TE Vfgh Erkenntnis 2007/10/8 A14/06

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Veröffentlicht am 08.10.2007
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91 Post-und Fernmeldewesen
91/02 Post

Norm

B-VG Art137 / sonstige zulässige Klagen
B-VG Art137 / sonstige Klagen
StGG Art5
EMRK 1. ZP Art1
PostG §14
Richtlinie 97/67/EG über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaften und die Verbesserung der Dienstequalität, geändert durch die Richtlinie 2002/39/EG (Postrichtlinie) Art9

Leitsatz

Zulässigkeit einer Staatshaftungsklage gegen den Bund wegen nichtordnungsgemäßer Umsetzung der Postrichtlinie durch eine - vomVerfassungsgerichtshof mittlerweile aufgehobene - Bestimmung desPostgesetzes betreffend die Verpflichtung des Gebäudeeigentümers zurErrichtung von Brieffachanlagen; Abweisung der Klage mangelsErlassung der Regelung in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht;gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz nur im Fall der Umsetzunggemeinschaftsrechtlicher Rechtsakte

Spruch

Das Klagebegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer einer Liegenschaft, auf der ein Zinshaus errichtet ist. Auf Grund der Bestimmung des §14 Postgesetz 1997, BGBl. I 18/1998 idF BGBl. I 72/2003, (im Folgenden: PostG 1997) welche vorsah, dass Gebäudeeigentümer bis 1. Juli 2006 Brieffachanlagen zu errichten haben, welche so beschaffen sein müssen, dass jedenfalls die Abgabe von Postsendungen über einen ausreichend großen Einwurfschlitz ohne Schwierigkeiten gewährleistet ist und die Sendungen vor dem Zugriff Dritter geschützt sind, hätten die Kläger aufgrund eines Kostenvoranschlages vom 22. April 2004 die Errichtung einer neuen Hausbrieffachanlage beauftragt, die vor der Veröffentlichung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 25. April 2006, VfSlg. 17.819/2006, geliefert worden sei. Die Kläger begehren nun, den Bund aus dem Titel der Staatshaftung schuldig zu erkennen, ihnen einen Betrag in der Höhe von € 1.376,76 samt 4 % Zinsen seit dem 9. Mai 2006 zu bezahlen und die Prozesskosten zu ersetzen.

Zur Klagslegitimation bringen die Kläger vor, dass es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch (Schadenersatz) gegen die Republik Österreich (richtig: Bund) handle. Die Kläger könnten den erlittenen Schaden, der durch die Gesetzgebung des Bundes verursacht worden sei, vor keinem Vollzugsorgan geltend machen.

Der Schadenersatz sei mit der Bezahlung der klagsgegenständlichen Rechnung dem Grunde nach entstanden und sei seit der Aufhebung des §14 Abs1 erster Satz und Abs5 PostG 1997 wegen Verfassungswidrigkeit fällig. In den Medien sei seitens des Rechtsträgers mehrfach betont worden, dass kein Schadenersatz geleistet werde, sodass ein gesondertes Fälligstellen in einem Anspruchsschreiben von vornherein sinnlos erschienen sei.

Mit dem - mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. April 2006, VfSlg. 17.819/2006, aufgehobenen - ersten Satz des §14 Abs1 sowie des §14 Abs5 PostG 1997 habe der Bundesgesetzgeber den Willen gehabt, die novellierte "Postrichtlinie" (Richtlinie 2002/39/EG zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft, ABl. L 176, S 21) umzusetzen. Die vom Gesetzgeber gewählte Umsetzungsvariante verstoße gegen das Grundrecht auf Eigentum, welches in Art5 StGG sowie Art1 des 1. ZPEMRK verankert sei. Diese Bestimmung sei Bestandteil der Europäischen Rechtsordnung. Die Kläger zitieren sodann eine Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH) (EuGH 12.6.2003, Rs. C-112/00, Schmidberger, Rz 71 und 73) betreffend den Grundrechtsschutz der Gemeinschaft.

Die Judikatur des EuGH gewähre Entschädigung schon bei Schäden aufgrund der fehlerhaften Umsetzung von Richtlinien, die im Stufenbau dem Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaften zuzuordnen seien. Ein Schaden durch Verstoß gegen Primärrecht, wie sie die EMRK darstelle, führe daher im Größenschluss zu einer Entschädigung im Rahmen der Staatshaftung. Die Kläger seien dementsprechend durch die unrichtige Umsetzung des europäischen Primärrechts und der Postrichtlinie in ihren Rechten verletzt. Der österreichische Gesetzgeber habe bei der Umsetzung der Richtlinie gegen europäisches Recht, insbesondere europäisches Primärrecht eklatant und offensichtlich verstoßen. Damit seien die Voraussetzungen für einen Staatshaftungsanspruch erfüllt. Durch die gewählte Umsetzung seien die Kläger sowohl in ihren verfassungsgesetzlich als auch in ihren europäischen garantierten Individualrechten verletzt. Der Schaden sei kausal und schuldhaft durch die Rechtsverletzung des Beklagten entstanden.

2. Der Bund erstattete eine Gegenschrift und stellte den Antrag, die Klage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. Nach der Meinung des Bundes ist das Klagsvorbringen - soweit es sich nur auf die vom Verfassungsgerichtshof festgestellte Verfassungswidrigkeit des §14 Abs1 erster Satz und Abs5 PostG 1997 beziehe - unzulässig. Dies deshalb, da sich das behauptete legislative Unrecht vor Eintritt des behaupteten Schadens bereits im Wege eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 B-VG hätte beseitigen lassen. Der Bund führt dazu aus:

"Sind die von einer gesetzlichen Verpflichtung unmittelbar Betroffenen der Meinung, dass diese gegen die EMRK verstoße, so sieht die österreichische Rechtsordnung die Möglichkeit einer Anfechtung des Gesetzes gemäß Art140 Abs1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof vor. Im konkreten Fall hätten die Kläger also die Möglichkeit gehabt, vor Erfüllung der ihnen durch §14 Abs1 erster Satz und Abs5 Postgesetz 1997 auferlegten Pflicht den behaupteten Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof geltend zu machen.

Nach Meinung des Bundes kann das Instrument der Staatshaftungsklage nicht dazu führen, das System der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle dadurch zu unterlaufen, dass die von einer - von ihnen als EMRK-widrig angesehenen - gesetzlichen Verpflichtung unmittelbar Betroffenen auf eine Anfechtung dieser Bestimmung auf Basis von Art140 B-VG verzichten und statt dessen - (allenfalls) nachdem die entsprechende Gesetzesbestimmung erfolgreich von anderen bekämpft wurde - eine auf Art137 B-VG gestützte Staatshaftungsklage einbringen.

Auch aus dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts wäre eine solche Lösung nicht geboten: Nach der Judikatur des EuGH ist nämlich auch zu prüfen, ob sich der Geschädigte in angemessener Form um die Verhinderung des Schadenseintritts oder um die Begrenzung des Schadensumfangs bemüht hat und ob er insbesondere rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat (vgl. verb. Rs C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029, Rz 84 f.; Rs C-178/94 ua., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Rz 72)."

Darüber hinaus bestreitet der Bund die Zulässigkeit der Klage insofern, als dass die behauptete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm in der Klage selbst nicht hinreichend substantiiert sei und nicht schon die abstrakte Behauptung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm genüge; insbesondere fehlten jegliche Ausführungen zur Frage, welche individuellen Rechte die gegenständliche Richtlinie den Klägern verleihen sollte.

Zur Begründetheit des Klagebegehrens bringt der Bund im Wesentlichen vor, dass ein Verstoß gegen Sekundärrecht mangels Ausführungen durch die Kläger nicht nachvollziehbar sei bzw. hätten die Kläger einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Sekundärrecht nicht dargetan.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 20. Juni 2007, A20/06, eine auf Art137 B-VG gestützte Klage einer anderen Klägerin gegen den Bund, mit der ein Anspruch auf Schadenersatz aus dem Titel der Staatshaftung aufgrund behaupteter nicht korrekter Umsetzung der Postrichtlinie durch den Bundesgesetzgeber geltend gemacht wurde, abgewiesen. Die Klägerin im Verfahren A20/06 hatte ebenfalls aufgrund der - mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 25. April 2006, VfSlg. 17.819/2006, aufgehobenen - Bestimmung in §14 Abs1 erster Satz und Abs5 PostG 1997 Hausbrieffachanlagen errichtet und begehrte den ihr dadurch entstandenen Ersatz des Schadens vom Bund. Der Verfassungsgerichtshof forderte die Kläger im vorliegenden Verfahren unter Fristsetzung auf, mitzuteilen, worin sich das Vorbringen in der vorliegenden Klage von jenen Sach- und Rechtsfragen unterscheide, die Gegenstand des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 20. Juni 2007, A20/06, waren. In einer Äußerung vom 20. Juli 2007 teilten die Kläger mit, die Klage aufrechterhalten zu wollen, um sich einen allenfalls erforderlichen Rechtszug zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht abzuschneiden. Sie stützen ihre Klage weiterhin primär auf die Verletzung europäischen Primärrechtes, nämlich auf die Eigentumsgarantie des Art1 des 1. ZPEMRK und bringen dazu vor:

"Soweit uns bekannt ist gibt es derzeit noch keine Entscheidung des EUGH, dass ein Staatshaftungsanspruch auch auf Verletzung Europäischen Primärrechts gestützt werden kann. Das ergibt sich aber aus der Rechtssystematik. Wenn Staatshaftungsansprüche wegen Verletzung von Sekundärrecht geltend gemacht werden können, muss das umso mehr für Verletzung von ranghöherem Primärrecht gelten."

Weiters führen die Kläger aus, dass die Vorlage der für sie entscheidungswesentlichen Fragen,

" - ob Staatshaftungsansprüche auch auf Verletzung Europäischem Primärrechtes, insbesondere auf Art1 des ersten[s] Zusatzprotokolls gestützt werden können und

-

ob die fehlerhafte Umsetzung der Postrichtlinie durch die mittlerweile vom VfGH mit G100/06 aufgehobenen gesetzlichen Bestimmungen einen Staatshaftungsanspruch auslösen können"

aus folgenden Gründen erforderlich sei:

"Nach der österreichischen Verfassung sind Staatshaftungsansprüche direkt vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Nachdem der VfGH das diesbezügliche österreichische Höchstgericht ist, gibt es keinen innerstaatlichen Instanzenzug, um die erst- und damit letztinstanzliche Entscheidung überprüfen lassen zu können. Würde der VfGH die entscheidungsrelevanten Fragen nicht dem EuGH vorlegen, wäre das auch im Hinblick auf den Fair Trial - Grundsatz der EMRK zumindest bedenklich. Sollte der VfGH nicht vorlegen und unsere Klage abweisen, wäre natürlich auch diese Frage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu relevieren.

Zu Punkt III.3. führt der VfGH in G20/06-14 aus, dass mit den innerstaatlichen Vorschriften des PostG, welche die Errichtung von Hausbrieffachanlagen durch die Hauseigentümer vorgesehen haben, keine Bestimmung der Postrichtlinien umgesetzt wurde, die der Gesetzgeber verletzen hätte können.

Wir haben bereits oben zitiert, dass die Bundesregierung im Gl00/06 ihre Vorgangsweise im Gesetzwerdungsprozess damit noch rechtfertigen zu versucht hat, dass die gewählte Umsetzungsvariante die einzige Möglichkeit zur Umsetzung der PostRL war. Damit hat der österreichische Gesetzgeber der PostRL einen Inhalt unterstellt, den diese gar nicht hat. Aufgrund dieses Rechtirrtums ist die PostRL unrichtig umgesetzt worden, wodurch wir in unserem Primärrechten verletzt sind.

Die Argumentation des VfGH in Punkt III. 5. des Erkenntnisses A20/06-14 würde darauf hinauslaufen, dass es gar keine unrichtige Umsetzung von Europäischen Richtlinien geben könnte, weil entweder jede 'richtige' Umsetzung ohnedies korrekt wäre, während eine 'unrichtige' Umsetzung einer RL ein rein innerstaatliches Problem wäre, weil in diesem Fall '... keine Bestimmung der (Post)richtlinie umgesetzt wurde, die der Gesetzgeber hätte verletzen können ...', weil der Staat am von der RL vorgegebenen Ziel vorbeigeschossen hat. Daher ist der Rechtssatz, die unrichtige Umsetzung einer RL ist keine Umsetzung von europäischem Recht und daher ein rein innerstaatliches Problem, aus dem keine Staatshaftungsansprüche abgeleitet werden können, nicht aufrecht zu halten. Ansonsten wäre die gesamte europäische Staatshaftungsjudikatur ad absurdum geführt, was wohl auch vom VfGH nicht intendiert wird.

Folgendes Argument sollte ebenfalls berücksichtigt werden:

Der EuGH lässt bei seinen Entscheidungen regelmäßig Interessenabwägungen einfließen, die natürlich auch hier zu beachten sind. Soll die Beklagte oder wir die Kosten für die Umrüstung der Hausbrieffachanlagen tragen, die wir ausschließlich aufgrund eines gemeinschafts- und verfassungswidrigen Gesetzes installieren lassen mußten?

Wir wohnen nicht in diesem Haus, bekommen dort keine Postsendungen hin und hatten nicht einmal das ästhetische Bedürfnis, die Hausbrieffachanlage zu installieren. Wir haben natürlich auch in die Gesetzwerdung in keiner Weise eingegriffen.

Die Beklagte hätte es hingegen in der Hand gehabt, eine einwandfreie Norm unter Beachtung europäischem Primär- und Sekundärrechtes zu schaffen. Das genaue Gegenteil ist herausgekommen. Das gesamte Verschulden ist der Beklagten anzulasten, während wir uns nur fügen konnten.

Uns ist natürlich bewusst, dass eine klagsstattgebende Entscheidung wahrscheinlich dazuführen würde, dass auch andere Hauseigentümer den Klagsweg beschreiten würden, was allerdings keinen Einfluss auf die Entscheidung unserer Klage haben darf. Dieses Problem hat sich die Beklagte selbst geschaffen, sodass sie auch die Konsequenzen zu tragen hat."

4. In der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2007 wiederholte der Vertreter der Kläger im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und legte Gesetzesmaterialien zum PostG 1997 vor. Die beklagte Partei erwiderte auf diese Argumente und beantragte die Abweisung der Klage.

II. Zur Zulässigkeit der Klage:

1. Gemäß Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2. Mit der vorliegenden Klage wird ein vermögensrechtlicher Anspruch an den Bund geltend gemacht. Die Kläger gründen den von ihnen geltend gemachten Anspruch auf Schadenersatz auf den Titel der Staatshaftung. Der Schaden sei durch die nicht korrekte Umsetzung einer Richtlinie durch den Bundesgesetzgeber entstanden.

Die Kläger machen somit "legislatives Unrecht" geltend.

Es besteht keine Vorschrift, wonach über diesen Anspruch durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde oder durch ein Gericht zu entscheiden ist. Die behauptete unkorrekte Umsetzung der Richtlinie wäre also unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen. Da auch die anderen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung in der Sache zuständig (vgl. VfSlg. 17.002/2003). Das Argument des Bundes, der behauptete Schaden hätte durch Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten verhindert werden können, betrifft eine materiell rechtliche Frage, nämlich die Schadensverhinderungspflicht des Klägers und hindert nicht die Zulässigkeit der Klage.

III. Materiell kommt der Klage aus folgenden Erwägungen keine Berechtigung zu:

1. Voraussetzung einer Staatshaftung ist es, dass es durch das Verhalten von Organen eines Mitgliedstaats zur Verletzung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm gekommen ist, die bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, und dass ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem Schaden besteht, der dem Einzelnen entstanden ist [vgl. EuGH 5.3.1996, Rs. C-46/93 und C-48/93, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 51); 23.5.1996, Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553 (Rz 32); 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler (Rz 51)]. Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht dabei aber keine reine Unrechtshaftung; vielmehr ist ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht nur dann haftungsbegründend, wenn er "hinreichend qualifiziert" ist [EuGH 5.3.1996, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 55); 8.10.1996, Rs. C-178/94 ua., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845 (Rz 21 ff.); 17.10.1996, Rs. C-283/94 ua., Denkavit, Slg. 1996, I-5063 (Rz 48, 50 ff.); uva.].

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH [EuGH 5.3.1996, Brasserie du Pecheur, Slg. 1996, I-1029 (Rz 55)] sind folgende Voraussetzungen zur Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruchs erforderlich:

"... Ist ein Verstoss eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen, der auf einem Gebiet taetig wird, auf dem er im Hinblick auf normative Entscheidungen über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, so hat der Geschädigte einen Entschädigungsanspruch, sofern die verletzte gemeinschaftsrechtliche Vorschrift bezweckt, ihm Rechte zu verleihen, der Verstoss hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoss und dem dem einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. ..."

        3. Die Kläger stützen ihren Staatshaftungsanspruch darauf,

dass der Bundesgesetzgeber die Richtlinie 97/67/EG über gemeinsame

Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste

der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität, ABl. L 14,

S 14, geändert durch die Richtlinie 2002/39/EG zur Änderung der

Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des

Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft, ABl. L 176, S 21,

(Postrichtlinie), nicht korrekt umgesetzt hätte. Sie behaupten, "die

gewählte Umsetzungsvariante verstößt ... gegen das Grundrecht auf

Eigentum ...", welches in Art5 StGG und Art1 des 1. ZPEMRK verankert sei und der Gesetzgeber habe

        "... bei der Umsetzung der Richtlinie aufgrund der gewählten

und vom Verfassungsgerichtshof mittlerweile aufgehobenen Bestimmungen des Postgesetzes auch gegen europäisches Recht, insbesondere Europäisches Primärrecht eklatant und offensichtlich verstoßen ...".

Der Verfassungsgerichtshof vermag diese Rechtsauffassung nicht zu teilen:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 20. Juni 2007, A20/06, ausgeführt hat, ist gemäß den Erwägungen der Postrichtlinie die Förderung der Liberalisierung des Postmarktes ein Hauptziel der Gemeinschaftspolitik. Die Postrichtlinie regelt nur das notwendige Mindestmaß zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Postsektor. Gemäß den Erwägungen der Richtlinie sind Maßnahmen zur Liberalisierung des Marktes notwendig, um gemeinschaftsweit das freie Angebot von Diensten im Postsektor unter Beachtung der Pflichten und Rechte der Anbieter von Universaldienstleistungen zu gewähren. Ziel des Universaldienstes ist es, allen Nutzern einen leichten Zugang zum Postnetz zu ermöglichen. Die Richtlinie enthält gemeinsame Vorschriften für die Bereitstellung eines postalischen Universaldienstes, über reservierbare Dienste, über die Tarifierungsgrundsätze und Transparenz der Rechnungslegung für die Erbringung von Universaldienstleistungen, über die Festlegung von Qualitätsnormen für die Erbringung dieser Leistung, über die Harmonisierung der technischen Normen sowie über die Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden.

Die Postrichtlinie enthält bezüglich der Errichtung und Finanzierung von Hausbrieffächern jedoch überhaupt keine Vorgaben. Sie schreibt nichts zur Gestaltung der Hausbrieffachanlagen vor, schon gar nicht, dass die Gebäudeeigentümer die Kosten des Einbaus neuer Hausbrieffachanlagen tragen sollen. Das bedeutet, dass mit den - mittlerweile aufgehobenen - innerstaatlichen Vorschriften des PostG, welche die Errichtung von Hausbrieffächern durch die Hauseigentümer vorgesehen haben, keine Bestimmung der Postrichtlinie umgesetzt wurde, die der Gesetzgeber hätte verletzen können.

Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 20. Juni 2007, A20/06, die Auffassung vertreten, dass die Erlassung der - mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 17.819/2006 aufgehobenen - Bestimmungen des PostG 1997 nicht durch Gemeinschaftsrecht geboten war. Mit der Argumentation der Kläger, dass sich die Bundesregierung im Verfahren G100/05 (VfSlg. 17.819/2006) selbst auf gemeinschaftsrechtliche Vorgaben berufen habe, ist jedenfalls nichts zu gewinnen.

4. Insoweit die Kläger die Verletzung des Art5 StGG behaupten, so ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung nicht Teil des Gemeinschaftsrechts ist.

5. Ferner führen die Kläger aus, dass durch die behauptete Nichtbeachtung des Art1 des 1. ZPEMRK bei der Umsetzung der Postrichtlinie durch den Gesetzgeber eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erfolgt sei.

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 20. Juni 2007, A20/06, bereits ausgeführt hat, ist der Eigentumsschutz Teil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, also des Primärrechts der EG; der EMRK kommt hiebei besondere Bedeutung zu. Dennoch ist aus einer Norm der EMRK, die Teil des österreichischen Verfassungsrechts ist, ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch als solcher nicht unmittelbar abzuleiten (VfSlg. 17.002/2003), unter anderem schon deshalb, weil sich der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz nach der Rechtsprechung des EuGH auf mitgliedstaatliche Rechtsakte nur bezieht, soweit sie gemeinschaftsrechtliche Rechtsakte umsetzen (vgl. EuGH 11.6.1985, Rs. 60 und 61/84, Cinetheque, und EuGH 29.5.1997, Rs. C-299/95, Kremzow). Die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmungen des PostG sind nicht in Umsetzung von Gemeinschaftsrecht erlassen worden, sondern sie sind eine Regelung des Parlaments eines Mitgliedstaates, die autonom bloß aus Anlass anderer gesetzlicher Änderungen, die Gemeinschaftsrecht umsetzten, ergangen sind.

Die Kläger missverstehen in ihrer Äußerung vom 20. Juli 2007 die Ausführungen im Erkenntnis vom 20. Juni 2007, A20/06. Der Verfassungsgerichtshof vertritt nicht die Ansicht, dass sich Staatshaftungsansprüche immer nur aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union ergeben können. Der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsschutz ist aber - wie sich aus der oben angeführten Rechtsprechung des EuGH ergibt - von innerstaatlichen Organen nur beachtlich, soweit sie Rechtsakte erlassen, mit denen sie Gemeinschaftsrecht umsetzen. Dies war bei der Regelung der Kostentragung für die Hausbrieffachanlagen nicht der Fall, sodass die Geltendmachung eines Staatshaftungsanspruches ausscheidet. Schon aus diesem Grund ist die Klage abzuweisen.

Daraus entsteht - entgegen der Meinung der Kläger - auch keine Lücke im Schutz ihrer Grundrechte:

Im vorliegenden Fall hätten die Kläger - wie die Antragsteller im Verfahren G100/05 (VfSlg. 17.819/2006) - gemäß Art140 Abs1 einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung von Bestimmungen des PostG 1997 stellen können. Bei Antragstellung vor der Beauftragung der Hausbrieffachanlagen hätten sie den nunmehr behaupteten Schaden vermeiden können. Die Klage wäre daher auch deshalb, da sie die zur Schadensvermeidung geeignete Antragstellung unterlassen haben, abzuweisen.

6. Die beklagte Partei hat keinen Kostenersatz beantragt, weshalb auch keine Kosten zuzusprechen waren.

Schlagworte

VfGH / Klagen, Staatshaftung, Post- und Fernmelderecht, Briefkasten,EU-Recht Richtlinie, Schadenersatz, Rechtsgrundsätze

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:A14.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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