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E000 EU- Recht allgemein;Norm
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision des Arbeitskreises z, vertreten durch Dr. Werner Heißig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 14, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 10. September 2015, Zl. LVwG 46.23-1781/2015-5, betreffend Parteistellung in einem wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Landeshauptmann von Steiermark; mitbeteiligte Parteien: 1. Ing. P M in S, 2. DI A L in D, beide vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Kostenersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 22. April 2015 wies der Landeshauptmann von Steiermark (im Weiteren: LH) den Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung der Parteistellung im Wasserrechtsverfahren betreffend das Kraftwerk S vom 24. Februar 2015 ab und führte begründend aus, Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens sei nicht unmittelbar anwendbar.
2 Die dagegen von der revisionswerbenden Partei eingebrachte Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom 10. September 2015 gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, §§ 12, 102 WRG 1959 sowie § 8 AVG mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides insofern geändert werde, als der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung der Parteistellung im Wasserrechtsverfahren betreffend das Kraftwerk S vom 24. Februar 2015 zurückgewiesen werde (Spruchpunkt I.). Das LVwG erklärte gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt II.).
3 Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens habe keine unmittelbare Wirkung. Gegenständlich sei zu klären, ob die revisionswerbende Partei als nach dem UVP-G anerkannte Umweltorganisation im wasserrechtlichen Verfahren über eine Anlage, welche möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt habe bzw. welche möglicherweise zu einer Verschlechterung des Gewässerzustandes führe, Partei sein könne. Die "Materie des Gewässerzustandes" sei unionsrechtlich durch die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie - WRRL) geregelt und es unterliege damit der Ausgangsrechtsstreit dem Unionsrecht.
4 Es sei nunmehr zu klären, ob der revisionswerbenden Partei Parteistellung im Abänderungsverfahren betreffend die Trassenführung beim Kraftwerk S zustehe. Aufgrund der Bestimmungen des WRG 1959 sei eine Parteistellung für anerkannte Umweltorganisationen - anders als im UVP-Verfahren - nicht gegeben. Eine anerkannte Umweltorganisation stelle im Sinne des WRG 1959 keine Partei dar. Explizit werde nur Personen Parteistellung zuerkannt, deren Rechte im Sinne des § 12 Abs. 2 WRG 1959 sonst berührt würden. Dabei handle es sich um rechtmäßig geübte Wassernutzungen, Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 und das Grundeigentum. Eine Parteistellung von Umweltorganisationen ohne subjektive Betroffenheit in wasserrechtlich geschützten Rechten, wie im vorliegenden Fall beantragt, sei nicht vorgesehen.
5 Wenn die revisionswerbende Partei ausführe, dass aufgrund des Urteils des EuGH vom 8. März 2011, C-240/09, Lesoochranarske zoskupenie, von einer unmittelbaren Anwendung des Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens auszugehen sei, so sei dem zu entgegnen, dass aus dem genannten EuGH-Urteil ersichtlich sei, dass die Bestimmung des Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens keine klare und präzise Verpflichtung enthalte, die die rechtliche Situation Einzelner unmittelbar regeln könnte. Da nur "Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige im innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen", Inhaber der maßgeblichen Rechte seien, hingen die Durchführung und Wirkung dieser Vorschriften vom Erlass eines weiteren Rechtsaktes ab. Mangels einer einschlägigen "Regelung der Union" sei es Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz für Rechte gewährleisteten, welche aus dem Unionsrecht erwüchsen. Ausdrücklich festgehalten werde, dass Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens im Unionsrecht keine unmittelbare Wirkung habe. Die Mitgliedstaaten bzw. die Gerichte und Behörden hätten jedoch die nationalen Verfahrensbestimmungen so auszulegen, dass sie möglichst im Einklang mit den Zielen des Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens stünden.
6 Dies bedeute richtigerweise, dass die innerstaatlichen Bestimmungen möglichst weit ausgelegt werden müssten, um es einer Umweltorganisation zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen sei, vor einem Gericht anzufechten. Zu berücksichtigen sei aber, dass die innerstaatlichen Bestimmungen des Wasserrechts ganz konkret die Parteistellung für ein derartiges Verfahren regelten. Diese Bestimmungen hinsichtlich der Parteistellung im Wasserrechtsverfahren ließen aber keine Interpretation zu, dass auch Umweltorganisationen ohne subjektive Betroffenheit Parteistellung eingeräumt werde.
7 Da einerseits Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens nicht unmittelbar anwendbar sei und andererseits die Durchführung der Wirkung dieser Bestimmung vom Erlass anderer Rechtsakte abhänge, sei eine Parteistellung basierend auf Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens in einem wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren auszuschließen. Da somit bereits die Antragslegitimation der revisionswerbenden Partei aufgrund der Vorgaben des Wasserrechtsgesetzes nicht gegeben sei, sei der Spruch des angefochtenen Bescheides insofern abzuändern gewesen, als der Antrag zurückzuweisen gewesen sei.
8 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei, der grundsätzliche Bedeutung zukomme. Weder weiche die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehle es an einer Rechtsprechung. Weiters sei die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls lägen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
9 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, in eventu die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 nicht gebunden. Die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 2. Die revisionswerbende Partei brachte im Rahmen der Zulässigkeitsgründe gemäß § 28 Abs. 3 VwGG im Wesentlichen vor, es sei bislang durch höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht geklärt, ob aufgrund der Bestimmungen der §§ 8 AVG iVm § 102 Abs. 1 sowie § 104a WRG 1959 iVm Art. 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens Umweltorganisationen wie der Revisionswerberin in einem wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren Parteistellung einzuräumen sei.
14 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch berechtigt.
15 3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts sowie der nationalen Vorschriften sind folgende:
16 3.1. Die relevanten Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens
haben folgenden Wortlaut:
"Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieses Übereinkommens
1.
...
4.
bedeutet ‚Öffentlichkeit' eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen;
5. bedeutet ‚betroffene Öffentlichkeit' die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; im Sinne dieser Begriffsbestimmung haben nichtstaatliche Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen, ein Interesse.
Artikel 6
Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte
Tätigkeiten
(1) Jede Vertragspartei
a) wendet diesen Artikel bei Entscheidungen darüber an, ob
die in Anhang I aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden;
b) wendet diesen Artikel in Übereinstimmung mit ihrem
innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten an, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Zu diesem Zweck bestimmen die Vertragsparteien, ob dieser Artikel Anwendung auf eine derartige geplante Tätigkeit findet;
c) ...
Artikel 9
Zugang zu Gerichten
(1) ...
(2) Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer
innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der
betroffenen Öffentlichkeit,
(a) die ein ausreichendes Interesse haben und
(b) eine Rechtsverletzung geltend machen,
sofern das Verwaltungsverfahrensrecht einer Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensmäßige Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Artikel 6 und - sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet des Absatzes 3 - sonstige einschlägige Bestimmungen dieses Übereinkommens gelten.
Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmt sich nach den Erfordernissen innerstaatlichen Rechts und im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit im Rahmen dieses Übereinkommens einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 2 Nummer 5 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstaben a. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstaben b verletzt werden können.
Absatz 2 schließt die Möglichkeit eines vorangehenden Überprüfungsverfahrens vor einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis der Ausschöpfung verwaltungsbehördlicher Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht.
(3) Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, dass Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen."
17 3.2. Die WRRL hat im Zusammenhang mit dem von der Revisionswerberin geltend gemachten Anspruch auf Beachtung des Verschlechterungsverbotes folgenden (auszugsweise) Wortlaut:
"Artikel 4
Umweltziele
(1) In Bezug auf die Umsetzung der in den Bewirtschaftungsplänen für die Einzugsgebiete festgelegten Maßnahmenprogramme gilt folgendes:
a) bei Oberflächengewässern:
i) die Mitgliedstaaten führen, vorbehaltlich der Anwendung
der Absätze 6 und 7 und unbeschadet des Absatzes 8, die
notwendigen Maßnahmen durch, um eine Verschlechterung des Zustands
aller Oberflächenwasserkörper zu verhindern;
ii) ...
(4) Die in Absatz 1 vorgesehenen Fristen können zum Zweck der stufenweisen Umsetzung der Ziele für Wasserkörper verlängert werden, sofern sich der Zustand des beeinträchtigten Wasserkörpers nicht weiter verschlechtert und die folgenden Bedingungen alle erfüllt sind:
...
(5) Die Mitgliedstaaten können sich für bestimmte Wasserkörper die Verwirklichung weniger strenger Umweltziele als in Absatz 1 gefordert vornehmen, wenn sie durch menschliche Tätigkeiten, wie gemäß Artikel 5 Absatz 1 festgelegt, so beeinträchtigt sind oder ihre natürlichen Gegebenheiten so beschaffen sind, dass das Erreichen dieser Ziele in der Praxis nicht möglich oder unverhältnismäßig teuer wäre, und die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
...
(6) Eine vorübergehende Verschlechterung des Zustands von Wasserkörpern verstößt nicht gegen die Anforderungen dieser Richtlinie, wenn sie durch aus natürlichen Ursachen herrührende oder durch höhere Gewalt bedingte Umstände, die außergewöhnlich sind oder nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbar waren, insbesondere starke Überschwemmungen oder lang anhaltende Düren, oder durch Umstände bedingt sind, die durch nach vernünftiger Einschätzung nicht vorhersehbarer Unfälle entstanden sind, und wenn sämtliche nachstehenden Bedingungen erfüllt sind:
...
(7) Die Mitgliedstaaten verstoßen nicht gegen diese Richtlinie, wenn:
...
(8) Ein Mitgliedstaat, der die Absätze 3, 4, 5, 6 und 7 zur Anwendung bringt, trägt dafür Sorge, dass dies die Verwirklichung der Ziele dieser Richtlinie in anderen Wasserkörpern innerhalb derselben Flussgebietseinheit nicht dauerhaft ausschließt oder gefährdet und mit den sonstigen gemeinschaftlichen Umweltschutzvorschriften vereinbar ist.
(9) ...
Artikel 14
Information und Anhörung der Öffentlichkeit
(1) Die Mitgliedstaaten fördern die aktive Beteiligung aller interessierten Stellen an der Umsetzung dieser Richtlinie, insbesondere an der Aufstellung, Überprüfung und Aktualisierung der Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass sie für jede Flussgebietseinheit Folgendes veröffentlichen und der Öffentlichkeit einschließlich den Nutzern zugänglich machen, damit diese Stellung nehmen kann:
...
(2) Um eine aktive Einbeziehung und Anhörung zu ermöglichen, räumen die Mitgliedstaaten für schriftliche Bemerkungen zu diesen Unterlagen eine Frist von mindestens sechs Monaten ein.
..."
18 3.3. Die hier relevanten Bestimmungen des AVG haben folgenden Wortlaut:
"Beteiligte; Parteien
§ 8. Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, sind Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien."
19 3.4. Die hier relevanten Bestimmungen des WRG 1959 lauten auszugsweise:
"Grundsätze für die Bewilligung hinsichtlich öffentlicher Interessen und fremder Rechte.
§ 12. (1) ...
(2) Als bestehende Rechte im Sinne des Abs. 1 sind rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauches (§ 8), Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 und das Grundeigentum anzusehen.
(3) ...
Parteien und Beteiligte.
§ 102. (1) Parteien sind:
a) der Antragsteller;
b) diejenigen, die zu einer Leistung, Duldung oder
Unterlassung verpflichtet werden sollen oder deren Rechte (§ 12 Abs. 2) sonst berührt werden, sowie die Fischereiberechtigten (§ 15 Abs. 1) und die Nutzungsberechtigten im Sinne des Grundsatzgesetzes 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten, BGBl. Nr. 103, sowie diejenigen, die einen Widerstreit (§§ 17, 109) geltend machen;
ferner
...
(3) Die Beteiligten sind berechtigt, im Verfahren ihre Interessen darzulegen, die Erhebung von Einwendungen steht ihnen jedoch nicht zu.
(4) ..."
20 4. Im vorliegenden Verfahren wurde seitens der revisionswerbenden Partei behauptet, ihr komme vor dem Hintergrund der Bestimmungen des § 8 AVG iVm § 102 und § 104a WRG 1959 sowie Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention Parteistellung im wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren, und zwar bereits im behördlichen Verfahren, zu.
21 Ein Bezug zu einem möglichen Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention wurde im vorliegenden Verfahren hingegen nie hergestellt und war daher weder Gegenstand des Antrags auf Zuerkennung der Parteistellung noch der vom Verwaltungsgerichtshof zu überprüfenden Entscheidung des LVwG.
22 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde der revisionswerbenden Partei nicht statt, dies mit der Begründung, dass ihr weder nach den Bestimmungen des WRG 1959 noch nach dem Unionsrecht Parteistellung in einem wasserrechtlichen Verfahren zukomme.
23 4.1. Der Verwaltungsgerichtshof legte dem EuGH mit hg. Beschluss vom 26. November 2015, EU 2015/0008 (Ra 2015/07/0055), unter anderem folgende Fragen gemäß Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung vor (weswegen der Verwaltungsgerichtshof das gegenständliche Verfahren mit Beschluss vom 28. Jänner 2016 gemäß § 62 Abs. 1 VwGG iVm § 38 AVG aussetzte):
"1. Räumt Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (Wasserrahmenrichtlinie - WRRL) oder die WRRL als solche einer Umweltorganisation in einem Verfahren, das keiner Umweltverträglichkeitsprüfung nach der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-RL) unterliegt, Rechte ein, zu deren Schutz sie nach Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, das mit Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2015 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde (Aarhus-Übereinkommen), Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren hat?
Bei Bejahung der Frage 1:
2. Ist es nach den Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens geboten, diese Rechte bereits im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde geltend machen zu können oder genügt die Möglichkeit einer Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde?
3. ..."
24 4.2. Mit Urteil vom 20. Dezember 2017, C-664/15, Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation, beantwortete der EuGH diese Fragen wie folgt:
"1. Art. 9 Abs. 3 des am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten, mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass ein Bescheid, mit dem ein möglicherweise gegen die Verpflichtung aus Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, eine Verschlechterung des Zustands der Wasserkörper zu verhindern, verstoßendes Vorhaben gebilligt wird, von einer nach den Voraussetzungen des nationalen Rechts ordnungsgemäß gegründeten und tätigen Umweltorganisation vor einem Gericht angefochten werden können muss.
2. Art. 9 Abs. 3 des mit dem Beschluss 2005/370 genehmigten Übereinkommens in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte sowie Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 sind dahin auszulegen, dass nationales Verfahrensrecht, das in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Umweltorganisationen nicht das Recht zuerkennt, sich an einem Bewilligungsverfahren zur Umsetzung der Richtlinie 2000/60 als Partei zu beteiligen, und das Recht, Entscheidungen, die im Rahmen des Bewilligungsverfahrens ergehen, anzufechten, nur Personen, die im Verwaltungsverfahren die Stellung als Partei hatten, zuerkennt, nicht mit diesen Bestimmungen vereinbar ist.
3. ..."
25 4.3. In den Entscheidungsgründen des Urteils vom 20. Dezember 2017 in der Rechtssache C-664/15, führte der EuGH unter anderem aus:
"68 Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als solcher verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, ein Recht auf Beteiligung - als Partei des Verfahrens - an einem Bewilligungsverfahren wie dem, um das es im Ausgangsverfahren geht, zu gewähren. Etwas anderes gilt, wenn nach dem einschlägigen nationalen Recht die Parteistellung eine zwingende Voraussetzung für die Erhebung einer Klage gegen die am Ende des Verwaltungsverfahrens ergehende Entscheidung ist.
69 Stellt das nationale Recht nämlich eine solche Verknüpfung zwischen der Stellung als Partei im Verwaltungsverfahren und dem Recht, bei einem Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen, her, kann die Stellung als Partei nicht verwehrt werden. Sonst hätte dieses Recht keine praktische Wirksamkeit, ja wäre ausgehöhlt, was nicht mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta vereinbar wäre.
70 Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts stellt das österreichische Recht aber eine solche Verknüpfung her.
...
76 Wie bereits oben in den Rn. 49 bis 51 ausgeführt, kann eine Umweltorganisation wie Protect nach den einschlägigen nationalen Verfahrensvorschriften aber, selbst wenn sie unter den Begriff ‚betroffene Öffentlichkeit' im Sinne von Art. 2 Abs. 5 des Übereinkommens von Aarhus fällt, nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten wohl grundsätzlich nicht die Stellung einer Partei im wasserrechtlichen Verwaltungsverfahren erlangen.
...
80 Das vorlegende Gericht wird daher die einschlägigen Verfahrensvorschriften insbesondere die allgemeine Vorschrift des § 8 AVG, soweit möglich, so auszulegen haben, dass sie mit Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2000/60 vereinbar sind, so dass eine Umweltorganisation wie Protect die Möglichkeit hat, sich an einem Bewilligungsverfahren wie dem des Ausgangsverfahrens, das der Umsetzung der Richtlinie dient, als Partei zu beteiligen (...)."
26 5. Daraus folgt für das gegenständliche Verfahren:
27 5.1. Es trifft zu, dass sich im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren der Parteienkreis nach § 102 Abs. 1 lit. a und lit. b WRG 1959 bestimmt. Auch wenn dieser Aufzählung kein abschließender Charakter zukommt, kommt eine darauf gründende Parteistellung für Umweltorganisationen, denen keine subjektivöffentlichen Rechte zukommen, nicht in Betracht. Eine ausdrückliche Zuerkennung einer Parteistellung einer Umweltorganisation als Formalpartei, wo die Berührung subjektivöffentlicher Rechte nicht nachgewiesen werden müsste, findet sich im WRG 1959 nicht. Vor dem Hintergrund der innerstaatlichen Rechtslage kam der revisionswerbenden Partei daher keine Parteistellung zu.
28 5.2. Eine solche Parteistellung einer Umweltorganisation ergibt sich aber - wie dem Urteil des EuGH zu entnehmen ist - unmittelbar aus dem Unionsrecht.
29 5.2.1. Zwar verpflichtet Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als solcher die Mitgliedstaaten nicht grundsätzlich, einer Umweltorganisation wie der revisionswerbenden Partei ein Recht auf Beteiligung am Bewilligungsverfahren vor der Behörde zu gewähren. Etwas anderes gilt aber, wenn nach dem einschlägigen nationalen Recht die Parteistellung eine zwingende Voraussetzung für die Erhebung einer Klage beim Verwaltungsgericht gegen die am Ende des Verwaltungsverfahrens ergehende behördliche Entscheidung ist.
30 5.2.2. Eine solche Verknüpfung ist nach der derzeitigen innerstaatlichen Rechtslage aber gegeben.
31 Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Demnach können nur diejenigen natürlichen oder juristischen Personen eine solche Beeinträchtigung von Rechten mit Beschwerde bei einem Verwaltungsgericht geltend machen, denen in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zukam oder zuerkannt wurde.
32 Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Befugnis zur Beschwerdeerhebung an ein Verwaltungsgericht hängen nach der innerstaatlichen Rechtslage somit unmittelbar zusammen. Der Verlust der Parteistellung im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde führt daher in einem Bewilligungsverfahren auch zum Verlust der Beschwerdelegitimation an das Verwaltungsgericht.
33 5.2.3. Daraus ergibt sich im Lichte des zitierten Erkenntnisses des EuGH, dass der Umweltorganisation die Stellung als Partei im behördlichen Verfahren nicht verwehrt werden kann. Sonst hätte das Beschwerderecht keine praktische Wirksamkeit, ja wäre ausgehöhlt, was nicht mit Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte vereinbar wäre (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2015/07/0055).
34 6. Das LVwG hätte der revisionswerbenden Partei daher die Parteistellung im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren nicht versagen dürfen. Es wäre vielmehr gehalten gewesen, entgegenstehendes innerstaatliches Recht unangewendet zu lassen und § 8 AVG unionsrechtskonform im Sinne einer Zuerkennung der Parteistellung an die revisionswerbende Partei auszulegen.
35 Indem das LVwG der revisionswerbenden Partei die Parteistellung im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren betreffend das Kraftwerk S zu Unrecht nicht zuerkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.
36 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
37 7. Die Vollziehung des WRG 1959 erfolgt in mittelbarer Bundesverwaltung. Kostenersatzpflichtiger Rechtsträger im Sinne des § 47 Abs. 5 VwGG wäre daher der Bund. Da daneben keine Kostenersatzpflicht eines anderen Rechtsträgers vorgesehen ist, war der explizit auf die Inanspruchnahme des Landes Steiermark gerichtete Antrag der revisionswerbenden Partei abzuweisen (vgl. VwGH 26.3.2015, Ra 2014/17/0029; 29.9.2016, Ro 2014/07/0041; 30.5.2017, Ra 2015/07/0051).
Wien, am 28. März 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62015CJ0664 Protect Natur-, Arten- und LandschaftschutzSchlagworte
Besondere RechtsgebieteGemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger ZustellungGemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015070152.L00Im RIS seit
03.05.2018Zuletzt aktualisiert am
27.11.2018