TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/23 W196 2148887-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2018
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Entscheidungsdatum

23.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W196 2148887-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über den Antrag auf internationalen Schutz vom 17.06.2015 von XXXX , geb. am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch RA Edward W. Daigneault, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2017, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Antrag von XXXX vom 17.06.2015 wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.06.2015 gab der Antragsteller an Staatsangehöriger Somalias, Angehöriger der Volksgruppe der Ashraf sowie muslimischen Glaubens und verheiratet zu sein. Im Herkunftsstaat habe der Antragsteller sechs Jahre die Grundschule besucht und beherrsche er die Sprache Somalisch in Wort und Schrift. Im Herkunftsstaat würden die Eltern, die drei Brüder, die drei Schwestern sowie die Ehefrau des Beschwerdeführers leben. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Antragsteller an, dass ihn die Terroristengruppe Al Sunnal Al Jamaca habe rekrutiert wollen und er deswegen sein Land habe verlassen müssen. Für den Fall einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

3. Mit Schriftsatz vom 05.12.2016 erhob der Antragssteller durch seine rechtsfreundliche Vertretung mit näherer Begründung Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gem. Art 130 Abs.1 Z.3 B-VG beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

4. Am 21.02.2017 wurde der Antragsteller vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab er eingangs der Befragung an gesund zu sein sowie keine Medikamente zu nehmen. Weiters wurde eine Bestätigung über die Entrichtung gemeinnütziger Arbeit in Vorlage gebracht und bestätigte der Antragsteller die bisher im Verfahren getätigten Angaben. Der Antragsteller stamme aus Somalia, Afgooye, gehöre dem Clan der Ashraf, Subclan der Hassan, Subsubclan der Sarmaan, an und sei seit April 2014 verheiratet. Von 2008 bis 20.02.2015 habe er in Dhuusamareeb gelebt, wo seine Frau auch weiterhin mit ihrer Familie wohnhaft sei; seine Familie - aktuell bestehend aus seinen Eltern, seinen zwei Brüdern und drei Schwestern - lebe in Afgooye. Sein Halbbruder sei am 20.02.2015 gestorben. Weiters habe er eine Großmutter mütterlicherseits in London, zu der er mehrmals die Woche Kontakt habe. Der Antragsteller habe die Grund- und Hauptschule in Afgooye besucht und danach in der Videothek seines verstorbenen Bruders gearbeitet, wo er auch seine Ehefrau kennengelernt habe. Sein anderer, noch lebender Bruder führe die Koranschule des Vaters weiter und arbeite die Mutter des Antragstellers als Obst- und Gemüseverkäuferin. Die Lebensumstände in Somalia seien gut gewesen und habe der Antragsteller zuletzt vor drei Monaten Kontakt zu seiner Ehefrau gehabt. Weiters habe er Freunde und Verwandte in Dhuusamareeb und habe er keinen Kontakt zu seinen entfernten Verwandten. Für den Fall einer Rückkehr könne der Beschwerdeführer bei seiner Familie in Afgooye leben, jedoch nicht bei seiner Frau in Dhuusamareeb, da sein Bruder von zwei Männern umgebracht worden sei und habe der Antragsteller diese daraufhin getötet. Weiters führte er an, dass er keine Probleme mit Behörden gehabt habe, auch niemals von staatlicher Seite verfolgt worden sei und niemals Mitglied einer Partei oder politischen Gruppierung gewesen sei. Seine Heimat habe er verlassen, weil die Herrscher von Dhuusamareeb sie aufgefordert hätten, ihr Geschäft zu schließen und mit der Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ) zusammenzuarbeiten. Sie hätten den Antragsteller und seinen Bruder gewarnt und beim dritten Mal, als sie die Videothek aufgesucht hätten und diese noch immer im Betrieb gewesen sei, das Geschäft zerstört. Der Bruder des Antragstellers sei daraufhin von den Männern erschossen worden. Der Antragsteller habe das mit eigenen Augen gesehen, weil er ihm zur Hilfe habe kommen wollen. Dann habe er selber das Feuer eröffnet und die beiden Männer getötet. Noch am selben Abend sei er im Schockzustand nach Guriceel gelaufen, sodann von Beledwenye nach Mogadischu und habe er daraufhin das Land verlassen. Er habe zwar das Gebiet der ASWJ verlassen, jedoch seien die Männer auch Mitglieder eines mächtigen Clans. Weiters machte der Antragsteller umfassende Angaben über den Clan der Ahraf sowie zu der Gegend, in der er aufgewachsen sei. Die Mitglieder der ASWJ seien Mitte Dezember zum ersten Mal zu ihnen ins Geschäft gekommen. Ansonsten hätten sie nur manchmal Probleme mit den Leuten aus der Umgebung gehabt, die der Meinung gewesen seien, sie würden schlechte Filme zeigen und schlechte Leute sein. Auf der Vorderseite des Grundstückes sei die Videothek gewesen und seien dahinter die Wohnungen des Antragstellers und seiner Frau, sowie jene seines Bruders und dessen Frau. Beim ersten Kontakt mit der Gruppierung seien der Antragsteller und sein Bruder im Geschäft gewesen. Die Männer hätten zu ihnen gesagt, sie sollen das Geschäft zusperren weil es eine Sünde sei, solche Filme zu zeigen. Wenn sie danach keine Arbeit hätten, könne sich der jüngere Bruder ihnen anschließen. Danach sei ein Monat vergangen, bis ungefähr am 15.01.2015 zwei Männer erneut hart mit seinem Bruder diskutiert hätten; der Antragsteller sei zu diesem Zeitpunkt bereits zuhause gewesen. Sie hätten zu seinem Bruder gesagt, das sei das letzte Mal, dass sie sie vorwarnen würden. Ob es sich um die gleichen Männer gehandelt habe wisse der Antragsteller nicht. Der dritte Kontakt sei am 20.02.2015 um 22:30 gewesen, kurz bevor sie das Geschäft schließen würden und sei der Antragsteller bereits in der Wohnung gewesen. Dann hätten die ASWJ ihr Geschäft zerstört und habe sein Bruder versucht zu retten, was man noch hätte retten können. Dann habe der Antragsteller Schüsse und Hilfeschreie der Nachbarn gehört, die gemeint hätten, er soll seinem Bruder helfen. Dann habe er die Waffe seines Bruders aus seinem Zimmer genommen und habe er seinen Bruder am Boden liegen gesehen und hätten die Männer weiter auf ihn geschossen, obwohl er schon tot gewesen sei. Dann habe der Antragsteller die Kontrolle verloren, das Feuer eröffnet und beide Männer erschossen. Er sei zurück in sein Haus, habe etwas Geld genommen und sei gelaufen, bis er in Guriceel angekommen sei. Die beiden Frauen seien in der Wohnung gewesen. Sie hätten nicht gewollt, dass er in das Geschäft reingeht. Die Männer hätten dem Hauptclan der Habr Gedir und dem Subclan der Cayr angehört; in Dhuusamareeb sei die Mehrheit der Leute diesem Clan zugehörig. Sie hätten nach ihm gesucht und sei Mogadischu ebenfalls voll mit Leuten aus dem Clan. Auch seien sie in Afgooye überall - das habe ihm sein Vater gesagt, welcher ihm geraten habe, das Land zu verlassen. An die Behörden habe er sich nicht wenden können, die ASWJ herrsche in Dhuusamareeb und habe er sich in Mogadischu versteckt halten müssen. Weiters schilderte der Antragsteller einen Vorfall aus der Zeit 2009/2010, als er von einem Angehörigen des Sublans Cayr erpresst und zusammengeschlagen worden sei. Für den Fall einer Rückkehr würden sie ihn jedenfalls umbringen, da er eine gesuchte Person sei. Die ASWJ sei überall, wobei sie in Galguduud am stärksten vertreten seien. Am Ende der Einvernahme wurden dem Antragsteller Passagen aus dem von der Behörde beigezogenen Länderinformationsblatt vorgehalten. Weiters wurde ihm die Möglichkeit geboten, sich dazu schriftlich zu äußern. Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Antragsteller an, dass er seit 17.06.2015 hier aufhältig sei und von der Grundversorgung lebe. Er engagiere sich ehrenamtlich und sei mit seinen Arbeitskollegen gut befreundet. Er habe keinen Deutschkurs des Niveaus A2 abgeschlossen, mache keine Ausbildungen und sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er habe auch keine Verwandten oder Familienangehörigen in Österreich.

Laut Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2017 habe der Antragsteller in seiner Einvernahme angegeben, dass er in Somalia zwei Männer erschossen habe und sei die EGFA sofort darüber in Kenntnis gesetzt worden. Da bis 27.02.2017 noch kein Abschlussbericht der Polizei bei der Staatsanwaltschaft eingelangt sei, habe der Asylantrag auch nicht fristgerecht bis 05.03.2017 bearbeitet werden können.

Der Säumnisbeschwerde wird gemäß Artikel 130 Abs. 1 Z 3 B-VG iVm § 8 Abs. 1 VwGVG sowie § 73 Abs. 1 AVG stattgegeben.

5. Am 18.05.2017 fand eine mündliche Verhandlung bzw. weitere Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Mit der Ladung wurden aktuelle Länderberichte zu Somalia mitgeschickt. Der Antragsteller wurde ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt und ihm Gelegenheit gegeben, zu den übermittelten Länderberichten Stellung zu nehmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verzichtete mit Schreiben vom 24.03.2017 auf die Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus dienstlichen und personellen Gründen und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des am 18.05.2017 aufgenommenen Protokolls.

Aus dem Protokoll der Befragung:

BF: Mein Vater heißt XXXX und die Mutter XXXX .

RI: Haben Sie Geschwister?

BF: Ich habe sechs Geschwister. Einer ist gestorben.

RI: Sie sind aus Afgooye, sind Sie dort geboren?

BF: Ja, geboren und aufgewachsen.

RI: Sie sind auch Ashraf?

BF: Ja. Darunter gehöre ich Hassan und Sarman an.

RI: Wie hat sich das auf Sie ausgewirkt?

BF: Ashraf sind religiöse Leute. Ich bin nicht religiös, ich bin ein bisschen anders. Das ist einer Minderheit in Somalia. Sie werden diskriminiert und sind nicht mächtig und stark. Die anderen sind mächtiger und stärker. Die Ashraf sind friedliche Leute. Sie werden aufgrund ihrer Religion respektiert und sie machen anderen keine Probleme. Sie machen den anderen keine Probleme und sie sind arme Leute.

RI: Was haben Sie zu Hause gearbeitet?

BF: Ich hatte eine Videothek. Sie gehörte mir und meinem Bruder.

RI: Wieso sind Sie nach Österreich gekommen?

BF: Ich wollte nicht in Österreich bleiben, ich wollte nach England. Mein Geld war aber aus und man hat mir gesagt, dass sie mich auch hier als Flüchtling aufnehmen. Ich habe in England eine Großmutter. Ein großes Problem hat mich veranlasst, Somalia zu verlassen. Mein Bruder wurde vor meinen Augen getötet. Ich war sehr schockiert und ich habe auf die Männer auf die meinen Bruder getötet haben, geschossen. Dann wollten sie auch mich töten. Ich habe auf sie geschossen. Dabei wurden die zwei Männer getötet. Ich habe keine anderen Männer gesehen. Das alles ist sehr schnell geschehen. Ich habe in unserer Videothek mit meinem Bruder gearbeitet. Es gibt Männer, Al Sunnal Al Jamaca, auch ASWJ, sie haben die Kontrolle über die Stadt Dhuusomareeb, Galgaduud. Ich bin Afgooye geboren und 2008 nach Dhuusomareeb gekommen. Ich habe bei meinem Bruder gelebt und auch geheiratet. Dann hat diese Gruppe die Kontrolle über die Stadt übernommen. Sie haben uns aufgefordert, die Videothek zu schließen und wir sollten uns an die Gruppe anschließen. Sie sind das erste Mal zu uns zwei gekommen, das zweite Mal war ich nicht da. Mein Bruder war allein. Ich habe bis 21 Uhr gearbeitet, danach hat mein Bruder gearbeitet. Sie sind zu meinem Bruder ins Geschäft gekommen. Sie sagten, wenn sie ein drittes Mal kommen, werden sie ihn töten. Und sie werden das Geschäft zerstören. Er hat das ignoriert und nicht ernst genommen. Am nächsten Tag in der Früh hat er mir davon erzählt. Nach kurzer Zeit sind sie wieder gekommen, ich weiß nicht ob es drei oder zehn Tage waren. Ich war zu Hause, ich war nicht im Geschäft. Das Geschäft liegt in der Nähe von meinem Haus. Sie haben das Geschäft zerstört. Mein Bruder hat versucht, sie zu hindern, die Waren zu zerstören. Ein Kunde hat an unsere Tür geklopft und hat mir gesagt, dass mein Bruder Probleme hat und ich ihm helfen soll. Ich habe gewusst, dass es die Männer sind. Ich bin in das Haus gegangen und habe das Gewehr geholt, mit dem er immer das Geschäft bewacht hat. Als ich kam, sah ich meinen Bruder auf dem Boden liegen. Sie haben weiter auf ihn geschossen. Ich habe es nicht ertragen können. Sie hätten mich auch getötet. Ich war schneller und habe geschossen. An diesem Abend hat der Bruder das Gewehr nicht mitgenommen. Ich war schockiert, als ich gesehen habe, dass sie auf ihn geschossen haben. Als ich die Männer am Boden liegen sah, war ich noch mehr schockiert. Ich bin gerannt und bin nach Hause gekommen. Ich habe das Gewehr auf den Boden geschmissen. Es gab wenig Geld zu Hause. Ich habe es genommen und bin weggelaufen. Ich bin in eine Stadt namens Guri Eel gegangen.

RI: Wieso sind Sie nicht mehr nach Hause nach Afgooye gegangen?

BF: Weil ich Leute erschossen habe, konnte mich meine Familie nicht beschützen. Es wurde nach mir gesucht. Die Männer sind Hawiye, Habr Gedir, Eyr. Bis Guri Eel bin ich zu Fuß gelaufen. Ich bin in einen LKW eingestiegen. Ich bin nach Beledweyne gekommen und von dort mit einem LKW nach Mogadischu gefahren.

RI: Und von Mogadischu sind Sie nach Österreich gekommen?

BF: Ja. Über die Türkei bis nach Österreich.

RI: Wenn Sie nach Mogadischu zurückkehren würden, was würde Ihnen passieren?

BF: Ich bin nicht sicher dort. Dieser Stamm ist mächtig dort und sie wissen alles.

BFV: Gab es als Sie in Dhuusomareeb waren auch AMISOM Truppen?

BF: Nein, ich habe sie nicht gesehen?

BFV: Gibt es auch Kämpfe mit anderen Klans?

BF: Sie kämpfen mit jedem. Sie kämpfen gegen die Regierung und Al-Shabaab.

BFV: Gibt es auch große Kämpfe?

BF: Es gibt immer Kämpfe in Somalia.

RI: Woher wissen die Verfolger, die Ihnen nach dem Leben trachten, dass Sie diese beiden Männer erschossen haben?

BF: Vor 6 Monaten war meine Frau in Dhuusomareeb und sie sagte mir, dass man nach mir sucht. Sie gehören einem großen Stamm an. Sie sind Eyr. Und ich gehöre einem kleinen Stamm an. Wenn Sie mich erwischen werden sie mich töten.

Vorgelegt wurde eine Beschreibung der ASWJ mit Hinweis auf deren Verbreitung im Land, sowie die Einstellung des Strafverfahrens des Beschwerdeführers bezüglich der zwei Erschossenen der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Innsbruck ergebe sich, dass der Beschwerdeführer im Affekt und überdies in Notwehr gehandelt habe, weswegen von der Strafverfolgung Abstand genommen werden würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz vom 17.06.2015, der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.06.2015, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 21.02.2017, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2017, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem sowie in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

1. Feststellungen:

Zur Person des Antragstellers

Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger des Clans der Ashraf, Subclan der Hassan, Subsubclan der Sarmaan und führt den im Spruch genannten Namen. Der Antragsteller beherrscht die Sprache Somalisch und hat im Herkunftsstaat sechs Jahre die Schule in Afgooye besucht. Danach lebte er mit seiner Frau in Dhuusomareeb, wo er gemeinsam mit seinem Bruder eine Videothek betrieben hat. Seine Eltern leben auch weiterhin in Afgooye und hat er überdies sechs Geschwister. Der Antragsteller ist gesund.

Der Antragsteller stellte nach illegaler Einreise am 17.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es wird nicht festgestellt, dass der Antragsteller einer konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt ist. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention im gesamten Staatsgebiet Somalias.

Nicht festgestellt wird, dass der Antragsteller aus Gründen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe und/oder seines Clans oder aus sonst in seiner Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens des Antragstellers, noch aus amtswegiger Wahrnehmung.

Festgestellt wird, dass der Antragsteller im Falle seiner Rückkehr nach Somalia aufgrund der instabilen und prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie insbesondere der schwierigen allgemeinen Versorgungslage Gefahr laufen würde, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

Der Antragsteller ist strafgerichtlich unbescholten.

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben:

KI vom 13.2.2017: Farmaajo neuer Präsident (betrifft: Abschnitt 2 / politische Lage)

Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia - in Garissa und Eastleigh - kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).

Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).

Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).

2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).

Quellen:

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017

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FR - Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,

https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017

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VOA - Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017

KI vom 19.1.2017: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

Nach einer schwachen Gu-Regenzeit im Jahr 2016 blieben auch die Regenfälle der Deyr-Regenzeit Ende 2016 aus. Von der Nahrungsversorgungsunsicherheit am schlimmsten betroffen sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Süden und nomadisch genutzte Gebiete im Nordosten des Landes (FEWSNET 16.1.2017). Alleine im sogenannten South-West-State sind 820.000 Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele suchen in größeren Städten nach Hilfe. Der Gouverneur der Region Bay schätzt, dass bereits rund 3.000 Familien aus ländlichen Gebieten nach Baidoa geflohen sind (UNSOM 16.1.2017). Dabei ziehen Nahrungsmittelpreise an: Der Preis für Mais liegt in Qoryooley 51% über dem Fünfjahresmittel; für Sorghum in Baidoa um 88% darüber (FEWSNET 16.1.2017).

Die humanitäre Situation in Somalia ist zunehmend fragil. Fünf Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.1.2017; vgl. UNSOM 16.1.2017) und leiden unter Nahrungsversorgungsunsicherheit (FAO 20.12.2016). 3,9 Millionen davon gelten als "stressed", 1,1 Millionen Menschen leiden unter akuter Nahrungsversorgungsunsicherheit (acutely food insecure) (UNOCHA 12.1.2017) und befinden sich auf den IPC-Stufen drei (Krise) und 4 (Not/Emergency). Alleine im zweiten Halbjahr 2016 hat die Zahl um 20% zugenommen. Prognosen lassen erwarten, dass die Zahl der akut Bedrohten im ersten Halbjahr 2017 um eine weitere Viertelmillion zunehmen wird. Ähnliche Bedingungen hatten im Jahr 2011 zu einer Hungersnot und Hungertoten geführt (FAO 20.12.2016). Folglich fahren humanitäre Organisationen ihre lebensrettenden Maßnahmen hoch, angesammelte Fonds werden angezapft (UNOCHA 12.1.2017).

Eine Entschärfung der Situation ist in rein nomadisch genutzten Gebieten nicht für Mai/Juni zu erwarten; in agro-pastoral genutzten Gebieten nicht vor Juni/Juli. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario bleibt auch die Gu-Regenzeit des Jahres 2017 - wie gegenwärtig prognostiziert - schwach und in der Folge sinkt die Kaufkraft auf das Niveau der Jahre 2010/2011. Reicht dann die humanitäre Hilfe nicht aus, wird eine Hungersnot (IPC 5) die Folge sein (FEWSNET 16.1.2017). Bereits jetzt werden vereinzelt Hungertote aus den Regionen Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo gemeldet (SMN 15.1.2017).

Quellen:

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FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (20.12.2016): With continued drought, Horn of Africa braces for another hunger season,

http://reliefweb.int/report/somalia/continued-drought-horn-africa-braces-another-hunger-season, Zugriff 19.1.2017

-

FEWSNET - Famine Early Warning Systems Network (16.1.2017): Severe drought, rising prices, continued access limitations, and dry forecasts suggest Famine is possible in 2017, http://www.fews.net/east-africa/somalia/alert/january-16-2017, Zugriff 19.1.2017

-

SMN - Shabelle Media Network (15.1.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo,

http://allafrica.com/stories/201701160709.html, Zugriff 19.1.2017

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.1.2017): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 12 January 2017), http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/somalia_humanitarian_snapshot_-_january_2017.pdf, Zugriff 19.1.2017

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UNSOM - UN Assistance Mission to Somalia (16.1.2017): Deputy SRSG de Clercq assesses humanitarian crisis in Somalia's South West state,

http://reliefweb.int/report/somalia/deputy-srsg-de-clercq-assesses-humanitarian-crisis-somalia-s-south-west-state, Zugriff 19.1.2017

KI vom 20.9.2016: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

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Die humanitäre Lage in Somalia bleibt prekär. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung sind auf Unterstützung angewiesen, eine Million Menschen können ihren grundlegenden Nahrungsbedarf nicht decken. 305.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Zwischen Jänner und Juni wurden ca. 490.000 Menschen mit Nahrungsmittelhilfe versorgt, 125.000 Kinder konnten wegen akuter Unterernährung behandelt werden (UNSC 6.9.2016). UNOCHA stellt hinsichtlich Nahrungsmittelsicherheit nebenstehende aktuelle Karte zur Verfügung (UNOCHA 9.9.2016).

Das Klimaphänomen El Niño führte in Somaliland und in Puntland zu Dürre. Dort sind 385.000 Menschen akut von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht, weitere 1,3 Millionen Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, ohne Unterstützung in eine akute Bedrohung abzugleiten (UNSC 6.9.2016; vgl. UNOCHA 1.9.2016). In Süd-/Zentralsomalia brachte El Niño hingegen schwere Regenfälle und teilweise Überschwemmungen (UNOCHA 1.9.2016).

Die Regenzeit Gu (März-Juni) brachte für Puntland und Somaliland zwar eine teilweise Entlastung; doch wird für den Zeitraum Juli-Dezember 2016 wieder eine Erhöhung der Nahrungsmittelunsicherheit erwartet (UNSC 6.9.2016). Für eine nachhaltige Besserung bedarf es mehr als nur einer guten Regenzeit. Prognosen zufolge könnte sich die Situation durch das nachfolgende Wetterphänomen La Niña weiter verschärfen. So bietet auch die Nahrungsmittelsicherheit in Süd-/Zentralsomalia zunehmend Grund zur Sorge. Derzeit sind also - v.a. im Norden - noch die Auswirkungen von El Niño zu spüren, während aufgrund von La Niña eine schlechte Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) erwartet wird. Die schwere Hungersnot der Jahre 2011/2012 war durch La Niña verursacht worden (UNOCHA 1.9.2016).

Quellen:

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2016): Somalia - Humanitarian Snapshot, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia%20Humanitarian%20Snapshot%20-%20September%202016.pdf, Zugriff 20.9.2016

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UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.9.2016): Humanitarian Bulletin Somalia, August 2016, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/August%202016%20Somalia%20Humanitarian%20Bulletin.pdf, Zugriff 20.9.2016

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UNSC - UN Security Council (6.9.2016): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2016/763], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1473923936_n1627603.pdf, Zugriff 20.9.2016

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren - mit der Ausnahme von al Shabaab - akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).

Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).

Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).

Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).

Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Die Bundesregierung hat einen Prozess zur Schaffung föderaler Bundesstaaten initiiert (BS 2016). Das Bundesparlament hat eine Grenz- und Bundeskommission einberufen, welche hinsichtlich der Grenzen der Bundesstaaten, Regionalverwaltungen und Bezirke beraten soll. Die Kommission wird von der UN und anderen Partnern unterstützt (UNSC 11.9.2015).

Der Schritt zur Föderalisierung hat zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: die Galmudug Interim Administration (GIA); die Interim Juba Administration (JIA); und die Interim South West Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 13.4.2016).

1) Im Juni 2015 fand in Cadaado die Staatsbildungskonferenz für den Bundesstaat Galmudug statt. Es sollte eine Galmudug Interim Administration (GIA) für die zentralen Regionen Galgaduud und Mudug geschaffen werden (UNSC 11.9.2015). In der Folge wurde eine Regionalversammlung gebildet, die im Juli 2015 Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (UNSC 11.9.2015; vgl. EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten (USDOS 13.4.2016). Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert (UNSC 11.9.2015) und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 13.4.2016). Fraktionen der ASWJ haben sich später mit der GIA arrangiert (UNSC 11.9.2015). Trotzdem kontrolliert ASWJ noch immer teile der GIA, darunter die wichtige Stadt Dhusamareb (UNSC 8.1.2016). Auch Puntland hat sich ursprünglich gegen die GIA gestellt, da es selbst den nördlichen Teil von Mudug beansprucht. Nach Verhandlungen hat die GIA ihre Ansprüche auf Nord-Mudug zurückgezogen (UNSC 11.9.2015). Unter die GIA fallen demnach neben Galgaduud noch die Bezirke Hobyo und Xaradheere (EASO 2.2016). Die GIA hat bei der Einrichtung ihrer Verwaltungsinstitutionen in der Übergangshauptstadt Cadaado Fortschritte gemacht. Auch wurden Anstrengungen unternommen, die Bevölkerung zu erreichen, Clanmilizen zu entwaffnen und Sicherheitskräfte auszubilden (UNSC 8.1.2016). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016).

2) Nach dem Ende einer zweijährigen Übergangsperiode wurde Sheikh Ahmed Islam "Madobe" am 15.8.2015 von der neuen, 75sitzigen Regionalversammlung des Bundesstaates Juba (Lower und Middle Juba, Gedo) als Präsident der Interim Juba Administration (IJA) angelobt (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 11.9.2015). Zuvor war im Mai 2015 die Regionalversammlung selbst in Kismayo eingerichtet worden. Dabei gab es auch Kritik und das Bundesparlament strebte eine Auflösung der Regionalversammlung an (UNSC 11.9.2015). Bei der Lösung von Konflikten zwischen Clans sowie innerhalb der Darod/Marehan auf dem Gebiet der IJA gibt es Fortschritte (UNSC 8.1.2016).

3) Nach anfänglichen Streitigkeiten über die Frage, ob der Bundesstaat South West aus drei oder sechs Regionen bestehen soll, einigte man sich auf die drei-Regionen-Lösung. Die Interim South West Administration (ISWA) umfasst nunmehr die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle. Im November 2014 wurde Sharif Hassan Sheikh Adan von einer ISWA-Konferenz zum Präsidenten gewählt. Damit wurde die Übergangsverwaltung ISWA offiziell geschaffen (USDOS 13.4.2016). Im August 2015 wurde ein Prozess gestartet, um eine ISWA-Regionalversammlung zu schaffen (UNSC 11.9.2015). Mit der Einrichtung der Regionalversammlung ist die Errichtung der ISWA abgeschlossen. Von den 146 Abgeordneten sind 30 weiblich (UNSC 8.1.2016).

4) Im August 2015 wurde von der Bundesregierung ein Prozess zur Bildung eines Bundesstaates Hiiraan-Middle Shabelle initiiert (UNSC 11.9.2015). Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben. Buulo Barde könnte die Hauptstadt des neuen Bundesstaates werden (UNSC 8.1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

AP - Associated Press (23.12.2015): Somalia no longer a failed state, just a fragile one, says UN. The Guardian, http://www.theguardian.com/world/2015/dec/23/somalia-no-longer-a-failed-state-just-a-fragile-one-says-un, Zugriff 20.4.2016

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016

-

UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Puntland

Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.12.2015; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.12.2015). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).

Puntland verfügt über ein Einkammernparlament (USDOS 13.4.2016). Im Januar 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.12.2015). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.12.2015). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).

Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 13.4.2016), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).

Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.12.2015).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Sicherheitslage

Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen. Es wurden die unterschiedlichen Akteure in Somalia kategorisiert:

* Die farbigen Gebiete zeigen Akteure, die über signifikanten Einfluss verfügen. Diese Akteure verfügen auch über Ressourcen, um diesen Einfluss zu garantieren. Derartige Akteure sind: Somaliland, Puntland, die Galmudug Interim Administration (GIA), AMISOM und die Somali National Army (SNA), die Jubbaland Interim Administration (JIA), al Shabaab (AS) und die Ahlu Sunna Wal Jama'a (Zentralsomalia; ASWJ). Einige Städte werden von anderen Parteien beherrscht: Von der Clan-Miliz SSC (Dulbahante; Khatumo), von der Clan-Miliz der Warsangeli, von ASWJ (Fraktion Gedo), von Clan-Milizen an der Grenze zu Äthiopien (in den Regionen Gedo, Bakool und Hiiraan). Eine Gebiete - und hier vor allem in Süd-/Zentralsomalia - werden von zwei dieser relevanten Akteure beeinflusst.

* In mit strichlierten Linien umrandeten Gebieten gibt es zusätzliche Akteure mit eingeschränktem Einfluss. Diese Akteure agieren neben den oben erwähnten Hauptakteuren, und sie verfügen nur über eingeschränkte Ressourcen (EASO 2.2016).

Kommentare zu den Eintragungen auf der Karte:

* In Puntland und Jubbaland wurden Zellen des Islamischen Staates markiert; diese Markierungen erfolgten auf der Grundlage anekdotischer Berichte über größere Gruppen von AS-Deserteuren.

* Einige der kleineren Ortschaften der al Shabaab wurden auf der Grundlange anekdotischer Berichte eingetragen.

* Hinsichtlich der Städte Buuhoodle (Togdheer) und Taalex (Sool) gibt es unterschiedliche Berichte und Informationen, die keine Grundlage bieten, diese Ortschaften mit einem relevanten Akteur zu verbinden.

* Die Karte zeigt für Qoryooley keine Garnison der AMISOM. Allerdings gibt es einen Stützpunk

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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