TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/19 W237 2126494-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.04.2018
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Entscheidungsdatum

19.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2126488-1/18E

W237 2126494-1/7E

W237 2126492-1/7E

W237 2126489-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , und 4.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, alle vertreten durch die XXXX und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2016, 1.) Zl. 831519900/14612448, 2.) Zl. 831520106/14612472, 3.) Zl. 831520008/14612537 und 4.) Zl. 1018206202/14612588, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.01.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die zum damaligen Zeitpunkt schwangere Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren beiden Kindern, dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin, illegal nach Österreich und stellte am 20.10.2013 für sich und ihre Kinder Anträge auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, Staatsangehörige der Russischen Föderation und muslimischen Glaubens zu sein sowie der tschetschenischen Volksgruppe anzugehören. Bei ihrer Befragung vor dem Bundesasylamt am 05.12.2013 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass sie aus ihrem Heimatland geflohen sei, weil ihr Ehemann, ein Taxifahrer, Wahabiten mit Lebensmitteln geholfen habe. Eines Tages seien in den Morgenstunden unbekannte maskierte Männer gekommen und hätten ihn mitgenommen, weshalb die Erstbeschwerdeführerin mit ihren beiden Kindern geflüchtet sei. Ihre Schwester und ihre Mutter wären von diesen Leuten ebenso aufgesucht und nach dem Aufenthaltsort der Erstbeschwerdeführerin befragt worden.

1.1. Mit Bescheiden vom 09.12.2013 wies das Bundesasylamt die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013 als unzulässig zurück, sprach aus, dass Polen gemäß der Dublin II-Verordnung zur Führung des Asylverfahrens zuständig sei, und wies die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus; ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen sei gemäß § 10 Abs. 4 leg.cit. zulässig.

1.2. Die gegen diese Bescheide des Bundesasylamts erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28.01.2014 gemäß § 5 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, und § 61 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, als unbegründet ab und führte aus, dass die Beschwerdeführer über Polen illegal in das Gebiet der EU-Mitgliedsstaaten eingereist wären, Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung zugestimmt habe und die Beschwerdeführer demgemäß nach Polen zu überstellen seien.

2. Nach Ablauf der Überstellungsfrist stellte die Erstbeschwerdeführerin am 14.05.2014 für sich und ihre drei Kinder (der jüngste Sohn wurde am XXXX in Österreich geboren) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Hierzu wurde sie am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts erstbefragt und am 24.02.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

2.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab zu den Gründen für ihren (neuerlichen) Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen an, dass ihr Ehemann "Männer im Wald" mit Lebensmitteln versorgt habe und deshalb eines Morgens von maskierten Männern mitgenommen worden sei. Sie könne nicht viel dazu angeben und wisse nur, dass er Kartoffeln und Zwiebeln eingekauft habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihn gewarnt und ihm gesagt, dass sie Probleme bekämen, wenn das herauskomme. Ihr Ehemann habe nur entgegnet, dass ein Mann ihn gebeten habe, dies zu tun, und er dafür Geld erhalten habe. Sie wisse nicht, wo er diesen Mann getroffen habe, jedenfalls habe ihr Ehegatte die Sachen mit dem Auto weggebracht. Konkret wisse sie von einem Mal, als ihr Mann diese Sachen besorgt habe, dies sei im Sommer 2013 gewesen. Ungefähr fünf Monate später seien schließlich die maskierten Männer zu ihnen nach Hause gekommen. Auf Nachfrage, ob die Erstbeschwerdeführerin etwas unternommen habe, um ihren Mann zu finden, entgegnete sie, dass bei ihnen Leute verschwinden würden und man Probleme bekäme, wenn man Nachfrage stellte; deswegen würden alle schweigen, sie selbst habe auch nichts getan und sei sofort verschwunden. Über andere Aktivitäten ihres Mannes wisse sie nichts. Es sei bei der Verhaftung alles sehr schnell gegangen, ihre Kinder hätten laut geschrien und auch sie habe gefleht, dass ihr Mann nicht verhaftet werde, weil er nichts getan habe. Die maskierten Männer hätten jedoch gemeint, dass sie es besser wüssten. Außerdem hätten sie gesagt, die Erstbeschwerdeführerin solle sich ruhig verhalten, andernfalls bekäme sie auch Probleme. Auch ihr Mann habe nur gesagt, dass sie sich nicht einmischen solle. Von ihrer Schwester habe sie erfahren, dass die Schwiegereltern über den Verbleib ihres Ehemannes nichts mehr gehört hätten und er noch immer verschwunden sei. Weiters wolle die Erstbeschwerdeführerin anführen, dass ihre Tochter "blau geworden" sei, als sie in Traiskirchen angekommen seien; nach einer Untersuchung hätten die Ärzte aber gemeint, dass ihr Zustand nicht gefährlich sei. Auf Nachfrage gab sie an, dass ihre Tochter auch in Tschetschenien schon einmal "blau" geworden sei und man gemeint habe, dies sei normal.

Für ihre Kinder gelte der gleiche Asylgrund. Befragt, was sie im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat für sich und ihre Kinder befürchte, brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie Angst um ihre Kinder habe, weil in Tschetschenien sogar Kinder verschwinden würden. Sie fürchte Probleme wegen ihres Mannes, dessen Verfolger könnten sie auch verschleppen.

Zu ihrem Leben in Österreich befragt führte die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie von der Grundversorgung lebe und niemanden hier habe. Ihre Kinder besuchten den Kindergarten, sie sei Hausfrau und für Deutschkurse habe sie keine Zeit.

2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheiden vom 01.04.2016 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 10/2016, (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihnen einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 leg.cit. nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 17/2016, Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 121/2015, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

2.2.1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf dabei umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, insbesondere zu Tschetschenien. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin wurde festgestellt, dass sie verheiratet sei und an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden psychischen oder physischen Erkrankung leide. Es habe jedoch nicht festgestellt werden können, dass ihr unter Zugrundelegung ihres Vorbringens in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten drohen würde.

Die Abweisung ihres Antrags begründete die belangte Behörde damit, dass die Behauptungen einer konkreten Verfolgung in ihrer Heimat nur als eine in den Raum gestellte Behauptung zu werten sei, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden könne. Die Schilderung eines einzigen Vorfalles, der zu ihrer Ausreise geführt haben solle, nämlich die Verschleppung ihres Ehemannes durch Maskierte, sei im vagen und abstrakten Bereich geblieben. Ihre Darlegung habe sich sowohl im Rahmen der Erstbefragung als auch im Rahmen der Befragung vor dem Bundesamt lediglich auf einige Eckpunkte einer Rahmengeschichte beschränkt, ohne diese durch die Präsentation spezifischer detaillierter Angaben anzureichern. Es sei ihr trotz eingehender Befragung nicht möglich gewesen, eine Mehrzahl von persönlich wahrgenommenen Details der Handlungsabläufe sowie allenfalls besondere Interaktionen von handelnden Personen ins Treffen zu führen oder allenfalls über ihre eigene diesbezügliche Gefühlslage zu berichten und so den Zuhörer in die Lage zu versetzen, dass sie den Inhalt ihrer Schilderungen selbst durchlebt habe. Sie habe während der gesamten Einvernahme in einer wortkargen Darlegung einiger weniger Eckpunkte einer Schilderung verharrt, ihre Antworten seien ebenfalls kurz, emotionslos und vage gewesen. So habe sie einerseits zunächst behauptet, lediglich einmal bemerkt zu haben, dass ihr Ehemann Kartoffeln und Zwiebeln besorgt habe, und dezidiert angeführt, ihren Ehemann diesbezüglich einmal gefragt zu haben. Erst als die Erstbeschwerdeführerin mit ihren Angaben anlässlich ihrer psychologischen Untersuchung im Zulassungsverfahren konfrontiert wurde, habe sie erklärt, dass ihr Mann sie zuvor geschlagen habe. Auch in diesem Zusammenhang habe sich ihr Beantwortungsmuster wiederholt. Wiederum erst auf Nachfrage habe sie ausgeführt, ihren Ehegatten immer wieder zu den Rebellen befragt zu haben und er sie dann geschlagen habe. In einer Gesamtschau mit den anderen Ausführungen zur Beweiswürdigung könne darin ein wesentliches Indiz für die mangelnde Glaubhaftigkeit ihres zentralen Asylvorbringens gesehen werden. Der Behauptung, dass die Erstbeschwerdeführerin in ihrer Heimat wegen ihres Ehegatten gesucht werde und sie befürchte, deshalb verschleppt zu werden, stehe auch der Umstand entgegen, dass ihr ein Reisepass ausgestellt worden sei, den sie persönlich abgeholt habe.

Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz seien bei keinem der Beschwerdeführer hervorgekommen.

Zum Privatleben der Erstbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass im konkreten Fall zwar ein schützenswertes Familienleben in Österreich zu ersehen sei, sämtliche Mitglieder der Kernfamilie jedoch im selben Umfang von der aufenthaltsbeenden Maßnahme betroffen seien:

Alle Beschwerdeführer treffe dasselbe rechtliche Schicksal, weshalb diesbezüglich die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben darstelle. Die Erstbeschwerdeführerin bestreite ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und habe sich ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich bewusst sein müssen. Die Bindungen zu ihrem Heimatstaat seien wesentlich stärker als zu Österreich, ihre Mutter und Geschwister würden noch im Heimatstaat leben. Eine besondere Integrationsbemühung in Österreich sei ebenso nicht dargelegt worden. Umstände, die die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen rechtfertigen würden, wären im Verfahren nicht hervor gekommen. Da den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation auch keine solche Gefährdung drohe, die die Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2 oder Art. 3 EMRK wahrscheinlich erscheinen ließe, sei die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig.

2.2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 04.04.2016 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurden die Beschwerdeführer weiters über ein verpflichtende Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG bis zum 29.04.2016 in Kenntnis gesetzt.

3. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer vollinhaltlich Beschwerden, welche am 10.05.2016 per Mail beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangten. Darin wiederholten sie im Wesentlichen das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin und führten aus, dass es sich bei den "Männern im Wald" um Rebellengruppen in Tschetschenien handle, wie dies auch in den Länderfeststellungen beschrieben werde. Da ihr Mann diese Aktivitäten geheim gehalten habe, könne die Erstbeschwerdeführerin nur Vermutungen anstellen. Sie habe ihn einmal beobachtet, wie er große Mengen an Lebensmitteln ins Auto geladen und diese den Rebellen gebracht habe. Ob und inwiefern ihr Gatte die Rebellen auch anderweitig unterstützt habe, könne sie nicht sagen. Eines Morgens wären Russisch sprechende maskierte Männer gewaltvoll in ihre Wohnung eingedrungen und hätten den Gatten der Erstbeschwerdeführerin mitgenommen; seither sei dieser verschollen. Die Erstbeschwerdeführerin vermute, dass es sich bei den Entführern um Männer der Regierung gehandelt habe, die ihren Gatten aufgrund der Unterstützung der Rebellen mitgenommen hätten. Nach der Flucht habe sie von ihrer Mutter und ihrer Schwester erfahren, dass die Männer in Tschetschenien nach ihr und den Kindern suchen würden. Die Bescheide wiesen Verfahrensmängel auf: So habe die Behörde den Entscheidungen keine aktuellen Länderfeststellungen zu Grunde gelegt, sondern sie berufe sich auf teils unvollständige und veraltete Länderberichte. Diesbezüglich verwiesen die Beschwerdeführer auf Erkenntnisse des Asylgerichtshofes, wonach gerade bei einem politisch indizierten Fluchtvorbringen das Vorliegen aktueller Länderberichte Voraussetzung sei. In der Folge wurden in der Beschwerde einige Artikel zitiert, wonach sich die Lage im Nordkaukasus weiterhin als instabil und angespannt darstelle.

Die Erstbeschwerdeführerin werde seit ihrer Flucht von den Entführern ihres Mannes aktiv gesucht, weshalb davon auszugehen sei, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation von Menschenrechtsverletzungen betroffen sein werde. Weiters stelle sich die Beweiswürdigung der Behörde als unzureichend dar, die Erstbeschwerdeführerin habe ihr Vorbringen detailliert und lebensnah gestaltet; es werde daher der Antrag auf neuerliche Einvernahme und Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt. Die Beschwerdeführer würden in der Russischen Föderation aufgrund ihrer unterstellten oppositionellen Gesinnung sowie ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie verfolgt und es drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben. Jedenfalls erfordere eine Abschiebung in die Russische Föderation die Gewährung subsidiären Schutzes. Darüber hinaus wären die Beschwerdeführer sehr um ihre Integration bemüht, was sich unter anderem durch den Besuch von Deutschkursen zeige; weiters seien sie auch bemüht, soziale Kontakte und Freundschaften zu Österreichern zu knüpfen. Den Beschwerden wurde ein handschriftliches Schreiben angeschlossen, wonach die Beschwerdeführer Deutschkurse besuchen würden.

4. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 20.05.2016 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

4.1. Mit Schreiben vom 12.09.2017 wurden die Erstbeschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.11.2017 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, geladen.

Mit Schreiben vom 07.11.2017 beantragte die Erstbeschwerdeführerin die Verlegung dieser Verhandlung wegen Erkrankung der Zweitbeschwerdeführerin unter Beilage einer ärztlichen Bestätigung. Diesem Antrag leistete das Bundesverwaltungsgericht Folge und beraumte die für den 08.11.2017 terminisierte mündliche Verhandlung ab.

4.2. Mit Schreiben vom 14.11.2017 wurden die Erstbeschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl neuerlich zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.01.2018 geladen. An diesem Tag fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache, der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

4.2.1. Der Niederschrift dieser Verhandlung sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

"[...]

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit der BF abgeklärt, sodass ihr diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: Noch nicht, nein. Aber seit über einem Jahr habe ich starke Kopfschmerzen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich keine Medikamente nehme; ich war allerdings beim Arzt und er sagte mir, dass ich Probleme mit meiner Nase hätte - vielleicht hängen meine Kopfschmerzen damit zusammen oder es liegt am Stress. Darüber hinaus liegen keine gesundheitlichen Probleme vor.

R: Mir geht es zunächst um Ihr Leben in Österreich: Leben Sie hier mit Ihren minderjährigen Kindern im gemeinsamen Haushalt?

BF: Ja.

R: Leben Sie mit sonstigen Personen zusammen?

BF: Nein.

R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaats noch Verwandte?

BF: Hier in Europa habe ich noch Verwandte, aber ich weiß nicht wo. Ich habe jedenfalls keinen Kontakt zu ihnen. In Österreich leben keine Verwandten.

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat noch Verwandte?

BF: Ja, in Tschetschenien leben meine Mutter und drei Schwestern.

R: Wie geht es Ihren Familienangehörigen in der Russischen Föderation?

BF: Zwei Schwestern von mir sind verheiratet, die älteste aber nicht. Diese arbeitet als Lehrerin in einer Schule. Meine Mutter ist bereits in Pension.

R: Haben Sie zu ihren Verwandten Kontakt?

BF: Ja, über Whatsapp. Meine Schwester kontaktiert mich jeden Tag. Ich rede mit meinen Verwandten über Whatsapp telefonisch und schreibe mit ihnen.

R: Sprechen Sie deutsch? Haben Sie ein Deutschzeugnis?

BF: Ich habe Kurse besucht und kann relativ gut lesen und schreiben. Beim Reden tue ich mir allerdings etwas schwer. Meine Kinder können aber bereits deutsch.

BF legt eine Deutschkursbesuchsbestätigung sowie zwei weitere Bestätigungen der Caritas vor, die in Kopie als Anlage A zum Akt genommen werden.

R: (ohne Dolmetscher) Was haben Sie gestern gemacht?

BF (auf Deutsch): Ich bin gestern gekommen nach Wien mit meinen drei Kindern und bin zu Anwalt Caroline. Vorbesprechung für Interview.

R: Wissen Sie bereits, wann Sie zurückfahren werden?

BF (auf Deutsch): Mit dem Zug heute mit meinen drei Kindern.

R: Sind Sie selbsterhaltungsfähig (Frage wird erklärt)?

BF: Ich arbeite nirgends.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos), Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF: Noch nicht. Aber ich will selbst arbeiten. Ich möchte für meine Familie aufkommen.

R: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, wenn Sie ein Aufenthaltsrecht bekämen?

BF: Ich möchte in einem Geschäft arbeiten. Am liebsten wäre es mir in einem Modebekleidungsgeschäft. Zuerst muss ich allerdings die deutsche Sprache erlernen.

R: Welche Ausbildungen haben Sie in Österreich absolviert?

BF: Ich habe nur die Deutschkurse besucht. Darüber hinaus habe ich auch einen Nähkurs absolviert, in dem wir über 100 Kissen genäht haben für ein Museum in Graz.

BF legt in diesem Zusammenhang zwei Teilnahmebestätigungen vor, die in Kopie als Anlage B zum Akt genommen werden.

R: Wie nehmen Sie am sozialen Leben in Österreich teil (Mitgliedschaft bei Vereinen, Organisationen, ehrenamtliches Engagement, etc.)?

BF: Die Lehrer kommen zu uns und ich stehe mit ihnen in Kontakt; es sind sehr gute Lehrer.

R: Sind Sie strafrechtlich verurteilt?

BF: Nein. Mit dem Strafrecht kam ich nie in Berührung.

R: Ist Ihnen bekannt, dass Sie illegal nach Österreich einreisten?

BF: Ja, das weiß ich.

R: Was macht Ihr ältester Sohn gerade?

BF: Er besucht die erste Klasse Volksschule.

R:Wie tut sich Ihr Sohn in der Schule?

BF: Er lernt brav und zwei Mal in der Woche kommen Lehrer, die ihm helfen. Auch ich helfe ihm im Rahmen meiner Möglichkeiten manchmal.

R:Was macht Ihre Tochter?

BF: Meine Tochter besucht einen Kindergarten. Mein jüngster Sohn geht noch nicht in den Kindergarten.

R: Hat der Sohn, der bereits die Schule besucht, österreichische Freunde?

BF: Ja, sein bester Freund heißt Benjamin. Zu dessen Geburtstagsfeier war mein Sohn eingeladen. Jetzt wäre eigentlich unsere Rückeinladung fällig.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. der Integration äußern?

BF: Nein.

BF legt ergänzend die Schulbesuchsbestätigung für den ältesten Sohn (Anlage C), die Kindergartenbestätigung betreffend die Tochter (Anlage D) sowie mehrere Stellungnahmen des Vereins " XXXX " (Anlage E) in Kopie vor.

R: Sie wurden bereits beim Bundesamt bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen. Haben Sie dort immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF: Nein, ich habe nur die Wahrheit gesagt.

R: Wurden Ihnen die Niederschriften, die die Polizei im Rahmen der Erstbefragung und das Bundesamt mit Ihnen aufgenommen haben, rückübersetzt?

BF: Ja.

R: Haben Sie die Dolmetscher in den Einvernahmen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und dem Bundesamt gut verstanden?

BF: Ja.

R: Hat sich an den Gründen Ihrer Asylantragstellung seit Erhalt des angefochtenen Bescheids etwas geändert?

BF: Wenn ich nach Hause fahre, bekomme ich Probleme. Ich habe keinen Mann. Nach tschetschenischen Traditionen übernehmen dann die Großeltern die Kinder. (BF weint) Ich möchte aber, dass meine Kinder bei mir aufwachsen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass die Fluchtgründe, die ich genannt habe, nach wie vor aufrecht sind.

R: Wo sind Sie geboren und aufgewachsen?

BF: Ich wurde in Grosny geboren und bin dort aufgewachsen.

R: Lebten Sie bis zu Ihrer Ausreise in Gronsy?

BF: Ja.

R: Erzählen Sie mir bitte, wie Sie in Tschetschenien aufgewachsen sind; haben Sie die Schule besucht und einen Beruf ausgeübt?

BF: Ich habe die Grundschule und dann die pädagogische Hochschule besucht. Nach meiner Ausbildung habe ich gleich geheiratet. Deswegen habe ich nicht gearbeitet. Nach meiner Heirat habe ich gleich meinen ersten Sohn zur Welt gebracht. Ich war dann immer Hausfrau.

R: Mit wem sind Sie aufgewachsen?

BF: Ich habe nur drei Schwestern und eine Mutter. Ich bin mit diesen Personen aufgewachsen. (BF weint) Als ich fünf Monate alt war, starb mein Vater durch einen Stromschlag. Ich bin die Jüngste der Familie.

R: Wann sind Sie aus Tschetschenien ausgereist?

BF: Das Datum weiß ich nicht mehr. Ich bin zunächst von Tschetschenien nach Inguschetien gefahren, das war im September 2013. Im Oktober 2013 bin ich dann aus der Russischen Föderation ausgereist.

R: Erzählen Sie mir bitte mit eigenen Worten detailliert, warum Sie sich zum Verlassen Ihres Herkunftslandes gezwungen sahen.

BF: Mein Mann hatte Freunde, viele von ihnen kannte ich. Er hatte aber auch Freunde, die ich nicht kannte. Wenn sie zu uns kamen, fuhr ich zu meiner Mutter. Ich fragte meinen Mann, wer diese Leute seien, aber er sagte nur, dass es Freunde seien. Ich hatte damals schon den Verdacht, dass er mit Seperatisten in Verbindung steht. Ich fragte einige Male nach den Freunden, aber er sagte, dass mich das nichts angehe. Ich machte meinen Mann darauf aufmerksam, dass wir Probleme bekommen könnten, wenn er weiterhin mit diesen Personen in Verbindung stehe. Er versetzte mir sogar zweimal Schläge ins Gesicht, damit ich nicht weiter fragte. Ich habe dann nicht mehr gefragt, aber einmal Kartoffeln und Zwiebeln bei ihm gesehen. Dann habe ich wieder gefragt. Er sagte, dass er Geld bekommen habe, damit er den "Leuten im Wald" diese Lebensmittel bringt. Ich habe ihm damals auch gesagt, dass er keine Verbindung zu diesen Leuten haben solle, weil er sonst Probleme bekommen würde. Das war im Sommer 2013.

Nach zwei oder drei Monaten hat jemand in der Früh an die Tür unserer Wohnung geklopft. Wir sind alle aufgestanden und mein Mann hat die Tür aufgemacht. Die Leute waren maskiert; ich selbst habe sieben oder acht Männer gesehen. Ich habe den Leuten gesagt, dass mein Mann nichts getan hat, und gefragt, warum mein Mann mitgenommen wird. Sie meinten, dass ich auch mitgenommen würde, falls das notwendig wäre. Sie haben russisch gesprochen. Zu welcher Einheit sie gehörten, weiß ich aber nicht - ich vermute, dass sie den russischen Sicherheitsbehörden angehörten. Die Kinder haben geschrien, weil sie das alles gesehen haben; mein Sohn war drei, meine Tochter ein Jahr alt. Ich hatte auch große Angst. Sogleich habe ich meine Schwester angerufen, die meinte, ich solle sofort von dort weggehen. Ich habe nur Kindersachen mitgenommen und wir sind mit einem Taxi nach Inguschetien gefahren. Aufgrund ihrer Ausbildung hatte meine Schwester dort viele Bekannte. Sie fanden ein Quartier für uns, es war ein Haus, in dem mehrere Mieter waren. Dann kam meine Schwester und sie hat meine Dokumente und jene meiner Kinder für die Beantragung des Auslandspasses mitgenommen. Sie musste viel Geld bezahlen. Ich habe gewartet, bis der Auslandspass ausgestellt wurde. Als die Dokumente fertig waren, sind ich und meine Schwester nach Grosny gefahren und eine Frau hat uns ganz schnell die Dokumente ausgefolgt. Am selben Tag noch bin ich von Nasran nach Moskau gefahren. Von Moskau bin ich mit einem Taxi zu einem Bahnhof in der Nähe von Moskau gefahren. Von dort gelangte ich nach Brest und von dort nach Terespol.

R: Was wissen sie über die Unterstützung die ihr Mann den "Leuten im Wald" geleistet hat?

BF: Ich weiß nichts darüber. Ich habe nur die Kartoffeln und Zwiebeln mitbekommen. Ich wusste, dass wir Probleme bekommen würden, wenn man das in Erfahrung bringt, weil andere deswegen auch Probleme bekommen haben.

R: Wissen Sie, wie Ihr Mann Kontakt zu diesen Leuten hatte?

BF: Ich glaube, dass er nur mit Lebensmitteln geholfen hat. Andere Sachen habe ich bei Ihm nie gesehen.

R: Von wem hat er Geld bekommen, um das kaufen zu können?

BF: Er meinte, er habe das von einem Mann bekommen, nannte dessen Namen aber nicht.

R: Wann hat seine Unterstützungsleitung für die "Leute aus dem Wald" begonnen?

BF: Den Verdacht habe ich erstmals im Frühling geschöpft.

R: Haben Sie einen Verdacht, welcher Freund ihn dazu gebracht haben könnte?

BF: Nein, ich weiß davon nichts.

R: Wohin nach Inguschetien sind Sie gegangen, nachdem ihr Mann mitgenommen worden war?

BF: Nach Nasran, wo meine Schwester die Ausbildung gemacht hatte.

R: Das ist jetzt mehr als vier Jahre her. Haben Sie seitdem jemals wieder von Ihrem Mann gehört?

BF: Nein. Seine Verwandten haben aber nach ihm gesucht. Er hat dort Eltern und Geschwister.

R: Stehen Sie mit seinen Eltern oder Geschwistern in Kontakt?

BF: Nein, weil sie kein Whatsapp haben. Ich habe aber meiner Schwester Fotos von mir und meinen Kindern geschickt und diese hat sie meinen Schwiegereltern gezeigt.

R: Haben Ihre Schwiegereltern kein normales Telefon?

BF: Vielleicht haben sie ein Telefon, aber ich rufe nur über Whatsapp an, um die Kosten zu verringern.

R: Wie ist denn der Stand der Ermittlungen ihrer Schwiegereltern betreffend deren Sohn/Ihrem Mann? Haben sie etwas herausgefunden?

BF: Meine Schwester erzählte mir, dass meine Schwiegereltern sich bei der Polizei nach dem Verbleib meines Mannes erkundigt hätten, aber dort keine Antwort erhalten hätten.

R: Warum sollten jetzt Sie aufgrund des Verschwindens Ihres Mannes Probleme bekommen?

BF: Ich habe die Lebensmittel gesehen, vielleicht könnte ich deswegen Probleme bekommen. Vielleicht hat er ja bei der Polizei gesagt, dass ich die Lebensmittel gesehen habe.

R: Haben Sie gehört, dass nach Ihnen gefragt worden wäre, nachdem Sie ausgereist waren?

BF: Leute kamen zu meiner Mutter und meiner Schwester und fragten nach mir, doch sie sagten, dass ich nicht da sei. Meine Mutter und meine Schwester wurden geschlagen und meiner Schwester auch die Hand gebrochen. Man glaubte ihnen nicht, dass ich so schnell ausgereist sei.

R: Auch ich habe Schwierigkeiten, mir das plausibel vorzustellen. Warum sind Sie so schnell ausgereist, nachdem Ihr Mann mitgenommen wurde? Er hätte ja zu einem Verhör mitgenommen werden sein können - warum haben Sie nicht gewartet, ob er zurückkommt?

BF: So etwas passiert nicht, Leute verschwinden bei uns einfach.

R: Können Sie mir mehr zum Vorfall erzählen, als angeblich Sicherheitskräfte zu Ihrer Schwester und Ihrer Mutter kamen und ihrer Schwester den Arm brachen?

BF: Wie viele Leute damals gekommen sind, weiß ich nicht, aber es war ungefähr zwei Monate nach meiner Ankunft in Österreich.

R: Können Sie mir erklären, warum die Sicherheitsleute Sie bei der Verhaftung Ihres Mannes nicht auch gleich mitgenommen haben?

BF: Ich glaube nicht, dass sie mich gleich mitnehmen wollten, eben nur meinen Mann. Man wird dann gefoltert, das weiß ich.

R: Aber warum wurden Sie nicht auch gleich mitgenommen? Wären Sie im Visier der russischen Sicherheitskräfte gestanden, hätten sie ja ebenso verhaftet werden können.

BF: Sie wussten nicht, dass ich die Lebensmittel gesehen habe. Ich hätte das melden müssen, habe es aber niemanden gesagt.

R: Wenn Sie nach Russland zurückkehren müssten, könnten Sie dann nicht wo anders leben?

BF: Ich werde dort verfolgt. Man würde mich umbringen. Ich habe nicht vor, nach Russland zurückzukehren.

R: Gab es einen weiteren Vorfall, bei dem nach Ihnen gesucht worden wäre?

BF: Die Sicherheitskräfte kamen nur einmal, danach nicht mehr.

R gibt der RV die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

RV: Sie meinten, dass Ihre Schwester viel Geld für die Ausreisedokumente bezahlen musste. Handelte es sich dabei um normale Gebühren?

BF: Nein, das waren Schmiergelder.

RV: Sie haben am Anfang ganz kurz erwähnt, dass bei einer Rückkehr nach Russland die Kinder zu den Großeltern müssten.

BF: Ja, es handelt sich um tschetschenische Tradition: Wenn der Mann nicht da ist, werden die Kinder den Großeltern übergeben. Ohne Mann ist es in Tschetschenien schwer und ich möchte, dass meine Kinder bei mir aufwachsen.

R: Aber Sie selbst sind ja mit Ihren Geschwistern bei Ihrer Mutter aufgewachsen, damals war das ja auch kein Problem.

BF: Schon, aber wir hatten ein eigenes Haus. Mein Vater hatte dieses Haus gekauft. Meine Großeltern haben gegenüber gewohnt. Das Leben war nicht leicht, aber meine Mutter hat uns trotzdem erhalten.

R: Wohnen Ihre Schwiegereltern auch in Grosny?

BF: Nein, sie leben im Dorf XXXX im Rayon XXXX .

RV: Sprechen Ihre Kinder Russisch?

BF: Nein. Sie sprechen Tschetschenisch und gutes Deutsch.

RV: Gibt es in Tschetschenien Schulen, in denen Tschetschenisch gesprochen wird?

BF: In den Schulen wird Tschetschenisch und Russisch gesprochen. Es wird viel auf Russisch unterrichtet und die Tschetschenisch-Lehrer sprechen Tschetschenisch.

R: Sprechen Sie mit Ihren Kindern nicht tschetschenisch?

BF: Doch schon, aber sie vermischen die Sprachen häufig.

R: Gemeinsam mit der Ladung wurden Ihnen Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in ihrem Herkunftsstaat übermittelt. Bisher ging hierzu keine Stellungnahme ein. Wollen Sie sich nunmehr hierzu äußern?

BF: Ich weiß, dass die Lage in Tschetschenien nicht gut ist. Es werden dort Männer und Frauen mitgenommen, das passiert fast jeden Tag. Es wird aber auch viel gebaut. Alle sagen, dass dort alles aufgeblüht ist. Ich bekomme manchmal Nachrichten von anderen Frauen, die mir mitteilen, dass Ihre Männer verschwunden sind. Wenn man nach den Verschwundenen fragt, sagt die Polizei, dass darüber nichts bekannt sei.

RV legt eine Stellungnahme sowie einen EASO-Bericht in Kopie vor, die als Anlage F zum Akt genommen werden.

R: Ich habe zu ihrem Verfahren keine weiteren Fragen. Wollen Sie noch etwas angeben oder Anträge stellen?

BF: Ich möchte, dass meine Kinder hier die Ausbildung machen. Diese ist hier sehr gut und meine Kinder wollen auch hier bleiben. Hier sind wir in Sicherheit. Ich möchte auch arbeiten. Ich habe nicht vor, nach Russland zurückzukehren

R fragt die BF, ob sie die Dolmetscherin gut verstanden hat.

BF: Ja.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ja, danke.

[...]"

4.2.2. Die Erstbeschwerdeführerin legte in der Verhandlung nachstehende Unterlagen vor:

-

Bestätigung der Volksschule XXXX vom 12.10.2017 über den Besuch des Zweitbeschwerdeführers der Klasse 1C vom 11.09.2017 bis 06.07.2018;

-

Bestätigung der Volksschule XXXX vom 07.07.2017 über den Besuch des Zweitbeschwerdeführers der Vorschulstufe als außerordentlicher Schüler während des Schuljahres 2016/2017;

-

Bestätigungsschreiben des städtischen Kindergartens XXXX , vom 12.10.2017 über den Besuch der Drittbeschwerdeführerin seit September 2017;

-

Schreiben eines Mitglieds des Vereins " XXXX " vom 31.10.2017 betreffend den regelmäßigen positiven Kontakt mit der Familie;

-

Schreiben einer ehrenamtlichen Deutschlehrerin des Vereins " XXXX " vom 24.09.2017 über den erfolgreichen wöchentlichen Besuch des Deutschunterrichts durch die Erstbeschwerdeführerin, die an der Integration ihrer drei Kinder sehr bemüht sei;

-

Unterstützungsschreiben einer weiteren ehrenamtlichen Engagierten des Vereins " XXXX " vom 25.20.2017;

-

Unterstützungsschreiben des Vereins " XXXX " über den Deutschunterricht des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin und deren Erfolge;

-

Bestätigung des Kunsthauses Graz vom 19.07.2017 über die Teilnahme der Erstbeschwerdeführerin an einer näher genannten Veranstaltung;

-

Schreiben des Kunst- und Kulturvereins " XXXX " vom 20.07.2017 über den regelmäßigen Besuch von Workshops durch die Erstbeschwerdeführerin;

-

Kursbesuchsbestätigung des Vereins XXXX vom 11.04.2017 über einen besuchten Deutschkurs der Erstbeschwerdeführerin;

-

zwei Bestätigungsschreiben der " XXXX " vom 14.06.2016 und vom 03.11.2016 über die Teilnahme an einer außerordentlichen Spracherwerbsmaßnahme für Asylwerber in Grundversorgung durch die Erstbeschwerdeführerin.

4.2.3. Die Vertreterin der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme zu den vorab übermittelten Länderberichten vor. Darin wird auf einen auf September 2014 datierenden Bericht des European Asylum Support Office zu Tschetschenien betreffend Frauen, Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder verwiesen (dieser wurde der Stellungnahme in Kopie angefügt). Aus diesem sei ersichtlich, dass traditionsgemäß der Vater nach einer Scheidung erziehungsberechtigt sei. Einem tschetschenischen Rechtsanwalt zufolge beschritten Frauen nur in Ausnahmefällen den Rechtsweg, dies normalerweise auch nur bei Fragen des Umgangsrechts (die Frage, ob die Mutter ihre Kinder sehen dürfe); nur in ganz wenigen Fällen gehe es um das ausschließliche Sorgerecht. Die Herausforderungen entstünden meist erst nach Verkündung des Urteils, weil sich die Familie des Kindsvaters häufig der Vollstreckung in den Weg stelle. Eine Witwe werde von den Verwandten ihres verstorbenen Mannes gefragt, ob sie mit den Kindern im Haus ihrer angeheirateten Familie zu leben beabsichtige oder ob sie ein neues Leben ohne Kinder führen wolle.

Der Erstbeschwerdeführerin drohe im Falle einer Rückkehr Verfolgung durch die Entführer ihres Ehemanns. Diesbezüglich sei auch im Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation festgehalten, dass sich Rebellen in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens verstecken und sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan bewegen würden. Die Kämpfer würden immer nur Personen um Unterstützung wie Nahrung oder Medizin fragen, denen sie wirklich vertrauen würden, wie Verwandte, Freunde oder Bekannte. Gewalt gegen Frauen sei in Tschetschenien weit verbreitet und es stelle sich die Situation für Frauen im Allgemeinen schwierig dar; sie nähmen eine den Männern untergeordnete Position ein, welche durch den von Kadyrov propagierten Fokus auf traditionelle Werte weiter eingeschränkt werde. Die Beschwerdeführer fühlten sich in Österreich erstmalig sicher und könnten hier frei von Angst und Unterdrückung leben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage sämtlicher Anträge der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt und beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der Einvernahmen der Erstbeschwerdeführerin vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der bislang ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide vom 01.04.2016, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakte, das Zentrale Melderegister, das Strafregister, das Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Vierbeschwerdeführer, sie sind alle Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig. Die Erstbeschwerdeführerin lebte bis zu ihrer Ausreise gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehegatten in Grosny, wo der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin geboren wurden. Die Erstbeschwerdeführerin spricht Russisch und Tschetschenisch; sie besuchte in Tschetschenien elf Jahre die Grund- und Mittelschule und war fünf Jahre auf einer pädagogischen Hochschule, sie ging jedoch keiner geregelten Arbeit nach. Kurz nach ihrer Eheschließung wurde sie schwanger, ihr Ehemann kam finanziell für den Haushalt auf.

1.1.1. Im Jahr 2013 reiste sie gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin aus der Russischen Föderation nach Europa und gelangte über Polen nach Österreich, wo sie am 20.10.2013 für sich und ihre Kinder die ersten Anträge auf internationalen Schutz stellte. Diese Anträge wurden durch das Bundesverwaltungsgericht am 28.01.2014 rechtskräftig aufgrund der Dublin II-Verordnung zurück- und die Beschwerdeführer nach Polen ausgewiesen.

In weiterer Folge wurden die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden Kinder innerhalb der Überstellungsfrist nicht nach Polen überstellt. Nach Ablauf der Überstellungsfrist stellte die Erstbeschwerdeführerin sodann am 14.05.2014 für sich und ihre minderjährigen Kinder, darunter den zwischenzeitig am XXXX im Bundesgebiet geborenen jüngsten Sohn, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Die Beschwerdeführer befinden sich im Rahmen ihres Asylverfahrens durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet, leben gemeinsam in einer Flüchtlingsunterkunft und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte in Österreich zwar Deutschkurse, eine Deutschprüfung legte sie jedoch nicht ab; sie ist in der Lage, sich mit einfachen Worten in der deutschen Sprache auf alltagstauglichem Niveau zu verständigen. In ihrer Freizeit nahm sie an diversen Integrationsprojekten teil und besuchte Veranstaltungen des Integrationsvereins " XXXX ", wodurch sie auch Bekanntschaften mit Österreichern schloss.

In der Russischen Föderation leben nach wie vor die Mutter und drei Schwestern der Erstbeschwerdeführerin. Ihre Mutter bezieht Pensionsleistungen, zwei ihrer Schwestern sind verheiratet und haben Kinder, ihre älteste Schwester arbeitet als Lehrerin an einer Schule. Mit ihren Verwandten steht sie in regelmäßigem Kontakt über WhatsApp, zu einer ihrer Schwestern pflegt sie sogar täglichen Kontakt. Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig, sie leidet hin und wieder unter Kopfschmerzen, steht diesbezüglich jedoch nicht in Behandlung. Sie ist strafgerichtlich unbescholten und erfährt durch ihr soziales Umfeld einen starken Rückhalt für ihren Verbleib in Österreich.

1.1.3. Der Zweitbeschwerdeführer ist mit sieben Jahren das älteste Kind der Erstbeschwerdeführerin, er wurde in Tschetschenien geboren und verbrachte dort seine ersten drei Lebensjahre. Gemeinsam mit seiner Mutter und seiner kleineren Schwester kam er im Oktober 2013 nach Österreich. Er besucht seit September 2017 die erste Klasse der Volksschule XXXX , beherrscht die (gesprochene) tschetschenische und die deutsche Sprache und hat auch österreichische Freunde. Er leidet unter keinen schwerwiegenden Erkrankungen und stand in Österreich auch nicht in ärztlicher Behandlung.

1.1.4. Die Drittbeschwerdeführerin wurde ebenso in Tschetschenien geboren und kam eineinhalbjährig gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Österreich. Sie ist im Wesentlichen gesund; vom XXXX bis XXXX befand sie sich in stationärer Behandlung im Landesklinikum XXXX wegen Affektkrämpfen, wurde jedoch nach einem unauffälligen EEG wieder nach Hause entlassen. In Österreich besucht sie seit September 2017 einen städtischen Kindergarten; sie beherrscht die (gesprochene) tschetschenische und die deutsche Sprache.

1.1.5. Der Viertbeschwerdeführer ist der jüngste Sohn der Erstbeschwerdeführerin und wurde in Österreich geboren. Er ist gesund und besucht noch keinen Kindergarten.

1.2. Das von der Erstbeschwerdeführerin ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen konnte nicht festgestellt werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Re

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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