Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 2005 §11;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wech, über die Revision des M N in W, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Postgasse 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. März 2018, Zl. W238 2169348- 1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und stellte am 4. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er zusammengefasst an, er sei gemeinsam mit seiner Familie im Alter von etwa vier Jahren in den Iran nach Teheran gezogen und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Sie hätten Afghanistan aufgrund des Krieges und der Taliban, welche die Hazara verfolgt hätten, verlassen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe ihm eine Verfolgung aufgrund seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zumal er in Afghanistan niemanden habe.
2 Mit Bescheid vom 16. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG - zusammengefasst - aus, der Revisionswerber gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er sei in der Provinz Maidan Wardak geboren und im Alter von etwa vier Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran nach Teheran ausgereist, wo er sich bis zu seiner Flucht nach Europa aufgehalten habe. Im Iran habe er sechs Jahre eine Schule besucht und als Straßenverkäufer und Schuhmacher gearbeitet. Seine Familie lebe weiterhin im Iran. Asyl sei ihm nicht zuzuerkennen, da er keine konkrete individuelle Verfolgung bezogen auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan vorgebracht habe. Ebenso drohe ihm aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit keine asylrelevante Verfolgung. Auch sei dem Revisionswerber kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen, weil ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe. Er sei ein junger, gesunder, anpassungs- und arbeitsfähiger Mann mit sechsjähriger Schulbildung und Berufserfahrung als Schuhmacher und Straßenverkäufer. Er beherrsche Dari und Farsi und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten Afghanistans vertraut, da er in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen sei. Aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Teheran sei er an das Leben in einer Großstadt gewöhnt. Er sei imstande, sich seine Existenz - etwa durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten - zu sichern. Die Sicherheitslage sei als ausreichend sicher zu bewerten und die Städte seien über den Flughafen gut erreichbar.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das BVwG habe die Sicherheitslage in Afghanistan nicht ausreichend geprüft und keine ganzheitliche Bewertung der Gefahrenlage vorgenommen. Die herangezogenen Länderberichte seien unvollständig und teilweise veraltet. Insbesondere die Situation der Hazara sei nicht entsprechend gewürdigt worden. Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei nicht nachvollziehbar. Die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sei nicht nach den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen vorgenommen worden, insbesondere seien einzelne Aspekte, wie die Aufenthaltsdauer, die Integration und der Arbeitsplatz völlig außer Acht gelassen worden.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Soweit der Revisionswerber zunächst vorbringt, er sei im Iran diversen Repressionen ausgesetzt gewesen, macht er damit keine asylrelevante Verfolgung bezogen auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan geltend (vgl. VwGH 17.2.1994, 94/19/0936, mwN).
11 Hinsichtlich der monierten mangelnden Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in Afghanistan und der mangelnden Nachvollziehbarkeit der angenommenen innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative zeigt die Revision nicht auf, dass das BVwG im vorliegenden Fall von den hg. aufgestellten Leitlinien zur Gewährung von subsidiärem Schutz abgewichen wäre.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Flucht- und Schutzalternative eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers erfordert. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
13 Entgegen den Ausführungen in der Revision berücksichtigte das BVwG im angefochtenen Erkenntnis sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers bei seiner Rückkehr nach Afghanistan als auch die allgemeinen Gegebenheiten und die zu erwartende Lage in dem als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative angenommenen Gebiet. Insbesondere ist die Einschätzung des BVwG, dass der Revisionswerber als 20-jähriger, mobiler, gesunder, anpassungs- und arbeitsfähiger Mann mit sechsjähriger Schulausbildung und Berufserfahrung als Schuhmacher und Straßenverkäufer aufgrund der aufgezeigten Umstände des Einzelfalls insbesondere in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative vorfinde, im Lichte der insoweit einheitlichen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden (vgl. VfGH 12.12.2017, E 2068/2017, sowie VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
14 Soweit in der Revision weitere Berichte zur Lage in Kabul angeführt werden, vermögen diese - insbesondere da sie etwa zur Sicherheitslage ein deutlich älteres Datum aufweisen als jene vom BVwG herangezogenen Berichte - die Einschätzung des BVwG, dass der Revisionswerber aufgrund der aufgezeigten Umstände des Einzelfalls eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in Kabul vorfinde, nicht zu entkräften. Soweit in der Revision überdies die mangelnde Aktualität der herangezogenen Länderberichte moniert wird, vermag der Revisionswerber mit den in der Revision angeführten Länderberichten die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0386, mwN).
15 Ebenso vermag die Revision eine Fehlbeurteilung des BVwG hinsichtlich der Verneinung einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit des Revisionswerbers nicht aufzuzeigen.
16 Das BVwG setzte sich mit der Situation der Hazara und der Frage einer drohenden Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit des Revisionswerbers zu dieser Volksgruppe auseinander und kam - gestützt auf Länderberichte und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - zum Ergebnis, dass nicht von einer Gruppenverfolgung ausgegangen werden könne. Dass sich das BVwG hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt habe, vermag die Revision nicht darzulegen (vgl. zur Gruppenverfolgung von Hazara bereits VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0377). Die in der Revision ergänzend angeführten Berichte zur Lage der Hazara - welche vom BVwG großteils selbst herangezogen wurden und im Übrigen vor allem die Provinzen Ghazni, Baghlan und Zabul betreffen - vermögen die Beurteilung des BVwG nicht zu widerlegen.
17 Soweit der Revisionswerber die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK moniert, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265, mwN).
18 Entgegen dem Vorbringen in der Revision berücksichtigte das BVwG in seiner Interessenabwägung auch die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich sowie seine Integrationsbemühungen, etwa die besuchten Deutschkurse, die Absolvierung einer Deutschprüfung, seine Tätigkeiten in der Wohnortgemeinde, seine Mitgliedschaft im Fußballverein, die vorgelegten Empfehlungsschreiben sowie seine freundschaftlichen Kontakte in Österreich. Aufgrund des relativ kurzen Aufenthalts in Österreich, des Bewusstseins über den unsicheren Aufenthaltsstatus sowie der festgestellten Verbundenheit mit der afghanischen Kultur zum Herkunftsstaat, kam das BVwG letztlich zum Ergebnis, dass keine Verletzung der durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte vorliege. Dass die Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre, zeigt die Revision nicht auf.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. April 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180194.L00Im RIS seit
03.05.2018Zuletzt aktualisiert am
29.05.2018