TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/23 W196 2128315-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.04.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.04.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W196 2128315-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geb. am XXXX , alias XXXX , StA. Somalia, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx und RA Dr. Lennart Binder, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.05.2016, Zl. 1091145002-151554775, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.06.2017, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX , alias XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , alias XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich seiner niederschriftlichen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.10.2015 gab der Beschwerdeführer an Staatsangehöriger Somalias und Angehöriger der Volksgruppe der Hawadle zu sein. Er bekenne sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben und sei sowohl traditionell als auch standesamtlich verheiratet. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer neun Jahre die Grundschule besucht und beherrsche er die Sprache Somalisch in Wort und Schrift. Dort würden die Eltern, die Ehefrau, der Sohn, der Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben; eine Schwester sei verstorben. Er habe Somalia im September 2015 illegal mit dem Flugzeug in Richtung Iran verlassen und sei sodann weiter über die Türkei illegal nach Europa gereist. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er von Al-Shabaab entführt und mit dem Tod bedroht worden sei. Er sei eine Woche lang festgehalten worden, jedoch habe er flüchten können, da Al-Shabaab angegriffen worden sei und selber habe flüchten müssen. Für den Fall einer Rückkehr habe er Angst von der Gruppe getötet zu werden.

Nach Durchführung einer Röntgenuntersuchung am 30.10.2015 und einer Volljährigkeitsbeurteilung am 09.01.2016 wurde festgehalten, dass das "fiktive" Geburtsdatum zum Zeitpunkt der Asylantragsstellung " XXXX " zu lauten habe.

Am 10.05.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und bestätigte er bisher im Verfahren die Wahrheit gesagt zu haben. Dabei gab er seinen vollständigen Namen an und führte dazu aus, dass er diesen bereits in seiner Erstbefragung so genannt habe. Zum Geburtsdatum befragt gab er weiters an, dass er dieses von seinem Vater wisse und habe er zur amtswegigen Änderung nach Durchführung einer Altersfeststellung nichts anzugeben. Der Beschwerdeführer gehöre zur Volksgruppe der Hawadle und dem Clan der Hawiye an, sei Moslem und habe in Beledwenye, Bundesland Hiiran, mit seiner Familie gelebt. Dabei habe es sich um seine Eltern und seiner Ehefrau gehandelt. Auch seien seine Schwester und sein Bruder dort wohnhaft gewesen. Der Beschwerdeführer habe seine Frau am 01.04.2014 geheiratet und hätten sie einen gemeinsamen Sohn; beide würden auch aktuell bei den Eltern leben. Seiner Familie gehe es gut. Vor seiner Ausreise aus Somalia im September 2015 habe sich der Beschwerdeführer zwei Wochen in Mogadischu aufgehalten. Davor sei er Verkäufer in einem Getränke- und Süßigkeitenladen gewesen. Der Beschwerdeführer sei niemals Mitglied einer politischen Partei, sonstigen Gruppierung oder einer terroristischen Vereinigung gewesen und habe auch niemals eine Straftat begangen. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates führte er an, dass ihn Al-Shabaab ins Gefängnis gebracht habe. Sie hätten ihn während der Arbeit angerufen. Im Laden habe es einen Fernseher gegeben, wo man Fußballspiele habe ansehen können. Wenn welche stattgefunden hätten, sei viel los gewesen. So habe Al-Shabaab im Mai 2015 angerufen und den Beschwerdeführer aufgefordert, das Geschäft zu schließen und wenn er Geld benötige, solle er sich ihnen anschließen. Das habe er ignoriert. Monate später habe er mit Freunden bei einem Fußballspiel teilgenommen, worauf hin Al-Shabaab die gesamte Mannschaft und den Trainer mitgenommen und eine Woche in ein Gefängnis gebracht habe. Danach seien die somalischen Regierungssoldaten gekommen, es habe einer Auseinandersetzung gegeben und seien sie von den Truppen befreit worden. Dann sei jeder für sich weggelaufen und sei der Beschwerdeführer zu Fuß nach Baladweyne zu seiner Familie gegangen, wo er erneut einen Anruf bekommen habe. Dabei hätten sie ihm gesagt, dass er das Gefängnis unerlaubterweise verlassen habe und sie ihn töten würden. Deswegen sei er eine Woche später nach Mogadischu geflogen und hätte von dort aus seine Flucht organisiert. Andere Schwierigkeiten habe er nicht gehabt. Er nehme an, dass man sie habe zwangsrekrutieren wollen, mehr könne er dazu jedoch nicht sagen. Während der sieben Tage seien sie auch fast täglich geschlagen worden, man hätte sie mit Wasser angespritzt und hätten sie nicht schlafen können. Es habe kaum was zum Essen gegeben und auch keine Toilette. In einem Raum seien ungefähr acht Leute gewesen. Der Beschwerdeführer sei keiner Befragung unterzogen worden, sie hätten aber mit dem Gericht und ihrer Ermordung gedroht, jedoch sei es nie dazu gekommen. Der Beschwerdeführer sei kein weiteres Mal angerufen worden und sei er auch niemals zuhause von Al-Shabaab aufgesucht worden. Er sei jedoch nicht im Heimatort verblieben, da er Angst gehabt habe von Al-Shabaab umgebracht zu werden. Auch habe er sich in Mogadischu versteckt gehalten und habe er auch dort Angst gehabt. Sie hätten ihn in ein Gefängnis gebracht und würden ihn auch kennen, zumal Al-Shabaab Mitglieder mit ihm in die Schule gegangen seien. Nach Vorhalt der aufliegenden Feststellungen, wonach Al-Shabaab aus Mogadischu vertrieben worden sei führte der Beschwerdeführer an, dass es nicht nur Soldaten, sondern auch normale Menschen seien. Diese Leute hätten Aufträge zu erfüllen und könne man sie nicht von anderen Menschen unterscheiden. In der Erstbefragung sei er nicht zu den telefonischen Drohungen befragt worden, weshalb er diese auch nicht erwähnt habe. Es habe nicht so viel Zeit gegeben und seien nicht so viele Fragen gestellt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ferner wurden dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt III. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57, 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Somalias sei, den im Spruch geführten Namen führe und gesund sei. Er habe keine Familienangehörigen im Bundesgebiet und würde in Somalia über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Es sei nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und die Behörde gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung zu befürchten habe. Auch sonst seien keine Hinderungsgründe hervorgekommen, womit eine Rückkehr zumutbar und möglich sei. Es würden unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände existieren, welche einer Abschiebung der Person des Beschwerdeführers nach Somalia entgegenstünden. Beweiswürdigend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer in keinem Fall seiner verschiedenen Erzählungen asylrelevante Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates genannt habe bzw. habe glaubhaft machen können. So hätten sich einige Widersprüche und Ungereimtheiten ergeben und sei nicht nachvollziehbar, dass die Milizen nach dem Beschwerdeführer suchen würden. Auch sei er in Mogadischu keinerlei Gefährdung ausgesetzt gewesen und habe eine Verfolgung seiner Person ausgeschlossen werden können. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der Beschwerdeführer eine seine Person betreffende asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht habe glaubhaft machen können. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass er bei einer Rückkehr nach Somalia in eine derart extreme Notlage geraten würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Unter Spruchpunkt III. wurde mit näherer Begründung und insbesondere im Hinblick auf die illegale Einreise des Beschwerdeführers und den vorübergehenden Aufenthalt darauf verwiesen, dass im Fall der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung und bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei. Letztlich wurde zu Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass der Beschwerdeführer binnen 14 Tagen ab Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise verpflichtet sei.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 25.05.2016 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben und nach Wiedergabe der Fluchtgründe insbesondere ausgeführt, dass die Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend geprüft hätte und ihr Vorgehen nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht entsprochen habe. Angesichts der Sicherheitslage sei es erforderlich gewesen, eine individuelle auf den Einzelfall abgestimmte Prüfung durchzuführen.

Mit Schriftsatz vom 09.03.2017 wurde unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Vollmacht eine Beschwerdeergänzung eingebracht. Nach Wiedergabe der Fluchtgründe wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer stets vollständige Angaben gemacht habe und die in seiner Erstbefragung angegebenen Fluchtgründe im Rahme der Einvernahme vor dem Bundesamt ergänzt und vervollständigt habe. Entgegen den Behauptungen der Behörde sei Al-Shabaab in Hiiran, trotz Präsenz von AMISOM, tätig und sei der Beschwerdeführer überdies erst dann geflüchtet, als es unbedingt notwendig gewesen sei. Aus den Länderberichten ergebe sich ferner, dass der Bürgerkrieg in Somalia auch weiterhin toben würde und seien somit die diesbezüglichen Behauptungen der Behörde, wonach der Beschwerdeführer ungestört im Herkunftsstaat leben könne, unverständlich. Überdies habe er umfangreiche Anstrengungen hinsichtlich seiner Integration vorgenommen, weshalb eine Rückkehrentscheidung nicht nur eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK, sondern auch von Art. 8 EMRK bedeuten würde.

Am 13.06.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somalisch statt, an der der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen.

Aus dem Protokoll der Befragung:

RI: Sie sind am XXXX geboren und stammen aus Baladweyne? Wie heißt Ihre Volksgruppenzugehörigkeit?

BF: Ich bin am XXXX geboren, ich stamme aus Baladweyne. Meine Volkskruppe ist Hawiye, Sub Clan Hawadle und SubSubclan Abdi Yussuf.

RI: Wieso habe ich ein Geburtsdatum XXXX im Akt?

BF: Ich habe die Zahl vorher angegeben, aber habe dann eine Altersfeststellung gemacht und die haben dann das andere heraus bekommen.

RI: Ihr Name ist Ahmed ABDULAAHI SIFAX

BF: Ja.

RI: Waren Sie in der Schule?

BF: Ich war 9 Jahre in der Schule.

RI: Erzählen Sie mir, warum Sie Somalia verlassen haben?

BF: Ich habe ein Geschäft gehabt. Es war ein Getränke und Teilweise auch Teigwarengeschäft. Es gab noch einen Raum, in dem Leute Fußball und Filme mit einem Fernseher schauen konnten. Das Geschäft gehörte mir. Ich war der Älteste in der Familie und habe für die Familie gearbeitet. Das Geschäft gehörte meiner Familie, aber ich war Geschäftsführer. Mein Vater ist jetzt verschollen, er hat in der Landwirtschaft gearbeitet. Al Shabaab hat mich angerufen. Ein unbekannter Mann hat mich angerufen. Er hat mich aufgefordert mein Geschäft zu schließen. Er hat mir gesagt, dass er Mitglied von Al Shabaab ist und hat mich aufgefordert das Geschäft zu schließen. Ich sollte das Geschäft überhaupt schließen. Ich habe ihm gesagt, dass ich auch Filme in einen Raum habe, das wusste er auch, aber er meinte, das dürfte nicht so weiter gehen. Ich habe das nicht ernst genommen und arbeitete weiter. Ich dachte, dass wäre jemand, der nur einen Scherz macht. Der Raum war sehr wichtig für Jugendliche, weil ich auch dadurch viel verdient habe. Ich habe diese Nummer, wo sie mich das erste Mal angerufen haben, weggeworfen und mir eine neue Handynummer genommen. Eine Weile arbeitete ich so weiter.

RI: Warum haben Sie das mit dem Handy gemacht? Haben Sie es jetzt ernst genommen oder nicht?

BF: Ich habe es nicht ernst genommen, aber sicherheitshalber habe ich sie gewechselt. Meine Freunde und ich sind eines Tages in Baladweyne Fußballspielen gegangen. Wir haben ein Auto gemietet und das Fußballspiel hat in einen Dorf in der Nähe von Baladweyne stattgefunden. Wir sind von diesem Dorf zurückgekommen und wollten zurück nach Baladweyne fahren. Wir waren am nach Hause weg, als uns eine Gruppe von Al Shabaab aufgehalten hat.

RI: Was war das für eine Gruppe? Wie viel Leute waren es? Warum hat man geschehen, dass es Al Shabaab war?

BF: In unserer Stadt gibt es die Behörde und die Al Shabaab. Sie waren maskiert. Die Al Shabaab Leute sind maskiert. Sie haben uns alle mitgenommen. Sie brachten uns in ein Dorf namens Halgen. Das ist in der Nähe von Baladweyne. 7 Tage waren wir dort eingesperrt.

RI: Wo waren Sie eingesperrt? Erzählen Sie das bitte ganz genau.

BF: Sie brachten uns zu einem Stützpunkt, welcher Al Shabaab angehört. Da drinnen war ein Gefängnis. Sie haben uns geschlagen, 7 Tage lang.

RI: Wie viele waren das? Also die Fußballspieler?

BF: 14, wenn ich mich mitzähle. Sie haben uns die ganze Zeit geschlagen, wir haben kaum Nahrungsmittel bekommen. Dieser Raum war sehr eng und es gab auch keine Toilette.

RI: Warum wurden Sie überhaupt von Al Shabaab gefangen genommen? Was wollte Al Shabaab von denen?

BF: Ich glaube, dass sie erfahren haben, dass wir gerade Fußball gespielt haben und die Al Shabaab ist gegen Fußball. Später haben sie uns gesagt, dass es verboten ist. Es war eine ganz schlimme Zeit als wir uns dort aufgehalten haben. Wir durften nicht auf die Toilette gehen und mussten machen was sie gesagt haben. In der Früh haben sie uns mit kaltem Wasser überschüttet. Sie haben uns geschlagen, Angst gemacht. Sie haben gesagt, wir werden vor Gericht kommen. Manchmal sagten sie uns, wir müssen mit ihnen zusammen arbeiten.

RI: Was meinen Sie mit manchmal müssen Sie mit ihnen zusammenarbeiten? Was ist Ihnen genau passiert?

BF: Später kamen zu diesem Stützpunkt Freunde aus der Schule von mir, die mir vorgeworfen haben, dass ich mich geweigert habe, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Die Freunde waren bei der Al Shabaab. Sie haben mir gesagt, dass ich das Gesetz gebrochen habe. Einerseits habe ich mich geweigert, andererseits habe ich mit den Filmen was Verbotenes gemacht. Sie haben über alles Bescheid gewusst. Sie wissen alles. Sie haben mir gesagt, ich würde alleine vor Gericht kommen, weil ich außer Fußball noch diesen Fernsehraum betrieben habe. Sie haben mich alleine inhaftiert und sie meinten ich werde vor Gericht kommen, nicht hier, aber ich werde wo anders hingebracht werden. Am siebten Tag, haben die somalischen Truppen den Stützpunkt gestürmt. Dort gab es eine Auseinandersetzung, es fielen Schüsse. Die Tür in den Raum wo wir waren war versperrt, aber man konnte die Türen leicht aufbrechen. Die Al Shabaab, die auf uns aufgepasst haben, sind auch weggelaufen. Es ist uns gelungen dort wegzulaufen. Jeder lief in eine andere Richtung. Ich bin zum Fluss gelaufen. Ich bin dort auf die andere Seite geschwommen. Eine Stunde bin ich dann gelaufen. Schließlich kam ich nach Baladweyne. Ich habe Angst gehabt und sie haben mir auch mein Handy weggenommen. Ich bin zu meinem Elternhaus gekommen. Ich habe mich nicht getraut, mich dort aufzuhalten. Mein Onkel mütterlicherseits kam zu mir. Er wohnt in einem anderen Bezirk, aber auch in Baladweyne. Ich lebte bei meinem Onkel, aber ich habe immer Angst gehabt. Ich lebte 10 Tage bei ihm. Ich habe mir ein neues Handy geholt, aber mit der alten Nummer. Am zweiten Tag hat Al Shabaab mich angerufen und sie haben mir gesagt, dass sie wissen, dass ich weggelaufen bin. Sie haben mir auch gesagt, dass ich eine schwere Straftat begangen habe. Sie haben mir gesagt, weil ich weggelaufen bin, bin ich gesetzlich zum Tode verurteilt. Mein Onkel mütterlicherseits war noch zu Hause an diesem Tag, mein Vater kam auch zu besuch. Ich erzählte ihnen die ganze Geschichte über das Telefonat. Ich erzählte meinem Onkel und meinem Vater, dass ich die Todesstrafe von der Al Shabaab bekommen habe. Während ich mich bei meinem Onkel aufgehalten habe, sagten mir mein Vater und mein Onkel, dass ich mich dort nicht mehr aufhalten dürfte, denn der Al Shabaab könnte ich nicht entkommen. Manchmal machen sie Hausdurchsuchungen und kommen von Haus zu Haus, ich wäre nicht sicher. Mein Vater und mein Onkel haben mich nach Mogadischu geschickt. Mein Vater hat gesagt, dass er unser Haus verkaufen wird. Mein Onkel hat mit dem Schlepper Kontakt aufgenommen und hat mir gesagt, ich soll bei ihm bleiben. Ich habe mich zwei Wochen beim Schlepper aufgehalten, er hat gesagt, dass er alles organisieren will. Er hat mir gesagt, dass Al Shabaab auch in Mogadischu ist und ich darf nicht aus dem Haus gehen. Zwei Wochen lebte ich in Mogadischu in Angst.

RI: Ihre Geschichte ist zwar grundsätzlich logisch, aber für mich bleiben Zweifel, weil die Bedrohung durch Al Shabaab und Ihre Reaktion teilweise nicht zusammen passen.

BF: Meine Familie ist auch durch die Dürre sehr betroffen.

RI: Ihre Familie ist nicht mehr in Baladweyne?

BF: Ja. Mein Vater hatte eine eigene Landwirtschaft in der Nähe von Baladweyne in einem kleinen Dorf, weil sie das Haus in Baladweyne verkauft haben. Er war vier Tage weg. Die Leute wollten ihm die Landwirtschaft wegnehmen. Keiner weiß wo er gerade ist. Es ist ungewiss ob er am Leben ist.

RI: Haben Sie einen Deutschkurs besucht?

BF: Ja.

BFV: Die derzeitige Dürrekatastrophe in Ostafrika nimmt immer bedrohlichere Ausnahmen an. Der BF wäre daher auf jeden Fall aus diesem Grund der Gefahr ausgesetzt im Falle der Rückkehr in eine existenzbedrohliche Notlage zu geraten.

Vorgelegt wurden eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs sowie ein Deutschkurs A1 des "Flüchtlingsprojekt Ute Bock".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, des Antrags auf internationalen Schutz vom 14.10.2015, der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.10.2015, der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.05.2016, sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2017, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger des Clans der Hawiye, Sub-Clan Hawadle, Sub-Sub-Clan Abdi Yussuf, aus Beledwenye, Bundesland Hiiran und führt den im Spruch genannten Namen. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Somalisch in Wort und Schrift und hat ungefähr neun Jahre die Schule besucht. Er ist verheiratet, hat ein Kind und ist gesund. Im Herkunftsstaat leben die Ehefrau, der Sohn, die Mutter, die Schwester und der Bruder des Beschwerdeführers und ist sein Vater unbekannten Aufenthaltes. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 14.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Somalia aufgrund der instabilen und prekären Sicherheits- und Menschenrechtslage sowie insbesondere der schwierigen allgemeinen Versorgungslage Gefahr laufen würde, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben:

KI vom 13.2.2017: Farmaajo neuer Präsident (betrifft: Abschnitt 2 / politische Lage)

Der frühere Regierungschef Mohamed Abdullahi Mohamed Farmaajo hat die Präsidentenwahl in Somalia gewonnen. Im zweiten Durchgang der Wahl am Mittwoch ließ der 54-jährige somalisch-amerikanische Doppelstaatsbürger Farmaajo den bisherigen Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich (NZZ 8.2.2017). Tausende Menschen feierten am Mittwochabend (8.2.2017) den Sieg von Farmaajo auf den Straßen von Mogadischu. Es gab Hupkonzerte, und Menschen umarmten Soldaten (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Auch in anderen somalischen Städten sowie in Kenia - in Garissa und Eastleigh - kam es zu spontanen Freudenfeiern, die als Ausdruck aufrichtiger Unterstützung für den neuen Präsidenten durch die Bevölkerung gewertet werden können (VOA 9.2.2017).

Die Wahl von Mohamed Farmaajo kam überraschend, galt doch der Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud als Favorit (FR 10.2.2017). Letzterer hat jedenfalls seine Niederlage eingestanden (NZZ 8.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017), und er forderte alle Somalis dazu auf, den neuen Präsidenten zu unterstützen. Farmaajo wurde unmittelbar angelobt (VOA 9.2.2017).

Die Durchführung einer allgemeinen und freien Wahl war in Somalia zwar nicht möglich gewesen; doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Die Medien konnten hinsichtlich der Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - ein gutes Zeichen (DW 10.2.2017).

2010/2011 war Farmaajo acht Monate lang Premierminister von Somalia gewesen. Damals hatte er sich einen Namen als Anti-Korruptionskämpfer erworben (FR 10.2.2017; vgl. VOA 9.2.2017). Seine Entlassung durch den damaligen Präsidenten Ahmed Sheikh Sharif führte zu heftigen Protesten der Bevölkerung (FR 10.2.2017).

Quellen:

-

DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 13.2.2017

-

FR - Frankfurter Rundschau (10.2.2017): Hoffnung für Somalia, http://www.fr-online.de/politik/wahl-hoffnung-fuer-somalia,1472596,35147632.html, Zugriff 13.2.2017

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (8.2.2017): Präsidentenwahl zwischen Sandsäcken und Ruinen,

https://www.nzz.ch/international/nahost-und-afrika/mohamud-in-somalia-abgewaehlt-praesidentenwahl-zwischen-sandsaecken-und-ruinen-ld.144287, Zugriff 13.2.2017

-

VOA - Voice of America (9.2.2017): Somalis Optimistic About New President,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html, Zugriff 13.2.2017

KI vom 19.1.2017: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

Nach einer schwachen Gu-Regenzeit im Jahr 2016 blieben auch die Regenfälle der Deyr-Regenzeit Ende 2016 aus. Von der Nahrungsversorgungsunsicherheit am schlimmsten betroffen sind landwirtschaftlich genutzte Gebiete im Süden und nomadisch genutzte Gebiete im Nordosten des Landes (FEWSNET 16.1.2017). Alleine im sogenannten South-West-State sind 820.000 Menschen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Viele suchen in größeren Städten nach Hilfe. Der Gouverneur der Region Bay schätzt, dass bereits rund 3.000 Familien aus ländlichen Gebieten nach Baidoa geflohen sind (UNSOM 16.1.2017). Dabei ziehen Nahrungsmittelpreise an: Der Preis für Mais liegt in Qoryooley 51% über dem Fünfjahresmittel; für Sorghum in Baidoa um 88% darüber (FEWSNET 16.1.2017).

Die humanitäre Situation in Somalia ist zunehmend fragil. Fünf Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA 12.1.2017; vgl. UNSOM 16.1.2017) und leiden unter Nahrungsversorgungsunsicherheit (FAO 20.12.2016). 3,9 Millionen davon gelten als "stressed", 1,1 Millionen Menschen leiden unter akuter Nahrungsversorgungsunsicherheit (acutely food insecure) (UNOCHA 12.1.2017) und befinden sich auf den IPC-Stufen drei (Krise) und 4 (Not/Emergency). Alleine im zweiten Halbjahr 2016 hat die Zahl um 20% zugenommen. Prognosen lassen erwarten, dass die Zahl der akut Bedrohten im ersten Halbjahr 2017 um eine weitere Viertelmillion zunehmen wird. Ähnliche Bedingungen hatten im Jahr 2011 zu einer Hungersnot und Hungertoten geführt (FAO 20.12.2016). Folglich fahren humanitäre Organisationen ihre lebensrettenden Maßnahmen hoch, angesammelte Fonds werden angezapft (UNOCHA 12.1.2017).

Eine Entschärfung der Situation ist in rein nomadisch genutzten Gebieten nicht für Mai/Juni zu erwarten; in agro-pastoral genutzten Gebieten nicht vor Juni/Juli. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario bleibt auch die Gu-Regenzeit des Jahres 2017 - wie gegenwärtig prognostiziert - schwach und in der Folge sinkt die Kaufkraft auf das Niveau der Jahre 2010/2011. Reicht dann die humanitäre Hilfe nicht aus, wird eine Hungersnot (IPC 5) die Folge sein (FEWSNET 16.1.2017). Bereits jetzt werden vereinzelt Hungertote aus den Regionen Bay (UNSOM 16.1.2017) und Gedo gemeldet (SMN 15.1.2017).

Quellen:

-

FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (20.12.2016): With continued drought, Horn of Africa braces for another hunger season,

http://reliefweb.int/report/somalia/continued-drought-horn-africa-braces-another-hunger-season, Zugriff 19.1.2017

-

FEWSNET - Famine Early Warning Systems Network (16.1.2017): Severe drought, rising prices, continued access limitations, and dry forecasts suggest Famine is possible in 2017, http://www.fews.net/east-africa/somalia/alert/january-16-2017, Zugriff 19.1.2017

-

SMN - Shabelle Media Network (15.1.2017): A Mother and her kids die of hunger in Gedo,

http://allafrica.com/stories/201701160709.html, Zugriff 19.1.2017

-

UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.1.2017): Somalia: Humanitarian Snapshot (as of 12 January 2017), http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/somalia_humanitarian_snapshot_-_january_2017.pdf, Zugriff 19.1.2017

-

UNSOM - UN Assistance Mission to Somalia (16.1.2017): Deputy SRSG de Clercq assesses humanitarian crisis in Somalia's South West state,

http://reliefweb.int/report/somalia/deputy-srsg-de-clercq-assesses-humanitarian-crisis-somalia-s-south-west-state, Zugriff 19.1.2017

KI vom 20.9.2016: Dürre (betrifft: Abschnitt 23 / Grundversorgung)

Bild kann nicht dargestellt werden

Die humanitäre Lage in Somalia bleibt prekär. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung sind auf Unterstützung angewiesen, eine Million Menschen können ihren grundlegenden Nahrungsbedarf nicht decken. 305.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut unterernährt. Zwischen Jänner und Juni wurden ca. 490.000 Menschen mit Nahrungsmittelhilfe versorgt, 125.000 Kinder konnten wegen akuter Unterernährung behandelt werden (UNSC 6.9.2016). UNOCHA stellt hinsichtlich Nahrungsmittelsicherheit nebenstehende aktuelle Karte zur Verfügung (UNOCHA 9.9.2016).

Das Klimaphänomen El Niño führte in Somaliland und in Puntland zu Dürre. Dort sind 385.000 Menschen akut von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht, weitere 1,3 Millionen Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, ohne Unterstützung in eine akute Bedrohung abzugleiten (UNSC 6.9.2016; vgl. UNOCHA 1.9.2016). In Süd-/Zentralsomalia brachte El Niño hingegen schwere Regenfälle und teilweise Überschwemmungen (UNOCHA 1.9.2016).

Die Regenzeit Gu (März-Juni) brachte für Puntland und Somaliland zwar eine teilweise Entlastung; doch wird für den Zeitraum Juli-Dezember 2016 wieder eine Erhöhung der Nahrungsmittelunsicherheit erwartet (UNSC 6.9.2016). Für eine nachhaltige Besserung bedarf es mehr als nur einer guten Regenzeit. Prognosen zufolge könnte sich die Situation durch das nachfolgende Wetterphänomen La Niña weiter verschärfen. So bietet auch die Nahrungsmittelsicherheit in Süd-/Zentralsomalia zunehmend Grund zur Sorge. Derzeit sind also - v.a. im Norden - noch die Auswirkungen von El Niño zu spüren, während aufgrund von La Niña eine schlechte Deyr-Regenzeit (Oktober-Dezember) erwartet wird. Die schwere Hungersnot der Jahre 2011/2012 war durch La Niña verursacht worden (UNOCHA 1.9.2016).

Quellen:

-

UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (9.9.2016): Somalia - Humanitarian Snapshot, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Somalia%20Humanitarian%20Snapshot%20-%20September%202016.pdf, Zugriff 20.9.2016

-

UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (1.9.2016): Humanitarian Bulletin Somalia, August 2016, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/August%202016%20Somalia%20Humanitarian%20Bulletin.pdf, Zugriff 20.9.2016

-

UNSC - UN Security Council (6.9.2016): Report of the Secretary-General on Somalia [S/2016/763], http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1473923936_n1627603.pdf, Zugriff 20.9.2016

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.12.2015).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.12.2015). Somalia ist keine Wahldemokratie. Es gibt keine demokratischen Institutionen. Das Parlament wurde durch Clan-Repräsentanten ausgewählt, und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Diese gibt den vier Hauptclans jeweils gleich viele Sitze, und den kleineren Clans und Minderheiten insgesamt halb so viele Sitze, wie einem Hauptclan. Trotzdem wird die Förderung der Demokratie formell von allen politischen Akteuren - mit der Ausnahme von al Shabaab - akzeptiert. So ist das politische System Somalias weder demokratisch noch autoritär; alles dreht sich um die Repräsentation auf Basis der Clans (BS 2016).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Das derzeitige Bundesparlament wurde konsensual unter Einbeziehung traditioneller Eliten bestimmt und hat dann den Präsidenten gewählt (AA 1.12.2015; vgl. USDOS 13.4.2016). Dies ist die erste Regierung Somalias seit 1991, der breite internationale Unterstützung zukommt (BS 2016). Somalia gilt laut dem UN-Repräsentanten nicht mehr als failed state, sondern als fragiles Land. Die Situation hat sich in den vergangenen drei Jahren stabilisiert (AP 23.12.2015; vgl. AA 1.12.2015).

Eigentlich waren für 2016 Wahlen vorgesehen. Der Präsident hat aber im Juni 2015 angekündigt, dass diese "one person, one vote"-Wahlen verschoben werden (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 8.1.2016). Dagegen hat es im Parlament Proteste gegeben (AI 24.2.2016). Ein von der Regierung einberufenes National Consultative Forum soll über einen anderen Wahlprozess für das Jahr 2016 beraten. Gleichzeitig soll das Forum auf Vorbereitungen für allgemeine Wahlen im Jahr 2020 treffen (UNSC 8.1.2016).

Obwohl seit dem Ende der Übergangsperiode wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet wird, ist die faktische Situation nach wie vor in all diesen Bereichen sehr mangelhaft (AA 1.12.2015). Die Erfolge der aktuellen Regierung bei Friedens- und Staatsbildung waren sehr bescheiden. Politische Grabenkämpfe zwischen dem Präsidenten und dem Premierminister haben zu mangelnder Kontinuität beim Regierungspersonal geführt (BS 2016). Zuletzt gab es im August 2015 eine Regierungskrise, als das Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Mohamud einleiten wollte (UNSC 11.9.2015; vgl. AI 24.2.2016). Dieses Begehren wurde später zurückgezogen (UNSC 8.1.2016).

Die anhaltenden politischen Grabenkämpfe und der Fokus auf die Föderalisierung haben die Regierung von Reformen im Justiz- und Sicherheitsbereich abgelenkt (HRW 27.1.2016). Das Clansystem hat wiederum die Einrichtung nachhaltiger Regierungs- und Verwaltungsstrukturen behindert (UNHRC 28.10.2015). Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt (AA 1.12.2015).

Es gab einen signifikanten Fortschritt bei der Einrichtung staatlicher Strukturen auf regionaler Ebene, und für alle Bezirke (außer Baardheere) gibt es vorläufige Verwaltungen (UNSC 8.1.2016). Gleichwohl gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach, wesentliche Staatsfunktionen können nicht ausgeübt werden (AA 1.12.2015). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 10.2015). Die regionalen Verwaltungen kämpfen noch damit, ihre Autorität durchzusetzen. Sie stehen dabei einem Mangel an Geld, einem Mangel an Regierungsinfrastruktur und einem Mangel an Personal gegenüber. Außerdem fehlt es an Details zu den Strukturen der Bundesstaaten sowie an breiter Unterstützung beim Staatsbildungsprozess (UNSC 8.1.2016). Die internationalen Partner werden auch weiterhin signifikante Unterstützung gewähren müssen (UNSC 8.1.2016), wie etwa über laufende Projekte zur Kapazitätsbildung und zu Kernfunktionen der Regierung durch die Weltbank und UNDP (UNSC 11.9.2015).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Die Bundesregierung hat einen Prozess zur Schaffung föderaler Bundesstaaten initiiert (BS 2016). Das Bundesparlament hat eine Grenz- und Bundeskommission einberufen, welche hinsichtlich der Grenzen der Bundesstaaten, Regionalverwaltungen und Bezirke beraten soll. Die Kommission wird von der UN und anderen Partnern unterstützt (UNSC 11.9.2015).

Der Schritt zur Föderalisierung hat zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: die Galmudug Interim Administration (GIA); die Interim Juba Administration (JIA); und die Interim South West Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 13.4.2016).

1) Im Juni 2015 fand in Cadaado die Staatsbildungskonferenz für den Bundesstaat Galmudug statt. Es sollte eine Galmudug Interim Administration (GIA) für die zentralen Regionen Galgaduud und Mudug geschaffen werden (UNSC 11.9.2015). In der Folge wurde eine Regionalversammlung gebildet, die im Juli 2015 Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (UNSC 11.9.2015; vgl. EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten (USDOS 13.4.2016). Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert (UNSC 11.9.2015) und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 13.4.2016). Fraktionen der ASWJ haben sich später mit der GIA arrangiert (UNSC 11.9.2015). Trotzdem kontrolliert ASWJ noch immer teile der GIA, darunter die wichtige Stadt Dhusamareb (UNSC 8.1.2016). Auch Puntland hat sich ursprünglich gegen die GIA gestellt, da es selbst den nördlichen Teil von Mudug beansprucht. Nach Verhandlungen hat die GIA ihre Ansprüche auf Nord-Mudug zurückgezogen (UNSC 11.9.2015). Unter die GIA fallen demnach neben Galgaduud noch die Bezirke Hobyo und Xaradheere (EASO 2.2016). Die GIA hat bei der Einrichtung ihrer Verwaltungsinstitutionen in der Übergangshauptstadt Cadaado Fortschritte gemacht. Auch wurden Anstrengungen unternommen, die Bevölkerung zu erreichen, Clanmilizen zu entwaffnen und Sicherheitskräfte auszubilden (UNSC 8.1.2016). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016).

2) Nach dem Ende einer zweijährigen Übergangsperiode wurde Sheikh Ahmed Islam "Madobe" am 15.8.2015 von der neuen, 75sitzigen Regionalversammlung des Bundesstaates Juba (Lower und Middle Juba, Gedo) als Präsident der Interim Juba Administration (IJA) angelobt (USDOS 13.4.2016; vgl. UNSC 11.9.2015). Zuvor war im Mai 2015 die Regionalversammlung selbst in Kismayo eingerichtet worden. Dabei gab es auch Kritik und das Bundesparlament strebte eine Auflösung der Regionalversammlung an (UNSC 11.9.2015). Bei der Lösung von Konflikten zwischen Clans sowie innerhalb der Darod/Marehan auf dem Gebiet der IJA gibt es Fortschritte (UNSC 8.1.2016).

3) Nach anfänglichen Streitigkeiten über die Frage, ob der Bundesstaat South West aus drei oder sechs Regionen bestehen soll, einigte man sich auf die drei-Regionen-Lösung. Die Interim South West Administration (ISWA) umfasst nunmehr die Regionen Bay, Bakool und Lower Shabelle. Im November 2014 wurde Sharif Hassan Sheikh Adan von einer ISWA-Konferenz zum Präsidenten gewählt. Damit wurde die Übergangsverwaltung ISWA offiziell geschaffen (USDOS 13.4.2016). Im August 2015 wurde ein Prozess gestartet, um eine ISWA-Regionalversammlung zu schaffen (UNSC 11.9.2015). Mit der Einrichtung der Regionalversammlung ist die Errichtung der ISWA abgeschlossen. Von den 146 Abgeordneten sind 30 weiblich (UNSC 8.1.2016).

4) Im August 2015 wurde von der Bundesregierung ein Prozess zur Bildung eines Bundesstaates Hiiraan-Middle Shabelle initiiert (UNSC 11.9.2015). Dieser Prozess wird weiter vorangetrieben. Buulo Barde könnte die Hauptstadt des neuen Bundesstaates werden (UNSC 8.1.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/319738/445108_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

AP - Associated Press (23.12.2015): Somalia no longer a failed state, just a fragile one, says UN. The Guardian, http://www.theguardian.com/world/2015/dec/23/somalia-no-longer-a-failed-state-just-a-fragile-one-says-un, Zugriff 20.4.2016

-

BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 24.3.2016

-

EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 14.4.2016

-

HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/318350/443530_en.html, Zugriff 22.3.2016

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (10.2015):

Asylländerbericht Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1729_1445329855_soma-oeb-bericht-2015-10.pdf, Zugriff 25.2.2016

-

UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,

http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx, Zugriff 23.3.2016

-

UNSC - UN Security Council (8.1.2016): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1453284910_n1600065.pdf, Zugriff 1.4.2016

-

UNSC - UN Security Council (11.9.2015): Report of the Secretary - General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1443010894_n1527126.pdf, Zugriff 23.3.2016

-

USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252727, Zugriff 14.4.2016

Puntland

Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.12.2015; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.12.2015). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).

Puntland verfügt über ein Einkammernparlament (USDOS 13.4.2016). Im Januar 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.12.2015). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.12.2015). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).

Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 13.4.2016), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).

Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.12.2015).

Quellen:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten