TE OGH 2018/4/19 4Ob154/17a

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Veröffentlicht am 19.04.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin P*****, S.A.S., *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die Beklagte d***** GmbH, Wals, Günter-Bauer-Straße 1, vertreten durch Dr. Michael Dyck und Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 34.500 EUR), über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 22. Juni 2017, GZ 3 R 27/17p-11, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 26. April 2017, GZ 19 Cg 4/17k-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat ihre Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die Beklagte hat ihre diesbezüglichen Kosten endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Konzerngesellschaft eines im Bereich Mode und Parfümeriewaren tätigen Konzerns mit Hauptsitz in Barcelona, und Berechtigte der im Folgenden genannten bzw abgebildeten Unionsmarken (UM) bzw international registrierten Marken mit Schutzwirkung (auch) für Österreich (IR).

Die Beklagte ist eine in Österreich ansässige Gesellschaft, die im Bereich des Detailhandels mit Drogerie- und Parfümwaren tätig ist.

Die Klägerin erhob zur Sicherung ihres klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs ein Sicherungsbegehren, wonach der Beklagten verboten werde, in Österreich im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Klägerin kosmetische Erzeugnisse, insbesondere Parfüms, die mit den Wortzeichen „INVICTUS“ (UM) und/oder „INVICTUS PACO RABANNE“ (UM) und/oder „OLYMPÉA“ (UM) und/oder „OLYMPÉA PACO RABANNE“ (UM) und/oder „1 MILLION“ (UM) und/oder „PACO RABANNE“ (IR) und/oder mit den Wortbildzeichen (UM)

und/oder

und/oder mit den Bildzeichen (IR)

und/oder (UM)

gekennzeichnet und die außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht worden sind, zu bewerben, zum Kauf anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen.

Der Konzern, dem die Klägerin angehöre, verfüge über ein selektives Vertriebssystem. Die autorisierten Vertragshändler würden ausschließlich anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Natur ausgewählt. Ihnen sei unter anderem ein Vertrieb von einem Drittstaat außerhalb des EWR in ein EWR-Land untersagt. Im November 2016 hätten Konzernmitarbeiter der Klägerin in Filialen der Beklagten Paco Rabanne-Parfums gekauft, die für den ausschließlichen Vertrieb in Uruguay bzw Russland bestimmt gewesen seien. Sie seien damit außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden, einem (Re-)Import der Parfums in den EWR habe die Klägerin nie zugestimmt. Im Februar 2017 seien in anderen Filialen der Beklagten fünf weitere Paco Rabanne-Parfums verkauft worden, die nicht für den EWR-Raum bestimmt gewesen, sondern vielmehr in Hongkong bzw Uruguay in Verkehr gesetzt worden seien. Um zulässige von unzulässigen Parallelimporten unterscheiden zu können, bediene sich die Klägerin eines Tracking-Systems, das eine Nachverfolgung der Produkte ermögliche. Die Beklagte bewerbe Paco Rabanne-Parfums auf ihrer Website.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, sie vertreibe seit 2013 in beträchtlicher Anzahl Produkte der klagsgegenständlichen Marken, ohne Beanstandungen der Klägerin ausgesetzt gewesen zu sein. Die Beklagte könne nicht nachvollziehen, wo die Ware in Verkehr gebracht worden sei. Am EWR-Markt würden Paco Rabanne- Parfums in beträchtlicher Menge außerhalb des Vertriebssystems der Klägerin gehandelt; das selektive Vertriebssystem der Klägerin funktioniere daher innerhalb des EWR nicht in geschlossener Weise; über das Internet sei eine Vielzahl an Angeboten von Online-Händlern abrufbar. Die Klägerin diskriminiere die Beklagte dadurch, dass sie ihr Ersuchen um Aufnahme in das selektive Vertriebsnetz nicht einmal beantwortet habe. Es liege mangels Überprüfbarkeit der Tracking-Systeme in der absoluten Willkür des Markeninhabers, Rechtsverstöße fast beliebig zu behaupten. Dies sei mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs in einem globalisierten Markt unvereinbar. Die Beklagte habe die Markenware von Händlern mit Sitz im EWR unter der Zusicherung erworben, dass es sich um im EWR verkehrsfähige Ware handle. Eine Offenlegung der Lieferkette durch die Lieferanten sei nicht möglich, weil sie damit ihre eigene Handelsstufe ausschalten und ihre Bezugsquellen verlieren würde. Die Klägerin könnte hingegen durch Öffnung ihrer internen Referenzdatenbank allen Marktteilnehmern die Einhaltung ihrer Markenrechte ermöglichen. Die Beklagte habe keine Möglichkeit, ihr angebotene unzulässige Ware auszusortieren. Die im EWR mit Zustimmung der Klägerin in Verkehr gebrachte Ware sei vollkommen ident und ununterscheidbar von jener Ware, die außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden sei. Das Unterlassungsgebot sei damit zu unbestimmt. Es gehe nicht an, der Beklagten die Bewerbung der Parfums generell zu verbieten.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es nahm folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:

          Für den Vertrieb von Parfüms ihrer Marken autorisiert die Klägerin durch ein selektives System qualitativer Natur ausgewählte Vertragshändler, welchen nach den vertraglichen Bestimmungen untersagt ist

          -) sofern sie im EWR ansässig sind, innerhalb des EWR an Händler, welchen keine Vertragshändlereigenschaft zukommt, und

          -) sofern sie außerhalb des EWR ansässig sind, an Abnehmer außerhalb dieses Bestimmungslands zu verkaufen.

          Vertriebsverträge werden nur mit Partnern abgeschlossen, die über einen eigenen Kassenbereich verfügen, Produkte der Klägerin in entsprechender Breite und Tiefe auf Lager halten und anbieten, sie in Schaufenstern ihrem Image entsprechend präsentieren und geschultes Verkaufspersonal bereitstellen. Weiters wird ein passendes Markenumfeld vorausgesetzt, nämlich dass weitere Marken, die zum Renommee der Marken der Klägerin passen, angeboten werden. Ein solches bereits bestehendes Umfeld wird freilich auch von den Herstellern von Produkten, die das passende Markenumfeld bewirken, also anderer Parfums der Preisklasse mit aufwendiger Markenpflege, gefordert. Die Beklagte hat in ihren Filialen keine Auslagen, in denen Produkte präsentiert werden. Verkaufspersonal hat sie nicht, sondern vertreibt in Selbstbedienung. In etlichen, aber nicht in allen Filialen ist ein eigener Kundenberater vorhanden.

          Die Beklagte bot in ihren Filialen in [...] bzw in [...] am 29. 11. 2016 Parfums der im Spruch bezeichneten Marken zum Verkauf an. Ob diese Produkte mit Zustimmung der Klägerin im EWR-Raum in Verkehr gesetzt worden waren oder nicht, kann nicht als bescheinigt angenommen werden.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers wegfalle, wenn er seine Zustimmung zum Inverkehrbringen im EWR erteile oder wenn er die Ware selbst im EWR in Verkehr bringe. Die Beweislast dafür habe grundsätzlich der Beklagte zu erbringen, sie kehre sich aber um, wenn der Beklagte bescheinige, dass im Falle der Offenlegung seiner Bezugsquellen eine Marktabschottung drohe. Diese Gefahr sei aufgrund des selektiven Vertriebssystems der Klägerin gegeben. Die Beweislast, dass die Produkte außerhalb des EWR-Raumes in Verkehr gesetzt wurden, liege daher bei der Klägerin, die keine entsprechende Bescheinigung erbracht habe.

Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung im Umfang der Untersagung des Zum-Kauf-Anbietens und/oder In-Verkehr-Bringens der gegenständlichen Markenware und wies das auf die Untersagung der Bewerbung dieser Produkte gerichtete Begehren ab. Nicht jedes selektive Vertriebssystem begründe gleichsam automatisch die Gefahr einer Marktabschottung. Im vorliegenden Fall sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es den Mitgliedern des Vertriebssystems der Klägerin erlaubt sei, die Waren an Konsumenten oder Vertriebshändler in anderen Mitgliedsstaaten des EWR zu verkaufen, sodass der grenzüberschreitende Vertrieb der Waren im Binnenmarkt nicht verhindert werde. Die Beweislast für das erstmalige In-Verkehr-Bringen verbleibe daher bei der Beklagten. Dass die Beklagte – außer einer Nachfrage bei ihrer Bezugsquelle – selbst keine Möglichkeit habe, zu erkennen, ob und wie viele der in ihren Filialen zum Verkauf angebotenen Parfüms außerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebracht wurden, führe nicht zur mangelnden Exequierbarkeit des Begehrens. Allerdings habe die Beklagte keine Handlungen gesetzt, die ein Verbot der Bewerbung von näher gekennzeichneten Parfüms, die außerhalb des EWR erstmals in Verkehr gebracht worden seien, rechtfertigten.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil aus der Entscheidung 4 Ob 170/15a allenfalls entnommen werden könnte, dass es beim Vorliegen eines selektiven Vertriebssystems jedenfalls zu einer Beweislastumkehr zu kommen habe.

Gegen den stattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Sicherungsantrag zur Gänze abzuweisen.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben. Überdies regt sie die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens beim Gerichtshof der Europäischen Union an.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1.1. Gemäß Art 13 Abs 1 UMV gewährt eine Unionsmarke ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind (Erschöpfung; vgl auch § 10b Abs 1 MSchG iVm Art 7 Abs 1 MarkenRL 2008/95/EG). Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers fällt daher weg, wenn er (ausdrücklich oder konkludent) seine Zustimmung zum Inverkehrbringen im EWR erteilt oder wenn er die Ware selbst im EWR in Verkehr bringt.

1.2. Die Erschöpfung des Markenrechts ist nur auf Einwand des Beklagten zu prüfen. Der Beklagte hat dabei zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR auf den Markt gebracht wurden. Statt dessen kann er auch behaupten und beweisen, dass – etwa wegen eines ausschließlichen Vertriebssystems – eine Abschottung der Märkte innerhalb des EWR droht, wenn er seine Bezugsquellen offenlegen müsste. Gelingt ihm dieser Beweis, hat sodann der Kläger zu behaupten und zu beweisen, dass die betroffenen Waren erstmals außerhalb des EWR auf den Markt gebracht wurden. Gelingt dem Kläger dieser Beweis, müsste dann der Beklagte die Zustimmung des Markeninhabers zu einem (weiteren) Inverkehrbringen im EWR beweisen (RIS-Justiz RS0125253; vgl auch RS0118282).

1.3. Diese Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Inverkehrbringens im EWR beruht auf der Rechtsprechung des EuGH zu C-244/00, van Doren. Der EuGH führte in dieser Entscheidung (Rn 37 ff) aus, dass die Voraussetzungen der Erschöpfung grundsätzlich vom Dritten, der sich darauf beruft, zu beweisen sind. Die Erfordernisse des in den Art 28 und 30 EG (Art 34 und 36 AEUV) verankerten Schutzes des freien Warenverkehrs können jedoch eine Modifizierung dieser Beweisregel gebieten. Dies ist dann der Fall, wenn diese Regel es den Markeninhabern ermöglichen könnte, die nationalen Märkte abzuschotten und damit die Beibehaltung von etwaigen Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen. Eine solche Gefahr besteht etwa in Fällen, in denen der Markeninhaber seine Waren im EWR über ein ausschließliches Vertriebssystem in den Verkehr bringt.

1.4. Der Oberste Gerichtshof sprach – dem genannten Judikat des EuGH folgend – in der Entscheidung 17 Ob 16/09s aus, dass diese markenrechtliche Beweisregel dann zu modifizieren ist, wenn wegen eines ausschließlichen Vertriebssystems die Gefahr einer Abschottung der Märkte innerhalb des EWR besteht.

1.5. Eine Marktabschottung liegt dann vor, wenn grenzüberschreitende Lieferungen im Binnenmarkt nachhaltig und erfolgreich unterbunden werden, etwa wenn in allen Ländern des EWR jeweils nur ein Alleinvertriebsberechtigter (Generalimporteur) für die Markenwaren existiert (vgl Lange, Marken- und Kennzeichenrecht2 § 7 Rz 3807), und auf diese Weise ein unterschiedliches Preisniveau zwischen den Mitgliedstaaten aufrecht erhalten werden kann.

2.1.1. Im vorliegenden Fall vertreibt die Klägerin die gegenständliche Markenware nicht über ein ausschließliches Vertriebssystem. Ein solches liegt vor, wenn den Zwischenhändlern (etwa alleinvertriebsberechtigte Generalimporteure für bestimmte Mitgliedstaaten) untersagt ist, Zwischenhändler außerhalb ihres Vertragsgebiets (also außerhalb ihres Mitgliedstaats) zu beliefern (vgl Moritz, Der „verräterische“ Vertragshändler an der Schnittstelle zwischen Marken- und Wettbewerbsrecht, ÖBl 2016, 102, 105). Die Klägerin bedient sich hier eines selektiven Vertriebssystems. Ein solches liegt nach der Definition des Art 1 Abs 1 lit e VO 330/2010 EU dann vor, wenn sich der Anbieter verpflichtet, die Vertragswaren oder -dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar nur an Händler zu verkaufen, die anhand festgelegter Merkmale ausgewählt werden, und in denen sich diese Händler verpflichten, die betreffenden Waren oder Dienstleistungen nicht an Händler zu verkaufen, die innerhalb des vom Anbieter für den Betrieb dieses Systems festgelegten Gebiets nicht zum Vertrieb zugelassen sind.

2.1.2. Die im EWR ansässigen Vertragshändler der Klägerin sind nicht auf ihr jeweiliges Land beschränkt, sondern dürfen innerhalb des EWR sowohl an andere Vertragspartner (allerdings nicht an Händler, welchen keine Vertragshändlereigenschaft zukommt), als auch an Konsumenten verkaufen. Umgekehrt können Konsumenten im gesamten Gebiet des EWR von jedem beliebigen Vertragspartner der Klägerin deren Parfüms erwerben, so etwa auch im Wege des Online-Handels.

2.2. In der Entscheidung 4 Ob 170/15a, Markenparfums, die einen Auskunftsanspruch nach § 55a Abs 1 MSchG zum Gegenstand hatte, wurde – unter Bezugnahme auf Judikatur des BGH (I ZR 52/10, Converse I, GRUR 2012, 626) – ausgesprochen, dass die Gefahr einer Marktabschottung nicht zwingend ein ausschließliches Vertriebssystem voraussetzt. Sie kann auch bei einem selektiven Vertriebssystem bestehen, wenn es den Vertriebspartnern vertraglich untersagt ist, ihre Produkte an Zwischenhändler außerhalb des Vertriebssystems zu verkaufen.

2.3. Diese Rechtsprechung wurde in der Literatur einerseits gebilligt (HK-MarkenR/Ekey § 24 Rz 98 f; Kur/Steudtner, MarkenG § 24 Rz 33 ff; Hildebrandt, Marken und anderen Kennzeichen³, § 16 Rz 16; Ingerl/Rohnke³, § 24 Rz 89; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG11 § 24 Rz 44), andererseits als zu weitgehend kritisiert (Moritz, ÖBl 2016/24, 102; Lubberger, „Zustimmungslage“, Beweislast und Abschottungsvermutung im System der Erschöpfungslehre, in FS Bornkamm, 615 [631]; vgl auch Schöner, Darlegungs- und Beweislast der markenrechtlichen Erschöpfung WRP 2004, 430 [433 f]).

Nach Ansicht der letztgenannten Autoren sei eine Marktabschottung bei selektiven Vertriebssystemen dann nicht zu befürchten, wenn nach der vertraglichen Bedingungslage ein Handel zwischen den Vertragshändlern einzelner Mitgliedsstaaten zulässig sei. Zudem sei jedem selektiven Vertriebssystem eine gewisse Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit wesensimmanent. Diese Systeme seien jedoch nach der Vertikal-GVO unter gewissen Voraussetzungen freigestellt, wozu (nach Art 4 lit d dieser VO; vgl Klotz in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht7, Nach Art 101, Rz 454) die Zulässigkeit von Querlieferungen gehöre. Daraus folge, dass keine verpönte Marktabschottung vorliege.

3. Bezogen auf den hier zu beurteilenden Fall ergeben sich daraus folgende Schlussfolgerungen:

3.1. Dass der Hersteller auf den betroffenen Vertragshändler einwirken und weitere Verkäufe außerhalb des Vertriebssystems unterbinden würde, ist bei selektiven Vertriebssystemen und Alleinvertriebssystemen gleichermaßen zu erwarten. Insoweit ist daher zunächst kein Unterschied zu erkennen, der zu einer abweichenden Beurteilung der Beweislastfrage zwänge.

3.2. Ziel der Beweislastumkehr ist es aber, die Durchsetzung eines Anspruchs zu verhindern, der der Warenverkehrsfreiheit in der Gemeinschaft zuwiderläuft (vgl BGH I ZR 137/10, Converse II, Rn 36). Unterfallen selektive Vertriebsbindungssysteme – unter anderem aufgrund der Zulässigkeit von Querlieferungen – der Vertikal-GVO, sind sie zwar kartellrechtlich zulässig; damit ist aber nicht gesagt, dass eine Beweislastumkehr nicht doch zum Schutz des freien Warenverkehrs nach Art 34 und 36 AEUV (BGH I ZR 99/11, Rn 4) erforderlich ist. Eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs kann auch dann vorliegen, wenn die Schwelle zur kartellrechtlichen Unzulässigkeit noch nicht erreicht wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist eine Beweislastumkehr wegen Marktabschottung nämlich deswegen geboten, weil das Markenrecht nicht dazu dienen soll, die Beibehaltung eventueller Preisunterschiede zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten zu fördern (EuGH, C-427/93, Bristol-Myers Squibb ua, Rn 46; C-349/95, Loendersloot, Rn 23; C-244/00, van Doren). Dies kann auch unterhalb der kartellrechtlichen Verbotstatbestände der Fall sein und auch bei selektiven Vertriebssystemen im Einzelfall gegeben sein. Um aber die Marktabschottung bejahen zu können, bedarf es konkreter Anhaltspunkte (vgl EuGH, C-244/00, van Doren, Rn 40, wo von einer tatsächlichen Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte die Rede ist).

3.3. Auch der BGH stellt in der Entscheidung I ZR 52/10, Converse I (Rn 38) maßgeblich auf die tatsächliche Möglichkeit einer Marktabschottung ab und verneint diese im konkreten Fall trotz eines ausschließlichen Vertriebssystems, weil die Generalimporteure vertraglich nicht gehindert gewesen seien, an Zwischenhändler außerhalb ihres Absatzgebiets zu liefern (Rn 33). Darin fügt sich, dass auch nach der Rechtsprechung des BGH das Vorliegen eines bestimmten Vertriebssystems für eine Beweislastumkehr nicht ausreicht, selbst wenn dieses die Möglichkeit einer Marktabschottung eröffnet. Hinzutreten muss die tatsächliche Gefahr, dass eine derartige Abschottung auch eintreten könne (BGH I ZR 137/10, Converse II, Rn 29). Diese tatsächliche Gefahr ist vom Beklagten zu behaupten und zu beweisen (17 Ob 16/09b), wobei alleine die Berufung auf ein bestimmtes Vertriebssystem diesen Anforderungen nicht entspricht (HK-MarkenR/Eke § 24 Rz 100; BGH I ZR 99/11, Rn 10). Wenn schließlich der Senat in 4 Ob 170/15a ausgesprochen hat, dass ein selektives Vertriebssystem eine Marktabschottung bewirken kann, besagt dies nicht, dass dies stets der Fall sein muss.

3.4. Nach den zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts ist die Beklagte ihrer diesbezüglichen Behauptungslast in erster Instanz nicht ausreichend nachgekommen. Die Beklagte hat in keiner Weise eine drohende Marktabschottung eingewandt. Im Gegenteil hat sie selbst vorgebracht, auf dem „Graumarkt“ im EWR-Bereich würden „mehrere Millionen Stück“ der klagsgegenständlichen Marke gehandelt; die Hersteller selbst würden diesen mit vorhandenen Überkapazitäten versorgen. Dass durch das Vertriebssystem der Klägerin die Gefahr einer tatsächlichen Abschottung der Märkte oder eine Beförderung zwischenstaatlicher Preisunterschiede bewirkt werden könne, ist diesem Vorbringen jedenfalls nicht zu entnehmen.

3.5. Letztlich versagt auch das Argument der Beklagten, ihr selbst sei – entgegen 4 Ob 122/13i – der Nachweis des erstmaligen Inverkehrbringens im EWR ganz und gar unmöglich; diese Tatsache würde vielmehr „tief in die Sphäre“ der Klägerin reichen und schon deshalb zu einer Umkehr der Beweislast führen. Eine derartige Beweislastverschiebung käme nur dann in Betracht, wenn die andere Partei über die relevanten Kenntnisse verfügt und es ihr daher leicht möglich wäre, die erforderliche Aufklärung zu geben (vgl 4 Ob 115/17s mwN). Im vorliegenden Fall bringt die Beklagte selbst vor, dass die Klägerin kein System eingerichtet hat, um den Vertriebsweg einzelner Parfumflaschen nachzuverfolgen. Eine Umkehr ihrer Beweislast im Zusammenhang mit dem erstmaligen Inverkehrbringen der Markenprodukte der Klägerin ist daher auch mit diesem Argument nicht zu begründen.

4. Dem Revisionsrekurs der Beklagten ist somit nicht Folge zu geben.

5. Die Einholung eines Vorabentscheidungs-ersuchens beim EuGH ist entbehrlich, weil sich die Entscheidung auf eine (oben zitierte) ausreichend determinierte Rechtsprechung des EuGH stützen kann.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.

Schlagworte

PACO RABANNE ? Paco Rabanne - kosmetische Erzeugnisse,

Textnummer

E121264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00154.17A.0419.000

Im RIS seit

03.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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