TE Vfgh Erkenntnis 1997/11/28 B2193/97

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.1997
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung von Aufenthaltsbewilligungen durch ausschließliches Abstellen auf den nicht ausreichend gesicherten Lebensunterhalt der Familie und mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft; keine im Sinne der Menschenrechtskonvention erforderliche Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer, ein mit einer Österreicherin verheirateter türkischer Staatsangehöriger, hat mehrere Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet, mußte aber - wie er vorbringt - Ende 1994 aus familiären Gründen in die Türkei zurückkehren. Von dort stellte er am 8. August 1995 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der jedoch mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Juni 1997 unter Berufung auf §5 Abs1 Aufenthaltsgesetz - AufG, BGBl. 466/1992 idF 201/1996, abgewiesen wurde. Die belangte Behörde begründete ihren Bescheid damit, daß der Lebensunterhalt des Antragstellers durch die Verpflichtungserklärung seiner Ehefrau nicht ausreichend gesichert sei; ihr monatliches Nettoeinkommen (in der Höhe von rund 14.600 S) liege nämlich (um etwa 1.600 S) unter dem durch den Sozialhilferichtsatz für das Bundesland Wien festgesetzten Mindesteinkommen. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, daß der Antragsteller ohne Unterstützung der Sozialhilfeträger nicht auskommen könne, weshalb die öffentlichen Interessen an der Versagung der Bewilligung die persönlichen Interessen des Antragstellers überwögen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II.Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis

VfSlg. 14091/1995 mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung des im §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestandes der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird) in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Im vorliegenden Fall eines mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten Fremden, der mehrere Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet hatte, hat die belangte Behörde das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG - ohne auf die private Interessenlage des Beschwerdeführers näher einzugehen - ausschließlich damit begründet, daß das Einkommen der Ehegattin des Antragstellers zur Sicherung des gemeinsamen Lebensunterhaltes nicht ausreiche. Sie hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2193.1997

Dokumentnummer

JFT_10028872_97B02193_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten