TE OGH 2018/4/19 4Ob62/18y

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Veröffentlicht am 19.04.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** V*****, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) M***** AG, *****, vertreten durch Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2) A***** Ltd, ***** Jersey *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 55.122,98 EUR sA, über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2017, GZ 5 R 159/17i-45, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 24. August 2017, GZ 70 Cg 10/17t-41, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.094,04 EUR (darin enthalten 182,34 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb von „*****Zertifikaten“ geltend, die an der Wiener Börse gehandelt wurden. Die Erstbeklagte war für die Platzierung der Zertifikate an der Börse zuständig und fungierte als Depotbank. Für den Kläger und seine Ehegattin war ein sogenanntes „Oder-Depot“ eingerichtet. Zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten (Rechtsnachfolgerin der Emittentin) wurde ein Vergleich abgeschlossen.

Der Kaufentscheidung des Klägers und seiner Ehegattin lagen von der Erstbeklagten erstellte, irreführende Werbebroschüren zugrunde. Im Zuge von Kapitalerhöhungen der Emittentin wurde nicht auf den Rückkauf eigener Aktien hingewiesen. In den Jahren 2007 und 2012 verkauften der Kläger und seine Ehegattin die erworbenen Zertifikate.

Zur Geltendmachung seiner Ansprüche schloss der Kläger eine Prozessfinanzierungsvereinbarung ab. Der Klagsvertreter, der vom Prozessfinanzierer mit der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche beauftragt wurde, erklärte mit Schriftsatz vom 17. 8. 2010 namens der Anleger (auch des Klägers) bei der zuständigen Staatsanwaltschaft den Anschluss als Privatbeteiligte, wobei die jeweiligen Daten mittels CD-Rom übermittelt wurden; die CD-Rom wurde bei der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgedruckt.

Der Kläger begehrte letztlich die Zahlung des Differenzschadens von 55.122,98 EUR sA. Dabei stützte er sich auf Prospekthaftung aufgrund der irreführenden Werbebroschüren, auf die Verletzung der Ad-hoc-Publizitätspflicht und auf Marktmanipulation. Zunächst wurde die Klage vom Kläger und seiner Ehegattin eingebracht. In der Verhandlung vom 14. 10. 2016 zog die Ehegattin (als Zweitklägerin) die Klage unter Anspruchsverzicht zurück.

Die Erstbeklagte wendete vor allem Verjährung ein. Der Privatbeteiligtenanschluss sei unwirksam gewesen und habe die Verjährung daher nicht unterbrochen.

Das Erstgericht verpflichtete die Erstbeklagte zur Zahlung von 27.561,49 EUR sA; das Mehrbegehren wies es ab.

Das Berufungsgericht gab dem (nach Einschränkung in der Berufung zufolge eines Teilvergleichs) restlichen Klagebegehren in Höhe von 43.004,14 EUR sA zur Gänze statt. Die Revision erklärte es für zulässig, weil zu den Auswirkungen einer Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht durch einen Gesamtgläubiger bei einer Schadenersatzforderung zweier Inhaber eines „Oder-Depots“ höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Erstbeklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Trotz Zulässigerklärung der Revision durch das Berufungsgericht muss der Rechtsmittelwerber eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Macht er hingegen nur solche Gründe geltend, deren Erledigung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, so ist das Rechtsmittel ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs zurückzuweisen.

Dies ist hier der Fall.

2.1 Zunächst führt die Erstbeklagte in ihrer Revision aus, dass im Fall eines „Oder-Depots“ eine Gesamtgläubigerschaft nach § 892 ABGB bestehe. Dadurch, dass die Ehegattin des Klägers die Klage unter Anspruchsverzicht zurückgezogen habe, habe sie auf ihren 50%-igen Anteil verzichtet. Dieser Anteil hätte dem Kläger nicht zugesprochen werden dürfen.

2.2 Die Klagsrücknahme ist die prozessual wirksame Erklärung des Klägers, auf den gerichtlichen Rechtsschutz zu verzichten. Nach nunmehr herrschender Meinung und jüngerer Rechtsprechung ist auch die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht eine reine Prozesshandlung, der aber die Eignung zur Doppelfunktionalität zukommen kann. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, ob die Rücknahmeerklärung auch eine privatrechtliche Willenserklärung im Sinn eines materiell-rechtlichen Anspruchsverzichts enthält. Die Klagsrücknahme unter Anspruchsverzicht hat somit zunächst nur prozessuale Wirkungen. Diese bestehen darin, dass das Verfahren über die zurückgenommene Klage beendet und die Gerichts- sowie die Streitanhängigkeit aufgehoben wird und es dem Kläger zudem verwehrt ist, denselben Anspruch aus denselben rechtserzeugenden Tatsachen neuerlich geltend zu machen (RIS-Justiz RS0039679; 6 Ob 166/08t; Lovrek in Fasching/Konecny3 § 237 ZPO Rz 1 f, 37 und 42). Ob der Klagsrücknahme auch materielle Wirkungen zukommen, ist durch Auslegung zu klären, wobei es bei Prozesshandlungen nur auf den objektiven Erklärungswert ankommt.

Die Zurücknahme der Klage durch nur einen von mehreren Streitgenossen wirkt grundsätzlich – außer im Fall einer hier nicht vorliegenden einheitlichen Streitpartei nach § 14 ZPO (vgl Perner in Klang3 § 892 ABGB Rz 15) – nur für den die Klage zurückziehenden Streitgenossen und ist daher unter den allgemeinen Voraussetzungen zulässig (Lovrek in Fasching/Konecny3 § 237 ZPO Rz 13).

2.3 Der Kläger und seine Ehegattin haben die zunächst gemeinsam geltend gemachten Schadenersatzansprüche aus dem Erwerb der unerwünschten Wertpapiere auf einen einheitlichen Kaufvertrag gestützt. In der Verhandlung vom 14. 10. 2016, in der sich der Streitwert zunächst auf 59.766,46 EUR sA belief, zog der Klagsvertreter, der beide Kläger vertrat, die Klage im Namen der damaligen Zweitklägerin zurück. Im Verhandlungsprotokoll (ON 25, S 2) ist dazu Folgendes festgehalten:

„Um 9.35 Uhr zieht der KV die Klage hinsichtlich der 2. Kl unter Anspruchsverzicht zurück. Die BV verzichten auf die Geltendmachung von Kosten im Verhältnis zur 2. Kl. Das Klagebegehren wird somit aufgrund der Zurückziehung der Klage hinsichtlich der 2. Kl umgestellt und die ausgeschütteten Dividenden bis zum Verkauf am 5. 7. 2012 in Höhe von 4.643,48 EUR berücksichtigt, dass es sohin zu lauten hat: Die bekl P sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kl 55.122,98 EUR samt 4 % Zinsen seit 23. 7. 2010 zu bezahlen sowie die Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Die BV bestreiten auch das eingeschränkte Klagebegehren, nicht jedoch die rechnerische Richtigkeit.“

Aus diesen Erklärungen ergibt sich, dass der bisherige Erstkläger weiterhin den gesamten Schaden geltend machte. Es wurde auch nicht etwa auf eine außerprozessuale Einigung zwischen der bisherigen Zweitklägerin und den Beklagten hingewiesen. Daraus folgt eindeutig, dass die Zweitklägerin lediglich aus dem Verfahren ausscheiden, sich dieser Umstand auf die durch den bisherigen Erstkläger verfolgten Ansprüche aber nicht auswirken sollte. Der Klagsrücknahme der Zweitklägerin kam damit nur prozessuale Wirkung zu; sie verzichtete nur auf die gerichtliche Geltendmachung des Klagsanspruchs. Entgegen der Ansicht der Erstbeklagten war ein materiell-rechtlicher Verzicht bzw ein Schulderlass durch die Zweitklägerin damit nicht verbunden. Das von der Erstbeklagten in der Revision angesprochene „Prozesshindernis für eine Neueinklagung“ bestand nur für die Ehegattin des (Erst-)Klägers, nicht aber für diesen.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts steht mit diesen Grundsätzen im Einklang und ist nicht korrekturbedürftig.

3. Die weiteren in der Revision thematisierten Fragen zu den Rechtswirkungen eines – hier aber nicht vorliegenden – materiell-rechtlichen Verzichts nur eines Gesamtgläubigers bei einem „Oder-Depot“, insbesondere zur Bedeutung der „Einzelwirkung“ eines Schulderlasses für die Forderungsrechte der übrigen Gesamtgläubiger im Außenverhältnis, stellen sich nicht.

4. Mit den zur Unterbrechung der Verjährung durch den Privatbeteiligtenanschluss in dem gegen die Beklagten geführten Strafverfahren aufgeworfenen Fragen (Form und Inhalt des Privatbeteiligtenanschlusses, Zustellung der Anschlusserklärung an den Schuldner, Zusammenhang zwischen Haftungstatbestand und vorgeworfener Straftat) sowie mit dem angeblichen Vollmachtsmangel des Klagsvertreters für den Privatbeteiligtenanschluss hat sich der Oberste Gerichtshof bereits ausführlich beschäftigt (siehe dazu 4 Ob 45/18y und die dort zitierten Entscheidungen). Zusammengefasst wurde festgehalten, dass der fragliche Privatbeteiligtenanschluss, der insgesamt 7.880 Anleger betrifft, ausreichend konkretisiert und individualisiert war und den Formerfordernissen der StPO entsprach, dass für die Unterbrechung der Verjährung eine Verständigung des Beschuldigten vom Privatbeteiligtenanschluss nicht erforderlich ist und sich aus dem Privatbeteiligtenanschluss nur ein Zusammenhang zwischen der vorgeworfenen Straftat (dem Lebenssachverhalt) und dem verfolgten zivilrechtlichen Anspruch ableiten lassen muss, sowie dass zur Geltendmachung der Schadenersatzansprüche durch den Klagsvertreter (auch) im Strafverfahren eine geschlossene Vollmachtskette vorliegt.

Mit den gegenteiligen Behauptungen in der Revision zeigt die Erstbeklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf. Soweit sie unterstellt, die Vorinstanzen hätten ihre Haftung nur auf die Verletzung des § 48d BörseG gestützt, weicht sie vom Akteninhalt ab.

5. Insgesamt gelingt es der Erstbeklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die Revision war daher ungeachtet des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035962).

Textnummer

E121265

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00062.18Y.0419.000

Im RIS seit

03.05.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.05.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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