TE OGH 2018/4/9 36R87/18p

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Veröffentlicht am 09.04.2018
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Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht fasst durch den Richter Mag. Peter Weiß als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Gabriele Smudits und Mag. Inge Strebl in der Rechtssache der Klägerin *****, *****, ***** Wien, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in Wien, wider den Beklagten *****, *****, ***** Wien, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Euro 10.365,-- samt Anhang, infolge Rekurses des Beklagten gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 01.02.2018, 5 C 391/17g-13, in nicht-öffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s :

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat die Kosten seines Rekurses selbst zu tragen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs. 2 Z. 2 ZPO).

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit der am 15.07.2017 eingebrachten Mahnklage begehrte die Klägerin Euro 10.365,-- samt Anhang Werklohn für Planungs- und Beratungsleistungen. Gegen den am 20.07.2017 erlassenen Zahlungsbefehl erhob der Beklagte persönlich und rechtzeitig Einspruch, worauf der Erstrichter die vorbereitende Tagsatzung für den 07.11.2017 anberaumte. Er verfügte unter anderem, den Beklagten mit dem Formular „LAD A4“ über die VJ zu laden, was auch geschah (Hinterlegung der Ladung am 13.10.2017). Entgegen der Verfügung des Erstrichters wurde in das Ladungsformular der (händische) Beisatz für den Beklagten: „Auf die absolute Anwaltspflicht wird hingewiesen!“ nicht aufgenommen.

Der Beklagte erschien zur vorbereitenden Tagsatzung unvertreten, weswegen der Erstrichter über Antrag der Klägerin ein (stattgebendes) Versäumungsurteil fällte.

Am 20.11.2017 beantragte der Beklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der vorbereitenden Tagsatzung und erstattete (weiteres) Vorbringen zur Sache. Er brachte (zum Wiedereinsetzungsantrag) vor, er sei Facharzt und nicht vertraut mit Prozessen. Er habe lediglich als Geschäftsführer einer GmbH vor ca. einem Jahr ein Räumungsverfahren vor dem Bezirksgericht Döbling geführt. Er habe daher angenommen, dass das gegenständliche Verfahren gleicher Weise geführt werde. Er habe nicht gewusst, dass aufgrund eines Streitwerts von über Euro 5.000,-- absolute Anwaltspflicht herrsche und sei der Ansicht gewesen, ohne Rechtsvertreter handeln zu können. Den Hinweis zur Vertretungspflicht, der auf der Rückseite der Ladung des Erstgerichts enthalten gewesen sei, habe er nicht gelesen. Das daraus resultierende irrtümliche Erscheinen ohne Rechtsanwalt stelle kein auffallend sorgloses Verhalten, sondern eine entschuldbare Fehlleistung seinerseits dar, was eine Wiedereinsetzung nicht hindere.

Nach Durchführung einer Bescheinigungstagsatzung unter Beiziehung der Parteienvertreter wies das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag ab und verpflichtete den Beklagten zum Ersatz der Kosten des (Wiedereinsetzungs-)Verfahrens. Es nahm dabei jenen Sachverhalt als bescheinigt an, der auf den Seiten 2 und 3 der Beschlussausfertigung ersichtlich ist; darauf wird verwiesen. Rechtlich folgerte es, der Wiedereinsetzungsantrag sei zwar rechtzeitig, aber nicht berechtigt. Gerade für nicht rechtskundige Personen würden gerichtliche Verfügungen und Schriftstücke mit Rechtsbelehrungen versehen, weswegen der Beklagte verhalten gewesen wäre, auch die Rückseite des Ladungsformulars zu beachten; im Fall einer Unklarheit sei es ihm freigestanden, Erkundigungen einzuziehen. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Beklagte früher ein anderes Gerichtsverfahren selbst geführt habe; im konkreten Fall unter Berücksichtigung seiner Verhältnisse sei es ihm zuzumuten gewesen, das gesamte ihm zugestellte Schriftstück (Ladung) zu beachten. Insgesamt könne daher das Verhalten des Beklagten nicht mehr als bloß minderer Grad des Versehens beurteilt werden, weswegen der Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag, ihn derart abzuändern, dass seinem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werde.

Die Klägerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Der Rekurswerber argumentiert kurz zusammengefasst, bei Wiedereinsetzungsanträgen sei stets im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse zu entscheiden, ob das sorgfaltswidrige Verhalten erheblich von dem eines maßgerechten Durchschnittsmenschen abweiche oder nicht. Deswegen wäre zu berücksichtigen gewesen, dass er aufgrund seiner bisherigen gerichtlichen Erfahrung der Annahme hätte sein dürfen, auch hier unvertreten erscheinen zu können. In diesem Zusammenhang werde die vom Erstgericht nicht getroffene Feststellung, dass er den Einspruch persönlich erstattet habe, als sekundärer Feststellungsmangel gerügt. Weiters habe das Erstgericht nicht festgestellt, dass im „eigentlichen Ladungsteil kein Hinweis auf die zwingende Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung“ enthalten gewesen sei, was ebenfalls solcherart gerügt werde. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei es letztlich ohne Bedeutung, „ob und mit welcher Genauigkeit“ er die Passage auf Seite 2 der Ladung gelesen habe, weil diese - folgend der Entscheidung 21 R 49/04w des Landesgerichts St. Pölten - kaum verständlich sei. Die Möglichkeit, einen unmissverständlichen Hinweis auf die Anwaltspflicht in das Ladungsformular aufzunehmen, habe das Erstgericht nicht wahrgenommen. Selbst wenn er daher den Text auf der Rückseite des Ladungsformulars gelesen hätte, hätte er nicht gewusst, dass er sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müsse. Ihm sei daher kein Verschulden vorzuwerfen, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe, weswegen dem Wiedereinsetzungsantrag hätte stattgegeben werden müssen.

Diese Ausführungen überzeugen nicht.

Einleitend ist festzuhalten, dass die vom Rekurswerber gerügten sekundären Feststellungsmängel schon deswegen nicht vorliegen, weil die von ihm vermissten Feststellungen genau so wie sie der Beklagte zu treffen begehrt, dem Akt entnommen werden können bzw. sogar gerichtsbekannt sind. Der Inhalt des vom Erstgericht verwendeten Ladungsformulars kann jederzeit sowohl allgemein als auch konkret verfahrensbezogen aus der VJ nachgedruckt werden und trifft es ganz allgemein zu, dass dieses (ohne zusätzlichen händischen Eingriff) auf seiner Vorderseite keine „wichtigen Hinweise“ enthält, sondern diese auf der Rückseite (= Seite 2) beginnen. Weiters ist - ebenso unstrittig - dem Akt zu entnehmen, dass im konkreten Fall entgegen der Verfügung des Erstrichters kein zusätzlicher (= nochmaliger) Hinweis auf die im Verfahren herrschende Anwaltspflicht in das Ladungsformular aufgenommen wurde und dass der Kläger den Einspruch unvertreten erhoben hat.

Damit ist für den Rekurswerber aber im Ergebnis nichts gewonnen.

Gemäß § 146 Abs. 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung unter anderem dann zu bewilligen, wenn die Versäumung nur auf einem minderen Grad des Versehens beruht. Eine auffallende Sorglosigkeit hingegen schließt die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus. Bei Rechtsmittelbelehrungen vertritt die Judikatur grundsätzlich den Standpunkt, dass das Nichtlesen einer Rechtsmittelbelehrung keinen Wiedereinsetzungsgrund bildet; ebenso im Allgemeinen auch nicht ihr Missverstehen (vgl. Klauser/Kodek ZPO17, § 146 E 41 ff). Von dieser unter anderem auch in den Entscheidungen 35 R 98/13s und 35 R 292/13w dieses Gerichtshofs zum Ausdruck gekommenen Rechtsprechungslinie abzugehen findet das Rekursgericht keinen Anlass (siehe auch 3 Ob 506/87 und 6 Ob 213/00t).

Mit den dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Anlassfällen ist der hier zu beurteilende Fall durchaus vergleichbar. Bei auch nur oberflächlicher Betrachtung des gegenständlichen Ladungsformulars muss einem durchschnittlichen Betrachter wohl jedenfalls auffallen, dass sich nicht nur auf der Seite 1 (der Vorderseite) Text (Inhalt) befindet, sondern eben auch auf der Rückseite (= Seite 2). Wenn der Beklagte nun (nach seinem eigenen Vorbringen) in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit von der Zustellung der Ladung bis zur vorbereitenden Tagsatzung außer der Vorderseite des Formulars offenbar nichts beachtet und damit nicht einmal bemerkt hat, dass sich auf dessen Rückseite noch relevanter Text befinden könnte, so kann das nicht mehr als entschuldbare Fehlleistung (leichte Fahrlässigkeit) angesehen werden; dies gerade im Hinblick auf seine persönlichen Verhältnisse, die der Beklagte selbst dargestellt hat. Hätte der Beklagte nämlich bloß einen kurzen Blick auf die Rückseite des Formulars geworfen, so hätte er bei der fünften seitlichen markant fett gedruckten Überschrift „Vertretung“ als erstes den eindeutigen und nach Ansicht des Rekursgerichts in keiner Weise auch nur irgendwie missverständlichen Satz lesen können: „Sie müssen sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.“ Die darunter angeführten Ausnahmen sind nicht geeignet, an diesem hier einzig relevanten ersten Satz irgendwelche Zweifel aufkommen zu lassen, weil sie wie folgt beschrieben sind: „Streitigkeiten betreffend Wohnungs- und Geschäftsmieten, familienrechtliche Streitigkeiten etc. - § 49 Abs. 2 Jurisdiktionsnorm“. Das Mindeste, was einem durchschnittlichen Leser des ersten Satzes unter der Überschrift „Vertretung“ und dem anschließenden Lesen der dort darunter angeführten Ausnahmebestimmung wohl zuzumuten ist, ist seine Verpflichtung, rechtzeitig vor einem Verhandlungstermin (allenfalls bei Gericht) zumindest in diese Richtung nachzufragen, wenn er schon tatsächlich Zweifel haben könnte, ob er in diesem Verfahren anwaltlich vertreten sein muss. Damit kann nach Ansicht des Rekursgerichts das völlige Ignorieren der zweiten Seite der Ladung durch den Beklagten nicht mehr als entschuldbare Fehlleistung angesehen werden, mag er auch schon einmal in der Vergangenheit ein völlig anders gelagertes Verfahren (nach seinem Vorbringen über die Räumung eines Bestandobjekts) allein geführt haben. Gerade die vom Beklagten ins Treffen geführte „Gerichtsunerfahrenheit“ spricht für seine (ihm wohl zumutbare) Verpflichtung, wenigstens den Inhalt von gerichtlichen Schriftstücken möglichst vollständig zu beachten und nicht nur deren erste Seite und sich dann auf allfällige Erfahrungen in der Vergangenheit zu verlassen (vgl. dazu nochmals insbesondere 3 Ob 506/87).

Zusammengefasst sieht sich der erkennende Rekurssenat daher auch in Kenntnis der im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichten Entscheidung 21 R 49/04w des Landesgerichts St. Pölten vom 19.02.2004 nicht veranlasst, in der Vorgehensweise des Beklagten, die zur Erlassung des Versäumungsurteils gegen ihn geführt hat, eine bloße entschuldbare Fehlleistung zu sehen.

Das Erstgericht hat daher zutreffend den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen, weswegen dem Rekurs nicht Folge zu geben war.

Aufgrund der Nichtbeteiligung der Klägerin am Rekursverfahren war im Sinn der §§ 40, 50 iVm § 154 ZPO auszusprechen, dass der Beklagte die Kosten seines Rekurses selbst zu tragen hat.

Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses folgt aus der eingangs genannten Gesetzesstelle. Die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Zurückweisung der Klage im Sinn des § 528 Abs. 2 Z. 2 ZPO nicht gleichzuhalten, weswegen der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist (RIS-Justiz RS0105605).

 

Textnummer

EWZ0000204

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00003:2018:03600R00087.18P.0409.000

Im RIS seit

04.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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