TE Bvwg Erkenntnis 2018/4/17 W187 2131831-1

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Veröffentlicht am 17.04.2018
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Entscheidungsdatum

17.04.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2131831/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Caritas der Erzdiözese Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX gab der Beschwerdeführer an, dass die Sicherheitslage aufgrund der Taliban stark beeinträchtigt sei. Dies sei der Grund dafür gewesen, dass er sein Heimatland verlassen habe.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, am XXXX im Distrikt XXXX , Provinz Ghazni, geboren worden zu sein. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Er habe sein gesamtes Leben in XXXX gelebt, dort sechs Jahre die Schule besucht und mehrere Jahre mit seinem Vater ein Lebensmittelgeschäft geführt. In weiterer Folge habe er als Landarbeiter gearbeitet, nach der Rückkehr seines Vaters aus dem Iran habe er gemeinsam mit dem Vater ein Transportgeschäft gegründet, das er auch nach dessen Tod weitergeführt habe. Er habe auch einen Fahrer gehabt. Er sei verheiratet und habe zwei Kinder. Befragt nach seinem Fluchtgrund gab er an, dass es als Hazara schwierig sei, Transporte durchzuführen, da die Taliban Autos der Hazara anhalten würden. Die Taliban hätten eine Warnung ausgesprochen, dass jeder, der Waren für die Behörden transportiere, eine Straftat begehe. Es seien in der Zeit 25-30 Personen getötet worden. Man würde stets mit zwei Fahrzeugen fahren, der Beschwerdeführer sei nicht angehalten worden, der Fahrer des zweiten Fahrzeugs sei aber im Rahmen seiner Anhaltung nach ihm gefragt worden, dadurch sei er bedroht worden. Die ausgesprochene Warnung sei eine allgemeine Warnung gewesen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor den Taliban und den Daesh. Der Beschwerdeführer stehe aufgrund einer psychischen Erkrankung in Behandlung.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Mit Eingabe vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seine Rechtsberaterin, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid. Darin wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit für eine Hilfsorganisation mit Auslandsbezug bedroht worden sei. Er selbst sei nicht unmittelbar kontrolliert worden, aber sein Begleitfahrzeug. Nachdem die Taliban nach ihm gefragt hätten, sei ihm klar gewesen, dass ihnen sein Name bekannt sei, woraufhin er geflüchtet sei.

5. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich nehme Medikamente, ich habe sie heute mit.

Die Vertreterin legt Befunde und Verschreibungspläne von Medikamenten vor. Diese werden zum Akt genommen. Weiters legt sie eine Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers, einen Vertrag und ein Foto des Gebäudes, an dem der letzte Auftrag ausgeführt wurde, vor. Diese Dokumente hat seine Frau elektronisch geschickt.

Die Tazkira lautet übersetzt wie folgt:

‚Der Vater heißt XXXX , der Großvater heißt XXXX , das Dorf in dem er geboren ist XXXX , seine Größe: XXXX , die Augenfarbe: XXXX ,

Augenbrauen: XXXX , Hautfarbe: XXXX , Haarfarbe: XXXX ,

Geburtsdatum: Im Jahr XXXX (= XXXX ) war er XXXX Jahre alt,

Religion: Islam, Identität: Afghane, Beschäftigung: Arbeiter,

Geschlecht: männlich, Familienstand: ledig, Muttersprache: Dari, Das ist auf der Seite XXXX gespeichert, Provinz Ghazni, Distrikt XXXX ,

Dorf XXXX , Nr. der Tazikira von Ramzan: Seite XXXX XXXX ; Datum:

XXXX '

Der Vertrag lautet übersetzt wie folgt:

‚Dieser Vertrag mit dem Kommandant von XXXX , mit XXXX , sein Vaters Name ist XXXX , XXXX ist der Sohn von XXXX , Sie haben Weizen und Zement geliefert, Jedes Mal haben sie für 100.000 Kaldar bekommen, 50.000 Kaldar kostet eine halbe Lieferung, der Vertrag ist für vier Jahre abgeschlossen XXXX (= XXXX ), Unterschrift von XXXX , Fingerabdruck von XXXX , Unterschrift und Stempel und Datum XXXX vom Sicherheitskommandant

[...]'

Richter: Geben Sie Ihre Geburtsdatum an.

Beschwerdeführer: Damals als ich nach Österreich gekommen bin, habe ich gesagt, dass ich 25 Jahre alt bin. In der Tazkira steht kein genaues Datum, nur das Jahr 1384.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Farsi und Dari. Schreiben und lesen kann ich nicht so gut, in beiden Sprachen. Ich habe in Deutsch A1 fertig gemacht. Jetzt besuche ich den A2-Kurs. Ich habe Probleme, ich vergesse alles was ich gelernt habe.

Der Beschwerdeführer legt eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs Niveau A2 des österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX und eine Bestätigung vom österreichischen Roten Kreuz vom XXXX über die Teilnahme an einem Deutschkurs Niveau A1 vom XXXX bis XXXX vor. Diese werden zum Akt genommen.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich komme aus Afghanistan. Ich bin verheiratet. Ich habe zwei Kinder. Ich bin schiitischer Muslim, Ich bin Hazara.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Das Dorf heißt XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Ghazni. Dort war ich mein ganzes Leben lang, bis zu meiner Ausreise.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Bis zur sechsten Klasse.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Mittelmäßig. Wir haben ein Haus gehabt, es gehörte meinem Vater.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Sie leben in XXXX .

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie ( Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe Kontakt mit meiner Frau.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ja, wir sind vier Brüder. Meine drei Brüder sind auch in den Iran gegangen. Meine Mutter, meine Frau leben immer noch in XXXX . Andere Verwandte habe ich nicht. Die Verwandten sind nicht eng verwandt, mit ihnen habe ich keinen Kontakt.

Richter: Was berichten Ihre Verwandten über die aktuelle Situation in Afghanistan?

Beschwerdeführer: Die Sicherheitslage ist schlecht. Meine Frau ist umgezogen. Ihre Tante hat in Schweden Asyl bekommen. Der Vater wird ihr folgen. Dann bleibt sie ohne männlichen Schutz in Afghanistan.

Richter: Wollen Ihre Verwandten auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Ja, meine Frau möchte nach Österreich kommen.

Richter: Haben Sie in Österreich Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Mein Leben ist in Österreich gut. Aber ich mache mir viele Sorgen um meine Familie. Ich besuche einen Kurs, dann fahre ich Fahrrad, gehe Fußball spielen. Ich lese auch ein bisschen. Ich schaue über das Internet Nachrichten. Über das Internet lerne ich Deutsch.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Wir haben ein Geschäft gehabt. Mein Vater ist dann in den Iran gegangen. Er ist nach drei Jahren und acht Monaten zurückgekommen. Er hat einen LKW gekauft. Er hat mit diesem LKW Ware von anderen Geschäften geliefert. Dann haben wir einen Vertrag mit dem Kommandanten gemacht. Dort wird eine Mädchenschule gebaut, für diese hat mein Vater Zement geliefert. Das war ein Projekt für arme Leute, da haben wir Weizen geliefert. Ich und mein Vater haben zusammengearbeitet, wir haben auch einen Fahrer gehabt. Zwei Jahre später ist mein Vater gestorben. Ich habe die Arbeit dann alleine weitergemacht. Ich wollte von Ghazni nach XXXX fahren. Wir dürfen nicht alleine fahren. Wir sind mit zwei LKWs unterwegs gewesen, weil es gefährlich ist. Wir sind von Ghazni nach XXXX gefahren, unterwegs gibt es einen leeren Ort. Dort haben uns die Taliban gestoppt. Sie haben nach meinem Namen gefragt. Ich bin vorbeigefahren. Ich habe eine Pause in einem Restaurant gemacht, es heißt XXXX . Der LKW-Fahrer ist auch hingekommen, er hat mir erzählt, dass die Taliban nach mir gefragt haben, in XXXX . Als ich erfahren habe, dass die Taliban nach mir gefragt haben, bin ich sofort weitergefahren, habe die Ware abgeliefert und bin nach Hause gefahren. Eine Woche bin ich zuhause gelblieben, dann bin ich geflüchtet.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich habe ein Auto gemietet und bin nach Ghazni gefahren. Von Ghazni nach Nimroz, dort habe ich mit einem Schlepper gesprochen. Ich bin in den Iran, von dort in die Türkei und von dort nach Österreich. Die anderen habe ich vergessen, Kroatien, Slowenien.

Richter: Warum haben Sie Afghanistan verlassen? Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Die Taliban haben mich bedroht. Die Leute, die für den Staat arbeiten, schlachten die Taliban. Junge Männer, Frauen ohne Kopftuch werden gesteinigt, aber wenn Leute für den Staat arbeiten, diese bringen sie sofort um. Deswegen habe ich Angst gehabt und bin geflüchtet.

Richter: Haben die Taliban Sie persönlich bedroht?

Beschwerdeführer: Sie haben die Leute, die nach mir gefahren sind, nach mir gefragt. Sie wussten schon wer ich bin.

Richter: Haben Sie das nicht schon gewusst, als Sie den Vertrag mit der Stadt abgeschlossen haben?

Beschwerdeführer: Wir haben den Vertrag mit dem Kommandant abgeschlossen. Wir wussten es schon, mein Vater hat den Vertrag unterschrieben. Wir mussten etwas arbeiten, etwas verdienen. Es war gefährlich, trotzdem habe ich es gemacht. Bei anderen Arbeiten verdient man nicht so gut.

Richter: Haben Sie je überlegt, in Afghanistan an einen anderen Ort zu ziehen?

Beschwerdeführer: Nein, habe ich nicht.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich habe bei der Stadt gearbeitet, wenn die Taliban mich sehen, bringen sie mich um.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Es ist klar, wenn ich zurückkehre schlachten mich die Taliban ab. Sie haben vier Personen von XXXX umgebracht, ich habe Beweise. Vorgestern hat in Kabul ein Anschlag stattgefunden, dort waren auch Personen von XXXX . Eine Person ist nach vierzehn Jahren zurückgekommen, sie haben ihn umgebracht. Es ist ein Beweis, er ist nach 14 Jahren aus Australien gekommen, die Taliban wussten genau wann er ankommt, sie haben ihn umgebracht. Auf Google steht alles über XXXX , über die Leute. Damals hatte ich keinen Kontakt zu meinen Verwandten, ich habe die Informationen über Google. Ich habe Informationen auch über Facebook gesammelt.

Beschwerdeführer legt Informationen über XXXX vor, die er aus dem Internet ausgedruckt hat, vor. Diese werden zum Akt genommen.

Rechtsvertreterin: Im Hinblick auf das Asylansuchen des Beschwerdeführers führe ich ergänzend aus, dass UNHCR in Bezug auf Personen die für Regierungsorganisationen arbeiten, gleichbleibend seit dem Jahre 2011 die Flüchtlingseigenschaft befürwortet, da diese im Fokus der Taliban stehen. Als der Vater des Beschwerdeführers im Jahre 2012 den Vertrag eingegangen ist, war allerdings die Sicherheitslage in Ghazni wesentlich besser als sie sich jetzt darstellt. Die Karten des Instituts for Study of War (ISW) belegen, dass sich die Talibanpräsenz in der Provinz Ghazni in diesem Zeitraum zwischen 2012 bis April 2016 wesentlich verstärkt hat. Die Taliban haben in ganz Afghanistan massiv Gebiete unter ihre Kontrolle bringen können. Wesentlich aber konzentrieren sich die Taliban auf die Kontrolle der Hauptverkehrswege, der sogenannten Ringroad. Der Beschwerdeführer musste im Zuge seiner Tätigkeit, insbesondere um in der Provinzhauptstadt Ghazni Einkäufe und Lieferungen zu tätigen, die Ringroad passieren. Darüber hinaus ist, seit dem Jahre 2014, die Abzweigung der Ringroad über Qarabagh, die der Beschwerdeführer benutzen musste, unter Talibankontrolle. Wie er geschildert hat, verwenden die Taliban klassische Kontrollposten entlang der Straße, um Personen habhaft zu werden, die sie aufgrund unterschiedlichster Verhaltensweisen, aber auch wegen deren Tätigkeit für Regierungsorganisationen bestrafen wollen. So geschah es auch im Fall des Beschwerdeführers, der nur durch Glück eine unmittelbare Kontrolle seines Fahrzeuges entgangen ist. Seit der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen hat, hat sich die Lage hinsichtlich der Frage, der Gefahr persönlich von den Taliban verfolgt zu werden, für den Beschwerdeführer wesentlich verschlechtert, da die Taliban im Mai oder Juni 2016 eine offizielle Warnung an alle Kollaborateure verlautbaren ließen, aus der hervorgeht, dass alle Personen, die nach diesem Aufruf nicht auf die Seite der Taliban wechseln, zur Rechenschaft gezogen werden. Politisch betrachtet, ist der Kampf der Taliban gegen Regierungsmitarbeiter, für diese von besonderer Bedeutung, da die Taliban Regierungshoheit in Afghanistan anstreben und sich ihr Kampf daher wesentlich gegen alle Personen richtet, die Afghanistan ‚verwestlichen'. Das Vorgehen der Taliban ist daher systematisch. Es ist daher davon auszugehen, dass sie hinsichtlich Personen, die ihnen namentlich bekannt sind, wie es beim Beschwerdeführer der Fall ist, ein Interesse daran haben, diese auch außerhalb ihres angestammten Wohngebietes zu verfolgen. Die Ermordung von Kollaborateur hat eine gewisse Außenwirkung. Die Taliban müssen daher um ihren Einfluss sichtbar zu machen, Personen die sie bereits persönlich bedroht haben, egal wo in Afghanistan, auch wirklich zur Rechenschaft ziehen. In der Regel geschieht dies durch Hinrichtung. Dieses Vorgehen der Taliban ist auch ein Grund dafür, warum eben gerade Hauptverkehrsstraßen so stark kontrolliert werden. Insbesondere im südlichen Teil, von Kabul über Ghazni Richtung Uruzghan, nutzen die Taliban diese Straßensperren, um Hazara aus jenen Gebieten des Zentralhazaradschat habhaft zu werden, in denen ihre Militärpräsenz nicht ausreichend ist. Der Beschwerdeführer wäre daher selbst wenn er seine Tätigkeit aufgeben würde, vor der Verfolgung durch die Taliban nicht geschützt, weil die Provinzhauptstadt Ghazni auch in Fällen von notwendiger ärztlicher Versorgung und zum Einkaufen bestimmter Artikel von allen Hazara aufgesucht werden muss. Auch die Hauptstadt Kabul kommt für den Beschwerdeführer als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Frage, einerseits ist er dort vor der Verfolgung durch die Taliban nicht sicher, da bereits mehrmals bestätigt wurde (durch Gutachten in diversen Verfahren vor diesem Gericht) dass die Taliban über die notwendigen Netzwerke verfügen, Personen auch in Kabul aufzuspüren. Kabul ist daher als innerstaatliche Fluchtalternative gar nicht relevant. Jedenfalls ist sie für den Beschwerdeführer nicht zumutbar. UNHCR führt in ihren Berichten 2013 und 2016 aus, dass Kabul aufgrund der angespannten Wohnungs- und Versorgungslage für Ehepaare mit kleinen Kindern aufgrund virulenter Verletzungen von Art 3 EMRK nicht relevant ist. Für den Beschwerdeführer als Einzelperson wäre neben der Frage der Relevanz, Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative jedenfalls nicht zumutbar, da dieser regelmäßige psychiatrische Versorgung braucht, die in Kabul, wie schon Herr Ruttig in seiner Stellungnahme zum Gutachten Mahringer ausgeführt hat nicht verfügbar ist. Kabul ist also nicht relevant und nicht zumutbar.

Die Vertreterin wird innerhalb von einer Woche ergänzende Unterlagen vorlegen.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

1.1.1 Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, nach eigenen Angaben geboren am XXXX und somit volljährig, und stellte am 2.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2 Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Dari und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er lebte sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise in der Provinz Ghazni im Distrikt XXXX . Der Beschwerdeführer lebte in seinem Heimatdistrikt gemeinsam mit seiner Familie - das sind jedenfalls seine Mutter, drei Geschwister, seine Frau sowie seine Kinder - in einem eigenen Haus und besuchte dort sechs Jahre die Schule. Danach arbeitete der Beschwerdeführer in XXXX , die Art seiner Tätigkeit konnte nicht festgestellt werden. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 verließ der Beschwerdeführer seine Heimatprovinz Ghazni und reiste nach Europa. Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfügt außerhalb seiner Heimatprovinz über keine sozialen Anknüpfungspunkte.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

1.2.1 Der Beschwerdeführer hat Afghanistan Jahr 2015 verlassen und reiste nach Europa.

1.2.2 Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

1.2.3 Der Beschwerdeführer ist aufgrund einer psychischen Erkrankung in medikamentöser Behandlung. Es konnte nicht festgestellt werden, dass bei einer Rückkehr nach Afghanistan selbige nicht fortgesetzt werden kann.

1.2.4 Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als schiitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

1.2.5 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.3.1 Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.3.2 Der Beschwerdeführer besucht in Österreich einen Kurs, fährt Fahrrad und spielt Fußball.

1.3.3 In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

1.3.4 Der Beschwerdeführer ist aus psychischen Gründen in medizinischer Behandlung und nimmt Medikamente.

1.3.5 Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 25.9.2017):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.-5.August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q2.2017

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

1.4.3 Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Parlament und Parlamentswahlen

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).

Parteien

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9.2016).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.9.2016), unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommen zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung, erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.9.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, int. Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahrenaus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.9.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 4.2.2017).

1.4.4 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie zB Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie zB in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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