ 14. (1) Die Beamtin oder der Beamte ist von Amts wegen oder auf ihren oder seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie oder er dauernd dienstunfähig ist.

(2) Die Beamtin oder der Beamte ist dienstunfähig, wenn sie oder er infolge ihrer oder seiner gesundheitlichen Verfassung ihre oder seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihr oder ihm im Wirkungsbereich ihrer oder seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben sie oder er nach ihrer oder seiner gesundheitlichen Verfassung zu erfüllen imstande ist oder der ihr oder ihm mit Rücksicht auf ihre oder seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.

(3) Soweit die Beurteilung eines Rechtsbegriffes im Abs. 1 oder 2 von der Beantwortung von Fragen abhängt, die in das Gebiet ärztlichen oder berufskundlichen Fachwissens fallen, ist von der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter - ausgenommen für die gemäß § 17 Abs. 1a des Poststrukturgesetzes (PTSG), BGBl. Nr. 201/1996, den dort angeführten Unternehmen zugewiesenen Beamtinnen und Beamten - Befund und Gutachten einzuholen. Für die gemäß § 17 Abs. 1a PTSG zugewiesenen Beamtinnen und Beamten ist dafür die Pensionsversicherungsanstalt zuständig.

(4) Die Versetzung in den Ruhestand wird mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid rechtskräftig wird, wirksam.

..."

21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs setzt § 14 Abs. 1 BDG 1979 dauernde Dienstunfähigkeit voraus. Für das Vorliegen der Dienstunfähigkeit verlangt § 14 Abs. 3 BDG 1979 das kumulative Vorliegen zweier Voraussetzungen, nämlich die Unfähigkeit der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben des Beamten an seinem aktuellen Arbeitsplatz infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung und die Unmöglichkeit der Zuweisung eines den Kriterien der zitierten Gesetzesbestimmung entsprechenden mindestens gleichwertigen Arbeitsplatzes. Beide Voraussetzungen für das Vorliegen der Dienstunfähigkeit müssen kumulativ und auf Dauer, also für einen nicht absehbaren Zeitraum, vorliegen, damit von einer dauernden Dienstunfähigkeit im Verständnis des § 14 Abs. 1 BDG 1979 ausgegangen werden kann (vgl. VwGH 23.2.2007, 2004/12/0116).

22 Die Revisionswerberin bestreitet in diesem Zusammenhang die Dauerhaftigkeit ihrer Dienstunfähigkeit im Hinblick auf eine mögliche Besserungsfähigkeit durch die absolvierte Rehabilitationsmaßnahme und beanstandete in diesem Zusammenhang das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung sowie eine unvollständige Sachverhaltserhebung durch das Bundesverwaltungsgericht.

23 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäische Union (GRC) entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um "civil rights" oder "strafrechtliche Anklagen" im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/09/0042, mwN).

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass dienstrechtliche Streitigkeiten öffentlich Bediensteter unter den Begriff der "civil rights" im Verständnis des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen, insoweit derartige Streitigkeiten durch die innerstaatliche Rechtsordnung geregelte, subjektive Rechte oder Pflichten des jeweils betroffenen Bediensteten zum Gegenstand haben (vgl. VwGH 13.9.2017, Ro 2016/12/0024, mwN).

25 Vorliegendenfalls waren im Verfahren über die Ruhestandsversetzung der Revisionswerberin sowohl die dem Sachverständigengutachten als Befund zugrunde liegenden Sachverhaltsannahmen als auch die daraus gezogenen fachkundigen Schlussfolgerungen, also jeweils klassische Tatsachenfragen, strittig. Die Revisionswerberin hat auch ausdrücklich eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beantragt.

26 Das Bundesverwaltungsgericht hätte somit nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es ohne nähere Prüfung einer Relevanz des Verfahrensmangels gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war (vgl. VwGH 18.9.2015, Ra 2015/12/0012).

27 Das im angefochtenen Erkenntnis herangezogene Argument, die Revisionswerberin sei in ihrer Beschwerde den Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, geht im vorliegenden Fall am Kern der Sache vorbei. So haben Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden. Die unvollständige und unrichtige Befundaufnahme vermag auch ein Laie nachvollziehbar darzulegen (siehe VwGH 16.2.2017, Ra 2016/05/0026; 24.4.2014, 2011/06/0004; u.a.). Vor diesem Hintergrund wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen, sich mit diesen - der Sachverhaltsfrage zuzurechnenden - Einwendungen in einer Verhandlung auseinanderzusetzen, weshalb auch von der Strittigkeit von Tatsachenfragen auszugehen war.

28 Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.

29 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 11. April 2018

Schlagworte

Beweismittel SachverständigenbeweisAnforderung an ein GutachtenGutachten Parteiengehör Parteieneinwendungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017120090.L00

Im RIS seit

04.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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