Entscheidungsdatum
24.04.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W215 2134070-2/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Republik Tadschikistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zahl 1027028409-170318431, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß
§ 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Republik Tadschikistan deren Identität nicht festgestellt werden kann, reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet und stellte am 31.07.2014 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Bei der Erstbefragung am selben Tag gab die Beschwerdeführerin als Fluchtgrund an: "Im Jahre 2005 bin ich vom Islam zum Christentum gewechselt. Seit damals habe ich mit meinen Bruder und mit meiner Mutter Probleme gehabt. Ich musste immer zu Hause bleiben und mein Bruder hat mich oft geschlagen. Es gibt sonst keine Arbeit in Tadschikistan. Die Leute in Tadschikistan bekommen im Monat ca. 100,-- US-Dollar. Aus diesem Grund bin ich nach Russland gereist und habe dort vom August 2013 bis Anfang Jänner 2014 gearbeitet. Das sind alle meine Fluchtgründe. Ich habe sonst keine weiteren Fluchtgründe..."
Anlässlich einer niederschriftlichen Befragung am 15.06.2015 gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an: "...Seit meiner Geburt bis 2013 habe ich im [...] gelebt. Dort lebte ich mit meinen Eltern, meinem Bruder und meiner Schwester. Das ist ein Eigentumshaus. [...] habe ich studiert in der [...] Universität [...] 2010 habe ich den Abschluss gemacht. Ich habe im XXXX gearbeitet, aber leider nur 6 Monate. [...] Am 15.04.2012 war ich mit zwei anderen Frauen und zwei kleinen Mädchen, mit dem Pfarrer und seiner Frau in der Kirche. Name und Adresse kann ich nicht angeben. [...] Ungefähr um 19.00 Uhr am Abend war das. Die Türen gingen auf und Männer kamen rein. Es waren sechs Männer. Ich habe Angst bekommen, da sie den zwei kleinen Mädchen was Böses tun und ich wollte die Mädchen verteidigen. Sie haben mich so stark geschlagen, mein ganzes Gesicht war voller Blut. Einer von diesen Männern hat mich auf meine linke Schulter getreten. Sie haben uns alle in den Kastenwagen gezerrt und weggebracht. [...] Sie haben auf den Pfarrer geschrien und haben gesagt: wie oft haben wir verlangt, dass du deine Kirche schließt. Die zwei Frauen haben Angst um ihre Mädchen gehabt und wir haben alle Angst bekommen, weil alle Männer bewaffnet waren. Sie haben uns außerhalb der Stadt [...] gebracht. [...] Wir waren bis zum nächsten Tag in dem Keller. Ich und der Pfarrer haben in der Ecke gesessen. Einer von diesen Männern ist zu uns gekommen. Er hat seinen Penis rausgeholt [...] Er hat in das Gesicht des Pfarrers gepinkelt. [...] Ich habe zu ihm gesagt:
ich pfeife auf dich und deine Religion. Ich habe zu ihm gesagt, dass Muhammad ein Pädophil ist und ich hasse den Islam. [...] sie mir dieses heiße Mittel auf die Schulter gegossen. Einer von den Männern hat mich stark getreten und meine linke Hand wurde dadurch gebrochen. Meine Finger wurden auch gebrochen. Befragt gebe ich an, dass mein linkes Schulterblatt gebrochen wurde. [...] Dem Pfarrer haben sie auch geschlagen und sie wollten die zwei Frauen vergewaltigen. Aber dann hat einer von denen gesagt: Lass sie, sie sind Russen und es ist nichts für uns, Russinnen zu vergewaltigen, die sind schmutzig. Sie haben die zwei Frauen geschlagen, bis um 06.00 Uhr in der Früh haben sie uns so schlecht behandelt. [...] Es war am 15.04.2012 und hat bis zum nächsten Tag in der Früh gedauert. [...] Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ging ich zum Pfarrer. [...] Er hat gesagt, dass ich wegfahren soll, weil die Leute mit mir alles Mögliche tun können und dass die Leute für alles fähig sind. LA: Wann war dieses Gespräch? VP: Ende Juni 2013. [...] Ich war sehr lange im Krankenhaus, beinahe ein halbes Jahr..."
Anlässlich einer niederschriftlichen Befragung der Beschwerdeführerin am 04.01.2016 gab diese unter anderem an, gesundheitliche Probleme zu haben. Mit den Ergebnissen der Anfragen im Herkunftsstaat sei die Beschwerdeführerin nicht einverstanden. Dass der Hauptpastor von dem Übergriff auf den von der Beschwerdeführerin genannten Pfarrer nichts wisse, bezeichnete sie als Unsinn. Vielleicht wolle der Hauptpastor, der nunmehr tätig sei, nicht alles sagen, die Behörde möge den von der Beschwerdeführerin genannten Pfarrer anrufen. Dazu, dass der Pfarrer bereits Anfang 2013 ins Ausland abgereist sei, trug die Beschwerdeführerin vor, dass sie ihn im Juli 2013 noch gesehen habe.
Mit Bescheid vom 11.08.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Republik Tadschikistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und es wurde gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Republik Tadschikistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht. Am 21.10.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihrer Rechtsberatung eine mündliche Verhandlung durch.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2017, Zahl W211 2134070-1/15E, wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm
§ 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm
§ 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und §
55 FPG als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Im Erkenntnis wird zusammengefasst festgestellt, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat ein Studium abgeschlossen und eine Zeit lang bei einem XXXX gearbeitet hat. Sie verdiente sich damit auch ihren Lebensunterhalt. In der Republik Tadschikistan leben noch die Eltern, ein Bruder, ein Onkel und die Großmutter. Die Beschwerdeführerin befand sich damals in regelmäßiger XXXX, nahm XXXX. Es wurde auf Grund des unglaubwürdigen Vorbringens nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Religion von radikalen Islamisten bedroht, verschleppt und verletzt wurde. Weiters konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Republik Tadschikistan aufgrund ihrer Religion verfolgt wird. Nicht festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Republik Tadschikistan in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Diese Erkenntnis wurde der Beschwerdeführerin am 30.01.2017 zugestellt.
2. Die Beschwerdeführerin kam ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieb illegal im Bundesgebiet und stellte am 13.03.2017 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
In den niederschriftlichen Befragungen am 13.03.2017 und 26.05.2017 behauptete die Beschwerdeführerin am 15.04.2012 mit einer Freundin und anderen Frauen eine körperliche Auseinandersetzung vor der Kirche wegen ihrer Schulden gehabt zu haben. Die Beschwerdeführerin sei angezeigt worden und daraufhin sei sie von tadschikischen Polizisten vom Haus ihrer Adoptiveltern abgeholt worden. Die Beschwerdeführerin sei am 17.04.2012 in einer Polizeistation von zwei Polizisten geschlagen und von vier Polizisten vergewaltigt worden. Die Beschwerdeführerin brachte beim Bundesamt für Fremdenwesen unter anderem auch folgend Unterlage in Vorlage: XXXX.
Aus einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Zulassungsverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahme einer XXXX .
Die Beschwerdeführerin wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und unter Anwendung des
§ 28 Abs. 1 StGB nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Strafgründe mildernd: das Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel, die XXXX ; erschwerend: das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.
Die Beschwerdeführerin wurde am 08.03.2018 niederschriftliche im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl befragt und gab dabei unter anderem zusammengefasst an, dass sie XXXX . Sie leugnete zunächst, dass sie strafrechtlich verteilt worden war und meinte auf Vorhalt, dass sie die Frage falsch verstanden habe. Die Beschwerdeführerin behauptet unter anderem, dass sie ganz genau wisse, dass sie am 15.04.2012 einen Streit mit einer Freundin vor der Kirche gehabt habe. Sie sei von dieser und anderen Frauen wegen Geldschulden vor der Kirche geschlagen worden. Danach sei sie angezeigt und am 17.04.2012 von Polizisten zur Polizeistation gebracht worden, wo man sie vergewaltigt habe. Die Beschwerdeführerin sei in Folge im August 2013 ausgereist; korrigierte diese Angaben und behauptete wiederholt bereits im August 2012 ausgereist zu sein.
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zahl 1027028409-170318431, wurde in Spruchpunkt I. der zweite Antrag auf internationalen Schutz vom 13.03.2017 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. In Spruchpunkt IV. wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. In Spruchpunkt V. wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Tadschikistan zulässig ist. In Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß
§ 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht. In Spruchpunkt VII. wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. In Spruchpunkt VIII. wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.12.2017 verloren hat.
Gegen diesen Bescheid, zugestellt am 21.03.2018, wurden fristgerecht am 17.04.2018 gegenständliche Beschwerde eingebracht. In der Beschwerde wird beantragt dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, dem Antrag auf Asyl stattzugeben, in eventu subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu festzustellen dass schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK vorliegt und eine Ausweisung aus Österreich unzulässig ist, in eventu das Verfahren an die Behörde erster Instanz zu Ermittlung und Feststellung des Sachverhaltes zurückzuverweisen.
3. Die Beschwerdevorlage vom 19.04.2018 langte am 20.04.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung W226 zur Erledigung zugewiesen. Nach einer Unzuständigkeitseinrede langte der Beschwerdeakt am 23.04.2018 in der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung ein. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2018 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass der Beschwerdeakt am 20.04.2018 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dieses Bundesgesetz regelt das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes (§ 1 VwGVG).
Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG). Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss (§ 31 Abs. 1 VwGVG).
Zu A)
1. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Wie eben ausgeführt, ist gemäß § 17 VwGVG der IV. Teil des AVG und somit auch
§ 66 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998, nicht anzuwenden.
Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 VwGVG).
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 VwGVG).
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Stand der Rechtslage 01.01.2014, § 28 VwGVG, Anmerkung 11).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des
§ 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.05.1985, 84/08/0085).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt.
Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zahl 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063-4, unter anderem ausgeführt, dass gemäß den Bestimmungen des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG bereits nach dem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht kommt, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 BVG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Weiters wird zusammengefasst ausgeführt, dass auch eine an der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 130 Abs. 4 B-VG orientierte Auslegung ergibt, dass eine Aufhebung des Bescheides der Verwaltungsbehörde jedenfalls erst dann in Betracht kommt, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen. Aus den im Erkenntnis wiedergegeben Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist ersichtlich, dass dem Verwaltungsgericht in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG angeordneten Fällen eine kassatorische Entscheidung nicht offensteht. Damit normiere § 28 VwGVG für die überwiegende Anzahl der Fälle die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, in der Sache selbst zu entscheiden. Derart wird (wie erwähnt) der sich schon aus Art. 130 Abs. 4 B-VG ergebenden Zielsetzung, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst entscheiden sollen, Rechnung getragen. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73f).
2. Im Fall der Beschwerdeführerin erweist sich der Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Die Beschwerdeführerin hatte im ersten Asylverfahren behauptet, dass sie seit Ihrer Geburt mit ihren Geschwistern im Elternhaus gelebt habe. Am Abend des 15.04.2012 sei sie gemeinsam mit zwei Frauen, zwei Mädchen, dem Pfarrer und dessen Frau in der Kirche gewesen. Islamisten seien in die Kirche gekommen, sie hätten den Pfarrer angeschrien und die Beschwerdeführerin in der Kirche körperlich attackiert. Ihre Finger seien gebrochen worden. Die in der Kirche anwesenden Personen seien sodann in einem Kastenwagen verbracht und später in einen Keller gesperrt worden. Nachdem alle Anwesenden bis 06:00 Früh malträtiert worden seien, hätten die Männer alle wieder in den Kastenwagen gezerrt und unterwegs nacheinander aus dem Kastenwagen geworfen. Die Beschwerdeführerin sei danach ein halbes Jahr im Spital gelegen und nach einem Gespräch mit dem Pfarrer im Juni 2013 im August 2013 ausgereist.
Im gegenständlichen zweiten Asylverfahren behauptete die Beschwerdeführerin jedoch, dass sie adoptiert worden sei, am 15.04.2012 mit einer Freundin der sie Geld geschuldet habe und anderen Frauen vor der Kirche eine körperliche Auseinandersetzung gehabt habe, deswegen angezeigt und am 17.04.2012 von Polizisten misshandelt und vergewaltigt worden sei. Sie sei bereits im August 2012 ausgereist.
Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2017, Zahl W211 2134070-1/15E, wurde im ersten Asylverfahren unter anderem festgestellt, dass sich die Beschwerdeführerin in regelmäßiger XXXX befindet und XXXX , einnimmt. Im erstinstanzlichen Akt liegt ein Schreiben XXXX.
Der gegenständliche Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl geht nicht ausreichend auf die psychische Verfassung der Beschwerdeführerin ein. Die extrem widersprüchlichen Angaben in den beiden Asylverfahren in Verbindung mit den oben genannten vorliegenden zahlreichen medizinischen Unterlagen und dem Strafurteil mit der darin festgestellten " XXXX ", hätten dazu führen müssen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen im Verfahren von einem/r Facharzt/-ärztin für Psychiatrie abklären lässt, ob die Beschwerdeführerin überhaupt in der Lage ist, gleichbleibende Angaben zu machen bzw. ob sie vernehmungsfähig ist.
Die Abklärung des Gesundheitszustandes eines Beschwerdeführers ist für die gesamtheitliche Würdigung in Hinblick darauf, ob möglicherweise die Vernehmungsfähigkeit auf Grund des Vorliegens eines Krankheitsbildes beeinträchtigt ist bzw. in Bezug auf die Wertung des Aussageverhaltens in der Vernehmung oder Verhandlung relevant (vgl. dazu VwGH 20.02.2009, 2007/19/0827 bis 0829-6; VwGH 28.06.2005, 2005/01/0080).
Das Ermittlungsverfahren ist jedenfalls mangelhaft geblieben. Mangels eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, insbesondere zum Gesundheitszustand bzw. zur Vernehmungsfähigkeit der Beschwerdeführerin fehlt dem Bundesverwaltungsgericht eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für die Lösung der Frage, ob die Beschwerdeführerin überhaupt in der Lage ist gleichbleibende Angaben zu machen. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht somit nicht fest.
Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Facharzt/eine Fachärztin für Psychiatrie beiziehen müssen, um den aktuellen Gesundheitszustand und die Vernehmungsfähigkeit der Beschwerdeführerin zu untersuchen. So wäre durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mittels entsprechender Fragestellungen zu erheben, ob die Vernehmungsfähigkeit der Beschwerdeführerin wegen eines Krankheitsbildes beeinträchtigt und die Beschwerdeführerin in der Lage ist Angaben zu den Gründen für ihre zweite Asylantragstellung zu machen, oder ob dem ihr Gesundheitszustand entgegensteht. Erst nach Beantwortung der soeben im Detail angeführten Fragen wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu erheben haben, ob im Herkunftsstaat falls nötig eine ausreichende Gesundheitsversorgung und Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem individuellen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin durch entsprechende Ermittlungen und darauf basierenden Feststellungen ist im gegenständlichen Asylverfahren bis dato nicht ausreichend erfolgt. Damit hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Wie der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß zu entnehmen ist, sollte eine ernsthafte Prüfung eines Antrages und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes jedenfalls nicht erst bei der Beschwerdebehörde beginnen, da dies nicht nur eine "Delegierung" der Aufgaben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an das Bundesverwaltungsgericht bedeuten, sondern auch den in der Rechtsordnung bewusst vorgesehenen Instanzenzug zur bloßen Formsache degradieren würde.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3
2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig weil diese Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dieser Beschluss beschäftigt sich mit der Tatsache, dass aus dem ersten Asylverfahren eine Erkrankung bekannt war und trotzt vorgelegter Unterlagen nicht abgeklärt wurde, ob die Beschwerdeführerin überhaupt vernehmungsfähig bzw. in der Lage ist gleichbleibende Angaben zu machen. Es ergaben sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise auf das Vorliegen von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die diesbezügliche Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass dadurch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Sachverhalt nicht umfassend ermittelt wurde. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegen keine grundsätzlichen Rechtsfragen vor, weil § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG inhaltlich
§ 66 Abs. 2 AVG (mit Ausnahme des Wegfalls des Erfordernisses der Durchführung einer mündlichen Verhandlung) entspricht und zusätzlich zur bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Zurückverweisung wegen mangelhafter Sachverhaltsermittlungen auch das Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063-4, heranzuziehen ist. Weder weicht der gegenständliche Beschluss von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen trifft § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eine klare im Sinne einer eindeutigen Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung vorliegen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Gesundheitszustand,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W215.2134070.2.00Zuletzt aktualisiert am
03.05.2018